Schweitzer Fachinformationen
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Mario Vargas Llosa erzählt die Geschichte einer Obsession, einer leidenschaftlichen Beziehung, in der Glück und Unglück untrennbar miteinander verbunden sind.
Wie gelingt es ihr nur immer wieder, ihn um den Finger zu wickeln? Und warum tut sie das, wenn sie seine ehrlichen Gefühle doch zugleich schroff zurückweist? Schon als aufmüpfige Halbwüchsige verdreht sie dem jungen Ricardo im konservativen Lima der 50er Jahre den Kopf. Von da an wird sie regelmäßig seine Wege kreuzen, wird in Paris, London, Madrid oder Tokio mal als Guerrillera, mal als Heiratsschwindlerin mit falschem Paß in sein Leben treten - und es immer wieder durcheinanderwirbeln. Auf rätselhafte Weise scheinen beide dennoch füreinander bestimmt; oder ist nur er es, der nicht lassen kann von diesem faszinierend »bösen Mädchen«?
Was für ein grandioser Sommer! Pérez Prado kam mit seinem Zwölf-Mann-Orchester und animierte die Faschingsbälle im Terrazas-Klub in Miraflores und im Lawn-Tennis-Klub von Lima, in der Stierkampfarena wurde ein landesweiter Mambo-Wettbewerb veranstaltet, der trotz der Drohung des Erzbischofs von Lima, Kardinal Juan Gualberto Guevara, sämtliche teilnehmenden Paare zu exkommunizieren, ein großer Erfolg wurde, und meine Clique, das Fröhliche Viertel der Straßen Diego Ferré, Juan Fanning und Colón in Miraflores, trug mit ihrem Gegenpart aus der Calle San Martín olympische Wettkämpfe in Straßenfußball, Radrennen, Leichtathletik und Schwimmen aus, die wir natürlich gewannen.
In jenem Sommer 1950 geschahen außergewöhnliche Dinge. Hinkefuß Lañas erklärte sich zum ersten Mal einem Mädchen – der rothaarigen Seminauel –, und diese sagte zum Erstaunen von ganz Miraflores ja. Hinkefuß vergaß sein Hinken und ging fortan wie ein Charles Atlas mit stolz geschwellter Brust durch die Straßen. Tico Tiravante brach mit Ilse und erklärte sich Laurita, Víctor Ojeda erklärte sich Ilse und brach mit Inge, Juan Barreto erklärte sich Inge und brach mit Ilse. Es kam zu einer so großen Umschichtung der Gefühle im Viertel, daß wir wie benommen waren, Liebesbande lösten sich auf und wurden neu geknüpft, und wenn die Samstagsfeten zu Ende waren, fanden sich nicht immer dieselben Paare zusammen, die gekommen waren. »Was für lockere Sitten!« empörte sich meine Tante Alberta, bei der ich seit dem Tod meiner Eltern lebte.
Am Badestrand von Miraflores brachen sich die Wellen zweimal, das erste Mal in der Ferne, zweihundert Meter vom Ufer entfernt, und bis dorthin schwammen wir Mutigen hinaus, um sie zu reiten, und ließen uns an die hundert Meter mitreißen, bis an die Stelle, wo die Wellen ausliefen, nur um sich erneut zu prächtigen Bergen aufzutürmen und sich abermals zu brechen, in einem zweiten Überschlag, der uns Wellenreiter bis zu den Kieseln des Strandes trug.
In jenem außergewöhnlichen Sommer wurden auf den Feten keine Walzer, Corridos, Blues, Boleros und Huarachas mehr getanzt, denn der Mambo fegte sie alle hinweg. Der Mambo, eine Lawine, die sämtliche Paare erfaßte und alle, egal ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, dazu brachte, auf den Parties im Viertel die Hüften zu schwingen, zu hüpfen, zu springen und wilde Figuren zu tanzen. Und sicher geschah das auch außerhalb von Miraflores, was soviel hieß wie jenseits der Welt und des Lebens überhaupt, in Lince, Breña, Chorrillos oder in noch exotischeren Vierteln wie La Victoria, dem Zentrum von Lima, Rímac und El Porvenir, die wir, die Bewohner von Miraflores, niemals betreten hatten oder jemals betreten zu müssen glaubten.
