II
Inhaltsverzeichnis Last auf Last den Berg hinan, den ganzen Winter hindurch, Karawanen mit Lasten, mit Transporten für den Bau des Sanatoriums. Alle Pferde des Kirchspiels waren im Gebrauch, ja, viele kauften Pferde für diese Arbeit und verkauften sie wieder, als Winter und Transporte vorbei waren.
Manche Leute schüttelten den Kopf über diesen gewaltigen Aufwand, aber das waren Leute, die nichts verstanden. Wußten die, was dazu gehörte, um ein Schloß zu bauen? Wieviel Balken und Bohlen, Zement, Nägel, alle Röhren, alle Farbe, alle Dachziegel? Zweihundert Fenster hatte allein das Hauptgebäude, und dazu gab es noch fünf kleinere und größere Häuser: wie viele Lasten Fensterglas gehörten allein dazu! Zu alledem an fünfzig Öfen; wie viele Lasten machten die aus? Und die Einrichtung! Da gab es alle Arten Möbel, Teppiche, Lampen, Bettzeug, Tapeten, Tischzeug, Glaswaren, tausend Dinge, viele tausend Dinge. Zuletzt die Nahrungsmittel; die kamen mit einer neuen Karawane, in Fässern und Kisten, es kamen lebende Tiere, ein ganzer Stall voll Kühe, Schafe und Federvieh. Nun fehlten nur noch Gäste, Patienten; und nach den Eröffnungsfeierlichkeiten kamen auch die.
Was hatte es aber auch gekostet, bis alles fertig war, das Schloß mit Inhalt, all die andern Häuser, die sogenannten Dependancen, und die Wege und Terrassen rings! Man staunte mit offenem Munde, wenn man an all die Kostbarkeit dachte. Das schien jedoch keine Rolle zu spielen, das Unternehmen war gut fundiert: tausend Aktien zu je zweihundert Kronen voll eingezahltes Kapital mit Generalversammlung und Satzungen. Nichts fehlte in dieser Vollkommenheit, und als die ganze Dienerschaft da war, begannen auch Gäste zu kommen, alle Räder fingen an zu laufen, sie liefen immer schneller, oh, so ungeheuer schnell, sie wurden blank, sie wurden wie starrende Augen davon, die Räder, so schnell liefen sie. Die Leute kamen Sonntags vom Kirchspiel herauf, sahen sich um und konnten vor Verwunderung nichts als stillstehen und starren, sie verstanden nicht alles, ihr Maßstab war zu kurz. Noch nie hatten sie so gefährliche Drachen auf dem Dache eines Menschenhauses gesehen, noch nie so viele Säulen auf einmal, und die Säulen trugen eine Galerie über der andern ganz bis zum Dachboden. Und oben auf dem höchsten Dachfirst wies eine kleine Flaggenstange gen Himmel mit ihrer schimmernden Kugel aus Silberglas. Alles in allem hatten diese Häuser, die für die Bauern eigentlich nur ein Traum waren, diese Galerien, die auf Säulen, auf Nadeln standen und sie an ein Streichhölzerspiel erinnerten, keine Schwere und zeigten keine Gesinnung, keinen Charakter. O diese Bauern! Sie legten sich unten im Grase auf den Bauch und meinten, alles, was sie sähen, sei nur ein Traum: es war doch nicht möglich, daß diese Häuser so stehenbleiben sollten? War es möglich, daß Häuser so aus dem Boden herauswuchsen, fertig waren und nachher taten, als sei nichts geschehen? Die gingen ja auf die Leute los. Der Stall hatte eine große Kuppel über dem Dach, aber keine Kirchenglocke darin, der Speicher in nordischem Stil einen Turm, aber keine Mittagsglocke. Diese Glocken waren vielleicht vorgesehen und sollten später kommen? Ach, aber später sollte ja nichts mehr kommen, die Bausumme sei bereits überschritten, hieß es, doch das schien wiederum keine größere Rolle zu spielen, das Torahus-Sanatorium war wohl gut für einige Rechnungen, die nachkamen.
