Schweitzer Fachinformationen
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Wer in einem alten Range Rover einen Mann auf Krücken sechstausend Kilometer durch Afrika begleitet, braucht nicht nur Ausdauer, sondern Nerven aus Stahl. Acht quälend langsam vergehende Monate verbrachte die aus Wien stammende Autorin auf und neben den Straßen Afrikas. Sie gehörte zum Begleitteam des „einsamen Mannes am Horizont", der auf Krücken die Kilometer fraß, um Spenden für behinderte Menschen zu sammeln. In dieser Zeit lernte Christina nicht nur das Land und die Einheimischen besonders gut kennen, sondern auch ihr eigenes Team - und nicht zuletzt sich selbst.
Der Augenblick, in dem ich Barry Eustice kennenlernen sollte, rückte näher. Wir fuhren schon eine geraume Weile Richtung Norden, entlang ausgedehnter Teeplantagen, die in großen, sanften Wellen bis an den Horizont rollten, mit Hunderten Teepflückerinnen, die wie bunte Vögel in den sattgrünen Weiten standen. Unser Land Rover war mit Plakaten der Firmen zugepflastert, die uns sponserten. Poster kündigten den Marsch an. Das Innere des Wagens war mit Werkzeug und haltbaren Lebensmitteln vollgestopft. Auf dem Dach lagen mit Ketten gesicherte Reservereifen und Reservetanks für Wasser und Treibstoff. Dort oben stand unser Zelt, das wir über eine Leiter erreichten, und in dem wir die nächsten Monate schlafen sollten.
Wir befanden uns im Hochland, dem einstigen Eldorado der frühen englischen Siedler, die von der fruchtbaren Erde und der kühlen Luft angelockt worden waren. Die rote Erde erinnerte unheimlich an die Mau-Mau-Bewegung, die in den Fünfzigerjahren den ersten Aufstand und die Unabhängigkeit vom britischen Empire einleiteten, und für diese Erde einen Bluteid geschworen hatte.
Irgendwann im Nirgendwo blitzte plötzlich das rotweißrot gestreifte Segel eines betagten Range Rovers durch die Baumkronen. Eine zwei Meter lange Tafel »6.000 km Solo Charity Walk for the Disabled - Give Generously« war selbst von Weitem gut lesbar. Es war ein alter, dunkelgrüner Diesel, der da dreißig Meter von der Straße entfernt auf einer Lichtung im Gebüsch stand. Ein schwerfälliges, aber sehr stabiles Fahrzeug, in das ich mich auf der Stelle verliebte, ich taufte es Goliath. Der Wagen war umringt von einer Schar Afrikaner. Ich sprang auf die Straße und die Menschenwand teilte sich, um mich durchzulassen.
Und dann stand ich vor Barry Eustice.
Er saß auf einem Klappstuhl, das lahme Bein von sich gestreckt und rieb seine Hände mit Wundbenzin ein. Er trug einen weißen Schlapphut, wollene, rotweiße Gelenkschützer und ein weißes Shirt mit dem roten Werbeaufdruck Bata auf der Brust. Er war erschreckend dünn und aus seinem tief gebräunten Gesicht richteten sich leuchtend blaue Augen auf mich. Um seinen schön geschwungenen Mund lag ein Ausdruck unsagbarer Erschöpfung. Als ich auf ihn zuging und ihm die Hand reichte, wechselten sich Mitgefühl und Bewunderung für ihn ab. Ich musste mich erst räuspern, ehe ich mich vorstellte.
»Ich bin Christina .«
Sein Händedruck war überraschend unverbindlich und die von der trockenen Luft im Hochland zerrissenen Lippen teilten sich zu einem belustigten Lächeln.
»Du musst ja noch durchgeknallter sein als ich!«
Zugegeben, seine ersten Worte überraschten mich, aber ich konnte ihm nur schmunzelnd beipflichten.
Am durchgeknalltesten aber war sicherlich John, der englische Tramp, von dem Dennis mir schon geschrieben hatte, und der bloß eine Notlösung darstellte. Er lehnte mit verschränkten Armen am Wagen und beobachtete die Szene aus einiger Distanz. Er war vierundsechzig, hatte einen ziemlichen Bauch, um den sich das Bata-Shirt spannte, trug kurze, graue Hosen und einen grünen Hut mit einer Vogelfeder. Sein listiges Gesicht grinste mir entgegen. Er bedachte mich mit einem herzhaften Schlag auf den Rücken, dass meine Zähne hart aufeinanderschlugen.
»Mein Gott, Mädchen, bin ich froh, dass du da bist!«
Er zog mich sofort zur Hinterseite des Range Rovers. Dort sah ich links von der Wagentür einen mit Gas betriebenen Kühlschrank, auf dem eine Kochplatte befestigt war, wo gerade Wasser in einem Kessel verkochte. Geschirr und Konserven fanden sich in einem gemeinschaftlichen Chaos mit Seilen, Motoröl, verfaulten Tomaten und vor Dreck strotzenden Lappen. Fraglos war das sein Revier.
John hockte sich auf das Trittbrett und wies mit dem Kopf über die Schulter ins Wageninnere. Neben einem Stockbett und einer Stereoanlage lagen mehrere Koffer und Kisten wild durcheinander.
»Schau dir das an«, beklagte er sich. »Hier muss ich mit ihm schlafen! Und er raucht die ganze Nacht. Er spricht nicht mit mir und essen tut er auch nicht. Ich weiß nicht, wie dieser Mensch das durchhält. Immer nur gehen! Um sieben Uhr in der Früh ist er schon auf den Beinen und um Mitternacht geht er immer noch. Mir ist er unheimlich, ich sag's dir ganz ehrlich. Das viele Gehen ist ihm zu Kopf gestiegen .« Er tippte sich demonstrativ an die Stirn.