Und so wie wir von den Walzern und den Huarachas, den Sambas und den Polkas zum Mambo übergegangen waren, gingen wir auch von den Rollschuhen und Rollern zum Fahrrad über und manche, Tato Monje und Tony Espejo zum Beispiel, zum Motorrad und einer oder zwei sogar zum Auto, wie Luchín, die Bohnenstange der Clique, der seinem Vater zuweilen das Chevrolet-Kabriolett stibitzte und mit uns eine Runde über die Uferstraßen drehte, vom Terrazas-Klub bis zur Quebrada de Armendáriz, mit hundert Sachen in der Stunde.
Doch das bemerkenswerteste Ereignis jenes Sommers war die Ankunft zweier Schwestern, die aus Chile, ihrer fernen Heimat, nach Miraflores gekommen waren und mit ihrer aufsehenerregenden Erscheinung und unverwechselbaren, schnellen Redeweise, bei der sie die Endsilben der Wörter verschluckten und die Sätze mit einem gehauchten Ausruf beendeten, der wie »pff« klang, uns Jungen aus Miraflores, die wir gerade die kurzen gegen die langen Hosen eingetauscht hatten, gehörig den Kopf verdrehten. Und mir am allermeisten.
Die jüngere schien die ältere zu sein und umgekehrt. Die ältere hieß Lily und war etwas kleiner als Lucy, der sie ein Jahr voraus war. Lily mochte vierzehn oder höchstens fünfzehn sein und Lucy dreizehn oder vierzehn. Das Adjektiv »aufsehenerregend« schien wie gemacht für sie beide, aber Lucy, auf die es durchaus zutraf, war es weniger als ihre Schwester, nicht nur, weil ihr Haar weniger blond und kürzer war und sie sich weniger gewagt anzog als Lily, sondern auch, weil sie schweigsamer war und beim Tanzen, obwohl sie ebenfalls Figuren konnte und einen kühnen Hüftschwung hatte, wie ihn kein Mädchen aus Miraflores wagte, fast gehemmt und unscheinbar wirkte im Vergleich zu diesem Kreisel, dieser flackernden Flamme, diesem Irrlicht, in das Lily sich verwandelte, wenn mit dem Aufsetzen der Nadel auf dem Plattenteller der Mambo explodierte und wir zu tanzen begannen.
Lily tanzte sinnlich, rhythmisch und mit großer Anmut, dabei lächelte sie und trällerte den Text des Liedes mit, reckte die Arme hoch, entblößte die Knie und bewegte Hüften und Schultern in einer Weise, als würde ihr kleiner, von Rock und Bluse so durchtrieben kurvenreich modellierter Körper unter Hochspannung stehen, vibrieren und von den Füßen bis in die Haarspitzen am Tanz beteiligt sein. Wer Mambo mit ihr tanzte, dem erging es immer schlecht, denn wie konnte man ihr folgen, ohne sich im teuflischen Wirbel dieser hüpfenden Beine und Füße zu verfangen? Unmöglich! Man hinkte von Anfang an hinterher und wußte dabei genau, daß die Augen sämtlicher Paare auf Lilys Mambo-Künste gerichtet waren. »Dieses Mädchen!« wetterte meine Tante Alberta, »sie tanzt wie eine Tongolele, wie eine Rumbatänzerin in einem mexikanischen Film. Na ja, wir dürfen nicht vergessen, daß sie Chilenin ist«, antwortete sie sich selbst, »Tugend ist nicht gerade die Stärke der Frauen dieses Landes.«
Ich verliebte mich wie ein Mondkalb in Lily, was die romantischste Form des Verliebtseins ist – man sagte auch: sich total verknallen –, und erklärte mich ihr dreimal in jenem unvergeßlichen Sommer. Das erste Mal auf dem oberen Rang im Ricardo Palma, dem Kino, das sich im Parque Central in Miraflores befand, bei der sonntäglichen Nachmittagsvorstellung, und sie gab mir einen Korb, sie sei noch zu jung, um einen Freund zu haben. Das zweite Mal auf der Rollschuhbahn, die in ebenjenem Sommer am Fuß des Parque Salazar eröffnet wurde, und sie gab mir einen Korb, sie müsse es sich überlegen, gefallen würde ich ihr schon ein bißchen, aber ihre Eltern hätten sie gebeten, vor dem Abschluß der vierten Klasse keinen Freund zu haben, und sie sei erst in der dritten. Und das letzte Mal wenige Tage vor dem großen Schlamassel, im Cream Rica in der Avenida Larco, während wir einen Vanille-Milchshake tranken, und natürlich sagte sie wieder nein, warum sollte sie ja sagen, wenn wir so, wie die Dinge lagen, längst wie ein Liebespaar wirkten. Taten sie uns bei Marta nicht immer als Paar zusammen, wenn wir das Wahrheitsspiel spielten? Saßen wir nicht am Strand von Miraflores nebeneinander? Tanzte sie mit mir nicht mehr als mit jedem anderen auf den Feten? Warum sollte sie mir also formell ja sagen, wenn ganz Miraflores uns schon für ein Pärchen hielt? Mit ihrer Mannequin-Figur, ihren dunklen, schalkhaften Augen und ihrem kleinen Mund mit den vollen Lippen war Lily die Frau gewordene Koketterie.
