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Rom, 164 n. Chr.
Im Herbst des Jahres der Konsuln Macrinus und Celsus wurde ich sieben. Es wurde nicht viel Aufhebens um meinen Geburtstag gemacht. Als Geschenk bekam ich von meiner Mutter eine Tunika aus feiner grüner Baumwolle und einen grauen, geflochtenen Gürtel, der gut zu meinem dunklen Haar und meiner olivfarbenen Haut passte. Der Kaiser hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Mutter und mir Geschenke zum Geburtstag zu machen - wahrscheinlich übernahm das einer seiner Lakaien -, weil wir seine Freigelassenen waren, aber der ruhmreiche Lucius Verus weilte nicht länger in Rom und konnte uns deshalb keine Geschenke mehr überreichen.
Denn der Kaiser war mit seinen Legionen nach Osten gezogen, um es mit einem Erbfeind Roms aufzunehmen: den Parthern. Und da Verus fort war, hatten wir keinen Schirmherrn mehr und waren den weniger gewissenhaften Mächten am Hof ausgeliefert. Der heitere und aufmerksame Verus war nach der furchtbaren Flut noch einen Monat in der Stadt geblieben, und in jener Zeit war ich seiner hochmütigen Verlobten Lucilla vorgestellt worden, deren Haut weiß wie Eis war. Sie war die abweisende, humorlose Tochter von Marcus Aurelius und somit sowohl die Nichte als auch die zukünftige Gemahlin von Verus. Auf mich hatte sie unfreundlich und von Ehrgeiz getrieben gewirkt, bitter wie Artischockenblätter. Ich würde sagen, es lag daran, dass diese Frau keine Christen mochte, was ja auch stimmte, aber da ihre Vornehmtuerei und ihre abfälligen Bemerkungen gegen die ganze Welt und jedermann gerichtet zu sein schienen, hatte ich nicht das Gefühl, dass nur ich Opfer ihrer Launen wurde. Ich wusste lediglich, dass es keine vielversprechende Aussicht war, die Augusta Lucilla als Gebieterin zu bekommen. Als Verus sie schließlich mit in den Osten nahm, waren wir nicht die Einzigen am Hof, die erleichtert aufatmeten. Der Kaiser ließ seine Verlobte auf halbem Weg in Ephesus zurück, weitab vom Kriegsgeschehen, aber nah genug für eine Hochzeit, sobald Lucilla das heiratsfähige Alter erreichte. Und das sollte in wenigen Monaten der Fall sein. Aber obwohl wir Lucilla nicht zu ertragen brauchten, hatte es einen bitteren Beigeschmack, vorerst auf unseren Schirmherrn und Patron verzichten zu müssen.
Der ältere Kaiser, Marcus Aurelius, blieb in Rom und wurde im Zusammenhang mit dem Nachlass seiner Tante Vibia Matidia in einen Rechtsstreit verwickelt. Aurelius brachte seine Argumente in dieser Sache so versiert vor wie die großen Anwälte der Stadt, trotzdem zehrten die Streitigkeiten an seiner Konstitution. Bald wirkte Aurelius erschöpft und blass, wenn man ihn durch die Hallen des Palatins gehen sah.
Nach der Flutkatastrophe hatte sich mein Leben vollkommen verändert. Auf Geheiß des Kaisers hatte man Mutter und mir Gemächer im Palast zugewiesen, ganz in der Nähe der kaiserlichen Familie. Obwohl Verus nicht da war, erhielt meine Mutter viele lukrative Aufträge von anderen Mitgliedern der kaiserlichen Familie, auch von Marcus Aurelius persönlich. Und während Mutter ihre Wunder wirkte, wurde ich Hauslehrern zugeteilt. Das war zunächst ein bisschen seltsam für mich, weil ich einfach zu den kaiserlichen Zwillingen gesteckt wurde und den Stoff lernte, den man kleinen Kindern zumutete - vergessen wir nicht, die Zwillinge waren inzwischen drei, ich hingegen schon sieben. Angesichts dieses Altersunterschieds kam mir der Unterricht manchmal wie Zeitvergeudung vor. Aber in der Rückschau weiß ich, dass Unterricht mit Schülern unterschiedlichen Alters keineswegs ungewöhnlich war. Denn die beiden Imperatoren waren ebenfalls zusammen unterrichtet worden, und deren Altersunterschied war so groß, dass Aurelius in der Öffentlichkeit bereits ein Mann gewesen war, als Verus immer noch die Bulla um den Hals getragen hatte, die ihn als Kind auswies. Im Unterricht wurden uns zunächst Grundlagen vermittelt. Wir hatten Holzwürfel mit Buchstaben und sollten damit sinnvolle Wörter bilden, fürs Rechnen setzte man uns Abakusse in leuchtenden Farben vor. Also einfache Aufgaben. Die Tutoren schienen der Ansicht zu sein, dass ich als Mädchen nicht so bedeutend war wie die Jungs und somit gut mit ihrem Lernniveau zurechtkommen würde. Ich gebe gern zu, dass ich erst im Palast überhaupt mit Buchstaben in Berührung kam, doch ich kannte schon die Zahlen und wusste für mein Alter eine ganze Menge. Ich war gescheit und lernte schnell. Das traf auch auf Fulvus und Commodus zu; allerdings ließen sich die beiden zu allerhand Dummheiten hinreißen, besonders Commodus.
