Schweitzer Fachinformationen
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Auf einen Nachtclub, den queere Partyleute gerne besuchen, wird ein Anschlag verübt. Ein Fanatiker, der sich in einem Bekennervideo als »Abgesandter« bezeichnet, hat Handgranaten in den Nachtclub geworfen. Fünf Menschen werden getötet und viele schwer verletzt. Kommissar Henrik Oksman von der Kripo in Pori übernimmt die Ermittlungen. Oksman war kurz vor dem Anschlag jedoch auch in dem Club - wovon niemand etwas wissen darf. Der Anschlag sorgt für große mediale Aufmerksamkeit. Im Internet verbreitet sich das Bekennervideo wie ein Lauffeuer, und die Foren quillen über vor Mutmaßungen, ob der Täter weiter morden wird. Und genau das muss Oksman verhindern: einen weiteren Anschlag.
Alle am Tisch waren müde, und keiner unternahm den Versuch, es zu verbergen. Die Runde gähnte und räkelte sich ungeniert. Die technischen Ermittlungen hatten bis in die Morgenstunden angedauert, und am Einsatzort würden sie noch bis zum Nachmittag weitergehen. Das Team von Susanna Manner war ins Präsidium gewechselt, nachdem alle Besucher des Nachtklubs medizinisch versorgt und nach Hause gebracht worden waren. Paloviita hatte erst einmal eine Kanne Kaffee gekocht und jedem eine große Tasse eingegossen. Er gähnte, rieb sich das Kinn und konnte seine unrasierten Bartstoppeln fühlen. Schon in der Nacht war ihnen klar gewesen, dass sich die Ereignisse wie ein Lauffeuer in Finnland und um die ganze Welt verbreiten würden. Die sozialen Medien waren bereits voll mit Fotos und Videoclips vom Tatort. Überall in Europa waren die Redaktionen gerade dabei, ihre Schlagzeilen zu formulieren.
Susanna Manner war ihnen allen immer noch ein Rätsel. Sie hatte im März als Leiterin des Kriminalkommissariats angefangen. Die Sechsunddreißigjährige hatte ein Polizeistudium absolviert und besaß einen Doktortitel der Rechtswissenschaften. Sie war aus dem zweihundert Kilometer weiter nördlich gelegenen Lapua nach Pori gezogen. In Lapua hatte sie erst als Polizeidirektorin und dann als Staatsanwältin beim Amtsgericht gearbeitet. Der frühere Leiter des Kriminalkommissariats Juhani Heinonen war als Spezialist ins Zentrale Kriminalamt nach Helsinki gewechselt und Jari Paloviita hatte ihn kurzzeitig vertreten. Doch dann waren Dinge vorgefallen, die ihn dazu gezwungen hatten, die Aufgabe abzugeben. Die Stelle wurde öffentlich ausgeschrieben, und Susanna Manner war aus einer Schar von über hundert Bewerbern als Beste ausgewählt worden. Einer neuen Chefin wurde fast immer mit Neugier, Zweifel, vielleicht auch Scheu begegnet. Doch in den wenigen Monaten, seit sie das Team leitete, hatte bisher noch keiner irgendetwas Negatives über sie zu sagen gewusst. Ganz im Gegenteil. Allerdings hatten bis jetzt alle mehr oder weniger darauf gewartet, wie sie sich in einem wirklich großen Fall verhalten würde. Und dieser Fall war jetzt eingetreten.
