Schweitzer Fachinformationen
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In Kälte, in Dunkelheit, in unablässiger Furcht.
In Kälte, in Dunkelheit, in unablässiger Furcht ich, das Nachttier.
An dunklen Tagen ducke ich mich in mein Loch, grau wie die Wände der mich bergenden Höhlen, gehe in der dunklen Nacht auf Beutezug, die Fleischreste abkratzen vom Skelett der toten Stadt, ihr hartgefrorenes Aas benagen. Husche zwischen Betonfelsen hindurch, durch die Canyons der Straßen, laufe leichtfüßig über Trümmerhalden, ohne Spuren zu hinterlassen, beinahe unsichtbar, geräuschlos und grau, den Stachel in der Tasche, ich weide, kehre dann zurück und füttere wie eine Mutter denjenigen, den ich geliebt habe, schmiege mich in mein Lager, werde eins mit den Wänden, den Lumpen, rolle mich ein neben ihm, wärme ihn mit dem Rest Wärme, den ich in mir habe, wärme ihn wie eine Mutter.
Einen bösen Menschen habe ich geliebt, mein ganzes Leben.
Ich wärme und füttere ihn, dann gehe ich wieder hinaus, und er bleibt, in der Finsternis. Ich erinnere mich hiermals und erinnerte mich damals, in der Kälte, in der Dunkelheit, in der Furcht, wie er bei mir saß, sitzt, ein paar Jahre zuvor, in einer anderen Welt, noch in meinem Bordell, dort wo die Pius-XI. und die Koszykowa aufeinanderstoßen, bei mir saß, nachdem sie 1937 dann doch nicht nach Palästina ausgereist waren, er und diese seine Frau. Nachdem sie zurückgekehrt waren. Nachdem das Flugzeug kehrtgemacht hatte.
Also er saß bei mir, ich erinnere mich, er sitzt, saß nackt auf dem Bett, stützte die Ellbogen auf die Knie und den Kopf auf die Ellbogen. Schwieg zunächst. Dann trank er. Trinkt. Weinte. Donnert mit der Faust gegen die Wand, bis er sich die Knochen der rechten Hand bricht, die Wand blutig gemacht hat, aber er schlägt weiter, zu betrunken, um den Schmerz der Knochen zu spüren, die nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal brachen, da ihm alles weh tat, nur der Körper nicht, ich weiß nicht, ob ich es Herz oder Seele nennen soll, schließlich hat so ein Mensch keine Seele und nur einen Muskel als Herz, trotzdem ist etwas im Inneren, etwas, das nicht Körper ist und doch Mensch, weil es zum Menschen gehört, oder der Mensch zu ihm, dem, was da im Inneren ist, und dieses Etwas tat ihm weh, und um diesen Schmerz zu betäuben, brach er sich die Mittelhandknochen, indem er gegen die Wand schlug, und ich rief den Doktor, der Doktor kam, sah sich die Hand an, er musste ins Spital, dort röntgte der Doktor, richtete ein, gipste, tat alles, was zu tun war, und Jakub kehrt bald darauf zurück und trank weiter, mit vergipster Hand, dann verlor er das Bewusstsein und lag auf dem Bett, nackt und nichts wissend.
Ich liebe, liebte einen bösen Menschen, dachte ich damals, als ich seinen Körper betrachtete, die blaugrauen Tätowierungen und die von dickem Speck überwachsenen Muskeln.