Dass die Zwillinge und ich intelligent waren, zeigte sich spätestens, als der Tutor, dem man volle vier Monate eingeräumt hatte, um uns das Rechnen beizubringen, dem Kaiser schon nach zwei Monaten berichtete, wir hätten alles gelernt, was sein Lehrplan vorsah. Und das ungeachtet der Tatsache, dass Commodus so gut wie jedes Mal, wenn sich unser Lehrer über meine Aufgaben beugte und den Jungs den Rücken zukehrte, seinen Zwillingsbruder anstieß, woraufhin die beiden im Nebenraum verschwanden, um dort zu raufen oder Verstecken zu spielen. Ich hätte mich den beiden Raufbolden gern angeschlossen und wäre vielleicht sogar willkommen gewesen, aber Mutter hatte mir wiederholt klargemacht, dass ich mich benehmen müsse und ehrerbietig zu sein habe, denn schließlich war ich ja nur die Tochter einer Freigelassenen. Wann immer sich die Zwillinge also verdrückten und der Lehrer sich wieder seinen Schülern zuwenden wollte, saß nur noch ich dort und wirkte verloren - natürlich auch ein bisschen schuldbewusst.
Die Jungen wurden für das ungezogene Benehmen gescholten, aber das fruchtete nichts. Ganz im Gegenteil, es spornte die beiden nur an, noch häufiger abseits des Unterrichts herumzutollen. Bei all ihren Späßen brauchten sich die beiden nicht abzustimmen, stets schien der eine Zwilling beinahe instinktiv zu wissen, was der andere gerade im Sinn hatte.
Obwohl sie sich als Zwillinge so ähnlich waren, hatte ich recht schnell herausgefunden, was die beiden voneinander unterschied. Fulvus war körperlich nicht ganz so robust wie sein Bruder, und oft sah man ihm an, dass er in seine eigene Gedankenwelt versunken war. Deutlich spürbar war sein unersättliches Verlangen, Nachforschungen anzustellen und möglichst viel Wissen aufzusaugen. Wenn er einmal nicht laut zählen musste - ich war es irgendwann so satt, bis zehn zu zählen, denn ich hatte schon seit Jahren bis hundert zählen können -, suchte sich Fulvus etwas, das ihn interessierte. Und hatte er sich dann etwas vorgeknöpft, nahm er es auseinander, um zu sehen, was sich im Innern befand. Commodus war genauso klug und aufgeweckt wie sein Bruder, aber er ließ wenig Lerneifer erkennen. Oft hatte es den Anschein, dass der Unterricht ihn langweilte, obwohl er dem Stoff gewachsen war. Er war lieber in Bewegung, lachte viel, war lebhaft und wusste nicht, wohin mit seiner Kraft.
Mehr als einmal ertappte ich die beiden bei waghalsigen Spielen, die bei ihren Eltern nur Entsetzen verursacht hätten: So balancierten sie etwa über eine Mauer oder sprangen abwechselnd über ein offenes Gitterrost. Ein- oder zweimal war ich dabei, als wieder einer dieser ausgelassenen Späße Gestalt annahm, aber immer schien Commodus derjenige zu sein, der Fulvus antrieb und ihn anspornte, sich noch besorgniserregenderen Herausforderungen zu stellen.
Es machte mich glücklich, Zeit mit den beiden Jungen verbringen zu können, ich glaube sogar, dass ich nie so unbeschwert gewesen war, bevor ich in den Palast kam. Seltsam eigentlich, aber der Umstand, dass ich stets auf das Unterrichtsniveau der Zwillinge herabgestuft wurde, brachte uns - vor allem dank der Intelligenz und Frühreife der Zwillinge - irgendwie auf eine Ebene, und das trotz des Altersunterschieds.
Die Ereignisse in der großen weiten Welt nahmen ihren Lauf, und in größeren Abständen trafen Nachrichten von Verus' Feldzügen im Osten ein. Offenbar wies er die Parther gehörig in die Schranken, und für uns Kinder waren seine Taten und Erfolge ungemein aufregend, da sie uns wie Heldentaten aus grauer Vorzeit erzählt wurden. Ich erinnere mich, bei mehr als einer Gelegenheit den Namen Panthea gehört zu haben, doch die Gespräche der Erwachsenen verstummten immer, wenn wir Kinder den Raum betraten. Damals wusste ich von alldem nichts, aber offenbar hatte sich Verus in Antiochia eine schöne und exotische Geliebte zugelegt, während seine spröde und widerwärtige Verlobte in Ephesus wartete und vor Wut kochte.
An einem Tag in jenem Winter, als die Saturnalien näher rückten, veränderte sich unser Leben spürbar. Es war sozusagen die erste Stufe auf der Treppe hinab in den Hades. Die Kaiserin Faustina hielt sich mit ihrem jüngsten Kind Annius nur in ihren Gemächern auf. Mit anderthalb Jahren war der Junge noch zu klein für die Tutoren und nicht alt genug, um mit seinen Brüdern zu spielen. Wir hatten den Unterricht für diesen Tag geschafft und verließen die Bibliothek, in der wir gefangen gewesen waren: Dort hatten wir unsere Vokale lernen müssen, und zwar bei einem angestaubten, knochentrockenen alten Lehrmeister, der fast genauso leblos war wie die Marmorbüsten, die von ihren Sockeln auf unseren Unterricht herabblickten. Die Welt draußen war von einer frischen...
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