Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Seit langem schon wacht seine Frau früh auf, um fünf oder um halb sechs. Aufgrund ihres inneren Rhythmus, manchmal nicht im Einklang mit dem Owens, erwacht Julia voller Zärtlichkeit für ihn, ihren Gefährten auf des Bettes regloser Reise durch die Nacht unvollkommenen Schlafs. Sie umarmt ihn und erklärt, ungeachtet seiner Proteste, dass er noch schlafe, mit leiser, aber unerbittlicher Stimme, wie sehr sie ihn liebe, wie froh sie sei über ihre Ehe. «Ich bin so glücklich mit dir.»
Und das nach fünfundzwanzig Jahren des Zusammenlebens. Er ist siebzig, sie fünfundsechzig; ihre Verkündigung, für sie selber von Neuigkeitswert, versetzt ihm einen kleinen Stich: Wie könnte es anders sein? Nach all den eigenen Kümmernissen und dem Schmerz, den sie anderen zugefügt haben. Sie haben die Furt durchquert, und jetzt sind sie hier, auf der anderen Seite. Sie zupft an ihm, sie dreht seinen Kopf, damit sie ihn auf den Mund küssen kann. Doch seine Lippen sind gedunsen und taub vom Schlaf, und in diesem anästhetisierten Zustand, die Nerven noch nicht wieder geordnet, hat er das Gefühl, sie wolle ihn ersticken; sie streichelt ihn, wie man früher sagte, gegen den Strich. Nach einigen weiteren Minuten liebesbetörten Gerangels, bei dem er sich starrköpfig verweigert und sich die Möglichkeit bewahrt, zu seinem kostbaren Traum zurückzukehren, gibt Julia nach und erhebt sich vom Bett, und Owen streckt sich dankbar auf der von ihr geräumten Seite aus und sinkt für ein, zwei weitere Stunden in Schlaf.
Eines Morgens träumt er in dieser letzten, gestohlenen Stunde, dass er in einem Haus, das er nicht kennt (es wirkt schäbig, öffentlich, wie eine Pension oder ein Krankenhaus), von gesichtslosen Amtspersonen in einen Raum geführt wird, wo auf einem Bett wie dem ihren - zwei aneinander gekoppelte Einzelbetten, die ein großes Bett ergeben - ein Mann, ein junger Mann, der Glätte seines blonden Körpers mit dem straffen Hintern nach zu urteilen, auf dem Körper seiner Frau liegt, als bemühte er sich um Wiederbelebung oder (was keineswegs das Gleiche ist) um Verbergen. Als sich dieser Fremde auf die stumme Anweisung der begleitenden Amtspersonen hin erhebt, wird der Körper von Owens Frau, auch er nackt, auf dem Rücken liegend, sichtbar: der weiße entspannte Bauch, die Brüste, flach von der Schwerkraft, ihr teures, vertrautes Geschlecht im krausen Bart aus Fell. Sie ist tot, Suizid. Sie hat den Ausweg aus ihrem Schmerz gefunden. Owen denkt: Hätte ich mich nicht in ihr Leben eingemischt, wäre sie noch am Leben. Er sehnt sich danach, sie zu umarmen und ihr wieder Leben einzuhauchen und das Gift, als das seine Existenz auf die ihre gewirkt hat, wieder in sich hineinzusaugen.
Langsam, widerwillig, so wie man seine Aufmerksamkeit von einem noch ungelösten Rätsel abwendet, wacht er auf, und natürlich ist sie nicht tot; sie ist unten und verbreitet den Geruch von Kaffee und die Geräusche einer morgendlichen Nachrichtensendung: mehrere einander neckende Stimmen, männliche und weibliche. Verkehr und Wetter, beides mag Julia, nie versiegt ihr Interesse daran, an diesen chronischen täglichen Unwägbarkeiten, obwohl sie seit drei Jahren nicht mehr jeden Tag nach Boston fährt. Er kann ihre blauen Gummi-Flip-Flops hören, die zu tragen sie nicht aufgibt, als wäre sie auf immer jung und für den Strand gekleidet, sie klatschen in der Küche hin und her, vom Kühlschrank zur Arbeitsfläche zum Frühstückstisch, und dann zum Spülbecken und Abfallzerkleinerer und zur Spülmaschine, und weiter ins Esszimmer, wo sie ihre Pflanzen gießt. Sie liebt ihre Pflanzen, vielleicht mit demselben Gefühlsorgan, mit dem sie das Wetter liebt. Das Geräusch, das die Flip-Flops machen, und die Gefahr, die sie für ihre Trittsicherheit bedeuten - auf der Treppe rutscht sie immer wieder aus - , irritieren ihn, aber er mag den Anblick ihrer nackten Zehen, leicht gespreizt wie die Zehen an hart arbeitenden asiatischen Füßen, die kleinen Gelenke weiß von der Anstrengung, die Flip-Flops anzubehalten. Sie ist eine zierliche Brünette mit einem kompakten Körper, und ihre Haut nimmt, anders als bei seiner ersten Frau, eine gesunde, gleichmäßige Bräunung an.
