1. Kapitel
Ich legte gerade den Arm um Cocos Schultern und wollte sie an mich drücken, als ihr Handy klingelte. Sie machte sich seufzend los und kramte das Gerät aus der Tasche.
Am anderen Ende meldete sich Trevor Sullivan. Es wurde ein recht kurzes Gespräch, und nach einer Minute steckte die ehemalige Hexe das Handy wieder weg.
»Er hat herausgefunden, dass hier in der Nähe mit großer Wahrscheinlichkeit eine Ghoul-Sippe existiert. Einige Grabschändungen während der letzten Jahre deuten darauf hin. Es handelt sich aber um keinen akuten Fall.«
»Hm, so weit passt alles zusammen«, erwiderte ich. »Trotzdem bin ich sicher, dass die Ghoule über Milla Hollister auch in Zusammenhang mit Janet Coughlin stehen. Aber ein wahnsinniges Mädchen und ein paar Dämonen - wie passt das zusammen?«
»Es gefällt mir nicht, wie du über Janet sprichst. Sie ist nicht durchgedreht, sondern besessen. Das ist sehr wohl ein Unterschied.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe meine Meinung geändert. Ich weiß nicht, weshalb Janet auf die gnostische Gemme reagiert, aber jedenfalls nicht, weil sie von einem Dämon beeinflusst ist. Ich glaube viel eher, dass sie sich gegen Dämonen zur Wehr setzt.«
»Du meinst, ein Schwarzblütler hat sich in das Hospital eingeschlichen, die Krankenschwester getötet und ist dann in ihrer Gestalt auf Janet losgegangen?«, fragte Coco irritiert. »Den Dämon, der sich da hineinwagt, möchte ich kennenlernen.«
Ich gab zu, dass ich selbst an diesem Punkt nicht recht weiter wusste. »Auf jeden Fall ist das Mädchen etwas Besonderes«, meinte ich. »Anders lässt es sich nicht erklären, dass sie sich überhaupt erfolgreich gegen die Angriffe zur Wehr setzt. Und vielleicht ist es genau dieses Geheimnis, das sie zur Zielscheibe der Dämonen werden lässt.«
Wir betraten den Friedhof und gingen an der Leichenhalle vorüber. Ich blieb stehen und warf einen Blick zurück auf die Straße. Ich hatte gehofft, hier irgendwo einen Blumenladen zu finden. Jetzt mussten wir ohne Kranz auf der Beerdigung auftauchen. Coco zog mich am Ärmel, und so gingen wir weiter.
Fünfzig Meter von uns entfernt hatte sich abseits des Hauptweges eine kleine Trauergemeinde versammelt. Vor ihr war der Sarg Brad Hollisters unprätentiös auf einem aufgeklappten, tapeziertischähnlichen Gestänge aufgebahrt worden. Am Fußende wartete der Pfarrer auf den Beginn der Trauerfeier. Als wäre unser Auftauchen das Zeichen, begann er seine Rede, als wir uns zu den anderen gesellt hatten.
»Wir sind heute hier zusammengekommen, um unserer traurigen Pflicht genüge zu tun und einen Menschen zu verabschieden, der uns zeit seines Lebens ein Vorbild und Beispiel für menschliches Handeln und Denken gewesen ist und den wir deshalb noch lange in Erinnerung behalten werden ...«, leierte er.
Dann begrüßte er namentlich die Witwe, Milla Hollister, und hob zu einer salbungsvollen Trauerrede an, in deren Verlauf es von Anekdoten aus dem Leben des Verstorbenen nur so wimmelte. Ich schaltete meine Ohren auf Durchzug und beobachtete stattdessen die Anwesenden. Sechs ältere Herren mimten die Bestattungshelfer. Ihr Geruch ließ darauf schließen, dass sie allesamt Ghoule waren. Zog man diese finsteren Gestalten und den Pfarrer selbst ab, blieben außer uns nur noch zwei weitere Trauergäste: die Witwe, deren Gesicht hinter einem schwarzen Schleier verborgen blieb, sodass auf ihrem Gesicht keinerlei Gefühlsregung zu erkennen war, und eine ungewöhnlich große und kräftige Frau Mitte oder Ende dreißig, die ebenfalls in einem schwarzen Anzug steckte und sich große Mühe gab, ein bedrücktes Gesicht zu machen. Dennoch war es nicht schwer zu erkennen, dass sie offenbar in keinerlei Beziehung zu Brad Hollister stand. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Lokalreporterin aus Drogheda, die von der Beisetzung berichten wollte. Ich war selbst Journalist gewesen, bevor ich mein Leben der Dämonenbekämpfung gewidmet hatte, und roch alte Kollegen noch immer drei Meilen gegen den Wind.
Der Pfarrer konnte einfach kein Ende finden. Ich hatte keine Ahnung warum, aber dieser Mann wollte mir überhaupt nicht gefallen. Erst mit der Zeit bemerkte ich, dass er sich nicht ein einziges Mal auf Gott berief oder ein Zitat aus der Bibel brachte.
»Nun denn«, schloss er fast eine halbe Stunde später, »so wollen wir nun nicht länger warten und die sterblichen Überreste Brad Hollisters der Erde anvertrauen, aus der sie vor Jahrzehnten entstanden sind.«
»Die Betonung liegt auf Überreste!«, flüsterte ich Coco zu, und sie verbiss sich mühsam ein Lachen.
