Schweitzer Fachinformationen
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Die Autorin Rosie Lowan und ihr Ehemann Chad kommen in New York kaum über die Runden, als sie eine überraschende Nachricht erhalten: Chads verstorbener Onkel hat ihnen seine Luxuswohnung im historischen Windermere-Gebäude vererbt. Das junge Paar kann sein Glück kaum fassen. Doch schon kurz nach dem Umzug beschleicht Rosie ein beängstigendes Gefühl. Die vielen Kameras im Haus und die überfürsorglichen Nachbarn erscheinen ihr seltsam. Ebenso wie die Gerüchte um mysteriöse Todesfälle, die sich im Gebäude ereignet haben sollen. Als kurz darauf eine Leiche gefunden wird, weiß Rosie: Sie muss die Wahrheit über das Windermere herausfinden, bevor auch sie in tödliche Gefahr gerät ...
Manchmal sind es die kleinsten Dinge, die am meisten zählen.
So wie die schmale, rechteckige Schachtel, die ganz unten in meiner Umhängetasche liegt. Vielleicht fünfzehn Zentimeter lang und fünf Zentimeter breit. Sie ist leicht, fast gewichtslos, und klappert, wenn man sie schüttelt. Trotzdem ist sie eine flüsternde Präsenz, ein weißes Rauschen in meinem Bewusstsein.
Max, wie aus dem Ei gepellt in seinem Sakko mit Hahnentrittmuster und einem dünnen Kaschmirpullover, studiert die übergroße Speisekarte und überlegt. Als würde er nicht wie immer die Penne á la Wodka mit einem Salat bestellen. Auch ich habe die Speisekarte aufgeschlagen und suche mir etwas aus. Als würde ich nicht sowieso eine Pizza Margherita bestellen, ohne Salat. Das schicke italienische Restaurant am Broadway, direkt gegenüber von meinem Verlag, ist gut besucht. Silberbesteck klirrt, man hört leises Stimmengemurmel. Über sprudelndem Mineralwasser und Thunfisch-Tartar werden hier zahlreiche Geschäfte abgeschlossen.
Vor dem großen Fenster, an dem wir sitzen, fließt der Verkehr, man hört Hupgeräusche, Busse im Leerlauf, das Kreischen von Bremsen, dann und wann wütende Rufe von aufgebrachten Autofahrern. Und die ganze Zeit spüre ich sie, die Präsenz dieser schmalen Schachtel, so voller Möglichkeiten.
Die Kellnerin nimmt unsere üblichen Bestellungen auf und stellt wie immer für Max eine Flasche Pellegrino auf den Tisch. Ich trinke eigentlich lieber Leitungswasser, aber er schenkt mir ein Glas ein, stets ein Gentleman. Ich bemerke seine manikürten Fingernägel, poliert und eckig gefeilt, und das weiße Ziffernblatt seiner Patek Philippe. Keine Smartwatch für Max. Er schätzt an Uhren ihre elegante Verbindung von Form und Funktion.
»Also«, sagt er und stellt die grüne Flasche wieder auf das weiße Tischtuch.
Sein Tonfall gefällt mir nicht. Max und ich kennen uns schon sehr lange. Er klingt ernst, vorsichtig.
»Also?«
»Dein Buchprojekt.«
Deswegen haben wir uns zum Lunch getroffen, um über meinen Vorschlag für ein neues Buch zu sprechen.
Er holt mein Konzept aus dem dünnen Lederordner, den er zwischen uns auf den Tisch gelegt hat.
»Es hat durchaus Potenzial.«
Das ist Lektoren-Jargon für >Ich mag es nicht<. Wie oft habe ich dasselbe zu Autorinnen und Autoren gesagt, die ich als Lektorin betreut habe?
Ich habe immer schon geschrieben, in jeder freien Minute, wann immer sich die Gelegenheit ergab. Mein Ausflug ins Verlagswesen war für mich nur ein Zwischenstopp auf dem Weg zur Schriftstellerei. Aber Max wollte nie etwas anderes sein als Verlagslektor und begabten Autorinnen und Autoren helfen, Großes zu erreichen.
