Schweitzer Fachinformationen
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Ein lauter Seufzer der Erleichterung entfuhr Maud, als sie in den Flugzeugsessel sank. Sie war selbst überrascht, da sie nur selten ihre Gefühle zeigte. Verstohlen linste sie zu ihrem Nachbarn hinüber. Der junge Mann im Anzug stand neben seinem Sitz und war gerade vollauf damit beschäftigt, einen eleganten schwarzen Handkoffer ins Gepäckfach zu zwängen. Trotz ausdauernder Versuche gelang es ihm nicht, das Fach zu schließen. Gut so, vermutlich hatte er ihren kleinen Gefühlsausbruch nicht gehört, der wirklich aus tiefster Seele gekommen war. Die vergangenen Monate waren unglaublich belastend gewesen, doch jetzt schien das Schlimmste überstanden zu sein. Sie konnte sich endlich entspannen und auf einige herrliche Wochen in Südafrika freuen.
Maud würde die gesamte Rundreise in einer Gruppe mit einem Schwedisch sprechenden Guide unternehmen. Sie würden durchs Land fahren und sich diverse Sehenswürdigkeiten anschauen. Übernachtungen in Fünfsternehotels, Abendessen in sterngekrönten Restaurants und nicht zuletzt fünf Nächte in einer exklusiven Lodge im Kruger-Nationalpark inklusive einer Safari, bei der sie die Big Five aufspüren wollten. Darüber hinaus würden sie Weingüter besuchen sowie einen Abstecher an die Grenze zwischen Sambia und Simbabwe machen, um die Victoriafälle zu bestaunen und eine Kreuzfahrt auf dem Sambesi zu unternehmen. Die letzte Woche würden sie in Kapstadt verbringen. Maud war zwar schon zweimal in Südafrika gewesen, doch damals war sie gereist, wie sie es immer getan hatte: allein und mit Übernachtungen in einfachen, aber sauberen Hotels, von wo aus sie die unterschiedlichen Orte per Bus oder Zug aufgesucht hatte. Die Entfernungen in dem weiträumigen Land waren größer, als man meinen könnte, und sie hatte noch nicht einmal einen Bruchteil all dessen gesehen, was sie sich vorgenommen hatte. Und eine Safari hatte sie sich damals nicht leisten können.
Der Gedanke an eine solche Luxusreise war ihr während ihres Aufenthalts an der kroatischen Küste im vergangenen Sommer gekommen. Warum sollte sie sich diesen Traum nicht erfüllen? Sie war jetzt knapp neunundachtzig Jahre alt und bei bester Gesundheit, aber ohne jegliche Erben. Außerdem ließ es sich nicht leugnen, dass das Alter allmählich seinen Tribut forderte. Um ganz ehrlich zu sein, schaffte sie es nicht mehr, ihren Koffer längere Strecken bei drückender Hitze zu tragen, auch wenn sie immer mit leichtem Gepäck unterwegs war.
Das Flugzeug, das sie gerade bestiegen hatte, würde sie von Göteborg nach Kopenhagen bringen. Dort würde sie sich ihrer Reisegruppe anschließen, die mit South Africa Grand Tours nach Südafrika unterwegs war.
Draußen vor den Fenstern des Fliegers war es noch immer stockdunkel. Im Scheinwerferlicht des Flughafens Landvetter sah sie große feuchte Schneeflocken vom Himmel hinuntersegeln, doch sobald sie den Boden erreichten, schmolzen sie in den Pfützen auf den Landebahnen. In drei Tagen war Heiligabend. Wie wunderbar, der Kälte und dem ganzen Weihnachtstrubel zu entfliehen, dachte Maud. Und auch den hartnäckigen Polizistinnen.
Der Gedanke an die beiden Polizistinnen, die vor drei Tagen an ihrer Tür geklingelt hatten, ließ Mauds Puls in die Höhe schießen. Sie hatte nicht damit gerechnet, die beiden wiederzusehen, sondern angenommen, die Ermittlungen wären eingestellt worden. Das groß gewachsene Weibsbild, von dem sie wusste, dass es sich dabei um die stellvertretende Kommissarin namens Irene Huss handelte, hatte freundlich lächelnd darum gebeten, wegen des »bedauerlichen Vorfalls im August« noch einmal ein paar Worte mit ihr wechseln zu dürfen. Hinter ihr stand die jüngere Polizistin, eine Inspektorin namens Embla Irgendwas, ohne eine Miene zu verziehen. Doch ihr eisblauer Blick hatte Maud förmlich durchbohrt, und zwar mit einer solchen Intensität, dass sie unfreiwillig einen Schritt zurückgewichen war. Dies hatten die Polizistinnen umgehend als Einladung aufgefasst, und ehe sie sichs versah, standen die beiden auch schon in ihrem Flur.
Maud hatte sich automatisch ihrer effektivsten Verteidigungsstrategie bedient: die verwirrte alte Dame zu spielen. Im selben Augenblick war ihr jedoch aufgefallen, dass sie vergessen hatte, eine ihrer Hörgerät-Attrappen einzusetzen, die sie normalerweise benutzte, um sich als schwerhörig auszugeben. Bei dem Gedanken daran erschrak sie, doch dann ging ihr auf, dass es auch sein Gutes hatte. Es würde den Eindruck einer leicht dementen alten Schrulle noch verstärken.
»Warum kommt denn . die Polizei? Ist etwas passiert?«, fragte sie in besorgtem Tonfall.
