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Band 7 der Gesamtausgabe ist den zeit- und kulturkritischen Beiträgen vorbehalten, die Valéry vom ausgehenden 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts verfasste. Die ersten beiden Essays, Eine methodische Eroberung (1897) sowie Krise des Geistes (1919), umklammern zeitlich wie thematisch die kriegstaumelnde Moderne: In ersterem verhandelt Valéry die Anwendung wissenschaftlicher Methodik auf die wirtschaftliche und kommerzielle Expansion von Staaten, deutschen Militarismus sowie zeitgenössische Entwicklungen in Japan und Italien; der zweite bezeugt im Nachhall des ersten Weltkriegs Valérys Bedenken hinsichtlich einer zu vergehen drohenden europäischen Kultur des Geistes und der Kunst. Es folgen die Sammlung Blicke auf die gegenwärtige Welt sowie weitere Texte zu eingeführten Themen und politischen Ereignissen.
Gegen 1895 begann England empfindlich zu werden für den Druck der deutschen Macht auf die wesentlichen Punkte seines Wirtschaftskörpers und seines Reiches.
Bis dahin war es sich nicht bewußt, in der Ausübung seiner Lebensfunktionen durch einen Konkurrenten der elften Stunde bedroht zu sein, der nach Ort wie Zeit sehr ungünstig lag Tarde venientibus ossa1, hätte es sich gesagt, falls es sich etwas gesagt hätte.
Aber es genügt nicht, eine Insel zu sein, Steinkohle zu haben, dazu Traditionen der Politik und Seefahrt, einen einfachen und unbezähmbaren Willen, eine ungeheure, direkt und indirekt abhängige Kundschaft, eine imponierende Sicherheit im Begehren und in den Zielen. Die Sicherheit hat eine Art Trägheit zur Folge. Der englische Geist verbessert stets ohne Zögern, was ihm schlecht erscheint, aber er widerstrebt lange, etwas an dem zu ändern, was gut war und ihn noch befriedigt. Dieser englische Wesenszug gründet vielleicht in der gewohnheitsmäßigen, bisher von der Geschichte bekräftigten Gewißheit, man werde Muße genug haben, um eine Gefahr zu gewahren und ihr zu begegnen, dank dem Meergraben und der ihn überwachenden Flotten.
Aber in einer ganz von den Wissenschaften durchwirkten Zeit beständiger technischer Umwälzung, wo nichts dem Neuerungswillen, dem Taumel der Steigerung von Genauigkeit und Macht entgeht, wo das höchste Gut Beständigkeit sich nur noch bei geschwächten Völkern findet, genügt es nicht, im Sein zu verharren.
Die Engländer vor dreißig Jahren realisierten nicht - wie sie sagen -, was alles Disziplin, Berechnung, peinliche und unbegrenzte Analyse und besser als die ihre angewandte Tatkraft ihnen auf sämtlichen Gebieten bereiten würden.
Die Offenbarung kam ihnen aus einer Artikelreihe, die 1895 in der New Review erschien, einer (seither eingegangenen) Zeitschrift, die der gute alte Dichter William Henley herausgab. Diese Artikel stammten von E. E. Williams, und der Titel, den er über die Sammlung setzte, schlug ein. Durch eine berühmte bill wurden die drei Worte Made in Germany gesetzlich festgelegt2; sie nisteten sich sogleich in den englischen Köpfen ein, wo sie ständig wirkten bis zum 11. November 1918.
Es gab Überraschung, Aufregung, Entrüstung, als Williams diese Sammlung sehr eingehender Studien herausgab, welche die verschiedenen Gebiete von Industrie und Handel untersuchten und auf jedem das Eindringen und den erschreckenden Fortschritt des Konkurrenten anschaulich machten.
Henley hatte den wunderlichen Einfall, einen sehr jungen, vorübergehend in London weilenden Franzosen, der ihm empfohlen war, zu ersuchen, in seiner New Review eine Art von »philosophischer« Schlußfolgerung3 aus dem rein auf Beobachtung und Aufreihung bezeichnender Einzelheiten beruhenden Werk von Williams zu ziehen. Dieser junge Franzose, der bis dahin nur an ganz anderes gedacht hatte, fühlte sich recht verlegen vor einer Aufgabe, die anzunehmen ihm einige gute Gründe rieten, während die Vernunft allein verlangte, er solle sie lassen. Die Gründe hatten an Zahl das Übergewicht. Er improvisierte, was er vermochte und was hier vorliegt.
Im Lauf des letzten Krieges wurde dieser Essay im Mercure de France wieder abgedruckt (1915).
P. V .
Man hat sich aufgeregt, man hat es fast als Skandal aufgenommen. Ein beunruhigenderes Deutschland enthüllt sich. Die Engländer lesen Made in Germany von E. E. Williams; die Franzosen sollten Le danger allemand von Maurice Schwob4 lesen.
Vordem eine Festung und eine Schule: jetzt entdeckt man dort eine ungeheure Werkanlage, enorme Docks. Man ahnt auch, daß Festung, Fabrik, Schule untereinander verbunden sind und nur verschiedene Aspekte des gleichen, festgefügten Deutschlands ausmachen. Man erfährt, daß die militärischen Siege, durch die sich diese Nation gegründet hat, wenig sind, verglichen mit den wirtschaftlichen Siegen, die sie bereits erringt; schon sind ihr manche Märkte in der Welt enger zugehörig als die Gebiete, die sie ihrem Heer verdankt.