Wie aber die Kirchspielleute unten im Grase auf dem Bauche lagen und guckten, bekamen sie halbwegs den Eindruck, als ob auch die Menschen, die sich um die Häuser und auf den Wegen herumtrieben, nur gedachte Menschen seien. Du lieber Gott, viele waren Schatten, fast keiner war gesund; da gab es Männer mit blauen Nasen, obgleich es nicht kalt war, und dafür wieder ein paar Kinder mit bloßen Knien, obschon es kühl war. Was bedeutete das alles? Da gab es Damen, die hysterisch kreischten, wenn ihnen eine Ameise auf den Ärmel gekrochen war.
Oh, aber Menschen gab es wirklich genug, daran fehlte es nicht. Sie gingen umher, sie sprachen, hatten Kleider an, einige husteten, daß man es weit fort hörte. Einige waren mager wie Gespenster und durften nicht körperlich arbeiten, sondern mußten still in der Sonne sitzen, andere quälten sich mit einer Art Maschine einen Berg hinan, eine sogenannte »Kraftprobe«, um das Fett loszuwerden. Allen fehlte dieses oder jenes, aber Gott hatte es unter ihnen verteilt. Am schlimmsten waren die Nervenschwachen, die hatten alle Krankheiten zwischen Himmel und Erde auf einmal, und man mußte mit ihnen reden, als wären sie Kinder. Frau Ruben zum Beispiel war so dick, daß sie kaum durch die Tür in ihr Zimmer kommen konnte, aber sie nahm es nicht übel, wenn man ihre Korpulenz auf das gewöhnliche Maß reduzierte, ja, sie leugnete geradezu, daß sie besonders dick sei - nein, sie lächelte nur freundlich darüber; wenn aber der Doktor an ihrer Schlaflosigkeit zweifelte, einen Scherz über ihre Nerven machte, dann wurde sie wütend, und ihre Augen glühten. Eines Tages sagte der Doktor beiläufig: es ist merkwürdig, wie Sie sich hier erholt haben, Frau Rüben. Ihnen fehlt nichts mehr! Frau Rüben antwortete nicht, spie aber hinter dem Doktor aus und ging ihres Weges.
Es gab übrigens mehrere, die hinter ihm ausspuckten, die den Mann verachteten, welchen Grund sie nun auch dazu haben mochten. Er war ein Windbeutel. Für so gut wie alles gab er Tropfen und Medikamente, obwohl er wissen mußte, daß sie nicht halfen. Er tat es wohl aus Hilfsbereitschaft und Liebenswürdigkeit, wollte gar zu gern den Wünschen seiner Patienten nachkommen. Da es ja dieser Mann war, der mit Rechtsanwalt Robertson zusammen das ganze Torahus-Sanatorium aus dem Boden gestampft hatte, hätte man Würde und Autorität in seinem Auftreten erwarten sollen; aber nein, er rief schon von weitem: Guten Morgen! und entblößte den Kopf so übertrieben, als wollte er die Gegend mit seiner wehenden Hutfeder fegen. Und man darf ja nicht glauben, daß er es aus Neckerei tat, nein, es war lauter Freundlichkeit und Familiarität. Viele wandten sich schon vorher ab, um dieser aufdringlichen Höflichkeit zu entgehen, aber es half nichts, der Doktor rief hinter ihnen her. Er wollte auch so gern witzig sein und fein und ehrbar spaßen, und dabei fiel es so unbeholfen aus: nein, er war ein braver Bauernjunge, der studiert hatte. Aber kein Zweifel, er meinte es gut, das zeigte er in seiner Sorge um die Patienten. Wer war ein so seelenguter Allerweltsfreund wie er! Oft übertrieb er und machte sich selber klein, um andern zu dienen, ja, andern zuliebe konnte er sogar die Bedeutung seiner Stellung als Arzt verwischen und etwa sagen: Dies oder jenes Übel können Sie, Herr Bertelsen, bei Ihrer Bildung und Intelligenz leichter durch Massage kurieren, als ich es mit meinen Tropfen kann. Konnte ein Arzt so etwas sagen, ohne dabei zu verlieren? Die Folge war, daß Herr Bertelsen, der an die Tropfen glaubte, aufhörte, an den Arzt zu glauben. Doktor Öyens Fehler war, daß er zuviel redete, er verhielt sich nicht schweigend und geheimnisvoll: einen Doktor muß man mit Aberglauben betrachten, er soll verstehen lassen, daß er ein Teil mehr kann als sein Vaterunser, aber was ließ Doktor Öyen verstehen!