»Aber?«, wage ich zu fragen. Er hebt die Augenbrauen, räuspert sich.
Max und ich haben uns als Lektorats-Assistenten, beide frisch von der Uni, kennengelernt. Wir waren so begierig darauf, in die Welt der Bücher einzutauchen, echte Literatur-Nerds, verführt vom Glanz und Glamour der Branche oder dem, was wir uns darunter vorstellten. Max stieg die Karriereleiter hinauf, während ich bis spätabends arbeitete, früh aufstand und mich an den Wochenenden einschloss, um mein erstes Buch zu schreiben.
Als die erste Fassung fertig war, war Max bereits junger Starlektor in einem der größten Literaturverlage New Yorks. Er war der erste Mensch, den ich bat, mein Manuskript zu lesen, und der Erste, der mir sagte, dass er an mich glaubte. Der erste Lektor, der ein Buch kaufte, das ich geschrieben hatte und mich damit zu dem machte, was ich immer hatte sein wollen: eine Autorin, die vom Schreiben lebt.
Er fährt sich durch sein glänzendes dunkles Haar, das er ein wenig länger trägt, und nimmt seine Hornbrille ab. »Ich weiß nicht, Rosie. Irgendwas fehlt.«
Ich will verärgert auffahren - etwas soll fehlen? Aber obwohl mein Ego getroffen ist, ahne ich, dass er recht hat. Die Wahrheit ist, ich bin selbst nicht so wahnsinnig begeistert davon. Das innere Feuer, das nötig ist, um ein Projekt dieses Ausmaßes in Angriff zu nehmen, fehlt.
»In deinem ersten Buch war so viel Leidenschaft«, fährt Max fort und fixiert mich mit intensivem Blick. Er liebt das, seinen Beruf, diesen Prozess. »Es war so vielschichtig - das Justizsystem, die Frauenfeindlichkeit in der Gerichtsberichterstattung, die Stimmen der Kinder. Es hat mich wirklich gepackt, schon in dem Exposé, das du eingereicht hast. Ich konnte es sehen. Es war neu, aufregend.«
»Und das hier ist es nicht.« Ich versuche, vermutlich vergebens, mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
Er beugt sich vor und greift nach meiner Hand. »Doch, ist es. Nur eben nicht genauso aufregend. Dein erstes Buch war ein Erfolg, darauf können wir aufbauen. Aber das nächste Buch muss unbedingt noch größer sein, noch besser.«
Größer. Besser. Was kommt als Nächstes? Das ist das Mantra der Buchbranche.
»Bloß kein Druck«, schnaube ich.
Mein erstes True-Crime-Buch handelte von der brutalen Vergewaltigung einer jungen Frau aus Manhattan, der Justiz-Farce, die folgte, als ein Mann zu Unrecht verurteilt wurde und der wahre Täter davonkam, um dann weitere drei Frauen zu vergewaltigen und zu ermorden. Es kostete mich fünf Jahre, für das Buch zu recherchieren und es zu schreiben, während ich gleichzeitig in Vollzeit als Lektorin arbeitete. Das Buch verkaufte sich gut, es war kein Mega-Bestseller, aber in jeder Hinsicht ein ordentlicher Erfolg. Es kam im richtigen Moment, nach MeToo, als Frauen, denen von Männern Unrecht angetan worden war, gesellschaftlich in einem anderen Licht gesehen und alte Geschichten neu bewertet wurden.
Das Buch ist vor einem Jahr erschienen, bald kommt es als Taschenbuch heraus. Für mein nächstes Projekt kann ich mir unmöglich wieder fünf Jahre Zeit nehmen.
Max legt sanft seine Hand auf meine. Seine Berührung ist warm und löst verbotene Erinnerungen aus. Seine Finger streifen meinen Ehering und den Verlobungsring, und er zieht die Hand zurück und legt die Fingerspitzen aneinander.
