Schweitzer Fachinformationen
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Inhalt
Vorwort von Hape KerkelingSpielplatz LebenKapitel 1 »Wenn man ganz fest an etwas glaubt - dann wird es wahr .«Kapitel 2 Drafi und ich - der magische AnfangKapitel 3 Drafi und ich - das Träumen ist vorbeiKapitel 4 Meine ehrenamtlichen Jahre im Hospiz - Liebe schenken und erhaltenKapitel 5 Im Dschungelcamp - der tierische Griff nach den SternenKapitel 6 Marathon - die Menschen sind gut!Kapitel 7 Rote Rosen - mein aufregendes Jahr in LüneburgNachwort: Da geht noch was
»Wenn man ganz fest an etwas glaubt - dann wird es wahr .«
AUS CINDERELLA
Doch da geht noch was
Da geht noch was
Das fängt doch grad erst an
Da geht noch mehr
Noch viel viel mehr
Ich arbeite daran
Der König ist schwul, der Hund auch. Ebenso der Igel, aber das ist ja klar, denn der Igel ist auch der König - aus Kostengründen.
Der Prinz ist übrigens auch schwul. Der einzige heterosexuelle Kollege im Ensemble ist die Taube. 2012 und 2013 heiße ich Jolanda und spiele die gute Fee in dem Popmusical Cinderella. Vier Monate werde ich zusammengewürfelt mit einem zauberhaften Ensemble von ganz jungen, sehr guten Musicaldarstellern. Sie alle könnten meine Kinder sein. O.k., so viele wollte ich nie, aber wir hatten eine tolle Zeit miteinander.
Ich habe noch nie so wenig gearbeitet, denn in meiner Rolle als gute Fee komme ich erst nach der Pause auf die Bühne.
Jeder kennt die Geschichte dieses Märchens: Die bösen Stiefschwestern zerstören Cinderellas wunderschönes Kleid, damit sie nicht zum Ball gehen kann, auf dem der Prinz sich eine Braut aussuchen soll. Also rufen die Freunde von Cinderella - Hund, Maus und Taube - mich, die gute Fee, zu Hilfe. Ich, in ein silbernes bodenlanges Gewand gehüllt, zaubere unter dramatischer Musik und mit geheimnisvollen Nebeleffekten das blaue Kleid hervor, und die ganze Chose ist gerettet.
Aber was so alles hinter der Bühne passiert, ist mindestens genauso spannend .
Zum Beispiel die Hetero-Taube, ich meine natürlich den männlichen Darsteller, verliebt sich in die Maus, weiblich - auch hetero. Eine süße Liebesgeschichte entsteht auf dieser Tournee durch ganz Deutschland, die ich sogar ein bisschen mit anzettele. Schon am ersten Probentag merke ich: Taube und Maus passen zusammen. Beim morgendlichen Joggen mit Taube mache ich ihn darauf aufmerksam.
17 Städte und 13 schlechte Hotels später sind die beiden ein Paar. Die Taube hat im Ensemble ja auch wenig Konkurrenz, denn selbst das Stinktier ist schwul!
Diese Musicalwelt, wie ich sie erlebt habe, ist oft ziemlich schwul besetzt. Und das finde ich sehr angenehm. Für uns Frauen sind schwule Männer ganz wichtig! Mich jedenfalls begleitet das Thema schon mein ganzes Leben.
Als hätte ich einen unsichtbaren Magneten in mir, merke ich schon in jungen Jahren, dass der Funke zwischen mir und schwulen Männern ganz besonders schnell überspringt. Dabei will ich eigentlich gar keinen Unterschied machen zwischen schwul und nicht schwul. Ist doch egal, wer mit wem was hat. Aber so ganz egal ist es dann eben doch nicht.
Vor allem, wenn man eng zusammenarbeitet, ist es praktisch, wenn gar kein Verdacht aufkommen kann, dass ein tieferes Interesse vorliegen könnte. Das macht frei und fröhlich. Nur ganz selten ist es bedauerlich.