Denkt etwa Frau Goebbels so von ihrem Mann, dass sie einen bösen Menschen liebe? Und liebt sie ihn? Was ist die Liebe, wenn man einen so Bösen liebt? Auch ich bin ein böser Mensch, aber er liebt mich nicht. Das ist die Konstellation zwischen uns, zwei böse Menschen, ich böse, er böse, ich liebe ihn, er aber liebt niemanden, nicht einmal sich selbst, vielleicht macht mich das ein bisschen besser, dass ich in all meiner Verderbtheit, in der ganzen Niedertracht meiner Nicht-Seele, meines Nicht-Herzens, doch immerhin ihn liebe, vielleicht bin ich doch nicht ganz so böse, vielleicht ist etwas Menschenähnliches in mir geblieben, in ihm dagegen nicht, denn er liebt niemanden. Früher einmal hat er sich selbst geliebt, all diese Nippsachen, Pistolen, Taschenmesser und hübschen Anzüge, seine teuren Lederschuhe und Automobile hat er geliebt, mit denen er sich ausstaffierte, weil er mehr sein wollte als nur einer von vielen Warschauer Judenbengeln, kein Juden-Niemand, Stück Scheiße, menschlicher Auswurf, und er hatte kein Nicht-Herz in sich und keine Nicht-Seele, die er irgendeiner Idee opfern hätte können, so wie sein Bruder sich für Palästina opferte und dafür sterben wollte, jedoch starb er nicht für Palästina, sondern für nichts, allerdings durch Jakub, also vielleicht für Jakub; hat er ihm sein Leben hingegeben, vielleicht?
Und Jakub wollte mehr sein als Auswurf, deshalb boxte er, schoss, staffierte sich aus, spazierte, stolzierte, promenierte von der Tlomackie zum Kercelak, lüftete den Hut, lächelte, verbeugte sich, vor wem es geboten war, turtelte, flirtete, Männchen das, Stier der, Vieh, und dann geschah, was geschehen ist, und Jakub liebte sich selbst nicht mehr, also liebte er auch niemand anderen und liegt jetzt hier, in einem Lager aus Fetzen, Decken und Mänteln, einem Lumpenlager, mager, unrasiert, bedeckt von Lumpen, hat seit einer Woche kein Wort in keiner menschlichen Sprache gesprochen, wollte stattdessen schreien, und ich hielt ihm den Mund zu, er ist schwach wie ein Kind, und ich bin bei ihm.
Wenn es mir gelingt, gelang, etwas zu essen aufzutreiben, fütterte ich ihn, manchmal beinahe mit Gewalt. Ich öffne ihm den Mund, legte einen Zuckerwürfel hinein, wartete, bis er sich aufgelöst hat im Speichel, warte, bis er ihn schluckt.
Ich zwinge ihn, sich zu entleeren, zum Glück reichen ein oder zwei Mal die Woche, denn da ist nichts, was auszuscheiden wäre.
Ich sorge dafür, dass er sich nicht einnässt, Kleidung und Bettwäsche nicht vollmacht, denn dann würde er erfrieren.
Und ich denke daran, wie er nackt bei mir saß, sitzt, am Tag, nachdem er sich die Hand gebrochen hatte, immer noch das Jahr 1937, ich denke zurück an all die Nächte, da er in meinem Bett schlief und ich danebensaß und seinen breiten, tätowierten Rücken betrachtete, die Schultern und die Gesäßbacken, und seine Kraft liebte, die Angst liebte, die er auslöste, seine Unbändigkeit, die Trauer liebte, die ihn erfüllte, ihn sogar dafür liebte, dass er mich so sehr in der Hand hatte, ihn dafür liebte, dass er mich für diese Pissnelke verlassen hat, dieses Drecksluder aus gutem Hause, dieses Advokatentöchterchen, verzärtelt, verwöhnt, und es amüsierte mich sogar, dass sie so zugrunde ging, nicht jetzt, aber damals, dieses Püppchen, das sich hätte assimilieren und wie eine normale Polin hätte leben können, so ein hübsches Mädchen, sie ging mit ihm, ja, es amüsierte mich, sogar dafür habe ich ihn geliebt, denn ich hielt sehr wenig von mir, ein Mädchen aus dreckigster jüdischer Gosse, deshalb betrachtete ich das als einen weiteren seiner Erfolge, er nimmt sich so eine, Dämchen aus einer anderen Welt, ihm gelingt alles und auch das.
