Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Liebes Tagebuch!
Ein Seufzen entweicht meinen Lippen. Es ist nicht dieses Seufzen oder höhnische Stöhnen, wenn man am Bahnsteig steht und die Durchsage kommt, dieser oder jener Zug habe 30 Minuten Verspätung. Es ist mehr ein zufriedenes In-sich-zusammensacken-Seufzen. Ein behagliches, glückliches, leises Seufzen.
1.5.2020! Getöse der Intoleranz, Polonäse des Irrsinns, sprich die Hochsaison ist noch einige Tage entfernt. Immer noch liegt ein wenig die Schläfrigkeit eines schweren Winters über der Frühlingslandschaft. Auf den Tag genau seit 10 Jahren wohne ich nun an diesem herrlichen Fleckchen Erde. Nordsee - Oase des Reflektierens, Spielwiese für die Sinne. Vor 10 Jahren bei Google eingetippt: »Hygge«. 41400000 Ergebnisse. Heute, nach einem intensiven Integrationsprozess, weiß ich, was Hygge bedeutet. Ich befreite mich von meinem eingefahrenen Alltag als Sozialarbeiter - die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe. So weit hätte mich meine Vorstellungskraft nie getragen. Ich habe die letzten Jahre meinen eigenen Dopaminhaushalt per kulturell staatlich vorgeschriebenen Glücksvorstellungen auf Trab gebracht. Cant't get any better than this, sagt der Amerikaner, wenn alles perfekt ist. Hvide Sande - ein filmreifes Fleckchen Erde. In dieser Welt leben knapp 3500 Einwohner, die sich auf vier Namen verteilen: Andersen, Jensen, Iversen und Kristensen. Lebt man in der Großstadt, lebt man zu seiner Unterhaltung, auf dem Lande zur Unterhaltung der anderen. Willkommen in der Romanwelt von Rosamunde Pilcher. Ein großartiger Moment, um kurz in sich zu gehen, die Zeit anzuhalten und sich zu fragen: Was bringt wohl das neue Jahrzehnt, was kommt in der nächsten Dekade?
Ich bin nun 10 Jahre der dänischen Kultur ausgesetzt, seit über einem Jahrzehnt habe ich die Möglichkeit erhalten, die Welt durch die dänische Brille zu betrachten. Vorsicht: Das kann Ihre gesamte Weltsicht verändern. Gerne möchte ich Ihnen auf den folgenden Seiten diese Brille anbieten.
Hvide Sande, diese Stadt hat sich im Westen Jütlands eingenistet. Irgendwie ein ungewöhnlicher Ort, überwiegend Nutzarchitektur. Hvide Sande schön zu finden erfordert Mühe. Drei Dinge erwarten die Besucher von einem dänischen Fischerdorf: Kutter, Windräder und einen Leuchtturm. Hvide Sande erfüllt alle diese Anforderungen. Der Nr. Lyngvig Leuchtturm ist so etwas wie das Wahrzeichen des Dorfes, von Weitem erinnert er an eine Rakete mit Startrampe, eine Art Cape Canaveral des Holmsland Klits. Der Leuchtturm steht auf einer 17 Meter hohen Düne und ist 38 Meter hoch, oben lässt man sich ein laues bis weniger laues Lüftchen um die Nase wehen und erlebt einen magischen Blick auf die schönste Sandbank der Welt. Zur linken Seite der Ringkøbing Fjord, zur rechten Seite die Nordsee, vor Kopf ragen drei Windräder empor.
Sitze ich im Café, tue ich so, als wäre ich ein Einheimischer - sitze, starre, trinke starken Kaffee, füge mich ein in dieses seltsam langsame Leben. Blicke schweigend durch die vom salzigen Wind zum Teil matt gewordenen Fenster in die Landschaft, ich genieße diese Art Stille, die hier zum Lärm wird, weil es nicht viel gibt, das meine Ohren ablenkt. Es ist ein eigenes Gefühl, eine eigene Landschaft, eine eigene Welt - es ist meine Welt. Hvide Sande und Westjütland sind die Gründe, warum es dieses Buch gibt, es sind Sehnsuchtsorte, Hvide Sande ist, und das möchte ich kurz betonen, bevor wir uns gemeinsam in dieses Kapitel stürzen, mein Lieblingsort in diesem wunderbaren Land.
Mitunter werde ich gefragt, wie aktiv man sein muss, um all die Geschichten rund um Dänemark zu erleben, dass man damit Hunderte von Seiten füllen kann. Ich habe immer das Gefühl, ich müsste nichts weiter tun, als einfach nur da zu sein, das Rohmaterial sind die Unterhaltungen der »einfachen Leute«. Ich tue im Grunde nichts anderes als hinzugehen, zuzuhören und die Dinge aufzuschreiben. Teilweise fliegen die Geschichten mir zu, teilweise liegen die Geschichten auf der Straße und bitten nur darum, aufgeschrieben zu werden. Manchmal habe ich das Gefühl, Dänemark entscheidet selbst, was es mir erzählt. Inspiration findet man nach einer Auswanderung ständig - im Alltag. Es kommt mir zugute, dass mein Alltag teilweise so aufregend ist wie woanders ein Abenteuerurlaub. Nun gut, im Umgang mit Dänen war ich schon immer sehr an Kommunikation interessiert und geradezu besessen von Geschichten. Irgendwann entsteht ein gewisser Stau im Oberstübchen. Diesen Stau gilt es abzuarbeiten, zu bürsten und zu polieren.
Mehr denn je freuen wir uns auf den kommenden Touristenansturm.
Die letzten Monate wurden wir hier alle auf eine große Probe gestellt. Wenn uns hier was ausbremst, dann ein Öltanker, der vor der Westküste auf Grund läuft oder in die Jammerbucht rast. Haben wir zumindest immer gedacht. Aber eine Pandemie?