Bei dieser Cinderella-Tournee drängelt sich mein inneres Kind wieder komplett in den Vordergrund. Ich hänge nachts nach der Vorstellung, wenn sich die anderen vom Ensemble schon auf ihren Zimmern befinden, mit Patrick, der den Hund spielt, in den Bars ab, und wir lachen uns über Gott und die Welt schlapp.
Ich bedaure bei uns Erwachsenen den schleichenden Verlust des Albernseins. So ist diese Tournee für mich wie eine Kur zur Regeneration des Kindes in mir. Das tut unheimlich gut.
Alles in mir weigert sich, dieses unbeschwerte Albernsein aufgeben zu sollen, nur weil in der Gesellschaft ab einem bestimmten Alter ein gewisses Maß an Vernünftigsein erwartet wird. Ich möchte niemandem beweisen müssen, was ich sonst noch so in mir habe. Dieses eine Leben werde ich, so gut es geht, verlängern, indem ich mein unbeschwertes, angstfreies, an das Gute glaubende innere Kind liebevoll an der Hand halte und nicht mehr loslasse.
Auch wenn meine äußere Hülle sichtbar älter wird, schäme ich mich nicht vor Naserümpfern und Kopfschüttlern, wenn ich mich ein bisschen lächerlich mache, weil ich albern bin. Für die jugendliche Ausstrahlung ist das definitiv wirkungsvoller als botoxen, liften oder sonstige Manipulation.
Es gibt Momente, da habe ich das Gefühl, ich war erst gestern 22. So wie Patrick auf der Tournee. Ich habe nicht vergessen, wie man sich als junger Mensch fühlt. Mit all den Unsicherheiten und Ängsten - aber auch dem Mut und der Unbeschwertheit. Patrick ist scheinbar völlig angstfrei. Er erinnert mich an mein früheres Ich. Ich halte die Erinnerung daran ganz fest und sage der Angst den Kampf an. Sie darf ruhig bleiben, aber das mutige Kind bleibt der Chef!
Meine Lachfalten werden bei der Cinderella-Tournee intensiv vertieft. Nicht zuletzt auch durch unsere lustige Fahrgemeinschaft, bestehend aus Patrick, Chrissi, die Cinderella-Darstellerin, und Marco, der die Rolle des Königs und des Igels spielt. Marco fährt, und ich sitze vorne neben ihm, hinten Chrissi und Patrick. Draußen pfeift ein kalter Winter um unseren Leihwagen herum, während wir im Innenraum des Viersitzers das »Kinderparadies« neu erfinden.
Chrissi ist eher etwas stiller - sie stemmt als Hauptdarstellerin schließlich das ganze Stück und muss ihre Stimme schonen. Leider geht lachen total auf die Stimmbänder, daher kichert sie leise hinten vor sich hin, wenn Marco und ich vorne wieder die Radiowerbung persiflieren und lautstark mitsingen. Zum Beispiel unseren Lieblingsspot: »Heute ist Frischetag bei Lidl!« Diesen übertriebenen Werbespot singen wir zum Ärger der anderen Kollegen tagelang beim Soundcheck rauf und runter. Wenn die Geschäftsleitung des Lidl-Konzerns unsere Version gehört hätte, sie hätte uns vom Fleck weg engagiert.
Da ich als gute Fee nur ein einziges Lied in dem Stück singe, lebe ich hier anders, als wenn ich Konzerte gebe. Ich lebe diesen Zirkus hier in vollen Zügen aus und vergesse Alter und Alltag.
Schuld daran ist allerdings nicht nur meine neue »Krabbelgruppe«, sondern auch die vielen Kinderaugen, die uns bei jeder Vorstellung anstaunen. Ich spiele hier das erste Mal ein Musical für die ganze Familie, also vor allem für Kinder. Was ich hier erlebe, ist umwerfend. Mädchen kommen als Miniprinzessinnen zur Vorstellung, im von Mama gebastelten Tüllröckchen und mit Krönchen in den Haaren. Mit weit aufgerissenen Augen verlieben sie sich in Cinderella. Und Chrissi ist auch wirklich die bezauberndste Cinderella, die man sich vorstellen kann.
