Schweitzer Fachinformationen
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Matteo ließ die Gewürzmischung, die er ein wenig unentschieden in der Hand gewogen hatte, in die Schale zurückgleiten. Er würde die Entscheidung auf später vertagen. Irgendetwas musste anders werden mit seinen Salsiccias.
Dass Beppo die Koteletts vorzog, war reine Bosheit. Oder humoristische Ausdauer. Die Würste waren nicht schlecht. Aber wenn nicht gerade mal wieder Gisella sie zubereitet hatte, waren sie noch längst nicht so, dass seine Kunden verzückt die Augen verdrehten. Das konnte Matteo ihnen nicht übelnehmen. Ihm selbst ging es nicht anders. Befund: ausbaufähig. Zimt, Muskat, Salz, Pfeffer, ein bisschen Rotwein. So schwer konnte es doch nicht sein, das richtige Maß zu finden, dachte er. Am Fleisch selbst jedenfalls konnte es nicht liegen.
Noch sein Vater hatte den neuen Produzenten ausgesucht: Ein Bauer aus der Nähe des Ortasees. Die beiden Betriebe im Valle Vigezzo, die ihn jahrzehntelang beliefert hatten, hatten aufgegeben, weil es sich für sie nicht mehr gelohnt hatte. Aus dem Speck der Schweine vom Ortasee stellte Matteo nach dem Rezept seines Vaters den butterweichen, luftgetrockneten Lardo her, mit dem er die besten Restaurants der Gegend belieferte. Und über den Lardo hatte sich noch niemand beschwert.
Matteo warf einen Blick auf die Uhr, die über der durch den jahrelangen Gebrauch stumpf gewordenen Arbeitsfläche hing. Wenn er auch keine Haube trug, seine Courage legte er während der Arbeit ab. Beinahe elf Uhr. Wo Gisella nur blieb? Vielleicht stimmte Annas Vermutung, und sie hatte einen neuen Liebhaber. Vielleicht tatsächlich Paolo.
Über Liebesangelegenheiten hatten sie bisher nie gesprochen. Obwohl er sie erst kannte, seit er wieder am Lago lebte, war da von Anfang an eine große Vertrautheit zwischen ihnen gewesen. Gerade deshalb wahrscheinlich, weil jeder den Raum des anderen respektierte und weil weder er noch sie an einer Liebesbeziehung interessiert waren, sondern an Begegnungen und Gesprächen, die man hier in der Provinz nur mit wenigen führen konnte. Und dann war da ihre gemeinsame Begeisterung für die regionale Küche, die Gisella als Köchin jeden Tag neu interpretierte und die Matteo mit seinen Produkten bereichern wollte. Nun ja. Zumindest, wenn alles gut lief.
Matteo wischte sich die Hände an seiner Schürze ab und warf einen letzten zweifelnden Blick auf die Schüssel, die vor ihm stand. Telefonieren gehörte nicht eben zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Trotzdem hatte er Gisellas Nummer in seinem Handy gespeichert. Eigentlich nur, weil er das Zucken um ihre Mundwinkel gesehen hatte, als er gerade dazu ansetzen wollte, ihr zu erklären, dass er es ganz gern hatte, nicht ständig erreichbar zu sein. Er wusste ja selbst, dass das für die Ohren der allermeisten Menschen einigermaßen albern klang. Also hatte er gottergeben in der Schublade unter der Ladentheke gewühlt und Gisellas belustigten Blick ignoriert, als er zwischen allerlei Zetteln und Stiften sein Handy herausgefischt hatte.
Als er den Apparat nun hervorzog, zeigte der drei unbeantwortete Anrufe und eine Mailboxnachricht an. Ein Anruf mit unterdrückter Nummer, die beiden anderen stammten von Gisella. Sie hatte gegen ein Uhr nachts versucht, ihn zu erreichen. Vielleicht sollte er sich doch angewöhnen, sein Handy wie ein normaler Mensch zu benutzen, dachte Matteo. Dann wüsste er längst, dass Gisella ihm vermutlich gestern hatte sagen wollen, dass sie heute etwas später kam.
Aber auf der Mailbox vernahm er etwas anderes. Matteo kniff die Augen zusammen, er musste sich konzentrieren, um trotz der Nebengeräusche die Nachricht zu verstehen, die Gisella ihm hinterlassen hatte. »Matteo. Gisella hier. Ich .«, es folgte ein Rauschen, offenbar hatte sie in einer windigen Ecke gestanden. »Matteo. Ich weiß, es ist spät. Ich brauche deine Hilfe. Weißt du, wo Franco Maldini wohnt? Direkt am Ortseingang von Pallanza, die helle Villa. Kannst du kommen, sofort, wenn es geht?« Wieder ein lautes Rauschen, Matteo musste das Telefon ein Stückchen vom Ohr weghalten. »Wenn du das überhaupt hörst.«
Langsam erlosch das Display. Gisellas Stimme hatte angespannt geklungen. Oder war es nur die Anstrengung, gegen den Wind anzusprechen? Was konnte so wichtig sein, dass sie ihn nachts zu diesem Maldini bestellte? Sie hatte Maldini ein paarmal erwähnt. Reich, aber auch geistreich und kultiviert, so in etwa hatte Gisella sich ausgedrückt, was Matteo aufgesetzt vorgekommen war. Das war eigentlich gar nicht ihre Art. Klang eher, als würde sie Maldinis eigene Worte nachplappern. Matteos Hand tastete nach der Futura-Packung in seiner Hosentasche, mit spitzen Lippen zog er eine Zigarette heraus, während er die Hintertür öffnete und ins Freie trat, drückte er die Rückruftaste. Das Feuerzeug schnappte auf, und Matteo ließ seinen Blick über den See schweifen, der mittlerweile in sattem Blau erstrahlte. Die Mailbox sprang an. Matteo nahm rasch einen tiefen Zug. »Gisella«, er räusperte sich. »Matteo hier. Ich habe deine Nachricht gerade erst gehört. Ist alles in Ordnung? Ruf mich an, ja?«
Es war sinnlos, es zu leugnen. Er hatte ein komisches Gefühl. Es passte nicht zu Gisella, dass sie ihn versetzte. Und ihre Nachricht hatte sich auch nicht angehört, als ob sie einfach nur eine Verabredung hatte verschieben wollen. Sie hatte geklungen, als sei etwas Ernstes vorgefallen. Wobei in aller Welt hatte sie seine Hilfe benötigt?
