Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Es war Dienstag. Anfang November. Ein sonniger und warmer Tag. Und ich wusste gar nicht so recht, weswegen und warum und wie das alles passiert war. Damals wusste ich überhaupt nichts, aber ich saß tatsächlich in einem Flugzeug nach Zürich, auf einem Platz, der bei einer Schweizer Fluggesellschaft auf meinen Namen reserviert worden war, und von Zürich aus würde ich nach Mailand weiterfliegen. Das wusste ich. Und in Mailand sollte mich ein Fahrer abholen und nach Bellagio bringen, an den Comer See. Mehr wusste ich nicht. In meinem Pass war ein italienisches Visum, das ich in Belgrad problemlos erhalten hatte, in der Hosentasche etwas Geld und das Einladungsschreiben dieser ausländischen Stiftung; für die war ich damals immer noch so ein junger Schriftsteller aus Serbien, einem Land, das sich in einem hoffnungslosen Zustand befand und in dem das Leben schwer war. Ich weiß bis heute nicht wie, aber ich hatte dieses Stipendium bekommen, um einen Monat am Comer See zu verbringen und dort in aller Ruhe zu arbeiten und zu schreiben. Das war allerdings deren Vorstellung, nicht meine. Ich wollte damals weder in aller Ruhe arbeiten noch schreiben. Ich wollte eigentlich gar nichts tun. Ich hoffte auch schon längst nicht mehr, dass meine Bücher veröffentlicht würden. Die Situation in Serbien war wirklich übel, es war furchtbar; na gut, für mich jetzt nicht allzu sehr, weil ich immer mal wieder kleinere Jobs hatte und es mir gelang, mich nicht unterkriegen zu lassen, irgendwie über die Runden zu kommen. Manchmal schrieb ich auch, aber nur Kurzgeschichten für eine Tageszeitung, und von dem Honorar zahlte ich dann meine Miete und was ich so zum Essen und Trinken brauchte, wobei ich in erster Linie trank und wirklich nur ganz wenig schrieb. Ein bisschen was schrieb ich so für mich selbst, in gewöhnliche Schulhefte, aber auch dabei hatte ich keinen großen Ehrgeiz oder ernsthafte Absichten. Als ich überraschend Bewerbungsunterlagen der Rockefeller-Stiftung in der Post hatte, nahm ich das Formular, füllte alles ordentlich aus und gab auf die Frage, was ich in Como tun würde, an, dass ich einen Roman schreiben wolle. Bei einem Bierchen dachte ich mir eine ungefähre Handlung für diesen Roman aus und mein Freund Vlada übersetzte alles ins Englische. Er gab sich für mich aus, schickte das Formular ein und antwortete ihnen noch ein paar Mal, alles in meinem Namen. Ich leistete ihm dabei Gesellschaft, trank Bier und lernte Englisch von ihm. Wir mussten nicht lange auf die Antwort warten, und als die offizielle Einladung kam, war ich bereit. Zu der Zeit verließ ständig irgendjemand das Land. Und überhaupt hatten auch sonst schon immer alle möglichen Leute dieses Land verlassen. Ständig. Ich würde nur für einen Monat weg sein, und selbst das hätte eigentlich eher mein Freund Vlada verdient, der das alles durchgezogen hatte. Am Flughafen gab ich meine Reisetasche auf, ohne genau zu wissen, was ich alles hineingestopft hatte. Beim Packen war ich betrunken gewesen. Im Kopf zählte ich einen Haufen Sachen auf, von denen ich jetzt schon wusste, dass ich sie vergessen hatte: ein Buch, die Adressen einiger Leute, einige Toilettenartikel - ganz bestimmt -, eine Jacke und einen Pullover. Aber erst wenn ich dort irgendwo untergekommen wäre, würde ich merken, was ich sonst noch alles vergessen hatte. Es war mir egal. Ich war verkatert und furchtbar müde und hielt die Augen geschlossen. Es war wirklich gut, dass einem im Leben solche unerwarteten Sachen passierten, denn sonst würde man durchdrehen. Ganz sicher würde man durchdrehen. Die letzte Nacht hatte ich mit Freunden in einer Kneipe abgehangen, im Boulevard in der Nähe vom Markt. Wie immer hatten wir getrunken, aber diesmal viel mehr als sonst, und weil ich verreisen würde und wir also einen Grund hatten, wurde es ein richtiges Abschiedsbesäufnis; damals verreiste kaum einer von uns, wir gehörten nicht zu denen, die wegwollten, und wir gehörten nicht zu denen, die Geld zum Reisen hatten, und deshalb tranken wir bis spät in die Nacht. Als wir uns voneinander verabschiedeten, kippte ein Freund nach altem Brauch einen Wassereimer hinter mir aus, um mir Glück für die Reise zu wünschen. Daran erinnerte ich mich im Flugzeug, und gerade da, als ich begann, mich an alles aus der vergangenen Nacht zu erinnern, schnappte ich das Gespräch von zwei Mädchen auf, die in der Reihe vor mir saßen. Sie waren zusammen in die Schweiz unterwegs, und ich bekam mit, dass die eine Sängerin war und dort in Kneipen auftrat, in denen sich unsere Landsleute trafen. Sie erzählte, dass ihr noch genau vierzigtausend Franken fehlten, dann habe sie alles: ein Haus und eine Garage und ein Auto und einen Pool ... Und dann sagte sie: »Aber, verdammte Scheiße, mein Typ lässt sich einfach nicht von seiner dämlichen Frau scheiden ...