Linda schaltete den Fernseher an der Wand ein. Die Melodie der Morgennachrichten plärrte durch den Raum, dann verlas eine weibliche Stimme die aktuellen Meldungen:
»Handgranaten-Anschlag auf einen Nachtklub und beliebten Treffpunkt für sexuelle Minderheiten in Pori. Fünf Tote und Dutzende Verletzte. Die Polizei geht von einem Terroranschlag aus.«
»Schwerer Wohnungsbrand im Zentrum von Helsinki. Personen kamen nicht zu Schaden. Die Löscharbeiten dauern noch an.«
Als die Musik verstummte, kam das Gesicht der Sprecherin ins Bild. »Im Zentrum von Pori wurde heute Nacht gegen drei Uhr ein Bombenanschlag auf den Nachtklub Venus verübt. Nach Angaben der Polizei wurden dabei fünf Menschen getötet. Mehrere Dutzend Verletzte wurden zur Behandlung ins Krankenhaus eingeliefert. Die Angehörigen der Opfer werden zur Stunde informiert. Ein Tatverdächtiger konnte jedoch noch nicht festgenommen werden. Zu weiteren Details machte die Polizeidirektion Südwestfinnland bisher keine Angaben. Eine Pressekonferenz ist für neun Uhr angekündigt.«
In den Nachrichten wurden die Aufnahmen einer Handykamera gezeigt. In dem pixeligen Video waren die schwarze Fassade des Hauses und das Meer aus blinkenden Einsatzfahrzeugen zu sehen. Dann folgten Nachrichten aus der Wirtschaft, ein Bericht über die Reform des Sozial- und Gesundheitssystems sowie der Sport. Am Ende der Sendung ging es noch einmal um den Anschlag auf den Nachtklub. Im Studio saßen zwei Gesprächspartner.
Die Moderatorin eröffnete das Gespräch: »Wir freuen uns, zwei Terrorismusexperten im Studio begrüßen zu dürfen: Kari Salmi hat über das Thema Internationaler Terrorismus promoviert, und Major Tuomo Paju ist Koordinator für internationale Operationen beim Führungsstab der Verteidigungskräfte. Guten Morgen.«
»Guten Morgen.«
»Herr Dr. Salmi, Sie lehren und forschen zum Thema Internationaler Terrorismus mit dem Schwerpunkt Europäischer Terrorismus. Trägt der Anschlag auf den Nachtklub Venus für Sie die Merkmale einer terroristischen Tat?«
Kari Salmi trug einen schwarzen, leicht knittrigen Anzug. Sein Blick irrte unstet durchs Studio, als ob er eine herumschwirrende Fliege verfolgte.
»Also . äh, der Begriff Terrorismus ist nicht leicht zu definieren, und . so ein einzelner Anschlag . oder wenn sich der Anschlag nur auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe bzw. gegen sie richtet .«
»Wie genau ist Terrorismus denn definiert?«, präzisierte die Moderatorin ihre Frage.
»Terrorismus zielt auf die Verbreitung von Angst und . äh . Schrecken sowie die Destabilisierung von Strukturen .«
»Jeder weiß, dass das Venus ein Nachtklub ist, der bei sexuellen Minderheiten beliebt ist. Könnte das ein Motiv für den Anschlag sein?«
»Bisher, äh, ja . ein terroristischer Anschlag richtet sich meistens gegen einen gesellschaftlichen Missstand . eine Religion oder die Staatsmacht. Der Nationalismus an sich .«
»Sind Homosexuelle für Sie ein gesellschaftlicher Missstand? Könnte die sexuelle Orientierung Motiv für eine Terrortat sein?«
»Äh .«
Der zweite Moderator wandte sich an den Major. »Major Tuomo Paju, Sie sind Terrorismusexperte im Führungsstab der Verteidigungskräfte und leiten eine Einheit zur grenzüberschreitenden Terrorismusabwehr. Wie schätzen Sie den Anschlag ein?«
Der Major zeigte keine Regung, seine Hände lagen locker verschränkt auf dem Tisch. »Nach bisherigen Informationen war die Tat geplant, aber die genauen Motive kennen wir nicht. Was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass es sich um einen Sprengstoffanschlag handelt. Ob die Einordnung als Terrortat gerechtfertigt ist, bedarf weiterer Fakten.«
