Schweitzer Fachinformationen
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»Wer mich betrügt, wird meine furchtbarste Rache kennenlernen, wer mir nicht gehorcht, wird verflucht sein, im Feuer verbrennen, sich in Schmerzen winden.«
Tobias hatte die Zeilen in der Ecke rechts unten auf dem Zeus-Bild, die wie eine Signatur des Künstlers wirkten, laut vorgelesen.
»Wir haben uns getäuscht, Chef. Der Mann wurde nicht geopfert, er wurde bestraft, weil er Zeus nicht gehorcht hat. Und zwar vom Hauptgott persönlich.«
»Unsinn, wer glaubt denn heute noch an Zeus?« Yıldız war dabei, die Taschen der hellgrünen Sommerjacke an der Garderobe zu filzen.
»Keine Ahnung, aber das ergibt sich aus dem Text.« Tobias widmete sich erneut den Zeilen.
Yıldız blieb die Antwort schuldig, denn sie hatte in der Jackentasche einen Ausweis gefunden. Ausgestellt auf Cemal Ölmez, geboren in Berlin.
»Das Opfer ist türkischer Herkunft, merkwürdig .«
Ihren Assistenten beeindruckte der Hintergrund des Opfers wenig, aber für Yıldız schien dieses Detail von Bedeutung zu sein. Bei Kapitalverbrechen mit Beteiligung von Türken waren Inszenierungen dieser Art nicht üblich. Es ging dann eher um Schuldeneintreibung, Eifersuchtsdramen, Erbsachen, bei denen Täter und Opfer feststanden. Wirklich merkwürdig. Sie wandte sich dem Tisch mit dem Computer zu. Die Musik dröhnte immer noch in voller Lautstärke, wie an den Blutgeruch hatten sie sich auch an den Krach bereits gewöhnt. Neben der Tastatur lagen Zettel mit Bleistiftzeichnungen menschlicher Gesichter. Die Skizzen gehörten vermutlich dem Opfer, die Gesichter aber schienen nicht aus dieser Zeit zu sein.
»Wer mich betrügt, wird meine furchtbarste Rache kennenlernen«, wiederholte Tobias gleichgültig. »Der Obergott hat eine tolle Handschrift, schau mal, wie schön diese Buchstaben sind.«
Die Zeichnungen in der Hand, drehte Yıldız sich zu ihrem Assistenten um.
»Ist das mit der Hand geschrieben?«
Tobias stieß beinahe mit der Nase gegen die Wand, so nah beugte er sich zu dem Schriftzug heran.
»Sieht so aus.« Er war unschlüssig. »Oder doch nicht?«
Yıldız legte die Blätter auf den Tisch und trat ihrerseits an das Bild heran. Vom Overall behindert, beugte sie sich herunter und musterte die Buchstaben, die zwischen die vorderen Beine des Throns gequetscht waren.
»Nee, tut mir leid, Toby, Zeus hat das nicht geschrieben. Das ist ein Computerausdruck. Der Mörder hat es ausgeschnitten und sorgfältig unten auf das Gemälde geklebt.«
Als sie sich aufrichtete, fiel ihr Blick erneut auf das Opfer. Ein Mann in den Dreißigern, hübsches Gesicht, der Tod hatte ihm das gute Aussehen noch nicht genommen. Die großen schwarzen Augen starrten weiter an die Decke. »Viel zu ruhig«, befand Yıldız. »Kein Ausdruck von Angst oder Entsetzen. Die müssen ihn betäubt haben, bevor sie ihm das Herz rausschnitten. Er hat nichts gemerkt.« Sie freute sich für das Opfer, konnte aber das Grauen, das bei seinem Anblick in ihr aufstieg, nicht unterdrücken. Furchtbar! Zusehends wurde das Herz in den großen Händen des jungen Mannes dunkler, gleich einer welkenden roten Blüte, immer weniger Blut tropfte zwischen den Fingern auf seine Brust. Die Leiche erkaltete rasch.
