Schweitzer Fachinformationen
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Als Matteo nach ein paar denkbar unbequemen Stunden erwachte und sich in dem Sitz seines Lancias hochrappelte, spürte er als Erstes einen stechenden Schmerz im Nacken. Vielleicht wäre ein Bett auf der Insel doch die bessere Variante gewesen.
Dann erstarrte er. Gänsehaut zog ihm den Rücken hinauf und ließ ihn seine Schmerzen unmittelbar vergessen. Matteo war der Überzeugung, schon relativ viel gesehen zu haben in seinem Leben. Live oder auf Bildern. Aber dieser Anblick war mit Abstand das Grausamste, was ihm je untergekommen war. Mit weichen Knien stieg er aus dem Lancia. Umständlich und mit fahrigen Fingern wühlte er sein Handy hervor. Ein kurzer Blick darauf sagte ihm, dass es kurz nach halb sieben war. Vielleicht war er der Erste, der sah, was sich auf der Isola Bella in der Nacht zugetragen hatte. Er drückte die Nummer der Kommissarin. Noch vor dem zweiten Klingeln war sie am Apparat.
»Pronto.«
»Basso, Matteo Basso hier. Sie erinnern sich an mich? Entschuldigen Sie die frühe Störung. Sie müssen sofort zur Isola Bella fahren. Es ist etwas passiert.«
»Was für eine Überraschung. Buongiorno Signor Basso, grazie. Wir wurden bereits informiert.«
In diesem Moment erblickte Matteo ein Polizeiboot, das mit Hochgeschwindigkeit über den Lago raste.
»Wie kommt es, dass Sie die Leiche entdeckt haben? Sieht man die etwa von Cannobio aus?« Nun hörte Matteo auch den Fahrtwind, gegen den die Kommissarin anschreien musste.
»Nein«, antworte er, »ich war zufällig in der Nähe.«
»Wie bitte? Sie müssen lauter sprechen.«
Matteo räusperte sich.
»Ich hatte in der Gegend zu tun«, brüllte er in den Apparat. Kurz zögerte er. Dann setzte er hinzu: »Ich war gestern Abend auf der Isola dei Pescatori und habe in Stresa übernachtet.«
»Seltsamer Zufall«, kam es von der anderen Seite. »Dass Sie wieder in der Nähe sind, wie im vergangenen Jahr.« Matteo sah, wie das Polizeiboot kurz vor dem Bootsanleger der Isola Bella abbremste. »Ich muss mir hier erst mal ein Bild von der Lage verschaffen. Ich melde mich gegebenenfalls später noch mal bei Ihnen.«
Damit hatte sie aufgelegt. Matteo ließ sich auf die Motorhaube des Lancias sinken und zündete sich eine Futura an. Nachdem er zwei tiefe Züge genommen hatte, fühlte er sich gestärkt genug und schaute wieder zur Isola Bella hinüber.
Auf dem Horn des Einhorns, das nicht nur am höchsten Punkt der barocken Gartenanlage stand, sondern wie ein Wahrzeichen über der Insel thronte und von weit her zu sehen war, hing ein Mensch. Der Körper durchbohrt von der eisernen Spitze. Matteo schauderte.
Wie viele Meter Luftlinie mochten es sein von der Leiche bis hin zu dem Platz, an dem er vor einigen Stunden noch am Kai gesessen und auf den See geschaut hatte?
Die Polizei, so viel konnte er aus der Entfernung sehen, hatte den Tatort mittlerweile erreicht und würde sich, auch da war er sicher, alle Mühe geben, den Toten von seiner Zurschaustellung zu befreien. Und umgekehrt das Einhorn von seiner makabren Last.
An sein Versprechen, beim Aufräumen zu helfen, dachte er keine Sekunde, stattdessen fuhr er nach Cannobio, um auf den möglichen Anruf der Kommissarin zu warten. Als Matteo eine gute Stunde später im Hinterzimmer seiner Macelleria stand und routiniert das Brät für die Salsiccia zubereitete, um danach den Naturdarm damit zu füllen, kreisten seine Gedanken unentwegt um den unbekannten Toten. Oder war es eine Sie?
Wer beging einen Mord, der darauf angelegt war, von möglichst vielen Menschen in möglichst kurzer Zeit gesehen zu werden? Organisierte Kriminalität? Aber selbst die ging, wenn auch brutal, doch in der Regel diskret vor. Eine Warnung? Ein Exempel? Da hatte jemand eine Hinrichtung vollzogen, wie sie plakativer kaum sein konnte.
Er griff nach den Fenchelsamen, die er in einer Tasse aufbewahrte, und durch eine ungeschickte Bewegung landete ihr gesamter Inhalt auf dem Fleisch. Sei es drum. Das würden die Kunden heute verkraften.
Und warum das Einhorn? Es zierte das Familienwappen der Familie Borromeo, der die Insel gehörte. Und wenn ihn nicht alles täuschte, sollte es Werte wie Ehre und Ergebenheit symbolisieren.
Himmel, schoss es ihm mit einem Mal durch den Kopf. Warum stand er eigentlich hier? Nicht bei ihm würde sich die Polizei zuerst melden, sondern bei Luigi und seinen Gästen. Schließlich waren sie ganz in der Nähe des Tatorts gewesen. Er hatte die drei Alten alleine gelassen. Matteo biss sich auf die Lippen. Was für ein schlimmes Erwachen mochte es wohl für die Gäste auf der Isola dei Pescatori gewesen sein? Hoffentlich hatte die Polizei sie nicht allzu sehr in die Mangel genommen. Aber wenn Matteo an Buffon, den älteren Kollegen von Nina Zanetti, an diesen untersetzten cholerischen Kerl mit Bürstenschnitt dachte, dann schwante ihm Böses.