Die Nummer von Annas Salon kannte Matteo auswendig.
»Pronto?« Gerade zwei Mal hatte es geklingelt, bis Anna an den Apparat ging.
»Anna, ich bin es. Ist Gisella aufgetaucht?«
»Wer ist ich? Matteo? Ich hatte gehofft, dass sie längst bei dir ist. Nein, hier ist sie nicht. Ich habe versucht, sie anzurufen, aber sie ist nicht ans Telefon gegangen.«
»Das habe ich auch probiert«, antwortete Matteo. »Anna, sag mal, ich will dich nicht beunruhigen .« was für ein Blödsinn, dachte er im selben Moment, sie war ganz offensichtlich schon beunruhigt. »Aber mir kommt das seltsam vor. Ich werde mal schauen, ob ich sie irgendwo finde. Vielleicht hat sie nur einen Kater und ruht sich am See noch ein wenig aus.« Den letzten Satz hatte er eher zu sich selbst gesagt. Von Anna kam nur ein gepresster Laut, den er als Zustimmung wertete.
»Anna, eine Sache noch.« Matteo überlegte, wie er es am besten formulieren sollte. »Ist dir gestern irgendetwas an ihr aufgefallen? War sie anders als sonst?«
»Verdammt, Matteo, woher soll ich das wissen.« Annas Stimme klang ungewöhnlich schrill. »Das musst du doch beurteilen können. Du bist der Psychologe, nicht ich.«
Damit hatte sie aufgelegt. Und damit hatte sie recht, wenn auch nicht ganz, genau genommen. Psychologe war er bis vor ein paar Monaten gewesen. Ein gut situierter, angesehener Psychologe in Diensten der Mailänder Polizei, der den Kollegen half, ihre traumatischen Erfahrungen aufzuarbeiten, sie therapeutisch begleitete, wenn der Tod eines Kollegen, eine selbst erlittene Schussverletzung oder der dauerhafte Umgang mit Schwerverletzten, Opfern sexueller Gewalt oder eines der anderen unzähligen tragischen Ereignisse, denen sie im Alltag ausgesetzt waren, sie krank machte. Er hatte in einer Wohnung gelebt, die man wohl als geschmackvoll eingerichtet bezeichnen würde, vielleicht sogar als elegant, nur wenige Straßen von der Scala entfernt.
Wenn er es nicht geschafft hatte, Teresa morgens in der Oper vorbeizubringen, hatte er sie abends abgeholt, und sie waren noch ein wenig durch die Straßen geschlendert, selbst in den Wintermonaten, in denen die Stadt häufig in dichten Nebel getaucht war. Er hatte meist keine Lust gehabt, von seiner Arbeit zu reden, von dem Korpsgeist der Polizisten, von ihrem Machismo, der oft genug dazu führte, dass sie erst dann zu ihm kamen, wenn sie bereits als Folge ihrer posttraumatischen Belastungsstörungen unter Magengeschwüren, Bluthochdruck, paranoiden Angstzuständen oder anderen schwerwiegenden Persönlichkeitsstörungen litten.
Viel schöner war es gewesen, Teresa zuzuhören, wie sie, halb empört, halb mit Begeisterung, von den unmöglichen Entwürfen erzählte, die wieder mal ein Kostümbildner mit in die Gewandmeisterei gebracht hatte, ohne auch nur einen Schimmer davon zu haben, wie ein bestimmter Stoff fiel.
Matteo versuchte, das aufkommende Rauschen in seinen Ohren zu unterdrücken. Hastig zündete er sich eine zweite Zigarette an. An die Vorbereitungen für das Rennen war ohnehin nicht mehr zu denken. Er musste etwas tun. Und sei es nur, um seine Unruhe zu bekämpfen. Vielleicht würde dieser Maldini ihm weiterhelfen können. Auch wenn er keine besondere Sympathie für Menschen empfand, die beständig in eine Wolke aus Gediegenheit gehüllt schienen. Ein Affe bleibt ein Affe, auch wenn er in Seide gekleidet ist. Das war einer der Lieblingssprüche seines Vaters gewesen, und Matteo hegte einen ebensolchen Argwohn gegen Menschen, die ihre Großartigkeit aller Welt zur Schau stellten.
Während er das »chiuso«-Schild an die Ladentür hängte, versuchte Matteo sich zu erinnern, was Gisella sonst noch über Maldini erzählt hatte. Hin und wieder, das wusste Matteo, kochte sie bei ihm, wenn er Abendgesellschaften gab. Anscheinend war das auch gestern der Fall gewesen, als sie ihn von dort aus angerufen hatte.
Hinter einem cremefarbenen Citroën ID 19 reihte Matteo sich in den um diese Mittagszeit noch gemäßigten Verkehr auf der Uferstraße ein. Der Lancia schwebte sanft durch die Kurven. In drei, vier Stunden, mit dem Beginn des Wochenendes, würde das anders werden. Dann staute sich der Verkehr regelmäßig an einer der Baustellen, die immer woanders, aber immer verlässlich irgendwo...
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