Schweitzer Fachinformationen
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Matteo drückte Flavio zurück auf den Stuhl.
»Warte du hier. Ich versuche herauszufinden, was passiert ist, was es mit diesem Schuss auf sich hat. Mit Karlotta wird alles in Ordnung sein. Sei unbesorgt.«
Der Film wurde angehalten, die hell angestrahlte Leinwand erleuchtete nun den Platz. Die beruhigende Stimme aus dem Lautsprecher vermochte es wundersamerweise, die Massen zu lenken und über die schmalen Gänge zu den Ausgängen zu lotsen, wo derweil Polizisten und einige Sanitäter Aufstellung genommen hatten. Matteo versuchte, sich den Weg durch die eng gestellten Stuhlreihen zu bahnen, um zum Ort des Geschehens und zu Karlotta Tramboni vorzudringen. Aber nach ein paar Metern erkannte er, dass es zu riskant war, sich bis dorthin durchdrängeln zu wollen. Noch bevölkerten zahllose Menschen den Platz und noch konnte die Panik um sich greifen. Er lief zu Flavio zurück, um ihn aus dem Gefahrenbereich herauszuführen.
»Lassen Sie uns durch, bitte.« Ungeduldig schob er Flavio an den anderen Zuschauern vorbei, der Alte konnte sich kaum auf den Beinen halten. Im Laufen nestelte Matteo seinen Dienstausweis aus der Tasche. Mit den Worten »Polizei, lassen Sie mich bitte durch« bahnte er sich den Weg zu dem Restaurant, wo sie vor Stunden gesessen hatten, und drückte Flavio auf einen der Stühle.
»Bitte, Matteo, mir geht es schon wieder besser. Du musst rausfinden, was passiert ist. Ich warte hier auf dich. Mach schon.«
»Signore e Signori, Ladies and Gentlemen, Mesdames et Monsieurs, meine Damen und Herren. Begeben Sie sich weiterhin langsam zu den Ausgängen. Es hat einen Zwischenfall gegeben, aber Sie sind nicht in Gefahr. Bitte bewahren Sie Ruhe.«
Mittlerweile war der Platz so leer, dass es Matteo mühelos gelang, sich bis zur ersten Reihe vorzuarbeiten, wo die Mitarbeiter des privaten Sicherheitsdienstes einen Kreis um das Geschehen gebildet hatten und nun auf die Polizei und auf irgendwelche Instruktionen zu warten schienen. Matteo hatte leichtes Spiel, als er einem der Sicherheitsmänner seinen Ausweis der italienischen Polizei hinhielt.
»Basso, Matteo Basso, bitte lassen Sie mich durch.«
Der Sicherheitsmann zögerte einen Moment, dann gab er den Weg frei. Zwei Sanitäter breiteten in diesem Moment ein Tuch über die am Boden in einer Blutlache liegende Frau.
Es handelte sich nicht um Karlotta Tramboni, wie Matteo mit einer gewissen Erleichterung, die ihm sogleich ungehörig vorkam, registrierte. Die Tote war wesentlich jünger. Sie trug ein leuchtend blaues Kleid. Wenn Matteo nicht alles täuschte, dann hatte er auch ihr Gesicht im Programmheft des Filmfestivals gesehen. Vermutlich war sie ebenfalls Schauspielerin.
Der Ring der Sicherheitsleute öffnete sich ein weiteres Mal, und ein bulliger Typ, dessen Haar genauso speckig glänzte wie sein Trenchcoat, schob sich hindurch, begleitet von einem halben Dutzend Uniformierter. Er kniete sich zu der Toten, hob das Tuch noch einmal an und wechselte ein paar Sätze, die Matteo nicht verstehen konnte, mit den Sanitätern. Dann stand er fluchend auf, klopfte sich mit einer Hand die ausgebeulten Hosen ab, während er mit der anderen sein Telefon ans Ohr hielt und zwei, drei kurze Anweisungen hineinblaffte.
Als er fertig war und sein Handy in der Brusttasche verstaut hatte, kam er auf Matteo zu. Zweifelsohne handelte es sich um den zuständigen Ermittler.
Da er in den vergangenen Jahren verschiedene Male in die Aufklärung von Mordfällen verwickelt gewesen war, hatte Matteo so seine Erfahrungen mit den offiziellen Beamten gemacht, die in der Regel nicht sonderlich begeistert gewesen waren, dass er ihnen ins Handwerk gepfuscht hatte. Aber jetzt war er ja nur hier, um nach Karlotta Tramboni zu sehen und um Flavio zu beruhigen.
»Basso.« Er nestelte, ohne recht zu wissen, warum, erneut seinen Ausweis hervor. »Ich saß im Publikum. Deshalb bin ich hier.«
»Orler, Alberto. Ich habe gerade nebenan meinen Feierabendwein getrunken. Nur falls Sie sich fragen, warum ich hier bin. Beziehungsweise«, er nickte zu der Toten hinüber, »warum ich so schnell hier bin. Ich hätte ohnehin kommen müssen. Was soll man machen?« Er zog eine Miene, als hätte er auf ein faules Stück Obst gebissen.
»Und gilt das auch für Sie, Basso? Auch Commissario und immer im Dienst?«
»Nein, nicht direkt. Ich bin Polizeipsychologe. Und, wie gesagt, dass ich hier bin, ist reiner Zufall. Ich wollte nur . Ich dachte, ich könnte irgendwie helfen. Wer ist die Tote?«, erkundigte sich Matteo
»Sie wissen nicht, wer das ist? Ich kenne mich mit Filmen auch nicht gut aus. Aber das ist Simona Morelli. Ganz Locarno freut sich seit Wochen, dass sie zum Festival kommt.« Er schnaubte wütend. »So eine Scheiße. Sie stammt gewissermaßen aus der Gegend. Vom Comer See, um genau zu sein, und ist sehr beliebt. Vor allen Dingen bei den jungen Leuten. Das weiß ich, weil wir seit ihrer Ankunft vor ihrem Hotel eine Heerschar Teenager in Schach halten müssen. Eine dieser neuen Fernsehserien hat sie berühmt gemacht. Nicht auszudenken, was die jungen Leute machen, wenn sie von ihrem Tod erfahren.«
Ein kurzer Hustenanfall des Ermittlers beendete dessen Erläuterungen.
