Schweitzer Fachinformationen
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PROLOG
Schellenberg Tower, Wien
Joseph Schellenberg betrat mit federndem Schritt die Lobby seines Firmengebäudes, die Hände tief in den Taschen des offenen Mantels vergraben.
Im letzten Monat war er 76 Jahre alt geworden. Doch seine gepflegte Erscheinung ließ ihn wesentlich jünger wirken. Während er über den polierten Steinboden schritt, summte er eine Melodie von Franz Schubert, die ihm seit der Matinee im Kunsthistorischen Museum nicht mehr aus dem Ohr ging. Er schätzte die ausgesuchten Arrangements, die dort für einen erlesenen Hörerkreis auf alten Musikinstrumenten konzertiert wurden.
Vor dem Aufzug mit den schwarzen blanken Türen blieb er stehen und betätigte die Ruftaste. Während er wartete, glitt sein Blick zur Seite, und ihm fiel auf, dass das Empfangspult verwaist war.
Sein Summen verstummte abrupt.
Aufmerksam schaute er sich um.
Die Halle war leer.
Seltsam, dachte Schellenberg und ging einige Schritte auf das Pult zu. Suchend überblickte er den weiten Raum. Nichts deutete auf die Anwesenheit des Sicherheitsdienstes hin. Pflanzen hingen von den oberen Stockwerken herab, und Sitzgruppen aus Leder standen in der Mitte der Halle. Nirgends konnte er den Wachmann entdecken.
Er spürte, wie die gute Laune verflog und er ärgerlich wurde. Soweit ihm bekannt war, gab es strikte Regeln für die Sicherung des Gebäudes an Wochenenden und Feiertagen. Gleich morgen würde er sich den Verantwortlichen vorknöpfen und Rechenschaft von ihm verlangen.
Hinter ihm öffnete sich lautlos die Fahrstuhltür.
Noch einmal wanderte sein Blick durch die Lobby und hinüber zum verlassenen Empfangsbereich.
Die Situation war unverändert.
Erzürnt stieg er in den Lift.
Er nahm einen Schlüssel aus der Tasche, steckte ihn in die Konsolenöffnung und entsperrte die Tastatur. Anschließend drückte er den obersten Knopf mit der Aufschrift Penthouse/40.
Sanft setzte sich der Aufzug in Bewegung.
Die Hände auf dem Rücken verschränkt, lehnte er sich gegen den Handlauf und schaute auf einen Plasmabildschirm an der Wand gegenüber, auf dem gerade ein Werbeclip über die von der Schellenberg Stiftung geförderten Projekte lief. Ein Erdball kreiste darin und stoppte an verschiedenen Stellen. Ein Pfeil fuhr zu einem bestimmten Ort, und ein kleines Fenster mit einem Videobeitrag öffnete sich.
Ein guter Schachzug, das Unternehmen so in der Öffentlichkeit zu präsentieren, dachte er sich, und seine Stimmung hob sich langsam wieder.
36 . 37 . 38. Stockwerk.
Er löste sich von der Halterung und machte sich zum Aussteigen bereit.
Plötzlich ruckte die Kabine in der Aufwärtsbewegung mehrmals hintereinander, als würde sie über Hindernisse springen, und geriet dabei in heftiges Schlingern.
Die Erschütterung ließ Joseph Schellenberg zusammenfahren. Er knickte in den Knien ein, verlor den Halt und kippte nach hinten über. Erschrocken versuchte er noch, sich am Geländer festzuhalten. Doch seine Finger glitten ab, und er schlug rücklings auf den Stahlboden der Kabine.
Der Aufprall raubte ihm den Atem. Er ächzte und rang keuchend nach Luft. Zwei Rippen auf der rechten Seite taten ihm höllisch weh.
Er schaute nach oben, und das Deckenlicht flackerte bedrohlich über ihm. Nach einigen Sekunden erlosch es endgültig. Auch der Plasmabildschirm schaltete sich ab.
Um ihn herum herrschte jetzt absolute Finsternis.
Schellenberg schluckte. Du bist gefangen in einer Blechbüchse, ging es ihm durch den Kopf. In einer kleinen Kabine, die an einem dünnen Stahlseil über dem Abgrund hängt.
Panik stieg in ihm auf.
Um nach einem Ausweg zu suchen, hob er den Kopf, und sein Blick irrte ziellos durch die Dunkelheit. Nirgends bot sich ihm ein verwertbarer Anhaltspunkt. Nur endloses Schwarz.
Ihm wurde schwindelig, und er öffnete den obersten Knopf seines Hemdes. Da entdeckte er ihn, einen matt leuchtenden roten Punkt gegenüber an der Wand.
Der Notruf.
Stöhnend wälzte er sich herum. Die Schmerzen im Brustkorb spürte er jetzt ganz deutlich. Einen Moment lang hielt er inne. "Reiß dich zusammen", schalt er sich keuchend.
Mühevoll gelang es ihm, Arme und Beine in die richtige Position zu bringen. Er kauerte jetzt auf allen vieren auf dem Fahrstuhlboden. Langsam begann er sich zu strecken. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte seine zitternde Hand den Notruf und löste ihn aus.
Erschöpft ließ er sich gegen die Wand sinken, rutschte kraftlos hinab und landete auf dem Boden.
Ein Freizeichen ertönte. Dann wurde abgehoben.
"Schellenberg hier", stöhnte er. "Hören Sie mich?"
Die Frage hallte in der Kabine nach.
Es knackte metallisch in der Leitung.