Woraufhin die Polizistin namens Irene Huss beruhigend antwortete:
»Nein, nein, es ist nichts Neues passiert. Inspektorin Embla Nyström und ich würden nur gern noch einmal mit Ihnen über den Mord an dem Antiquitätenhändler William Frazzén sprechen. Weil er tot hier in Ihrer Wohnung lag, wollten wir uns nur vergewissern, ob Ihnen noch irgendetwas Weiteres eingefallen ist .«
»Was? Wer ist tot?«, fragte Maud mit lauter Stimme.
»Frazzén. Der Antiquitätenhändler, der hier ermordet wurde .«
Maud unterbrach sie und rief mit bedenklich zitternder Stimme:
»Oh mein Gott! Nein! Ich mag gar nicht daran denken! Es ist so entsetzlich!«
Die stellvertretende Kommissarin lächelte beschwichtigend.
»Könnten wir uns vielleicht setzen? Und uns dann mit etwas mehr Ruhe darüber unterhalten?«
Ihre Stimme klang freundlich, doch Maud ließ sich nicht täuschen. Auch wenn die beiden Polizistinnen keinerlei Beweise hatten, hegten sie offenbar Verdacht gegen sie. Maud ertastete in der Tasche ihrer verschlissenen alten grünen Wolljacke ein Taschentuch, mit dem sie zitternd ihre Augen betupfte. Dann führte sie die Frauen leise schluchzend in die Küche und deutete schweigend und mit tattriger Hand auf die drei Holzstühle um den kleinen runden Esstisch herum. Sie bot ihnen nichts zu trinken an. Die beiden sollten sich nicht willkommen fühlen oder gar länger bleiben als irgend nötig.
Als alle drei am Tisch saßen, räusperte sich Irene Huss und betrachtete Maud mit neutralem Blick, die daraufhin umgehend ihr Taschentuch an die Augen führte.
»Inzwischen ist schon fast ein halbes Jahr vergangen, seit Frazzén im ehemaligen Raucherzimmer Ihres Vaters gefunden wurde«, begann sie.
»Herrenzimmer. Es heißt Herrenzimmer«, murmelte Maud ins Taschentuch.
»Entschuldigung. Herrenzimmer. Ich gehe rasch noch einmal alle Ereignisse vom August durch, von denen wir Kenntnis haben, um die Erinnerungen ein wenig aufzufrischen. Das gesamte Gebäude war damals ja eingerüstet und in Planen gehüllt, weil die Fassade renoviert werden sollte. Was es den Dieben natürlich erleichterte. Frazzén hatte einen Komplizen dabei, der aufs Gerüst geklettert und durch ein gekipptes Fenster in das Raucher. äh Herrenzimmer eingestiegen ist, um Frazzén dann durch die Wohnungstür reinzulassen. Was kein Problem war, da die Schlüssel zum Sicherheitsschloss in einem Schlüsselschränkchen im Flur hängen. Die Diebe steuerten umgehend das Herrenzimmer an, wo sie sich gemeinsam daran machten, alle Silbersachen aus einem Schrank zusammenzusuchen. Doch aus irgendeinem unerklärlichen Grund zerstritten sie sich, woraufhin der Komplize Frazzén von hinten angriff. Frazzén wurde später bäuchlings auf dem Boden liegend aufgefunden. An seinem Hinterkopf klaffte eine große Wunde, die von mehreren Schlägen herzurühren schien. Die Waffe lag neben seinem Körper, ein Schürhaken aus dem Gestell für das Kaminbesteck neben dem Kachelofen. Frazzén war gegen ein Kamingitter gestürzt, dessen eine Spitze sich in sein Auge gebohrt und weiter ins Gehirn eingedrungen war. Laut dem Rechtsmediziner war der Mann auf der Stelle tot. Es sah aus, als hätten er und sein Komplize versucht, die Silbersammlung aus dem Schrank zu stehlen. Wir haben jedenfalls auf dem Fußboden im Raum eine große Tasche mit diversen Silbergegenständen gefunden. Aus den Kopfwunden des Opfers war viel Blut auf den Boden geflossen, und in der Lache konnte ein, wenn auch undeutlicher, Fußabdruck gesichert werden. Auch am Fensterrahmen und auf den Brettern des Baugerüsts draußen vor dem Fenster fanden sich Blutspuren. Der Komplize war also auf diesem Weg in den Raum hinein- und nach dem Mord auf demselben Weg wieder hinausgelangt. Höchstwahrscheinlich ist er in Panik verfallen, denn Sie sagten ja, dass nichts fehlte.«
Irene Huss verstummte und schaute Maud an, die sich während der gesamten Schilderung abwechselnd Augen und Nase mit dem Taschentuch abgetupft hatte. Als Maud keinerlei Anstalten machte, etwas zu erwidern, fuhr die stellvertretende Kommissarin fort:
»Wie es aussieht, hat sich dieser Komplize vollständig in Luft aufgelöst. Er hat keine anderen Spuren hinterlassen, und wir wissen auch nicht, wer es war.«
Maud saß steif auf ihrem Stuhl und schwieg. Doch im Schutz ihres Taschentuchs lief ihr Gehirn auf Hochtouren. Hatte die Polizei eine neue Spur aufgetan? Hatte sie selbst womöglich irgendetwas übersehen? Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ihre DNA hinterlassen? Das Beste war, Ruhe zu bewahren und abzuwarten.
»Können Sie sich inzwischen daran erinnern, wann Sie im Herrenzimmer das Fenster geöffnet haben?«
»Wie bitte?«, fragte Maud und führte eine Hand hinters Ohr.
Geduldig wiederholte Irene Huss ihre Frage. Maud schüttelte nur den Kopf und murmelte etwas Unverständliches in ihr Taschentuch.
»Sie haben keine Ahnung?«
Erneutes Kopfschütteln.
»Da genau das den Eintritt der Diebe in die Wohnung erleichtert hat, wäre es gut, wenn Sie versuchen würden, sich zu...
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