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Es hätte so schön sein können: Im Sommer 1936 möchte Josephine Tey mit Freunden im Urlaubsort Portmeirion in Wales ihren vierzigsten Geburtstag feiern. Gleichzeitig bemüht sich der berühmte Alfred Hitchcock um die Filmrechte an ihrem Roman Klippen des Todes. Doch durch den Mord an einer Hollywood-Ikone geraten die Feierlichkeiten vollkommen aus dem Ruder. Eine brutale Mordserie nimmt ihren Lauf.
Können wir kurz Pause machen?«
»Natürlich.« Der Detective klang zwar ungeduldig, aber er folgte der Bitte, und das Rattern des Filmprojektors erstarb langsam. Archie Penrose schloss die Augen, doch das Bild von Josephine wollte nicht verschwinden. Wegen der laufenden Kamera ein wenig verlegen, saß sie in der Nachmittagssonne auf der Hotelterrasse und lachte über etwas, was er gerade zu ihr gesagt hatte. Es nagte an ihm, dass er sich nicht mehr erinnern konnte, worüber sie geredet hatten - was allerdings kein Wunder war, weil die Unterhaltung mittlerweile achtzehn Jahre zurücklag und einfach nur Urlaubsgeplauder gewesen war. Er fand es jedoch beunruhigend, dass die Erinnerung an Josephine seit ihrem Tod allmählich verblasste, und jedes sich ihm entziehende Detail quälte ihn wie ein persönlicher Vorwurf. Er stand auf und zog die Jalousien vor den Fenstern hoch, wobei er sich des forschenden Blickes des Amerikaners bewusst war, der auf eine Erklärung wartete. »Es war nicht meine Absicht, Sie aufzuregen, Sir«, sagte er zögernd, und der schleppende kalifornische Akzent verlieh seinen Worten etwas Anmaßendes, das beabsichtigt gewesen sein könnte oder auch nicht. »In den späteren Aufnahmen sind schlimmere Dinge zu sehen. Viel schlimmere.«
»Nicht für mich«, sagte Penrose schroff und setzte sich an seinen Schreibtisch, um seine Autorität halbwegs wiederherzustellen. »Eine Freundin von mir - die Frau in dem Film -, sie ist gestorben.« Die Worte klangen kalt und unpersönlich, aber aus Erfahrung wusste er, dass es keine angemessene Formulierung gab, um seinen Verlust zum Ausdruck zu bringen, und er hatte es schon lange aufgegeben, danach zu suchen. »Der Blick in die Vergangenheit ist schwer für mich, Detective Doyle, ganz gleich, wie harmlos Ihnen die Bilder erscheinen mögen.«
»Sie kannten eines der Opfer persönlich? Tut mir leid. Das wusste ich nicht.«
Dieses Mal klang die Entschuldigung aufrichtig, und Penrose beeilte sich, die Sache richtigzustellen. »Nein, nein - Sie missverstehen mich. Sie ist vor ein paar Jahren infolge einer Krankheit gestorben. In Portmeirion waren wir, um Josephines vierzigsten Geburtstag zu feiern. Sie war so gern dort, und wir haben uns mit Freunden getroffen.«
»Sie gehörten also nicht zu Mr Hitchcocks Gesellschaft?«
»Nicht offiziell, nein. Eine Freundin von Josephine - Marta Fox - hatte für Hitchcocks Frau an mehreren Drehbüchern gearbeitet und war übers Wochenende gekommen. Keiner von uns gehörte zu Hitchcocks Kreis, allerdings hatten er und Josephine einige Dinge zu besprechen. Er wollte eines ihrer Bücher verfilmen - einen Kriminalroman mit dem Titel Klippen des Todes, der bald darauf veröffentlicht werden sollte. Sie hatte Bedenken, erklärte sich aber mit einem Treffen einverstanden, während sie beide in Portmeirion waren.«
