Schweitzer Fachinformationen
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Ich muss mir immer wieder vor Augen führen, dass manche Vögel nicht dazu bestimmt sind, im Käfig zu leben. Ihr Gefieder ist einfach zu bunt. Und der Teil von dir, der weiß, dass es eine Sünde war, sie einzusperren, freut sich, wenn sie wegfliegen. RED (MORGAN FREEMAN), DIE VERURTEILTEN
Wer seine Leiche im Keller nicht loswird, bringt ihr am besten das Tanzen bei. GEORGE BERNARD SHAW, UNREIF
Jedes Mal, wenn ich gebeten werde, über das Thema Dekonstruktion zu sprechen, versuche ich im Vorfeld so viel wie möglich zu recherchieren, um herauszufinden, wer im Publikum sein wird. Wenn ich weiß, aus welcher Prägung die Christen kommen, die mir zuhören werden, hilft mir das, mögliche Einwände vorherzusehen. Die Dürftigkeit unserer Lehren wird in der Regel deutlich, wenn wir über Themen wie eine Reform des Christentums, verletzende Gemeindekulturen, geistlichen Missbrauch und darüber sprechen, warum wir auf Kritiker hören sollten. Zum einen mag das daran liegen, dass wir nicht glauben wollen, dass solche Scheußlichkeiten im Namen Gottes geschehen sein könnten. Zum anderen daran, dass wir, sollten wir diese Dinge als wahr anerkennen, zugeben würden, dass wir zu dem Problem beigetragen haben könnten. Wie auch immer, die einzelnen Bereiche der Dekonstruktion scheinen oft ein Tabuthema zu sein.
Für eine Veranstaltung wurde ich gebeten, einen einstündigen Vortrag unter der Überschrift »Heilige Dekonstruktion« zu halten. Die Veranstaltung fand in Nordkalifornien statt, wo man vernünftigerweise davon ausgehen kann, dass die Menschen über den Horizont ihrer eigenen Sichtweise hinausblicken - zumindest dachte ich das. Manchmal stelle auch ich Vermutungen darüber an, wie konservativ oder progressiv jemand ist, je nachdem, wo er wohnt. Ich hatte jedoch einen Saal voller Pastoren vor mir, und wie Upton Sinclair es ausdrückt: »Es ist schwierig, jemanden dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht!«9
Da ich aus dem klimatisch extremeren Inland im Mittleren Westen kam, war ich überrascht, so viele Pastoren in Shorts oder Badehosen im Saal anzutreffen. Der Moderator las die kurze Zusammenfassung des Themas vor, die ich ihm einige Wochen zuvor geschickt hatte, was mir genug Zeit gab, mein Handy auszuschalten und einen Kaffeefleck auf meiner Hose zu bemerken, als ich nach vorn ging. Ich sprach vierzig Minuten lang darüber, inwiefern eine dekonstruierende Denkweise (in ihrer reinsten Form) mit der Denkweise von Jesus verwandt sein kann. Sobald mein Vortrag zu Ende war und die Fragerunde begann, schoss eine Hand aus der ersten Reihe in die Höhe wie eine Kugel aus dem Lauf. Leuten, die in der ersten Reihe sitzen und mutig genug sind, Fragen zu stellen, gehört immer meine Hochachtung.
»Danke, dass Sie hier sind«, begann der Fragesteller herzlich. Die Ruhe vor dem Sturm. »Dieses ganze Thema der Dekonstruktion erinnert mich an die Frage der Schlange an Eva: >Hat Gott das wirklich gesagt?< Im Grunde empfehlen Sie den Menschen, Gottes Wort infrage zu stellen. Das ist die älteste Sünde überhaupt! Sie sagen uns, dass es gut ist, unseren Glauben zu dekonstruieren? Ich habe Jugendleiter, die das gerade tun, und es bringt sie dazu, die Bibel infrage zu stellen. Wie soll ich ihnen beim Dekonstruieren helfen, wenn es dazu führt, dass sie das infrage stellen, was die Bibel meiner Überzeugung nach sagt?«
Ich wollte gerade antworten, als ich merkte, dass das Verhör noch nicht zu Ende war. Der Mann fuhr fort: »Glauben Sie nicht, dass diese Dekonstruktionsmethode gefährlich ist, wenn sie dazu führt, dass die Jugendleiter die Bibel anders sehen? Wie können sie in unserer Gemeinde mitarbeiten, wenn wir nicht dasselbe glauben?«
Und zum Schluss stellte er eine Frage, die ich nie vergessen werde: »Was, wenn wir den Menschen beibringen, die Bibel durch die Brille Jesu zu lesen, und das dazu führt, dass wir alle unsere Meinung über die Aussagen der Bibel ändern?«
Ich muss sagen, ich habe selten eine so ehrliche, ungefilterte Frage gehört. Ich habe damals nicht vollständig erklärt, welche Auswirkungen diese Frage wirklich hat, aber ich habe mein Gegenüber wissen lassen, dass er den Sinn des Vortrags eindeutig verstanden hatte. Nichtssagende Antworten zu geben und ein paar einschlägige Bibelstellen zu zitieren, ist nicht die Antwort. Wir müssen bereit sein, den Menschen zu helfen, herauszufinden, was Jesus zu den Themen gesagt hat, mit denen sie ringen. Das bedeutet, dass wir bereit sein müssen, in diesem Prozess unsere eigene Interpretation der Bibel loszulassen.