« Dann kam die Stewardess und brachte das Essen in einer Plastikdose und ich bat sie um ein Bier, aber sie sagte, sie hätten keins, nur Saft, Wasser, Tee und Kaffee. Ich erklärte ihr, dass mir ein Bier wirklich helfen würde und dass der Preis keine Rolle spiele, ich würde bezahlen. Ich brauchte wirklich ein Bier, weil ich einen furchtbaren Kater und einfach große Lust auf ein Bier hatte. Wir unterhielten uns auf Englisch. Sie wiederholte, dass sie kein Bier hätten, sie hätten aber Tabletten gegen Flugangst, wenn es darum ginge. Ich war verkatert und hatte Schiss vor allem und brauchte dringend ein Bier, und das sagte ich ihr auch so, und dass ich keine Tabletten bräuchte, dass mir nur ein Bier helfen könne, aber sie hörte sich das alles nur an und musterte mich verwundert. Sie sagte etwas auf Deutsch, ging weg und kam mit einem Kollegen zurück, einem großen Mann mit Schnurrbart, der mich freundlich lächelnd auf Englisch fragte, was mein Problem sei. »Ich habe keins, überhaupt kein Problem, ich würde nur gerne ein Bier trinken«, sagte ich. »Wir haben Weißwein und Whisky und Wodka in kleinen Flaschen, wenn es unbedingt Alkohol sein muss, aber das muss extra bezahlt werden«, sagte er. »Nein, Geld ist nicht das Problem, und auch der Alkohol ist nicht das Problem, ich hab einfach einen ziemlichen Kater und da hilft mir nur ein Bier, das ist wirklich alles«, sagte ich ehrlich. Er musste lachen. Als er etwas auf Deutsch zu der Stewardess sagte, die neben ihm stand, musste sie auch lachen. »Also ein Kater. Wenn ich einen Kater habe, brauche ich auch ein Bier. Ich könnte Ihnen ein paar Flaschen Heineken zukommen lassen«, sagte er. »Wenn ich drei Flaschen kriegen könnte, das wäre klasse.« »Sicher nicht mehr?«, fragte er leise. »Nein, bestimmt nicht, drei Flaschen sind genug«, sagte ich. »In Ordnung. Wir regeln das. Und genießen Sie Ihren Flug«, sagte er lächelnd. »Das werde ich, ich werde ihn genießen. Danke«, antwortete ich. Ich bekam drei Flaschen Bier, bezahlte, und dann war wirklich alles in Ordnung, dann lächelte mich sogar die Stewardess an. Das erste Bier trank ich sofort auf ex, dann aß ich etwas aus dieser Plastikdose und danach trank ich langsam das zweite Bier. Ich entspannte mich. Das Flugzeug schwebte durch die Luft. Ich blickte in die Wolken. Der Tag war heiter. Der Flug war ruhig. Ich trank auch die dritte Flasche leer. Dann landete das Flugzeug. Auf dem Züricher Flughafen hatte ich nicht viel Zeit, ich saß ungefähr zwanzig Minuten in der Wartehalle rum, und ich war wahrscheinlich der Einzige ohne Handy am Ohr. Außer mir waren da nur Geschäftsleute, aber vielleicht kam es mir auch nur so vor oder sie schlugen einfach die Zeit mit Telefonieren tot, egal. Mir war langweilig, deshalb ging ich drei Mal zur Toilette: Einmal hatte ich ein dringendes menschliches Bedürfnis zu verrichten, zweimal ging ich einfach nur so, um Wasser zu trinken und mir das Gesicht zu waschen. Als ich beim dritten und letzten Mal von der Toilette kam, musterten mich einige der Geschäftsleute genauer. Niemand mag es, wenn sich jemand in seiner Nähe anders benimmt als die anderen, erst recht nicht auf einem Flughafen; Terrorismus und Bomben fielen mir ein, das war wohl der Grund, aber vielleicht haben Menschen auch einfach nur Angst vor dem Fliegen. Dabei war ich nur aus Langeweile zur Toilette gegangen, nur drei Mal, das ist nicht mal besonders oft. Bald darauf stieg ich ins Flugzeug, das Flugzeug hob ab, ich trank ein Mineralwasser und das Flugzeug landete auf dem Mailänder Malpensa-Flughafen. Es war ein wirklich kurzer Flug. Ich holte meine Tasche und kam ohne Probleme durch Passkontrolle und Zoll. Ich zeigte einfach die Einladung der Stiftung, und alles war in Ordnung. He, das war immerhin die Rockefeller-Stiftung und natürlich war alles in Ordnung. Dann bemerkte ich einen Mann mit einem Schild, auf dem Bellagio Center stand. Und darunter in großen Buchstaben mein Vor- und Nachname. Ich winkte ihm, er kam zu mir und bückte sich, um meine Tasche zu nehmen. »Nein, ist schon in Ordnung, das kann ich selbst«, sagte ich. »Nein, nein, das ist meine Aufgabe«, sagte er. »Ach was, ist schon in Ordnung, die Tasche ist nicht schwer, das ist gar kein Problem.« »Nein, Verzeihung, das ist meine Aufgabe«, sagte er mit ernstem Gesicht. Ich ließ ihn machen. Er hob die Tasche hoch und hängte sie sich über die Schulter. Er zeigte mir den Weg. Wie ich so hinter diesem...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.