Das ist nicht wahr. Sogar hier belüge ich mich, wenn auch nur ein bisschen, sogar hiermals versuche ich, mit Lügen ein bisschen von meiner damals verlorenen Würde zu wahren. Ich hasste ihn dafür. Dafür wollte ich ihn töten. Auch sie wollte ich töten, eine Flasche zerschlagen und ihm das Glas ins Gesicht stoßen, in den Bauch, aufschlitzen, Augen auskratzen, das kann ich ja, ich erinnere mich noch immer gut, wie es ist, wenn man diese innere Explosion zulässt. Das weiß ich noch aus dem Gefängnis.
Ich liebte ihn auch damals, hager, mit grauer und rauer Haut, schwach, zitternd, ich liebe ihn, selbst wenn ich ihm den Hintern wische und die dreckigen Papierfetzen für später aufbewahre, als Heizmaterial, ich liebe seine vom Hunger schon geschwollenen riesenhaften Hände, zum ersten Mal seit Kriegsanfang ist er vom Hunger gedunsen, jetzt, erst jetzt, da die Sowjets schon in Praga stehen. Und er hat gedacht, alle anderen würden aufschwemmen, nur er nicht. Höchstens vom Speck, der ihm über den Hosengürtel quoll.
Das Schlimmste ist, dass er nicht aufgedunsen sein müsste. Wir hungern, schon, aber erst seit ein paar Monaten, seit dem Aufstand. Im Ghetto haben wir uns satt gegessen, nach der Großaktion, in den Fabriken, den Szopy, waren wir auch nicht hungrig, aber schon damals verlor Jakub langsam das Interesse am Essen, er wurde immer apathischer, aß immer weniger. So wie später, bei ihr. Er magerte ab. Substanz genug hatte er. Am Ende aß er nur noch, was ich ihm in den Mund schob und zu schlucken beinahe zwang.
Es wird schon dunkel, wurde, man wird den Rauch nicht sehen, also kann ich ein Feuer machen. Ich kann auch so Feuer machen, dass überhaupt kein Rauch entsteht, ich bin ein Nachttier, ein Nachtungeheuer, wenn ich das nicht könnte, wäre ich nicht mehr am Leben, deshalb habe, hatte ich für das nächtliche Feuer nicht qualmendes Brennzeug zurückgelegt, für das Tagesfeuer dagegen besondere, ganz trockene Scheite, deren Rauch sich in unserem Versteck ausbreitet und schon gar nicht mehr zu sehen ist, wenn er nach draußen entweicht. Zu diesem Zweck habe ich mir aus einer alten, rostigen Tonne, die ich aus dem Keller hierhergeschleppt habe, einen Ofen gebastelt, habe darin Ziegelsteine gestapelt, Roste darübergelegt, habe mit einer Feile Öffnungen für Feuerluke und Aschefach gebohrt, habe aus aufgelesenen Rohren einen Schornstein gebastelt, der Zug macht und den Rauch nicht nach draußen leitet, das wäre Selbstmord, sondern in den Flur nebenan, wo er sich ruhig ausbreiten kann, von draußen immer noch unsichtbar.
Ich zerknülle zum Anzünden ein paar Fetzen der «Jüdischen Zeitung» Jahrgang 1942, werfe ein paar vom Schrank abgespaltene Spreißel dazu, zünde an und warte, bis es brennt. Ein wenig wird es ihn wärmen.
«Ich muss gehen, Jakub», sage ich sehr leise. «Ich muss. Rühr dich nicht fort von hier.»
Es ist Zeit. Heute habe ich ihm den letzten Zuckerwürfel aus dem Säckchen gegeben, das ich noch aus der Wohnung dieser polnischen Nutte mitgenommen hatte, die uns versteckte, doch an sie will ich jetzt nicht denken. Wasser habe ich genug, noch mehrere Liter in der Milchkanne,...
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