Vielleicht fängst du dieses Buch mit dem gleichen Misstrauen und der gleichen Besorgnis wie mein Zuhörer aus der ersten Reihe an. Darf ich dir in diesem Fall eine neue Herangehensweise vorschlagen? Was, wenn die ultimative Tragödie nicht darin besteht, dass ein verlorener Mensch in die Hölle kommt, sondern darin, dass ein Christ dazu beigetragen hat, dass er dorthin kommt, indem er seine Neugier, seinen Geist des Wissen-Wollens, unterbunden hat?
Vielleicht glaubst du nicht, dass Jesus den Prozess einer heiligen Dekonstruktion gutheißen würde. Dann könnte es helfen, sich anzuschauen, inwiefern die Version des christlichen Glaubens, die dir so viel bedeutet, das Ergebnis von Dekonstruierenden ist, die dir vorangegangen sind. Die »Wolke der Zeugen« bezeugte etwas ganz anderes als die Erscheinungsformen der Religion ihrer Zeit.
Was, wenn die Dekonstruktion von Religion zu unserem geistlichen Erbe gehört? Wenn sie sozusagen zu unserer geistlichen DNA gehört?
Wenn wir unsere Religion oder unseren Glauben dekonstruieren, dann hinterfragen wir nicht, was Gott gesagt hat. Wir hinterfragen das, von dem andere sagen, dass Gott es gesagt habe.
Wir leben in einer historischen Zeit! Ich meine damit nicht, dass sich künftige Generationen an sie in besonderer Weise erinnern werden (vielleicht auch das). Ich meine, wir sind an einem Punkt, an dem wir schon einmal waren.
Wenn du dich jemals mit den Faktoren beschäftigt hast, die zu früheren Reformationen und Reformbewegungen in der Kirche führten, wirst du festgestellt haben, dass vieles davon sich ähnlich anhört wie das, was wir über die Dekonstruktionsbewegung unserer Tage hören. Vielleicht klingt eine der folgenden Beschreibungen vertraut:
Kirchenvertreter befürchten, wenn Menschen selbst die Bibel auslegen dürfen, könnten sie auf Abwege geraten. Die Infragestellung der Lehre geht von Leuten aus, die ihr Leben der Religion verschrieben haben. Es sind neue Ressourcen und Plattformen entstanden, um die Verbreitung solcher Nachrichten zu beschleunigen. Die Vertreter der etablierten Kirchen diskreditieren die Stimmen, die nach einer radikalen Reformation verlangen - einer Veränderung, die uns einen Gott wiedergibt, der Jesus ähnlich ist.
Wenn du das liest und Protestant bist, beschreiben diese Sätze die Geschichte deiner Vorfahren, nicht die deiner Gegner.
Es sind uralte Echos aus einer Zeit Jahrhunderte vor uns.
Es ist der Klang deines geistlichen Exodus.
Wenn man nur fünfhundert Jahre zurückblickt, stößt man auf eine Gestalt, die die Landschaft des Christentums radikal verändert hat. Bis ins 16.?Jahrhundert hüteten die Vertreter der Kirche ihr alleiniges Recht, die Bibel auszulegen, um ihre Finanzen, Traditionen und Machtstrukturen zu stärken?. bis ein unbekannter Mönch beschloss, das alles infrage zu stellen. Du nennst ihn vielleicht einen Reformator. Ich bezeichne Martin Luther gerne als einen Dekonstruierenden.
Vom 6. bis zum 16.?Jahrhundert war der römische Katholizismus die vorherrschende Form des Christentums. Es ist fast unmöglich, den Umfang der kirchlichen Macht während des Mittelalters zu überschätzen. Die Rolle des Priesters in der Gesellschaft wurde bei fast jeder Gelegenheit betont. Sie tauften die Menschen schon als kleine Kinder. Sie nahmen den Menschen die Beichte ab. Sie legten die Verfahren fest, die Paare durchlaufen mussten, um zu heiraten, und sie vollzogen die Trauungen. Sie waren am Krankenbett anwesend, um das letzte Geleit zu geben. Zu den weiteren Aufgaben der Priesterschaft gehörten die Verteilung von Almosen an die Armen und die Bereitstellung von Bildungsangeboten. Auf dem Höhepunkt ihrer Vorherrschaft besaß die Kirche mehr als ein Drittel des Bodens in Europa, was sie zur mächtigsten wirtschaftlichen und politischen Kraft auf dem Kontinent machte. All dies klingt, als könnte der römische Katholizismus die Grundlage für den größten Akt der Nächstenliebe in der Weltgeschichte gewesen sein. Bis man die Faktoren Macht und Geld hinzunimmt. Zur Zeit Martin Luthers wurde beides durch etwas erworben, was man Ablässe nannte, und der Handel damit war die umtriebigste und lukrativste Unternehmung der institutionellen Kirche.
Ein Ablass war ein teilweiser oder vollständiger Erlass der Sünden, für den ein bestimmter Geldbetrag gezahlt wurde. Oftmals war er mit dem Versprechen verbunden, die Zeit einer Seele im Fegefeuer zu verkürzen. Mit anderen Worten: Die Priester fungierten als Wächter über das ewige Schicksal jedes Gläubigen. Ich kann mir nichts vorstellen, wofür ich mehr Geld ausgeben würde, als dafür, meine Seele in Ewigkeit in Sicherheit zu wissen. Du fragst dich vielleicht, warum sich die Menschen mit einer solch abwegigen Auslegung der Bibel abgefunden haben. Beichtstühle und Ablässe basierten auf der Auslegung der Heiligen Schrift durch den Papst. Da die Bibel noch nicht ins Deutsche oder in eine andere damals gebräuchliche...
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