John, so schien mir, hatte ein starkes Bedürfnis, sich bei jemandem auszusprechen. »Und der andere auch«, fuhr er fort, »der ist auch ganz besessen von dieser Sache. Sechstausend Kilometer, das ist ja lächerlich! Das halten sie nicht durch. Niemand hält das durch.«
Als ich vor vier Tagen von zu Hause abflog, wusste ich noch nicht, wie das Projekt im Detail ablaufen sollte. Aber ich war auf alles gefasst und bereit, mich anzupassen, egal, was mich in Afrika erwartete. Ich gab zu, im Moment erheiterte mich John mehr, als dass er mich abschreckte.
»Dann mach du das erst mal mit«, fuhr er fort, als er mein grinsendes Gesicht sah, »dann wirst du sehen, was ich meine. Fünf Kilometer fahren, anhalten, Sessel raus, Tisch raus, Wasser kochen, Essen machen, den Herrn bedienen und wieder fünf Kilometer fahren. Fahren und warten. Ich bin schon ganz verrückt vor lauter Warten. Und überall die Schwarzen! Dutzende! Bata Schuhe wollen sie haben. Dann sage ich, ich verkaufe keine Schuhe, wir sind ein Wohltätigkeitsunternehmen und wollen Spenden von euch für die Behinderten. Dann lachen sie mich aus, als wäre das ein Witz! Stehlen tun sie auch wie die Raben. Ich kann nicht gleichzeitig kochen und auf alles aufpassen, in der Nacht schon gar nicht. Man hört so viel von Überfällen in Kenia, aber er besteht darauf, die Stereoanlage aufzudrehen und Musik zu hören. Beethoven! Und das mitten im afrikanischen Busch! Die Musik kann man Hunderte Meter weit hören, damit locken wir nur noch mehr Leute an. Beethoven würde sich im Grab umdrehen, wenn er das erleben müsste! Irgendwann kriegen wir eins übergebraten und das war's dann mit dem Wohltätigkeitsmarsch, bevor er richtig begonnen hat.«
Er legte die Hand auf sein Herz. »Schau mich an, ich bin vierundsechzig! Was für eine Chance haben ein alter Mann und ein Krüppel?« Und er beantwortete sich die Frage gleich selbst. »Keine! Na also. Muss man die Leute so provozieren? Aber mit dir wird es hoffentlich leichter werden. Ich bin wirklich froh, dass du gekommen bist. Vielleicht wird diese Reise jetzt ein wenig erträglicher für mich.«
Dennis hatte sich von uns ferngehalten und wollte mir Gelegenheit geben, John kennenzulernen. Spätestens, wenn wir offiziell in Nairobi einfuhren, hatte er vor, ihn gegen jemanden auszutauschen, der sich nicht als Angestellter ohne Bezahlung verstand, sondern als überzeugter und freiwilliger Helfer, der den Sinn des Unternehmens begriff und mit Herz und Seele dabei war.
John erhob sich, nahm den pfeifenden Wasserkessel von der Kochplatte, kletterte ächzend aus dem Wagen und pflanzte sich vor Barry auf. »Tee oder Kaffee?«
Barry unterhielt sich mit Dennis über die Service-Klubs in Nairobi. Es sah nicht gut aus, ein einziger Fünfzeiler war bisher in einer Tageszeitung erschienen. Weder die Lions noch die Rotarier hatten großen Enthusiasmus gezeigt, unser Projekt zu unterstützen. Daher sollten Dennis und ich noch vor Barrys Einmarsch vorausfahren und einen gebührenden Empfang auf die Beine stellen.
»Tee oder Kaffee?«, wiederholte John. Wiederum erhielt er keine Antwort und so drehte er sich achselzuckend zu mir um. »Siehst du, was ich meine? Wenn ich ihm dann Tee auf den Tisch stelle, will er Kaffee. Er ignoriert mich einfach! Dabei muss ich vierundzwanzig Stunden mit ihm leben .«
Mit einem Handbesen verscheuchte er neugierige Kinder, die in den Wagen klettern wollten.
Dennis warf einen Blick zu uns herüber. »Wenn sie dich stören, John, gib ihnen von den Bonbons«, riet er ihm.
John erhob sich brummend und kletterte in den Wagen. Aus den Tiefen hinter dem Stockbett zerrte er einen Karton mit Bonbons hervor. »Alles gesponsert!«, verkündete er nicht ohne Stolz und kam ächzend auf die Beine. »Pulvermilch, Nescafé, Konserven, Speiseöl, Reis, Zucker . Davon können wir wochenlang leben.«
Er warf einem der Kinder einen Plastiksack mit Bonbons zu, was sich als grober Fehler herausstellte, denn augenblicklich entbrannte ein Kampf. Die Kinder begannen sich zu prügeln und jagten dem Jungen hinterher, der sich mit den Bonbons aus dem Staub machen wollte.
Dennis hatte die Szene aus dem Augenwinkel beobachtet. Er stand auf und fing den Jungen ein. Dann verteilte er die Bonbons gerecht unter den Kindern und kurz darauf war rundum zufriedenes Schmatzen zu hören. Ehe er sein Gespräch mit Barry fortsetzte, warf er John noch ein Schimpfwort an den Kopf. Daraufhin zog John beleidigt die Schultern ein und verschwand im Wagen.
Die Gruppe Erwachsener, die um uns herumstand, schien die Szene nicht sonderlich berührt zu haben. Die Frauen trugen farbenfrohe Tücher, die sie kitangas nannten, um Brust oder Hüften...
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