»Ich kann mich an keinen Film mit diesem Titel erinnern. Er wurde wohl nie gedreht, wenn Ihre Freundin solche Bedenken hatte?«
»Doch, doch, er wurde gedreht. Er kam im darauffolgenden Jahr heraus, Hitchcock nannte ihn allerdings Jung und unschuldig. Er war ein ziemlicher Erfolg.«
Der Detective schüttelte den Kopf. »Sagt mir trotzdem nichts. Wahrscheinlich habe ich nur die gesehen, die er gedreht hat, nachdem er auf unsere Seite gewechselt ist. War sie mit dem Film zufrieden? Ihre Freundin, meine ich.«
»Nachdem Mr Hitchcock sich darüber hergemacht hatte, war ihre Geschichte genauso wenig wiederzuerkennen wie der Titel«, sagte Penrose trocken. »Ich kann mich an einige Kommentare von Josephine erinnern, als sie ihn gesehen hat, aber das Wort >zufrieden< fiel dabei nicht.«
Doyle lächelte. »Dann hoffe ich, dass man sie wenigstens gut bezahlt hat.« Er zog ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche und bot Penrose eine an. »Erzählen Sie mir etwas über dieses Portmeirion - es ist kein richtiges Dorf, oder?«
»Es ist alles, was Sie wollen, das es ist. Das macht seinen Reiz aus.«
»Aber ein privates Dorf, das ganz allein von einem Mann geschaffen wurde? Ist das nicht ein bisschen merkwürdig?«
Die unverhohlene Skepsis in der Stimme des Detective belustigte Penrose, aber ihm war klar, was Doyle meinte: Für jemanden, der nie dort gewesen war, war die Idee eines Erholungsorts, der ausschließlich um des Vergnügens und der architektonischen Schönheit willen geschaffen worden war - und nur für Leute, die über die nötigen Mittel verfügten, um all das zu genießen -, schwer nachzuvollziehen. Einem Amerikaner mit, wie er vermutete, sozialistischen Neigungen musste es wie eine absurde Ausschweifung erscheinen. »Es ist zweifellos außergewöhnlich«, sagte er, »aber das sind große Ideen ja oft. Mag das Dorf auch von einem einzelnen Mann erschaffen worden sein, so folgt es doch der Überzeugung, dass Schönheit das Leben der Menschen allgemein verbessern kann. An der Stelle, an der Portmeirion liegt, fand Clough Williams-Ellis eine Landschaft vor, die an sich bereits schön war, und er nutzte seine Vorstellungskraft, um sie noch schöner zu machen. Das ist eine gewaltige Leistung, also nein - ich finde es nicht merkwürdig. Genau genommen erscheint es mir nach dem, was die Welt durchgemacht hat, vernünftiger denn je - wenn auch ein wenig optimistisch.« Er lächelte, aber Doyle wirkte nicht überzeugt. »Und es ist kein Museum - er baut weiter daran. Nachdem die kriegsbedingten Baubeschränkungen endlich aufgehoben worden sind, gibt es für ihn kein Halten mehr. Ich war kürzlich mit meiner Frau dort, und da hatte er gerade mit den Plänen für ein neues Torhaus begonnen. Portmeirion lebt und atmet und verändert sich«, fügte er hinzu und konnte nicht verhindern, dass sich leiser Spott in seine Stimme schlich, »genau wie ein richtiges Dorf.«
»Es überrascht mich, dass Sie nach allem, was geschehen ist, dorthin zurückgekehrt sind. Besonders fröhlich kann der Aufenthalt nicht gewesen sein.«
