Schweitzer Fachinformationen
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Von: anita-dolgis@wanadoo.fr
An: ju.charpentier@gmail.com
Datum: 13.10.2013 - 7:34:06
Betreff: Scheck
Liebe Juliette,
der Scheck ist letzte Woche rausgegangen, und ich bin überrascht, dass Sie ihn noch immer nicht erhalten haben. Bei dieser Gelegenheit teile ich Ihnen mit, dass mir Nicolas über Facebook die Fotos von Ihrem Wochenende in Saint-Malo geschickt hat. Wie ich sehe, haben Sie den bretonischen Strand ausgiebig genossen. Ich komme Sonntag zum Mittagessen bei Ihnen vorbei. Umarmen Sie meinen geliebten Sohn.
Anita
PS: Falls es Sie interessiert, eine Freundin hat mir einen sehr guten Sportklub im elften Arrondissement empfohlen.
Fast hätte Juliette den Milchkaffee auf die Tastatur ihres Computers gespuckt. Sie klickte auf »Antworten«:
Von: ju.charpentier@gmail.com
An: anita-dolgis@wanadoo.fr
Datum: 13.10.2013 - 8:01:47
Betreff: Re: Scheck
Liebste Anita,
besten Dank, mir geht es gut, und Ihnen?
Nicolas wird sich sehr über Ihren Besuch am Sonntag freuen (ich allerdings habe ebenso große Lust, Sie zu treffen, wie mich auf der Place de la Concorde in Brand zu stecken).
Was die Adresse Ihres Sportklubs angeht, so können Sie sich die irgendwo .
Sie unterbrach ihr Schreiben und kicherte vor sich hin. In dem Moment steckte Nicolas den Kopf durch die Tür.
»Gibt es noch Kaffee?«
Sie lächelte ihm zu - er sah wirklich gut aus mit seinen noch verschlafenen blauen Augen. Für ihn war sie bereit, alles zu ertragen, sogar die niederträchtigen E-Mails ihrer angehenden Schwiegermutter am frühen Morgen.
»Ich komme gleich, Liebling, ich antworte nur schnell deiner Mutter. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du so früh aufstehen würdest.«
»Ich habe einen Termin mit Chloé.«
Juliette runzelte die Stirn.
»Schon wieder?«
Er schloss seufzend die Tür. Sie löschte die Antwort an ihre Schwiegermutter und schrieb stattdessen:
Liebe Anita,
vielen Dank für Ihre E-Mail. Den Scheck haben wir noch immer nicht erhalten. Vielleicht ist er verloren gegangen? Kein Problem, was Sonntag angeht. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.
Juliette
Sie zögerte, zuckte mit den Achseln und klickte auf »Senden«. Es passte ihr gar nicht, dass Nicolas sich die Mühe machte, so früh aufzustehen, nur um Chloé zu treffen. Normalerweise lag er vor zehn noch im Bett. Sie warf einen Blick auf die Armbanduhr. Ihr Chef, Hervé - genannt Darth Vader, weil er so laut schnaufte, wenn er sich aufregte -, würde sie wieder einmal unterschwellig vorwurfsvoll fragen, ob sie sich den Vormittag freigenommen hatte. Es schien ein schlechter Tag für sie zu werden. Noch gestern hatte Hervé ihr angekündigt, dass sie in einer Woche befördert werden würde. Wörtlich hatte er gesagt: »Ich bin zu fünfundneunzig Prozent sicher.« Wenn man darüber nachdachte, war das doch albern. Wer sagt denn schon einer Angestellten, dass sie »eventuell« befördert werden würde?
Sie rannte in die Küche und setzte Kaffee auf, während Nicolas gähnend vor dem Toaster stand. Sie stellte Nutella, Milch und Toastbrot auf den Tisch und küsste Nicolas dabei kurz auf den Mund.
Im Bad versuchte sie, ihre braunen Locken mit Frisierschaum zu bändigen, hielt kurz inne und betrachtete aufmerksam ihr Spiegelbild. Hätte sie blondes glattes Haar, würde sie wie Sarah Lamour aussehen. Doch, doch, eine gewisse Ähnlichkeit bestand schon. Eine kleine. Zumindest bei den Augenbrauen. Es war schon sonderbar, denn Juliette war am gleichen Tag geboren wie Sarah Lamour. Natürlich kannte Sarah Lamour Juliette nicht, aber die ganze Welt kannte Sarah Lamour, die französische Schauspielerin, die es in Hollywood zu Weltruhm gebracht hatte, seit sie vor fünf Jahren in Gott trägt Zara mitgespielt hatte. Juliette war felsenfest davon überzeugt, dass die Sache mit dem Geburtsdatum und die gewisse Ähnlichkeit kein Zufall, sondern ein Zeichen waren. Ein Zeichen dafür, dass ihr, genau wie der Schauspielerin, eine verheißungsvolle Zukunft vorherbestimmt war.
Der Wecker auf der Ablage oberhalb des Waschbeckens zeigte 8.15 Uhr an. Entschlossen griff Juliette wieder zum Föhn. Sollte sie befördert werden, war es besser, wenn sie nicht wie mit dem Defibrillator frisiert im Büro erschien. Nicolas fand, dass ihr Haar beim Aufwachen »ein chaotisches Ganzes bildete und auf frappierende Weise einem Gemälde von Jackson Pollock ähnelte«. Als er diesen Witz zum ersten Mal gerissen hatte, war sie in Gelächter ausgebrochen, hatte aber sofort bei Google nach »Paul Lock« gesucht. Wie ermüdend es doch war, mit einem Intellektuellen zusammenzuleben!