»Mir gefällt alles an dir«, sagte ich zu ihr. »Am meisten aber die Art, wie du redest.« Sie war witzig und originell, was an der Betonung und der Melodie lag, die so ganz anders waren als im Peruanischen, auch an gewissen Ausdrücken, kleinen Wörtern und Wendungen, die uns Jungen in der Clique im dunkeln tappen ließen, so daß wir raten mußten, was sie bedeuteten und ob sich irgendein Spott in ihnen verbarg. Lily sagte ständig doppeldeutige Dinge, gab Rätsel auf oder erzählte so pikante Witze, daß die Mädchen der Clique puterrot wurden. »Diese kleinen Chileninnen sind schrecklich«, befand meine Tante Alberta, voll Sorge, diese beiden Fremden könnten die Moral von Miraflores untergraben.
Es gab noch keine Hochhäuser im Miraflores der beginnenden fünfziger Jahre, es war ein Viertel mit kleinen, ein- oder höchstens zweigeschossigen Häusern, in deren Gärten nie die Geranien fehlten, dazu Poinsettien, Lorbeer, Bougainvilleen, Rasenflächen und ebenerdige Terrassen, von denen sich Geißblatt oder Efeu hochrankten, mit Schaukelstühlen, in denen die Bewohner, umgeben vom Duft nach Jasmin, plaudernd die Nacht erwarteten. In einigen Parks wuchsen dornige Kapokbäume mit roten und rosafarbenen Blüten, auf den geraden, sauberen Bürgersteigen standen kleine Magnolien, Jakaranda- und Maulbeerbäume, und die farbige Note lieferten, neben den Gartenblumen, die gelben Wägelchen der D’Onofrio-Eisverkäufer, die einheitliche weiße Kittel und schwarze Mützen trugen, Tag und Nacht umherzogen und ihr Kommen durch eine Hupe ankündigten, die sich mit ihrem langsamen Aufheulen wie ein barbarisches Horn ausnahm, das an Urzeiten denken ließ. Man hörte noch die Vögel singen in diesem Miraflores, wo die Familien die Pinien fällten, wenn die Mädchen ins heiratsfähige Alter kamen, denn wenn sie es nicht taten, dann würden die Armen alte Jungfern werden wie meine Tante Alberta.
Lily sagte mir niemals ja, aber es stimmte, daß wir, von dieser Formalität abgesehen, in allem übrigen wie ein Liebespaar waren. Wir hielten Händchen bei den Nachmittagsvorstellungen im Ricardo Palma, im Leuro, im Montecarlo und im Colina, und wenn man auch nicht behaupten konnte, daß wir im Dunkel der Ränge fummelten wie andere, ältere Paare – fummeln war etwas, das von harmlosen Küßchen bis zu tiefen Zungenküssen und unzüchtigen Berührungen reichte, die man am ersten Freitag des Monats dem Pfarrer als Todsünde beichten mußte –, so ließ Lily doch zu, daß ich sie auf die Wangen, auf den...
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