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Von wegen Ferien
Große Tropfen zerplatzten an der Frontscheibe, während Artemis immer tiefer in den Beifahrersitz sank. Die Ampel sprang auf Grün und langsam setzte sich der Verkehr in Bewegung.
Als sie ein Vibrieren in der Bauchtasche ihres Pullovers spürte, griff Artemis geistesabwesend nach ihrem Handy. Die Nachricht war von Emma.
Heute beginnt der Kurs, oder? Ich denke an dich!
Artemis seufzte und schrieb zurück:
Danke. Vielleicht steige ich heimlich aus und nehme den nächsten Zug an die Ostsee.
Ein zwinkernder Avatar von Emma war die Antwort. Der Anblick der großen Brillengläser, Sommersprossen und braunen Locken bewirkte allerdings nur, dass Artemis ihre beste Freundin noch mehr vermisste. Drei kleine Punkte zeigten an, dass Emma tippte. Dann erschien die nächste Nachricht.
Du kriegst das hin! Und wenn es dir nicht gefällt, kannst du jederzeit bei mir untertauchen.
Artemis musste grinsen.
»Schau lieber nach vorne, sonst wird dir noch schlecht«, mahnte ihre Mutter und setzte den Blinker. Der Wagen bog in die Bahnhofstraße ein. »Hast du eigentlich schon die Anmeldung für das Freizeitprogramm ausgefüllt? Ich habe den Flyer zu den anderen Unterlagen in deinen Rucksack gepackt.«
»Das mach ich später im Bus«, murmelte Artemis. Sie hatte gestern einen Blick auf das Programm geworfen und das Formular für die Anmeldung schnell wieder beiseitegelegt, weil es sie nur daran erinnerte, was ihr entging: der lang ersehnte Urlaub bei Emma an der Ostsee.
So hatten die Freundinnen ihre Ferien ursprünglich geplant - nachdem ihnen die letzten Monate nichts anderes übrig geblieben war, als einander über Videoanrufe und Fotos auf dem Laufenden zu halten.
Emma war mehr als nur eine Freundin für Artemis. Sie war wie die Schwester, die sie sich immer gewünscht hatte. Aber dann war Emma im Januar mit ihrer Familie an die Küste gezogen, wo ihr Vater das alte Landhaus seiner Eltern geerbt hatte. Immerhin schien Emma dort glücklich zu sein. Sie hatte Videos von der Renovierung geschickt, Bilder von den Sonnenuntergängen am Strand und von den jungen Schafen am Deich, die im Frühjahr zur Welt gekommen waren.
Artemis hatte versucht, sich für sie zu freuen. Das hatte sie wirklich. Doch jedes Mal, wenn sie an Emma dachte, spürte Artemis nur, wie sehr ihre beste Freundin ihr fehlte.
Seit dem Umzug war es ihr mit jedem Tag schwerergefallen, sich auf den Unterricht in der Schule zu konzentrieren. Ihre Noten waren immer schlechter geworden und auch die Hausaufgaben machten ohne Emma einfach keinen Spaß mehr.
Früher hatten die beiden einander perfekt ergänzt: Emma hatte Artemis erklärt, warum der Mond stets im gleichen Abstand um die Erde kreiste oder wie die schriftliche Division funktionierte. Dafür hatte Artemis sie unregelmäßige Verben abgefragt und Emma einen Trick verraten, mit dem man sich auch die schwierigsten Vokabeln spielend leicht merken konnte.
Obwohl ihre Eltern sich ebenfalls große Mühe gaben, Artemis mit dem Stoff zu helfen, vermisste sie die Scherze ihrer Freundin und das heimliche Herumalbern zwischendurch. Und so hatte Artemis, anstatt zu lernen, immer häufiger zu den Aquarellstiften gegriffen, die Emma ihr zum Abschied geschenkt hatte.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Kindern in der Schule hatte sie von Anfang an verstanden, warum es Artemis so glücklich machte, ihre Gefühle oder besondere Momente auf Papier festzuhalten. Und dank der Aquarellstifte konnte Artemis ihre gemeinsamen Momente mit Emma jederzeit wieder aufleben lassen. Auch wenn ihre beste Freundin weit entfernt war, trug Artemis die Erinnerung an alles, was sie gemeinsam erlebt hatten, in ihrem Skizzenbuch bei sich.
Niemals hätte sie gedacht, dass ein harmloses Buch, das ihr so viel Freude machte, eines Tages zum Problem werden könnte. Aber genau das war passiert. Ohne es zu bemerken, hatte Artemis immer mehr gezeichnet, sich nach und nach von ihren Mitschülern zurückgezogen und weniger angenehme Dinge ausgeblendet.
Die Lehrer hatten besorgt reagiert und Artemis irgendwann gebeten, das Skizzenbuch daheim zu lassen. Nur leider hatte das ihren Schnitt auch nicht verbessert. Im Gegenteil. Ohne das Zeichnen hatte sie Emma nur noch mehr vermisst und deswegen noch mehr aus dem Fenster geschaut.
Zu Hause hatte Artemis gar nicht erst gewagt, das Problem anzusprechen - aus Angst davor, dass ihre Eltern ihr das Skizzenbuch oder die Aquarellstifte wegnehmen würden. Stattdessen hatte sie versucht, bis zu jenem Tag durchzuhalten, an dem sie endlich wieder mit Emma Muscheln am Strand sammeln, im Meer baden und bis spät in die Nacht plaudern konnte.