Eines Nachmittags spielen wir in der ausverkauften Jahrhunderthalle in Frankfurt vor circa 4000 Menschen. Ich komme wie immer mit Musik und Nebel aus dem Nichts auf die Bühne, nachdem mich trommelfellerschütternd alle Kinder kreischend zu Hilfe gerufen haben, angestachelt durch Hund, Taube und Maus, als sich eine kleine Prinzessin mit Krönchen unten vor der Bühne aufbaut und unaufhörlich schreit: »Cinderella! Cinderellaaaaaaaa!« Wir stecken gerade in der Szene, bei der Cinderella mir - der guten Fee - ihr Leid klagt, dass sie kein Kleid für den Ball hat. Wir versuchen krampfhaft, die dröhnende Stimme des Mädchens zu ignorieren. Sie wird wohl gleich aufhören und schnallen, dass wir hier eine Szene spielen, denke ich mir. »Cinderelllaaaaaa!« Das Persönchen wird doch wohl Eltern haben, die sie gleich einsammeln und ihr einen Schnuller für Fortgeschrittene in das weit geöffnete Mäulchen stecken. Nein, es geht weiter:
»Cinderrrrrelaaaaaaaaaaa!« Die Jahrhunderthalle ist erfüllt von dieser brüllenden Stimme. Die Kleine braucht kein Mikrofon. Ich merke, so kommen wir nicht weiter, und missachte mitten in unserer Szene ein ungeschriebenes Theatergesetz: Ich durchbreche die vierte Wand! Das ist die unsichtbare imaginäre Wand zwischen Ensemble und Publikum. Ich steige aus meiner Rolle aus, gehe beziehungsweise schreite wichtig ein paar Schritte auf die Bühnenrampe und die kleine Person im Tüllröckchen zu und sage in so strengem Ton, dass ich mich vor mir selbst erschrecke: »Cinderella kann jetzt nicht! Cinderella muss gerade arbeiten!« Das gesamte, Tausende Menschen umfassende Publikum liegt unter den Stühlen vor Lachen. Vielleicht ist es auch die Freude über das sofort verstummende, offensichtlich allein reisende Kind vor der Bühne. Ich kann kaum an mich halten, als ich wieder zurück Richtung Chrissi gehe, um weiterzuspielen. Chrissi bebt ebenfalls innerlich vor Lachen und kann kaum noch sprechen. Wir sehen uns in die Augen, und uns schmerzen die Bäuche vor unterdrücktem Lachen. Ich hole mir Katastrophenbilder ins Hirn, um in meine Rolle zurückzufinden: tote Hamster usw. Es ist wirklich nicht leicht, das Stück ganz normal weiterzuspielen, denn das Publikum kann sich auch kaum beruhigen. Es wartet förmlich auf unseren nächsten Ausfall.
Die Leute kugeln sich auf ihren Stühlen und warten gebannt auf unseren Zusammenbruch. So muss es früher in den römischen Arenen mit den Gladiatoren gewesen sein: Irgendwann stirbt endlich einer.
Mein Text, den ich eigentlich als Fee tragend und hoffnungsvoll bringen soll, lautet:
»Cinderella, ich kann versuchen, für dich zu zaubern, aber nur du allein kannst es fertigbringen, dass dieser Zauber auch wirkt.« Um während dieser Worte nicht vor Lachen losbrüllen zu müssen, gucke ich gnadenlos haarscharf an Chrissi vorbei in die Luft neben ihrem rechten Ohr. Würden unsere Blicke sich treffen - nur für eine Zehntelsekunde -, ich würde nicht mehr an mich halten können. Meine Atmung ist ganz oben am Kehlkopf. Alle meine Organe sind restlos verkrampft.
Cinderella erwidert: »Ich? Aber ich kann doch gar nicht zaubern.« Chrissis Stimme zittert. Das könnte man ja noch durchgehen lassen...
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