»Wenn ein Polizist anfängt, Orte zu meiden, an denen ein Gewaltverbrechen verübt wurde, kann er irgendwann das Haus überhaupt nicht mehr verlassen«, erwiderte Penrose. »Das wissen Sie doch bestimmt aus eigener Erfahrung.« Es war eine ausweichende Antwort, aber im Kern traf sie zu: Seltsamerweise war für ihn Portmeirion nicht durch die Morde gezeichnet, die dort begangen worden waren, sondern es verband sich damit das Glück, das er in diesem Sommer dort erlebt hatte - ein Glück, das der Schock über Josephines Tod umso intensiver machte. Er wusste genau, dass es ein vergeblicher Versuch wäre, seine Trauer zu lindern, indem er sich von Orten fernhielt, an denen sie gemeinsam gewesen waren: Trauer kannte keine Logik, und er spürte ihre Abwesenheit immer und überall. »Auf die Gefahr hin, gefühllos zu klingen, ich persönlich hatte mit den Todesfällen in Portmeirion nichts zu tun, deshalb überwiegen die schönen Erinnerungen die schlechten.«
Doyle schüttelte einige Fotos aus einer Mappe und faltete auf Penrose' Schreibtisch eine Karte des Dorfes auseinander. »Trotzdem lässt sich ein solcher Fall sicher nur schwer vergessen, ganz gleich, in wie vielen Sie im Lauf Ihrer Arbeit ermittelt haben.« Nacheinander deutete er auf verschiedene Punkte auf der Karte und legte jeweils das entsprechende Schwarz-Weiß-Foto daneben. »Eine Leiche, die auf diesem seltsamen Friedhof im Wald gefunden wurde, mit einem Messer so übel zugerichtet, dass das Gesicht fast unkenntlich war. Ein weiterer Mord auf der Landzunge, nur einen Steinwurf vom Hotel entfernt, das Opfer vergewaltigt, erwürgt und aufgehängt wie ein Tier. Die Garagen mitten im Dorf - überall Blut.« Er legte das letzte Foto in die Mitte der Karte, und Penrose blickte auf den zerschmetterten Körper, erinnerte sich an die Verwirrung und Fassungslosigkeit, die er beim Eintreffen am Ort des Geschehens empfunden hatte. »Der letzte Todesfall«, fügte Doyle hinzu. »Ein offenkundiges Schuldeingeständnis, das scheinbar alle Fragen beantwortete. So viele Tatorte und so viel Blut. Ich verstehe nicht viel von Schönheit, Sir - aber mir kommt es so vor, als hätte Ihr Architekt einen Spielplatz für einen Mörder geschaffen.«
»Das war wohl kaum seine Absicht«, sagte Penrose ruhig. »Zu allem Überfluss haben die kleinen Spielchen von Mr Hitchcock die polizeiliche Arbeit erschwert.«
»Sie waren nicht der leitende Ermittler, oder?«
»Nein, es war nie mein Fall. Jemand anderes übernahm ihn, ich hatte nur die Rolle eines Zuschauers. Für kurze Zeit gehörte ich sogar zum Kreis der Verdächtigen.«
»Das dürfte eine ganz neue Erfahrung gewesen sein.«
Penrose nickte. Während seines gesamten Berufslebens war er stolz auf sein Einfühlungsvermögen gegenüber den von einem Mord Betroffenen gewesen, auf sein Bewusstsein dafür, dass auf dem Weg zur Wahrheitsfindung das Leben vieler Unschuldiger in Mitleidenschaft gezogen wurde, und trotzdem hatte es ihn überrascht, wie schnell Menschen sich gegeneinander wandten, wenn ihr Charakter infrage gestellt wurde. »Glücklicherweise dauerten die Ermittlungen nicht lange. Alles fand ein schlüssiges Ende, und der Fall schien schnell abgeschlossen zu sein.«
»>Schien<?«
»Selbstmord ist die offenkundige Form eines Geständnisses, wie Sie sagten, aber ein Verhör wird dadurch recht schwierig.«
»Man hat mir gesagt, dass Sie mit dem Ermittlungsergebnissen nie so ganz zufrieden waren.«
»Es stand mir nicht zu, mich zur Arbeit von Kollegen zu äußern«, erwiderte Penrose, wobei...
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