»Sprengstoffanschläge sind in Finnland äußerst selten. Was sind die häufigsten Motive für derartige Taten?«
»Wie Kari Salmi schon ausgeführt hat, sind die Beweggründe sehr weit gestreut und können von politischen Ideologien bis hin zu Nationalismus und Hass reichen.«
»Der Anschlag richtete sich gegen einen bei sexuellen Minderheiten beliebten Nachtklub und fand am selben Tag statt wie der Themenabend zur Ehe für alle beim Privatsender MTV.«
»Anschläge gegen sexuelle bzw. geschlechtliche Minderheiten gab es in der Welt schon einige. Am bekanntesten ist vielleicht der Anschlag auf einen Nachtklub im US-amerikanischen Orlando 2016, bei dem fünfzig Menschen ums Leben kamen und mindestens ebenso viele verletzt wurden«, führte der Major aus. »Es kommt jetzt darauf an, die Täter schnell zu fassen und mögliche weitere Anschläge zu verhindern.«
Die Moderatorin unternahm noch einen weiteren Versuch, den Dozenten zu einer Stellungnahme zu bewegen: »Herr Salmi. In Ihrer Doktorarbeit behaupten Sie, dass es in Finnland wie auch im übrigen Europa zu einer Ausbreitung des Terrorismus kommen wird. Erst das Messerattentat von Turku im August 2017 und jetzt der Anschlag auf den Nachtklub. Gibt es Grund zu der Sorge? Könnten solche Anschläge auch bei uns zu einer alltäglichen Bedrohung werden, wie dies in einigen südeuropäischen Ländern bereits der Fall ist?«
»Dieser Anschlag unterscheidet sich gravierend von dem Messerattentat in Turku, auch wenn . äh . terroristische Akte natürlich immer zu . Nachahmertaten führen können.«
»Der oder die Täter sind bisher nicht gefasst worden. Müssen wir mit weiteren Taten rechnen?«
»Das, nun . die Polizei . ich weiß es nicht.«
Die Kamera schwenkte wieder auf den Moderatorenkollegen, der den Dozenten erneut unterbrach:
»Gerade erreicht uns die Nachricht, dass vor dem Anschlag auf den Nachtklub ein Bekennervideo ins Netz gestellt wurde. Wir werden das Video direkt anschließend zeigen. Wir möchten darauf hinweisen, dass die Bilder jugendliche oder sensible Zuschauer schockieren könnten.«
Alle im Raum um Manner erstarrten und sahen sich entsetzt an.
Auf dem Fernsehbildschirm war jetzt ein YouTube-Video zu sehen, das in einem halbdunklen Raum, offenbar einem Keller oder Bunker, aufgenommen worden war. Limettengrüne Farbe blätterte von den Wänden und gab den grauen Beton darunter frei. Im Vordergrund stand ein Tisch, auf dem einige Gegenstände lagen. Einen davon identifizierte Jari Paloviita als eine polnische Selbstladepistole P 35. Er brauchte eine Weile, bis er begriff, dass es sich bei den übrigen sechs dunklen Gegenständen auf dem Tisch um Eierhandgranaten handelte. Auf die Wand fiel ein Schatten und wurde kleiner. Ein Mann lief um die Kamera herum und setzte sich wie bei einer Pressekonferenz auf einen Stuhl hinter den Tisch. Er hatte sich eine schwarze Sturmhaube über den Kopf gezogen, nur Mund und Augen waren frei. Die Sturmhaube war wie ein Totenschädel mit Kieferknochen und Zähnen bedruckt.
Der Mann schaute direkt in die Kamera. Seine Augen sahen aus wie Murmeln in einem Totenkopf.
»Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.«
Sein Blick war unverwandt auf die Kamera gerichtet. »Der Wille Gottes ist auf den Seiten der Bibel verewigt: Gott hat die Sexualität zwischen Frau und Mann geschaffen. Alles andere ist eine Sünde.«
Erst jetzt blinzelte er zum ersten Mal. Sein starrer Blick war grauenerregend.
»Wenn ich in einer Menschenmenge stehe, sehe ich, dass die Welt auf Abwegen wandelt. Gottes Wort ist vergessen, und der Mensch hat sich der Sünde hingegeben. In der Bibel...
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