»Asche zu Asche, Staub zu Staub!«, rief der Pfaffe und beobachtete die Männer dabei, wie sie den Sarg flugs auf mehreren Seilen hinab in die offene Grube gleiten ließen. Dann war die Trauerfeier beendet.
Ich fand, dass wir hier nichts mehr verloren hatten, und wandte mich ab, um zum Ausgang zurückzugehen. Coco folgte mir. Gerade hatten wir das Friedhofstor erreicht, als uns die Frau, die neben Milla Hollister der zweite Trauergast gewesen war, ansprach. Sie stellte sich als Darla Sanders vor und wollte tatsächlich einen Zeitungsartikel über die Beisetzung verfassen.
Nachdem sie unsere Namen erfahren hatte, fragte sie: »In welcher Beziehung standen Sie zu Brad Hollister?« Sie besaß eine seltsam hohe Stimme, die so gar nicht zu ihrem kräftigen, fast breitschultrigen Körper passen wollte. »Ich schreibe nämlich an einem Nachruf und bin für jede Information dankbar«, fügte sie hinzu.
»Wir sind Parapsychologen und gehen Hinweisen nach, die auf seltsame Geschehnisse im Haus der Hollisters hindeuten«, erwiderte ich.
Sie starrte mich misstrauisch an und zeigte dann ein unsicheres Lächeln, als stünde sie einem gemeingefährlichen Irren gegenüber, dem man nicht widersprechen durfte.
Coco warf mir einen warnenden Blick zu, den ich großzügig ignorierte. »Wir sind Wissenschaftler«, erklärte ich. »Spuk, Geistererscheinungen, Vampire, wir untersuchen alles, was in den Bereich des Paranormalen fällt.«
»Und Sie glauben, dass Brad Hollister da ein interessantes ... Forschungsobjekt wäre?«
»Er wurde kurz nach seinem Tod als lebender Leichnam gesehen. Interessant, nicht wahr?«
Sie räusperte sich kühl. »Tut mir leid, Mr. Hunter«, sagte sie abweisend. »Ich habe keine Zeit für solche Albernheiten. Aber Sie sollten sich einmal überlegen, ob es angebracht ist, das Ansehen eines Verstorbenen auf solch geschmacklose Weise in den Schmutz zu ziehen!« Verärgert machte sie sich von dannen.
»Sie hat recht«, meinte Coco kurz darauf, »das war nicht sehr pietätvoll.«
»Und wenn schon«, entgegnete ich. »Dieses aufgeblasene Weib ist mir völlig egal.«
Ich schlug vor, dass wir uns als Nächstes um Tadeusz Coughlin kümmerten. Nachdem man ihn offiziell aus der Klinik entlassen hatte, war er sofort nach Hause gefahren, ohne noch einmal nach seiner Tochter zu sehen. Ein merkwürdiges Verhalten. Doch als ich Coco davon erzählte, zuckte sie nur die Achseln.
»Ich weiß nicht. Versetz dich einfach in seine Situation. Er ...« Sie unterbrach sich, weil hinter uns plötzlich Schritte ertönten. Ich drehte mich um und erblickte Milla Hollister, die sich langsam näherte. Noch immer verbarg sie ihr Gesicht hinter dem Schleier.
»Ich weiß zwar nicht, was Sie beide mit meinem Mann verbunden hat«, sagte sie leise, »dennoch danke ich Ihnen, dass Sie gekommen sind. Es würde mich freuen, wenn ich Sie morgen Abend zum Essen in mein Haus einladen dürfte - als Dank für die von Ihnen gezeigte Anteilnahme. Sagen wir, um acht Uhr?«
Jetzt war es an uns, überrascht zu sein. Ich wusste nicht recht, was ich erwidern sollte, und so sprang Coco für mich in die Bresche.
»Selbstverständlich werden wir kommen, Mrs. Hollister«, erklärte sie.
Die Witwe nickte und verabschiedete sich dann sofort. Sie ließ sich von einem der Bestattungshelfer nach Hause begleiten. Wir schauten ihr noch eine Weile nach.
»Ist sie nun eine Dämonin oder nicht?«, fragte ich Coco schließlich.
Die ehemalige Hexe schüttelte den Kopf. Aber ganz sicher war sie sich anscheinend nicht.
Stunden später,
im Krankenhaus von Drogheda
Sanft regte sich der Körper Janets unter den Fesseln. Ihr Nachthemd war hochgerutscht, und einer der Ledergurte, die man ihr quer über den Leib geschnallt hatte, schabte auf ihrer nackten Haut. Sie blickte unruhig durch das Fenster in die Nacht hinaus.
Sie musste fort, damit nicht noch mehr Unheil geschah. Die Dämonen waren wachsam, und bereits zweimal hatten sie versucht, sie zu ermorden. Keine Chance. Sie war besser, schneller und stärker als sie. Für einen winzigen Augenblick spannte sie die Muskeln an. Die Fesseln auf ihrem Leib dehnten sich bis zum Zerreißen. Sie konnte fort, wenn sie wollte; nicht einmal das Beruhigungsmittel, das Dr. Rivan ihr vor dem Schlafengehen injiziert hatte, würde sie aufhalten. Sie war etwas ganz...