Bakterienüberfüllte Türklinken, virenschleudernde Menschenmassen, niesende Mitbürger aus der Ferne sowie Mitbürger, deren Atem ich an der Supermarktkasse im Nacken spüre, waren schon immer ein Gräuel für mich. VIVA Corona, so trostlos wie eine Skatrunde mit nur zwei Spielern! Warum hat das Unglück immer mehr Fantasie als das Glück? Über Nacht stellt ein Virus unseren Alltag auf den Kopf. Der Corona-Wahnsinn zwang die Welt zu einer kollektiven Vollbremsung. Zwei Meter Abstand - die Dänen konnten es sehr schnell nicht mehr hören, weil sie endlich wieder zu den gewohnten vier Metern zurück wollten. Corona-Pandemie - was für eine absurde gesellschaftliche Großwetterlage.
Auch wir waren betroffen, die Reisebranche bekam die volle Breitseite. Anstatt Buchungen vorzunehmen, flatterten Stornierungen im Minutentakt herein. Ich fühlte mich urplötzlich wie im Call-Center, nur mit besserer Bezahlung. Nichts an dieser Krise war gut außer der Erkenntnis, dass man Krankenhäuser nicht wie Wirtschaftsunternehmen führen sollte. Zumindest musste ich in Hvide Sande keinem älteren Herrn in den Bauch boxen, um noch die letzte Rolle vierlagiges Toilettenpapier zu ergattern. Was ein Wahnsinn - dass »weiße Gold« als neues Statussymbol. Bei uns konnte man auch zu Corona-Hochphasen Toilettenpapier noch sicher im Fahrzeug liegen lassen. Vielleicht wohne ich schon zu lange in Dänemark, aber diese Hamsterkäufe bezüglich dieser Endlos-Serviette habe ich zu keiner Sekunde verstanden. Mit Sicherheit war diese Pandemie eine perfide Erfindung von Herstellern von Toilettenpapier. Was für eine Zeit! Virologen wurden die neuen Influencer, Planbarkeit war gestern. Bloß nicht zu nahe kommen, jede Herzlichkeit kann killen. Jeder legte sich ein Corona-Survival-Kit parat, ich zum Beispiel die Sechser-DVD-Box »Alles Atze«. Obwohl ich zugeben muss, zu Hause gammeln, DVDs gucken und Essen bestellen - das war für mich jetzt eher weniger der klassische Ausnahmezustand. Kurzfristig dachte ich an ein freiwilliges asoziales Jahr. Erinnerungen an früher wurden geweckt, als es darum ging, während dieser Corona-Festspiele die Haare zu kürzen. Ich nahm im Badezimmer Platz und entschied mich für den klassischen Topfschnitt. Meine Dänin nutzte eine Schüssel als Schablone, ihre Schneidetechnik würde ich mal als eher unorthodox beschreiben, aber es hätte schlimmer kommen können als diese Notfrisur. Auch in diesem schwierigen Augenblick war unsere Philosophie, unser Wesen darauf ausgerichtet, die Zeit so gemütlich und mit so vielen Lachfalten wie möglich zu verbringen. Auch privat hielt Corona fortwährend Einzug in unseren Sprachgebrauch. »Schatz, ich könnte noch einen kleinen Snack vertragen.« Leni: »Wenn die Waage bei dir wieder eine stabile Inzidenz von unter 70 anzeigt, sind auch wieder Öffnungen des Kühlschranks nach 18 Uhr erlaubt!« Dennoch, lieber Gott, gib uns bitte unsere Probleme von gestern wieder! Mein Elternhaus hat mich gelehrt, das Beste aus jeder Situation zu machen. Selbst aus einer so ausweglosen wie dieser Pandemie. Es hat auch sein Gutes. Ich muss nur noch herausfinden, worin es besteht.
Das Corona-Virus hatte mitunter auch in Dänemark kuriose Auswirkungen. Däne werden ging in diesem Moment nicht. Sämtliche Einbürgerungszeremonien wurden abgesagt, da das Gesetz vorsieht, dass Neubürger bei der Zeremonie die Hand eines Beamten schütteln müssen. Der Gesetzestext von 2019 erklärt den Händedruck zum zentralen Ausdruck dänischer Identität und verpflichtet einen jeden Neubürger, während der Einbürgerungszeremonie einem dänischen Beamten die Hand zu schütteln. Damit signalisiert der Neubürger, dass er »die Dänischen Werte« angenommen hat. Nackte Haut auf nackte Haut, natürlich eine Steilvorlage für das Corona-Virus. Das Gesetz sieht eindeutig vor: Handinnenfläche an Handinnenfläche, ausdrücklich ohne Handschuhe. Da ist der Däne konsequent, obwohl man natürlich die Frage stellen könnte, inwiefern die dänischen Werte an einen Handschlag gebunden sind.
Wir alle befanden uns in diesen Monaten in einem gewaltigen Knobelbecher. Wurden durchgeschüttelt und keiner wusste, wie wir wieder herausgewürfelt werden. Es war keine einfache Zeit, hätte aber auch schlimmer kommen können. Vor der Corona-Krise wurde mir teilweise alles zu viel: Überall grüßt abendlich Klima-Greta, Großbritannien schreibt an seiner eigenen Seifenoper, Diskussionen über Diesel und Energiewende, FFF sorgt für Wirbel und viele ausgefallene Schulstunden, das EU-Parlament mit zwei Sitzen, deren Abgeordnete ständig zwischen Straßburg und Brüssel hin und her pendeln, ruft den Klimanotstand aus, heimliches, eigenmächtiges und voreiliges Abschließen von Mautverträgen mit privaten Firmen, was den deutschen Steuerzahler...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.