Er warf einen Blick auf die Uhr, die über der Arbeitsplatte hing.
Kurz nach neun. Wenn er sich beeilte, erwischte er sie vielleicht noch. Rasch band Matteo die Schürze ab, warf sie achtlos zur Seite, wusch sich die Hände und band die Armbanduhr um. Sogar das Handy steckte er ein, auch wenn er dem kleinen Ding nach wie vor skeptisch gegenüberstand. Dass es von einer gewissen Nützlichkeit war, hatte er mittlerweile immerhin eingesehen.
Als er gute zwei Minuten später in seinem Lancia saß, hing das »chiuso«-Schild in der Ladentür, und nur der dichte Verkehr hinderte ihn daran, sich in den Straßenverkehr einzufädeln. Bauarbeiten, die sich nun schon seit Monaten hinzogen, stellten die Autofahrer beinahe täglich auf eine harte Geduldsprobe. Wollte man keinen erheblichen Umweg über die Berge in Kauf nehmen, war man gezwungen, die Uferstraße zu nehmen. Eine andere gab es nicht.
Die Reifen des Lancias kreischten empört auf, als Matteo eine winzige Lücke nutzte, um auf die Straße zu gelangen.
»Entschuldige, meine Schöne«, Matteo tätschelte das Lenkrad. »Ich weiß, das magst du nicht besonders. Ging gerade nicht anders.«
Hinter Verbania löste sich der dichte Verkehr auf. Matteo gab Gas und warf, bevor er zu einigen Überholmanövern der etwas rabiateren Art ansetzte, wiederholt einen sehnsüchtigen Blick auf den See. Sein idealer Morgen bestand nun wirklich nicht darin, Kleintransporter auf der SS34 zu überholen. Welchen Spaß empfanden nur die vielen Radrennfahrer inmitten dieses Verkehrs? Sie ruinierten ihre Gesundheit und hielten ihn zusätzlich auf.
Plötzlich schoss etwas laut hupend an der Fahrertür des Lancias vorbei, bremste scharf ab und war dann wieder hinter ihm. Von vorne kam ihm ein Reisebus gefährlich nahe. Matteo riss das Steuer zur Seite. Verdammter Mist. Wütend schaute er in den Rückspiegel, um zu sehen, was für ein Stümper da beinahe einen Kratzer in den Lack seiner schönen Diva gemacht hätte.
Die Vespa samt dem leuchtend roten Helm der Fahrerin kannte er nur allzu gut. Augenblicke später, nachdem noch ein paar entgegenkommende Wagen teils erschrocken, teils genervt gehupt hatten, schloss die Kommissarin zu ihm auf und gab ihm durch Handzeichen zu verstehen, dass er bei nächstbester Gelegenheit halten solle.
»Zufall? Oder wollten Sie zu mir?«, fragte Matteo, als er den Lancia an einer kleinen Tankstelle gestoppt hatte und ausgestiegen war.
Die Kommissarin nahm den Helm ab, schüttelte ihre halblangen, blondmelierten Haare und zog mit einem süffisanten Lächeln eine Augenbraue hoch. Einen Wimpernschlag lang war Matteo unbegreiflich, warum er seinen Plan, sich bei der Kommissarin zu melden, nicht umgesetzt hatte. Und nun war es schon wieder ein unschöner Anlass, der sie zusammenführte.
»Nun ja«, die Kommissarin wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Eine Geste, die Matteo sofort vertraut war. »Nachdem das mit Ihnen und dem Telefon immer eine knifflige Sache ist, dachte ich, ich versuche es lieber gleich auf direktem Weg.«
Dann wurde ihr Gesicht ernst.
»Eine ziemlich üble Sache, die da passiert ist.«
Matteo hatte derweil sein Handy aus der Tasche gezogen, um zu demonstrieren, dass er durchaus technikaffiner geworden war. Aber die drei entgangenen Anrufe, die ihm sein Display anzeigte, bewiesen ihm, dass er in dieser Hinsicht offenbar etwas zu optimistisch gewesen war.
»Haben Sie heute Morgen irgendwas bemerkt, das uns weiterhelfen könnte?«
Matteo schüttelte den Kopf.
»Nein, ich war heute Morgen, als ich den Toten sah, vollkommen überrascht. Und«, er suchte kurz das passende Wort, »entsetzt.«
Die Kommissarin nickte.
»Es handelt sich um eine männliche Leiche. Ende vierzig, vermutlich. Wir versuchen gerade, die Identität zu ermitteln. Sie haben also nichts gesehen. Auch gestern Abend nicht? Die Kollegen überprüfen momentan die Teilnehmer des Empfangs, der auf der Isola Bella stattgefunden hat.«
»Wenn ich das richtig mitbekommen habe, war der schon vor Einbruch der Dunkelheit vorbei«, merkte Matteo an. »Obwohl es natürlich möglich wäre, dass einer der Anwesenden dort geblieben ist. Oder besser: zwei.«
»Möglich.« Wieder dieses Lächeln. Matteo beeilte sich, den Blick ein paar Meter weiter auf den Tankwart zu lenken, der gerade einen Kunden abkassierte.
»Möglich wäre natürlich ebenso«, fuhr Nina Zanetti fort, »dass später noch jemand zurückgekommen ist. Warum haben Sie eigentlich nicht wie die anderen Gäste auf der Isola dei Pescatori übernachtet?«
Matteo zuckte die Schultern.
»Es ergab sich spontan die Gelegenheit, doch noch hinüber aufs Festland zu fahren.«
»Etwas präziser, wenn möglich.«
»Ein Kellner, der auf der Feier gearbeitet hat, war mit...
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