Matteo war der bullige unkonventionelle Typ mit der rauen Stimme unmittelbar sympathisch. Er hielt dem Ermittler die Futura-Packung hin und ihm entging nicht das flüchtige Aufscheinen von Gier in dessen Augen.
»Grazie, aber ich darf nicht. Meine Frau hat es mir verboten. Und dieses Mal macht sie ernst. Wenn ich mich nicht daran halte, geht sie, befürchte ich.«
Erneut wurde Orler von einem gewaltigen Hustenanfall geschüttelt. Offenbar hatte die Gattin triftige Gründe für ihre Anordnung.
»Lassen Sie den Platz evakuieren? Es ist unfassbar, wie geordnet das alles abläuft.«
Alberto Orler zuckte die Schultern.
»Das haben wir der Geistesgegenwart des Veranstalters und der Gleichmut der Schweizer zu verdanken. Manchmal hat so ein einschläferndes Temperament auch sein Gutes.« Er grinste und zeigte über den jetzt fast leeren Platz.
»Nein, im Ernst. Da muss der Allmächtige seine Hände im Spiel gehabt haben, dass hier keine Massenpanik ausgebrochen ist. Achttausend Menschen und sie gehen einfach so. Eigentlich unfassbar.«
Dann wandte er sich an die Beamten, die mittlerweile am Tatort eingetroffen waren.
»Stefano, Giuseppe, Franco, ihr sprecht mit den Leuten von der Filmcrew und den Ehrengästen. Die müssen ja irgendwo sein. Marco, du bleibst hier, bis die Spurensicherung eingetroffen ist. Und fordere Verstärkung an, damit die Geier von der Presse dich nicht überrennen. Wahrscheinlich wimmelt es hier vor akkreditierten Fotografen und Journalisten. Diego und ich nehmen uns das Haus vor, aus der der Schuss kam. Fausto und seine Jungs sind schon vor Ort. Wir haben eben telefoniert. Wir müssen schnell sein, bevor uns die Bundeskriminalpolizei und die Herren aus Bern den Fall streitig machen.«
Er nickte Matteo zu.
»Basso, kommen Sie mit? Die Tote stammt ja vom Comer See. Da ist der grenzüberschreitende kleine Dienstweg nicht die dümmste Idee. Aber nur, wenn Sie die verdammte Zigarette ausmachen. Ist ja nicht auszuhalten der Geruch, herrlich.«
Sie schritten über den Platz. Als sie etwa die Hälfte des Weges hinter sich hatten, öffnete sich ein Fenster in einem der oberen Stockwerke eines Hauses. Polizisten in Kampfmontur waren zu sehen.
»Offenbar wurde nur ein gezielter Schuss abgegeben. Das war ein absoluter Profi. Oder was meinen Sie?«
Matteo überlegte, ob Orler ihn tatsächlich nach seiner Meinung fragte oder ob die Frage des Commissarios ironisch gemeint war. Das wäre das Gebaren, das Matteo von seinen bisherigen Begegnungen mit der Polizei kannte: Wo ihm nicht ruppig mitgeteilt worden war, dass er sich aus der Polizeiarbeit heraushalten solle, war man ihm mit allenfalls notdürftig kaschierter Süffisanz begegnet. Überrascht hatte ihn das nie. Schließlich hatte er lange genug als Psychologe bei der Mailänder Polizei gearbeitet. Bevor er seinen Dienst in Mailand quittiert hatte, hatte er vor allem traumatisierten Polizisten geholfen. Er war nie das gewesen, was man neumodisch Profiler nannte, also ein Fallanalytiker, der sich in die Psyche der Täter hineinzudenken versuchte.
Im Hintergrund waren Sirenen zu hören und Matteo registrierte aus dem Augenwinkel, dass immer mehr Polizisten das Haus umstellten. Von der Via Torretta bahnte sich ein Ü-Wagen von RSI LA1, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender der italienischen Schweiz, den Weg auf den Platz.
Kommissar Orler deutete Matteos Zögern richtig.
»Das war eine ernst gemeinte Frage!«
»Ihr Schluss klingt logisch«, versetzte Matteo. »Vermutlich wollte der Schütze gezielt diese Frau treffen. Und wer aus fast siebenhundert Meter so präzise trifft, hat irgendwo eine verdammt gute Ausbildung erhalten.«
»Kommen Sie, Basso. Wir wollen mal schauen, ob der Täter seine Präzisionswaffe vielleicht da oben zurückgelassen hat. Dann wären wir schon ein bisschen schlauer. Ich tippe darauf, dass er sie nicht mitgenommen hat. Viel Zeit blieb ihm schließlich nicht, um sich aus dem Staub zu machen.«
Ganz verstand Matteo noch nicht, warum ihm Orler zu vertrauen schien. Flavio wartete, aber Matteos Instinkte waren längst geweckt. Seine Neugierde war groß und dieser Kommissar war ihm außerordentlich sympathisch. Wenn er sprach, klang es, als würde er sich mit seinen Kommentaren aufmuntern und sich zugleich über sich selbst ein wenig lustig machen wollen. Matteo vermutete in dem Schweizer Ermittler einen Melancholiker, wie er selbst einer...
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