An manchen Tagen findet er, halb erregt, nur wieder in den Schlaf, wenn er an eine der anderen Frauen denkt - Alissa oder Vanessa oder Karen oder Faye - , die wie er in den sechziger und siebziger Jahren in der Stadt Middle Falls, Connecticut, gelebt haben. Seine Hand umfasst seinen schlaftrunkenen Schwanz, und er erlebt wieder, wie er eine von ihnen unter sich, neben sich, über sich hat, wie sie sich das Haar zurückstreicht und das Gesicht über seinen geschwollenen Mittelpunkt beugt, dessen Nerven sich allesamt nach feuchter, wissender Berührung drängen; aber heute ist kein solcher Tag. Die kräftiger werdende weiße Frühlingssonne scheint schonungslos gleißend unter der Jalousie hervor. Die wirkliche Welt, ein von seinem Traum unverletzter Tiger, wartet. Es ist Zeit, aufzustehen und einen Tag anzugehen, der dem gestrigen Tag ähnelt, einen Tag, von dem sein animalischer Optimismus annimmt, dass er der erste einer Reihe sich endlos in die Zukunft erstreckender Tage ist, von dem jedoch sein - in der Gattung Homo sapiens hypertrophiertes - Zerebrum weiß, dass es ein weiterer Tag eines abnehmenden, begrenzten Vorrats ist.
Rings um ihrer beider private Anhöhe erwacht die so genannte Kleinstadt Haskells Crossing. Das gleich bleibende dumpfe Rauschen des Verkehrs dringt durch die Hauswände aus Holz und Gips und durch den isolierenden Wald dahinter. Die Zeitungen - der Boston Globe für ihn, die New York Times für sie - sind bereits zugestellt worden. Die Vögel sind schon seit langem im Gang, die Drosseln picken nach Würmern, die Krähen bohren ihren Schnabel in den Rasen, auf der Suche nach Larven von Getreidewanzen, die Schwalben schnappen sich Mücken aus der Luft, die verschiedenen Arten rufen einander zu, jede in ihrem eigenen jubilierenden, von ihrem erbsengroßen Hirn entwickelten Code. Auf dem Weg zum Badezimmer ruft er nach unten: «Guten Morgen, Julia!»
Ihr Ruf schallt zurück: «Owen! Du bist auf!»
«Schätzchen, natürlich bin ich auf. Mein Güte, es ist schon nach sieben Uhr.»
Je älter sie werden, desto mehr reden sie wie Kinder. Julias Stimme dringt nach oben, ein wenig vorwurfsvoll, halb scherzhaft: «Du schläfst immer bis acht, seit du nicht mehr pünktlich am Zug sein musst.»
«Liebling, wie du lügst! Ich schlafe niemals länger als bis sieben. Ich wünschte, ich könnte es», redet er weiter, ist sich allerdings nicht sicher, ob sie nicht von der Treppe weggegangen ist und ihn gar nicht mehr hören kann, «aber das ist etwas, das mit dem Alter kommt, man steht mit den Vögeln auf. Warte nur, bis es dich trifft.»
Dies ist ehelicher Schwachsinn - siehe Codes erbsengroßer Hirne! Wenn der Tag ein Computer wäre, denkt er, dann ist dies das Boot-up, das Wiederladen des Main Memory. Julia schläft tatsächlich weniger als er (wie schon seine erste Frau, Phyllis), aber dass sie fünf Jahre jünger ist, ist ihm immer eine Quelle des Stolzes und des sexuellen Reizes gewesen, ähnlich wie der Anblick ihrer Zehen vorn in ihren blauen Flip-Flops. Was er auch gern sieht, sind unter ihrem Morgenmantel ihre rosa Fersen, wenn sie sich entfernen, die senkrechten Stränge ihrer Achillessehnen, ein schneller, fester Schritt nach dem andern, die Füße nach außen gedreht, wie Frauen es tun.
Sie führen dieses Gespräch, während er mit schmerzender Blase vor der Tür seines Badezimmers steht, bei der Treppe, die zur Küche hinunterführt. Das Bild seiner geliebten Julia, wie sie nackt und tot in seinem Traum dalag, und das Traumempfinden von Schuld, das ihren Suizid in Wirklichkeit zu einem von ihm begangenen Mord machte, sind noch lebendiger als die täglichen Fakten im Wachsein - die Tapete mit den sepia Rosen und dem stumpf metallischen Glanz, der neue Teppich im Flur mit den frischen beigefarbenen Noppen und der dicken, federnden Teppichunterlage, der bevorstehende Tag mit den Stunden, die es wie Sprossen auf einer alten, gefährlichen, splitternden Leiter zu erklimmen gilt.
Während Owen sich vor dem am Fenster angebrachten Spiegel rasiert, wo sein lappiges und von der Sonne beschädigtes Gesicht, grausam vergrößert, das mitleidlose Licht frontal entgegennimmt, hört er die Spottdrossel, wie sie auf ihrem Lieblingszweig ganz oben in der höchsten Zeder eine aufregende, endlose Schimpftirade gegen irgendetwas, eine nebensächliche, chronische Routineangelegenheit von sich gibt. Alles Leben da draußen - die Vögel, die Insekten, die Blumen, die verstohlene Tierwelt der Streifenhörnchen und Waldmurmeltiere, die aus ihren Schlupflöchern huschen und wieder darin verschwinden, als könnte im nächsten Moment eine Schrotflinte sie zerfetzen - hat sein eigenes Netzwerk für gemeinsame Kümmernisse und Kommunikation; für sie ist die Menschenwelt kaum mehr als eine flirrende Randerscheinung, ein unerforschliches Knistern, eine intermittierende Interferenz, die selten todbringend ist und keine Beziehung zu dem organischen Überfluss (dem Abfall, den Gärten) erkennen lässt, den die menschliche Spezies an den Tisch der Natur bringt. Sie beachten uns nicht, denkt Owen. Wir sollten Götter für sie sein, aber sie haben nicht unsere Fähigkeit zur Verehrung - zur Voraussicht und zu den Schrecken und der verqueren geistigen Kriecherei, wie sie die Voraussicht mit sich bringt, die Erfindung eines...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.