Aber dann war die ganze Wahrheit über ihre Schulnoten in einem demütigenden Elterngespräch ans Licht gekommen. Als Diana Verhoeven vom Schulleiter persönlich erfahren hatte, dass die Versetzung ihrer Tochter gefährdet war, hatte sie nur stumm genickt. Und Artemis hatte sich schrecklich gefühlt. Ein Versetzungstest am Ende der Sommerferien würde nun darüber entscheiden müssen, wie es für sie weiterging.
Artemis war klar, dass ihre Eltern nur das Beste für sie im Sinn hatten. Und wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie sich vielleicht wirklich nicht genug angestrengt hatte. Doch nun gab es keinen Weg mehr zurück: Der Lernkurs war ihre letzte Chance, die Versetzung zu retten.
Gestern Abend hatte Artemis ihr Skizzenbuch noch einmal durchgeblättert, bei den Erinnerungen an Emma geschmunzelt und eine letzte Zeichnung abgeschlossen, die ihr besonders am Herzen lag. Ein strahlender Vollmond über einem Meer aus Wolken war darauf zu sehen gewesen. Artemis hatte das Bild mit einem schiefen Lächeln betrachtet und sich mit dem Gedanken getröstet, dass es ja kein Abschied für immer war, sondern nur eine Pause auf unbestimmte Zeit. Dann hatte sie ihr Skizzenbuch und die Aquarellstifte in eine Schublade an ihrem Schreibtisch gelegt und das Fach abgeschlossen.
»Ich bin sicher, die drei Wochen werden wie im Flug vergehen!« Diana brachte den Wagen in einer Parklücke vor dem Bahnhofsgebäude zum Stehen, stellte den Motor ab und löste den Gurt, bevor sie ihre Tochter ansah. »Es wird dir guttun, mal was Neues auszuprobieren. Glaub mir, das bringt dich auf andere Gedanken.«
Artemis nickte stumm. Wenn es darum ging, sie auf andere Gedanken zu bringen, war das Skizzenbuch immer ihre erste Wahl gewesen. Aber eine trotzige Antwort würde die Situation auch nicht verbessern. Also öffnete Artemis die Wagentür und sprang hinaus in den strömenden Regen. Besser gesagt: mitten in eine Pfütze. Es platschte, dann floss die Kälte in ihren Schuh und durchtränkte die Socken. Auch das noch. Dieser bescheuerte Regen! Als wäre ein Lerncamp am Ende der Welt nicht schlimm genug.
Artemis spielte mit dem Gedanken, sich einfach wieder ins Auto zu setzen und abzuwarten, bis der Reisebus verschwunden war. Aber das kam leider nicht infrage. Sie hatte sich fest vorgenommen, guten Willen zu beweisen. Immerhin hatten ihre Eltern das Familiensparkonto geplündert, um den Kurs auf Schloss Falkenfels zu bezahlen.
Ich empfehle dieses Programm nicht bei jedem Kind, hatte der Schulleiter ihren Eltern im Gespräch versichert. Aber Artemis war bis vor Kurzem eine hervorragende Schülerin. Und es wäre ausgesprochen schade, wenn sie hinter ihren Möglichkeiten zurückbliebe.
Schade fand Artemis eigentlich nur, dass ihre Sommerferien ruiniert waren. Und so langsam erreichte sie einen Punkt, an dem sich der Missmut darüber nicht länger verbergen ließ.
»Erlebnislernen klingt doch super. Genau das Richtige für dich, oder nicht? Du könntest wenigstens versuchen, dich darauf einzulassen«, sagte Diana, als sie die finstere Miene ihrer Tochter bemerkte.
»Das mache ich ja!« Artemis hievte den schweren Rucksack allein auf ihre Schultern und schloss den Kofferraum. »Oder wonach sieht das hier für dich aus?«
»Nicht in diesem Ton, junge Dame.« Ihre Mutter atmete einmal tief durch. Offenbar war sie bemüht darum, ihren Abschied versöhnlicher zu gestalten. »Artemis, wir hatten Glück, so kurzfristig noch einen Platz für dich zu bekommen. Bitte nimm diese Chance ernst und lass dich nicht wieder ablenken.«
Diana Verhoeven klappte einen Regenschirm für Artemis auf. Aber die wich einen Schritt zurück. Kalte Wassertropfen rannen ihr über das Gesicht und liefen hinten in ihren Kragen. Doch Artemis spürte es kaum. Sie ließ die Schultern sinken. Woher plötzlich dieser Trotz kam, wusste sie selbst nicht genau. Aber es hatte ohnehin keinen Zweck, im strömenden Regen ein Gespräch anzufangen, das sie vermutlich schon vor Wochen hätten führen müssen.
»Der Bus fährt gleich«, murmelte Artemis.
Wenigstens das schien ihre Mutter genauso zu sehen. Wortlos standen sie einander gegenüber, bis der Reisebus mit der Nummer sieben den Motor startete.
»Du steigst an der Endhaltestelle aus«, fasste Diana noch einmal zusammen. »Sie heißt .«
»Waldspitze. Ich weiß.« Artemis fixierte den Bus, um dem besorgten Blick ihrer Mutter zu entgehen. »Dort wartet ein blaues Auto, das mich zum Schloss bringt. Haben wir alles schon besprochen. Ich melde mich, wenn ich angekommen bin.«
»In Ordnung.« Diana nickte. Schloss Falkenfels lag zwar nur knapp zwei Stunden entfernt, doch Artemis würde zum ersten Mal in ihrem Leben ganz alleine reisen. Und Abschied zu nehmen, war ihr noch nie leichtgefallen. »Komm her, Schatz.« Es waren nahezu stumme Worte, die Artemis von den Lippen ihrer Mutter ablesen musste. Dann drückte Diana ihre Tochter an...
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