Mit halbwegs gestylten Haaren suchte sie nun in ihrer Garderobe nach der passenden Kleidung für ihren neuen Posten, ein Outfit, das Ich-bin-ein-Profi-glaubwürdig-sympathisch-ein-wenig-Femme-fatale-aber-gut-erzogen-und-voller-Selbstvertrauen rief. Zwanzig Minuten fürs Aussuchen und Anprobieren mit dem Fazit, dass es die entsprechende Kleidung einfach nicht gab, zumindest nicht in ihrem Schrank. Zweimal hatte sie sich nun umgezogen und entschied sich für ein Kleid von Maje, das sie erst neulich erstanden hatte. Zu kurz? Etwas, aber das konnte noch durchgehen. Wieder rannte sie los und küsste nochmals Nicolas, der immer noch sinnend vor dem Toaster stand. Unten im Treppenhaus sah sie sich im riesigen Spiegel und kam zu dem Schluss: Das Kleid war definitiv zu kurz für die angehende Verantwortliche der Großkundenbetreuung im Departement Yvelines. Immer eine Stufe überspringend, eilte sie wieder nach oben und zwängte sich in ein zu enges Kostüm. Es stimmte leider, sie hatte ein wenig zu oft in die Keksdose gegriffen.
»Ich bin's noch mal, Liebling«, rief sie Nicolas zu.
Sie rannte nun zur Metrostation Louise Michel und wäre beinahe von einem Monoprix-Lieferwagen überrollt worden. Auf dem Bahnsteig warf sie noch einen Blick auf ihre Armbanduhr und stöhnte. Sie war wirklich spät dran, obwohl sie sonst eigentlich immer pünktlich war.
Fast immer.
Wer seine Arbeit gut machen will, schaut nicht auf die Uhr. Solchen Unsinn gab Hervé alias Darth Vader gern von sich, wenn man abends spät noch an einem Vertrag feilen musste. Egal wie man es drehte und wendete, der Tag hatte schlecht begonnen. Das bestätigte ihr auch das Horoskop auf der vorletzten Seite von 20 Minutes, dem Gratisblättchen, das in der Metro auslag: »Bedeckter Astralhimmel, Ihre intellektuelle Fahrigkeit wird zu Fehlern führen. Heute ist nicht Ihr Glückstag.«
Darüber hinaus störte sie der Verlust des Schecks ungemein. Juliette hatte nichts dagegen, alles zu bezahlen, solange Nicolas noch an seiner Doktorarbeit schrieb, aber ohne die vierhundert Euro, die Anita ihrem Sohn monatlich zukommen ließ, war es nicht einfach, zu zweit von dem Gehalt einer kaufmännischen Angestellten zu leben.
Sie schlich in das Großraumbüro und ging einen langen Umweg, um Hervés Büro zu meiden, glitt hinter ihren Computer und atmete tief durch, als hätte sie soeben einen Marathon absolviert. Caroline Arembert am Schreibtisch gegenüber blickte auf, und in ihren Augen spiegelte sich Belustigung über Juliettes Panik wider. Lächelnd deutete sie auf den Versammlungsraum zu ihrer Linken und schüttelte den Kopf, als wollte sie sagen: »Keine Bange, er ist noch nicht aus der Besprechung zurück.« Juliette war beruhigt und tat so, als würde sie eine Kaffeetasse am Henkel halten, und Caroline nickte zustimmend.
Caroline Arembert kam nie zu spät. Sie war für ihr geradezu unglaubliches Organisationstalent und ihre freiwilligen Überstunden bekannt, die sie ohne Murren leistete. Trotz dieser offensichtlichen Makel war sie Juliettes Lieblingskollegin, zumindest diejenige, mit der sie vergnügt über alle anderen lästern konnte.
Vor der Kaffeemaschine studierte Caroline Juliettes rot angelaufenes Gesicht und grinste.
»Na, hat dein Wecker gestreikt? Ach, ich hab kein Kleingeld dabei, leihst du mir vierzig Cent?«
Trotz ihres großen Organisationstalents hatte Caroline nie Geld für Kaffee. Juliette reichte ihr die vierzig Cent, und die beiden begannen über Darth Vader herzuziehen, der anscheinend von der Direktion wegen der zu hohen Betriebskosten getadelt worden war.
»Stell dir das doch bitte mal vor!«, sagte Caroline. »Wenn er die Ausgaben noch mehr kürzen muss, wo er doch ohnehin schon so geizig ist, wie sieht es dann erst in den anderen Abteilungen aus?«
»Dann können wir nicht mal mehr mit den Kunden essen gehen«, antwortete Juliette und drückte voller Bedauern auf die Taste »Cappuccino ohne Zucker«.
Juliette arbeitete in der Abteilung Reinigungsprodukte einer der führenden französischen Firmen für Bürobedarf: CleanOffice. Einer der wenigen Vorteile ihres Postens bestand darin, dass sie ihre Kunden in Restaurants ausführen konnte, was wiederum den Vorteil hatte, dass sie, wenn sie »Ich habe ein Kundenessen« quer durch das Büro rief, zwischen Mittag und sechzehn Uhr ohne weitere Erklärungen verschwinden konnte. Dazu muss man sagen, dass es lebensnotwendig war, die Kunden großzügig zu bewirten, wollte man sie während der Verhandlungen über so spannende Themen wie Müllbeutel und Putzmittel, die jeden normalen Menschen zu Tode...
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