Eines Tages kamen ein Herr und eine Dame aus dem Walde zu Hause angelaufen, und der Herr war Herr Bertelsen, die Dame Fräulein Ellingsen, eine hübsche, hochgewachsene Dame, die sich nur ein wenig am Telegraphentisch überanstrengt hatte. Dieses Paar kam also angelaufen und suchte nach dem Doktor. Herr Bertelsen war etwas knurrig: Wenn man wirklich einmal den Doktor braucht, so ist er nicht zu finden! Herr Bertelsen schien Eile zu haben, er hielt das Taschentuch an die eine Backe, jammerte ein bißchen und war augenscheinlich ängstlich. Eine Ameise hatte ihn gebissen! sagte jemand spöttisch. Als Herr Bertelsen endlich den Doktor fand, war es nicht eine Ameise, die ihn gebissen, sondern eine Hutnadel, die ihn in die Backe gestochen hatte, Fräulein Ellingsens Hutnadel! Es sah gefährlich, tödlich aus, die Backe war auf das Doppelte angeschwollen, das Fräulein verzweifelt. Ach, es ist Blutvergiftung! jammerte sie.
Lassen Sie mich sehen! sagte der Doktor. Mit der Hutnadel, sagen Sie? Ach was, dann ist es nichts!
Doch, es ist bestimmt Blutvergiftung, behauptete die Dame.
Statt nun eine mystische Arztmiene aufzustecken und um Säuren, Pinsel und Watte nach der Apotheke zu laufen, lachte der Doktor über die Geschichte und sagte zum Patienten: Gehen Sie zum Bach hinunter, Herr Bertelsen, und spülen Sie sich Ihre Backe mit kaltem Wasser. Sie können es aber auch ebensogut lassen, die Schwellung gibt sich in einem Tage von selbst.
Das hieß nun wirklich, die Sache recht leicht nehmen, Herr Bertelsen war enttäuscht und wollte ungern umsonst Angst verraten haben; er fragte: Ist es denn ganz ausgeschlossen, daß es Blutvergiftung sein kann? Wenn es geschwollen ist? Ich meine, die Spitze der Nadel -?
Vollkommen ausgeschlossen! Und nun stach Doktor Öyen wieder der Hafer, er mußte sich produzieren und sagte: Ich glaube nicht, Fräulein Ellingsen, daß an Ihnen etwas Giftiges ist, Sie sehen nicht so aus!
Wäre er nun still gewesen, so würde vielleicht noch alles gut für ihn gegangen sein, aber er mußte seinen Geist verwässern und machte die Hutnadel zu einem von Fräulein Ellingsen abgeschossenen Amorpfeil. Es wurde immer unmöglicher, das mitanzuhören, und Herr Bertelsen wandte sich an seine Dame und sagte: Ich will doch Borwasser drauflegen.
Nein, das ist nicht nötig, sagte der Doktor. Er begann den ganzen Fall zu erklären: es wäre jedenfalls die Blutstauung, die die Schwellung verursachte, aber das Blut läge dicht unter der Haut. Wenn...