Sodann gewahrt man, daß die eine wie die andere Eroberung von ein und demselben System bewirkt wurden. Die donnernde und die leise überlagern sich. Man begreift, daß Deutschland sich auf Industrie und Handel verlegt hat wie vorher aufs Militär: besonnen und entschlossen. Man spürt, daß es kein Mittel ausließ. Will man sich diese neue und phantasielose Größe erklären, so stelle man sich vor: beständigen Fleiß; genaueste Untersuchung der Quellen des Reichtums und unermüdliche Herstellung der Mittel, ihn hervorzubringen; peinliche Topographie der begünstigten Plätze und günstigen Verbindungswege; und, vor allem, vollständigen Gehorsam, eine Unterordnung sämtlicher Momente unter irgendeinen einfachen, ausschließlichen, gewaltigen Gedanken - der strategisch ist durch seine Form, wirtschaftlich durch sein Ziel, wissenschaftlich durch seine tiefgreifende Vorbereitung und seinen Geltungsbereich. So wirkt die Gesamtheit der deutschen Unternehmungen auf uns ein. Wendet man sich dann zum Sichtbaren und Greifbaren, zu Akten, diplomatischen Berichten, amtlichen Statistiken, so kann man nach der Majestät der großen Linien bequem die Vollendung im einzelnen bewundern, kann man es genießen, zu wissen, auf welche Weise - als man alles, was zu kennen möglich war, kannte, alles Vorauszusehende voraussah, als der Wohlstand erzeugende Mechanismus bestimmt war - eine sanfte oder rohe, allgemeine, unablässige Einwirkung aller Punkte Deutschlands auf alle Punkte der Welt ausgriff, um das Höchstmaß von Reichtümern von allen Punkten der Welt nach allen Punkten Deutschlands zurückkommen zu lassen.
Dieses Wirken ist nicht wie bei uns eine Summe individueller, immer unabhängiger, oft entgegengesetzter Unternehmungen, die blind geschützt werden vom Staat, der seinen Einfluß unter sie verzettelt und nicht die eine unterstützen kann, ohne eine andere zu schwächen - es ist eine mächtige Gewalt, die wie die Gewässer bald mit Sturz und Stoß, bald mit unwiderstehlichem Einsickern vorgeht. Eine natürliche Disziplin eint das individuelle deutsche Wirken dem des ganzen Landes und ordnet die Sonderinteressen derart, daß sie sich zusammenfügen und gegenseitig verstärken, anstatt sich gegenseitig zu vermindern und zu behindern. Das geht bis zur Abschaffung jeder Konkurrenz unter Deutschen, sobald der Fremde - der Feind - zugegen ist.
Dann kommt es zu aufrichtiger Eintracht, zu gegenseitigen nützlichen Opfern, zu einem Wettkampf an Tatkraft und Geschicklichkeit um den gemeinsamen Sieg, was außer dem Sieg eine auffallende Verbundenheit unter den wetteifernden Industrien und den verschiedenen »Waffengattungen« der Wirtschaftsarmee des Vaterlands5 zur Folge hat. Wir kämpfen gegen diese Armee wie wilde Banden gegen eine organisierte Truppe.
Dieses Wirken geschieht nicht, wie bei uns, aufs Geratewohl. Es ist wissenschaftlich. Alle Wissenszweige müssen ihm dienen. Es wird von einer umsichtigen Psychologie gelenkt, und in der Folge setzt sie sich nicht nur durch, es gelingt ihr Besseres: sie macht sich unentbehrlich. Der Kunde Deutschlands soll den deutschen Händler, ja selbst die deutschen Wechsel segnen. Sogar ein Freund, ein Propagandist soll der Kunde werden - diese Berechnung ist von tiefer Eleganz. Man kennt diesen Kunden genau. Dieser Kunde, der sich frei glaubt und ganz harmlos lebt, wird durchforscht, ohne daß er es weiß, ohne daß man ihn berührt. Er wird eingeordnet, wird bestimmt im Rahmen seiner Stadt, seiner Provinz, seines Landes. Man weiß, was er ißt, was er trinkt, was er raucht und wie er zahlt. Man denkt über seine Wünsche nach. In Hamburg oder Nürnberg hat vielleicht irgendwer Kurven gezeichnet, welche die Nutzbarmachung seiner kleinsten Schrullen, seiner winzigsten Bedürfnisse darstellen. Er, der so persönlich, so traulich zu leben meint, er sähe sich dort untergegangen in der Zahl: inmitten von Tausenden anderer Persönlichkeiten, die denselben Likör, denselben Kleiderstoff vorziehen wie er. Denn man weiß dort mehr über sein eigenes Land als er. Man kennt den Mechanismus seines Daseins besser als er: was er zum Leben braucht und zu ein bißchen Erheiterung des Lebens. Man weiß um seine Eitelkeit und daß er von Luxusdingen träumt und sie zu teuer findet. Man wird also das Gewünschte herstellen, Champagner aus Äpfeln, Parfüms aus allem, was es gibt. Der Kunde ahnt nicht, wie viele Chemiker an ihn denken. Man wird ihm genau das herstellen, was zugleich seinem Geldbeutel, seinem Wunsch, seinen Gewohnheiten entgegenkommt; man wird für ihn etwas von mittlerer Vollkommenheit schaffen. Durch unterwürfige Erbötigkeit gegenüber seinem vielfältigen Verlangen wird man sich seiner bemächtigen.
Um dieses fabelhafte Produkt hervorzubringen, das zugleich billig und...
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