Yıldız bückte sich, untersuchte die leere Fläche zwischen der Wand und dem leblosen Körper, checkte Kopf- und Fußende, fand aber nicht, wonach sie suchte.
»Ist dir das Mordinstrument untergekommen?«, fragte sie ihren Assistenten. »Hier wurde ein regelrechter chirurgischer Eingriff vorgenommen.«
Tobias war immer noch mit dem Text an der Wand beschäftigt.
»Äh, was hast du gesagt, Chef? Nein, ich hab nichts gesehen.« Nun beäugte auch er die zerfetzte Brust des Opfers. »Ein Messer, oder?«
Yıldız blickte durch den Raum. »Ein Messer oder ein Skalpell, und da muss noch mehr sein«, vermutete sie. »Mit einem scharfen Werkzeug allein nimmst du niemandem das Herz raus. Erst müssen die Rippen geöffnet werden. Wahrscheinlich wurde er betäubt. Oder unter starke Drogen gesetzt. Liegt hier irgendetwas herum, das darauf hindeutet?«
Tobias scannte das Zimmer, konnte aber weder ein Messer entdecken, mit dem man einem Menschen die Brust von einer zur anderen Seite hätte aufschneiden können, noch Ampullen oder Infusionsbeutel. Dafür blieb sein Blick am Bücherregal hinter dem Tisch hängen. Er trat näher und schaute sich die Bücher an. Allesamt Bücher über Kunst. Er las die Namen Picasso, Dalí, van Gogh.
»Der Tote muss Maler gewesen sein, Chef. Und er hat wohl auch den Zeus gemalt.«
»Denke ich auch, Toby.« Yıldız musterte den Göttervater. »Ich verstehe nichts von Malerei, aber das ist nicht schlecht gemacht.«
Ihr Assistent riss übertrieben die Augen auf.
»Nicht schlecht gemacht? Was sagst du da, Chef, das ist fantastisch! Ich krieg nicht mal ein Strichmännchen hin.«
Yıldız lächelte in sich hinein, bevor auch sie sich dem Bücherregal zuwandte.
»Otto Dix, Rivera, Chagall, Monet, Gauguin, Cézanne«, las sie voller Bewunderung. »Alle großen Maler sind hier vertreten. Ja, Toby, das Opfer war zweifellos Maler.« Auf einem der Bücher auf dem untersten Regal stach ihr das Wort Computer ins Auge. »Hier sind auch Bücher über Computer. Alles technische Sachbücher, die nichts mit Kunst zu tun haben. Das Opfer hatte ein breites Interessengebiet.«
Da klingelte es. Offenbar war jemand an der Tür. Sie lauschten aufmerksam. Nein, es war ein Telefon. Doch weder Yıldız' Handy noch das ihres Assistenten klingelte mit diesem Ton. Sie wechselten einen Blick und wandten sich dem Tisch zu. Ein Telefon lag nicht darauf. Tobias zog die oberste Schublade heraus, richtig, da lag es. Zwischen allerlei Krimskrams vibrierte ein Handy. Tobias griff zu. Auf dem Display stand Rafael.
»Hallo?«
»Hi, Cemo!«, antwortete eine Männerstimme, zögerte dann aber. »Cemo? Cemo, bist du das?«
»Nein, ich bin nicht Cemal«, erwiderte Tobias barsch. »Wer sind Sie?«
»Wo ist Cemal?« Die Stimme klang verändert.
»Kommissar Tobias Becker hier, sagen Sie mir bitte, wer Sie sind.«
Am anderen Ende entstand ein kurzes Schweigen.