Keine Antwort.
Plötzlich erfüllte wieder blaues Licht den Raum. Der Plasmabildschirm war eingeschaltet worden. Überrascht starrte Joseph Schellenberg auf ein albtraumhaftes Szenario, das sich nun vor ihm zu öffnen begann.
Es waren wackelige Filmaufnahmen. In Schwarz-Weiß und offenbar mit einer Handkamera aufgenommen. Er erkannte sofort, dass es sich um die eine, bestimmte Zuflucht handelte, und erneut zeigten ihm die Bilder, wie abgeschieden der Ort von der übrigen Welt versteckt lag.
Joseph Schellenberg brach der Schweiß aus. Er versuchte die verwirrenden Gedanken, die beim Anblick des Films hervorgerufen wurden und jetzt durch seinen Kopf schwirrten, einzudämmen.
Konnte das sein?
Es war so lange her. Beinahe hatte er die Kammer mit ihrem Geheimnis vergessen. Doch nun hatte ihn die Vergangenheit nach all den Jahren eingeholt.
Der alte Mann verspürte Atemnot und hörte plötzlich sein Herz laut und unregelmäßig pochen.
"Erinnern Sie sich?" Eine markante Frauenstimme aus dem Lautsprecher durchschnitt die Stille.
"Zum Teufel, wer sind Sie?"
Die Antwort war knapp. "Jelena Lasarewa."
Schellenberg wurde hellhörig. Der Name sagte ihm etwas. Lasarewa? . Lasarew?
Es gelang ihm nicht, den Namen zuzuordnen, und die Frau ließ ihm auch keine Zeit, länger darüber nachzudenken.
"Wo haben Sie ihn hingebracht?"
Schellenberg schreckte zusammen. Woher wusste sie davon?
Der Aufenthaltsort unterlag höchster Geheimhaltung. Überhaupt gab es nur eine Handvoll Eingeweihter. Lasarew . wer war das . er musste Zeit gewinnen .
"Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen .", wiegelte er strikt ab und verlagerte sein Gewicht, um die schmerzenden Rippen zu entlasten.
"Sie lügen!"
"Rufen Sie sofort Hilfe! Ich bin verletzt und sitze hier fest. Wir können uns zu gegebener Zeit in meinem Büro unterhalten", ordnete er mit gewohnter Autorität in der Stimme an.
Schellenberg sah mit an, wie die Dokumentation vom Bildschirm verschwand und dafür das ungewöhnlich schöne Gesicht einer Frau erschien. Er zog sich am Handlauf hoch und kam taumelnd auf die Füße. Aus blutunterlaufenen Augen betrachtete er sein Gegenüber eingehend. Ihre hohen Wangenknochen und die vollen Lippen hatten etwas unverwechselbar Markantes. Die Augen waren groß und kalt auf ihn gerichtet. Diese Frau hatte er noch nie gesehen.
Schellenberg seufzte. "Was wollen Sie von mir?"
Sie wiederholte ihre Frage. "Wo befindet er sich?"
Joseph Schellenberg fühlte, wie sich jeder Muskel seines Körpers verkrampfte. Wie konnte diese Frau von dem Geheimnis wissen? Die Erkenntnis, dass die Havarie des Fahrstuhls kein Zufall war, sickerte langsam in ihn ein, und Joseph Schellenberg stockte der Atem. Er saß in einer tödlichen Falle.
"Ich kann mich nicht erinnern .", verteidigte er sich schwach.
"Können oder wollen Sie sich nicht erinnern?" fuhr ihn die Stimme wütend an.
"Hören Sie, ich weiß von nichts ." Joseph Schellenberg stöhnte und veränderte abermals die Körperhaltung. Der Schweiß rann ihm in den Hemdkragen, und er nestelte in der Manteltasche nach einem Tuch, um sich den Nacken trocken zu reiben.
"Ich denke schon! Das hier habe ich in Ihrem Safe gefunden .", stellte Jelena Lasarewa fest und hielt ein Bündel Papierseiten hoch. Sie ließ einige Sekunden verstreichen, bis sie ihm eine vergilbte Zeichnung mit einer janusköpfigen Figur hinhielt.
"Sehen Sie das? Was wissen Sie darüber?"
Joseph Schellenberg hatte das Seidentuch in der Hand und tastete nun unter dem Ärmel seines Mantels nach dem Armband mit dem eingebauten Funksender. Er musste das Signal auslösen, doch er wusste nicht, ob sie das bemerken würde.
"Sie haben ihn versteckt ." Schneidend traf ihn die Wucht ihrer Worte, und er zuckte mit der Hand zurück.
"Ihnen ist klar, was das bedeutet . diese Zeichnung hier und die Offenbarung .?"
Mühsam rappelte sich Schellenberg auf und stand nun schwankend in der Mitte der Kabine. "Nein, nein, ich habe nichts damit zu tun .", stammelte er.
Sie hob die Hand und schüttelte heftig den Kopf als Zeichen, dass sie ihm nicht glaubte. Mit unversöhnlicher Härte fällte sie ihr Urteil: "Sie stehen uns im Weg. Sie kooperieren nicht. Sie sind nutzlos. Sie wussten, dass der Zeitpunkt kommen würde, wo wir seine Herausgabe fordern ."
Schellenberg hörte die Explosion über seinem Kopf und wusste, das Spiel war aus.
Augenblicklich gab der Liftboden unter ihm nach, und er stürzte der Länge nach hin.
Ungebremst raste die Kabine in die Tiefe.
Ihm...
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