»Ist es wirklich das Thema, worüber du schreiben willst?«
»Ja«, entgegne ich schwach. »Ich glaube schon.«
»Sieh mal«, sagt er und setzt seine Brille wieder auf. »Du hattest in letzter Zeit viel um die Ohren.«
Ich will protestieren, aber es stimmt. Mein Mann Chad und ich haben seinen alten Onkel Ivan gepflegt, der vor Kurzem gestorben ist. Er war Chads einziger Angehöriger, und ja, es war nicht leicht, in seiner letzten Lebensphase für ihn da zu sein und sich nach seinem Tod um seinen Nachlass zu kümmern. Es macht Angst, mitansehen zu müssen, wie ein geliebter Mensch stirbt, und es ist traurig, die Überbleibsel eines langen, bewegten Lebens zu sichten. Onkel Ivan - er war alles, was wir hatten. Ich habe seit über zehn Jahren keinen Kontakt mehr zu meiner Familie. Wir trauern sehr um ihn. Jetzt, wo die Temperaturen fallen und die Feiertage näher rücken, haben wir beide mit einer tief sitzenden Traurigkeit zu kämpfen. Vielleicht hat das meine Arbeit mehr beeinträchtigt, als mir klar war.
Ich denke an die Schachtel in meiner Tasche, diesen kleinen Lichtstrahl. Plötzlich überkommt mich der Drang, nach Hause zu fahren und sie aufzureißen.
»Hör zu«, sagt Max, als ich schweige. »Nimm dir einfach ein wenig Zeit, um darüber nachzudenken, tiefer einzusteigen. Frag dich selbst: >Ist das die Geschichte, die ich erzählen will und muss? Ist es etwas, das die Leute lesen sollten<? Sorg dafür, dass auch bei mir der Funke überspringt. Wir haben Zeit.«
Haben wir nicht.
Das Geld von meinem ersten Buch geht zur Neige. Chad hat eine schlecht bezahlte Rolle in einem Off-Off-Broadway-Stück. Diese Stadt - es ist wahnsinnig teuer, hier zu leben. Gerade wurde unsere Miete erhöht, und wir müssen entscheiden, ob wir es uns leisten können, den Mietvertrag zu verlängern. Es ist nur eine kleine Wohnung im fünften Stock im East Village, ohne Fahrstuhl, und doch können wir sie uns nicht mehr leisten, wenn nicht bald einer von uns einen größeren Geldbetrag erhält. Chad hat ein Vorsprechen für eine besser bezahlte Rolle, aber die Konkurrenz ist so groß, dass niemand sagen kann, ob er überhaupt eine Chance hat. Es ist nur ein Werbespot, nichts, was ihn begeistern würde, aber wir brauchen das Geld.
Heute ist er bei der Eröffnung von Ivans Testament. Aber wir erwarten nicht, dass wir etwas erben werden. Ivan ist als mittelloser Mann gestorben. Er besaß nur sein Apartment, und das wird seine Tochter Dana bekommen.
Habe ich mein Exposé übereilt fertiggestellt, weil ich verzweifelt bin? Möglich.
Die Kellnerin bringt unser Essen, und ich habe plötzlich einen Bärenhunger. Wir langen zu. Die Pizza ist gut, unwiderstehlich käsig-knusprig. Wir schweigen, aber es ist ein entspanntes, kameradschaftliches Schweigen. Obwohl das Gespräch nicht so verläuft wie ich es erhofft hatte, ist da keine Spannung zwischen uns. Wir Schriftsteller wollen eigentlich nur eines hören, nämlich wie brillant wir sind. Alles andere schmerzt ein wenig.
»Du sagtest, es habe Potenzial«, sage ich mit vollem Mund. »Was genau hat dir gefallen? Worauf kann ich aufbauen?«
»Ich mochte die übersinnlichen Elemente«, erklärt er und schiebt sich einen großen Bissen Penne á la Wodka in den Mund. Das gehört zu den Dingen, die ich an Max liebe, seine Leidenschaft für gutes Essen....
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