»Kommissar? Ist etwas passiert?«
Tobias wurde lauter. »Sagen Sie mir bitte, wer Sie sind? In welcher Beziehung stehen Sie zu Cemal?«
»Rafael Moreno«, sagte die Stimme zögernd. »Ich bin ein Freund von Cemal.«
»Warum haben Sie Cemal angerufen?«
»Wir malen zusammen, Mauerbilder. An den Wänden der besetzten Häuser in der Köpenicker Straße. Da wollten wir heute Abend weitermachen, aber er ist nicht gekommen. Es ist doch nichts Schlimmes passiert, oder?«
Tobias reagierte mit einer Gegenfrage: »Warum fragen Sie das? Sollte Cemal etwas Schlimmes zustoßen?«
»Nein, nein, das wollte ich nicht sagen. Cemal ist absolut pünktlich. Wenn er nicht kommt, sagt er Bescheid. Ich hab mir Sorgen gemacht, weil er nicht Bescheid gesagt hat. Daher meine Frage. Es ist doch wirklich nichts, oder, Cemal geht's gut, oder?«
Tobias überging die Besorgnis des Anrufers.
»Wann haben Sie Cemal zuletzt gesehen?«
Der Mann am anderen Ende überlegte kurz.
»Vor zwei Abenden. Er hat uns besucht, wir haben zusammen gegessen.« Wieder Schweigen. »Was ist mit Cemal passiert? Warum sagen Sie es mir nicht?« Er klang aufmüpfig.
»Es tut mir sehr leid, Herr Moreno«, erklärte Tobias endlich. »Cemal ist tot. Er wurde ermordet, heute Abend, den oder die Mörder kennen wir noch nicht.«
»Was? Was sagen Sie?« Jetzt klang die Stimme des Mannes, der sich als Rafael vorgestellt hatte, entsetzt. »Wie jetzt?«, fragte er kläglich. »Soll das heißen, Cemo ist tot?«
Er brach in Tränen aus und konnte nicht weitersprechen. Tobias hörte, wie der Mann heftig atmete und schniefte. Er wartete einen Moment, doch der Mann konnte sich nicht beruhigen.
»Hören Sie, Herr Moreno, ich muss auflegen. Aber wir müssen mit Ihnen reden, direkt. Wir brauchen Ihre Hilfe. Wir rufen Sie so schnell wie möglich zurück. Mein Beileid, tut mir wirklich leid.«
Er beendete das Gespräch.
»Der Mann ist völlig zusammengebrochen. Wahrscheinlich ein enger Freund. Ein Ausländer, noch nicht lange hier. Also hier geboren ist der nicht, sein Deutsch war ziemlich mies.«
Yıldız fixierte das Telefon.
»Ist das verschlüsselt?«
Mit seinen behandschuhten Fingern tippte Tobias auf das Display des Smartphones.
»Nein.«
»Dann guck doch mal, wen er zuletzt angerufen hat und wer ihn.«
Wieder tippte und wischte Tobias auf dem Display herum.
»Hier. Er hat einen Alex angerufen.« Er hielt der Chefin das Display unter die Nase. »Ein Familienname steht nicht dabei, nur Alex, siehst du? Den hat er um 21.47 Uhr angerufen. Fünf Stunden vorher hat ein Peter ihn angerufen. Die haben eine ganze Weile gesprochen. Keine weiteren Anrufer.«
Yıldız nickte. »Wir überprüfen beide.« Damit wandte sie sich erneut dem Bücherregal zu, betrachtete aber diesmal nicht die Bücher, sondern ein gerahmtes Bild an der Wand. Eine Schwarz-Weiß-Fotografie. Bei einer Grabung aufgenommen, vierzehn Arbeiter mit Schaufel und Spaten, daneben ein Mann mit einem Hut im Kolonialstil. Hinter ihnen Marmorstatuen, Säulentrümmer, riesige Steine. Wo das Foto aufgenommen worden war, konnte Yıldız nicht erkennen. Vielleicht in Troja oder einer anderen antiken Stätte.
»Das Opfer hat sich auch für Archäologie interessiert.«
Ihr Assistent reagierte befremdet: »Der Mann hat Zeus gemalt,...
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