Schweitzer Fachinformationen
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Die größten Herausforderungen, die schmerzhaftesten Umstände einer Scheidung wurden einem offenbar von Menschen auferlegt, die mit der Sache gar nichts zu tun hatten. Menschen, die ihre eigenen Erfahrungen teilen wollten, die davon berichten wollten, was sie erlebt hatten, wie es ihnen ergangen war, wie sie es geschafft hatten.
Jan Nyman empfand es tatsächlich als Herausforderung. Er konnte ja schlecht mitteilen, dass ihn all das nicht interessierte (es interessierte ihn in der Tat nicht), es fiel ihm schwer, seine eigene Situation als Überlebenskampf oder etwas ähnlich Dramatisches zu betrachten, und er hatte über Tuula absolut nichts Negatives zu sagen. Ganz im Gegenteil.
Jetzt hatte sich also sein Boss zu Wort gemeldet, hatte ihn in sein Büro zitiert. Am Telefon hatte er es eilig und ein wenig mysteriös klingen lassen. Geh nicht durch die Kantine, geh nicht zu deinem Schreibtisch, komm direkt zu mir ins Büro. Eigenartig. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als sich überraschen zu lassen.
«Wir waren ja, also Maiju und ich, eine Woche lang in so einer Art Camp. Paartherapie, du verstehst», sagte Muurla jetzt, nachdem er eingangs erwähnt hatte, ebenfalls Erfahrungen in Sachen Trennung und Scheidung zu besitzen. «Unsere Hoffnung war natürlich, unsere Beziehung wieder in die Spur zu bringen. Wir waren da mit sechs anderen Ehepaaren. Leute, die auch am Abgrund einer Scheidung standen. Die konnten sich kaum noch ertragen, die hätten nicht mal gemeinsam auf einen Bus warten wollen. Und plötzlich saßen wir alle in diesem Wald und sollten alte Wunden aufreißen. Man kam da also nach einer höllisch anstrengenden Autofahrt auf diesem Bauernhof an. Nachdem man sich 412 Kilometer lang angeschrien hatte. Dann wird man von aufgekratzten, hysterischen Damen begrüßt, bekommt irgendeinen Tee kredenzt. Einen Willkommenstee, aus Pilzextrakt, der nach Ohrenschmalz oder Schweiß am Handgelenk stinkt. Die Damen faseln von Sex. Erzählen jedem, der es nicht wissen will, dass Jari keinen mehr hochbekommt und dass sie deshalb fremdgehen mussten und dass sie es genossen haben. Die Kerle sitzen daneben, mit glühenden Ohren, es herrscht sozusagen knisternde Stimmung, während der Tee langsam abkühlt. Der Seminarleiter war ein Typ mit wachsweicher, samtiger Stimme, der sich zu fein war, mit uns anderen Kerlen in die Sauna zu gehen. Ich dachte erst, dass es mit Autorität zu tun hat, dass er einen gewissen Abstand zu seinen Kunden wahren will. Er hat uns immer angestarrt, als würde er bei unserem Anblick mehr und mehr die Hoffnung verlieren. Sein Gesicht war rot, er hat die Lippen zusammengepresst, mit pochenden Schläfen. Als wir Volleyball gespielt haben, hat er missbilligend abseitsgestanden. Am vierten Tag schließlich war ich dran mit dem Beheizen der Sauna. Ich war unterwegs, schleppte eine Ladung vom besten trockenen Holz, als ich ein komisches Stöhnen hörte, es kam aus der Umkleide. Ich sehe rein, und da liegt einer der Typen, nicht dieser Jari, sondern ein anderer, aus Espoo, bäuchlings auf einer Bank. Und der Typ, der Seminarleiter mit der samtigen Stimme, liegt über ihm und greift ihn an den Arsch, dass sich die Balken biegen. Du verstehst. Er hatte sein Hemd noch an, bis zum obersten Kragenknopf. Ich habe das Holz zurück zum Stapel gebracht, bin zu Maiju gegangen, habe ihr einen Kuss auf die Wange gegeben und gesagt, dass wir die Scheidungspapiere fertig machen können. Dann sind wir heimgefahren, bester Laune übrigens. Heute sind wir gute Freunde. Das ist eine recht ungewöhnliche Geschichte, denke ich.»
Muurla schwieg, in Gedanken versunken. Nyman hatte nicht die Absicht, die Geschichte in irgendeiner Weise zu kommentieren. Noch nicht mal mit einem Aha, ja, verstehe. Er sah aus dem Fenster.
Das Landeskriminalamt in Vantaa befand sich auf einem großen Grundstück, das wiederum auf der Südseite, auf der Muurlas Büro untergebracht war, an ein ebenfalls großes, unbebautes Nachbargrundstück angrenzte. Es war ein Feld, ein grünes Feld, umgeben von kleinen, niedlichen Birken. Der Blick aus dem Fenster fühlte sich nach Sommerurlaub an. Nyman hatte seinen Urlaub noch nicht antreten können, auch wenn er vielleicht äußerlich so aussah, als sei er auf dem Sprung. Neue weiße Sneakers, legere Bluejeans, ein rötlich-graues Flanellhemd, ein Dreitagebart, der die Gruben an seinen Wangen betonte. Seine dunklen, ziemlich langen Haare waren feucht vom Duschen und lagen etwas wirr. Er sah eigentlich immer so aus. Tuula fand, dass er einem Countrysänger glich, der Langstreckenrennen lief. Oder einem Läufer, der sang. Er war allerdings keins von beiden, kein Läufer, kein Sänger. Er war vielmehr der beste Mitarbeiter im Dezernat für verdeckte Ermittlungen. Vermutlich war das auch der Grund dafür, dass er hier bei Muurla saß. Er suchte Muurlas Blick. Muurla kehrte langsam ins Hier und Jetzt zurück.
Er verschränkte seine Hände auf dem Tisch, wie zum Gebet. «Die vollständige Ermittlungsakte findest du im Intranet, lies sie in Ruhe. Hier die Kurzfassung: Eine Leiche in einer kleinen Stadt, eine Ermittlung lokaler Behörden, ohne Ergebnis, das obligatorische Team des Landeskriminalamts kam und ging, ohne Ergebnis. Der Fall ist in jeder Hinsicht mysteriös, die Hintergründe liegen im Dunkeln.»
Nyman betrachtete Muurla, mit seinem breiten Gesicht saß er hinter seinem breiten Schreibtisch. Seine unebene Haut erinnerte Nyman immer unwillkürlich an alte, abgenutzte Sofas. Muurla war von Beginn an sein Vorgesetzter gewesen, schon als er, nach Jahren bei der Mordkommission in Helsinki, hier in Vantaa angefangen hatte. Nyman wusste wenig über Muurla, er kannte nicht mal sein genaues Alter. Vielleicht zeugte das ja davon, dass die Abteilung für verdeckte Ermittlungen tatsächlich funktionierte. Vermutlich war er um die sechzig. Nyman arbeitete gerne unter Muurla. Muurla wollte ausschließlich Ergebnisse, er gab keine guten Ratschläge und erteilte keine unsinnigen Befehle. Er ließ nie den Chef raushängen. Möglicherweise lag es einfach daran, dass Muurla nicht das Format eines Chefs besaß, aber darüber wollte Nyman gar nicht weiter nachdenken.
«Ich vermute, dass es noch weitere Gründe gibt, uns hinzuzuziehen?», sagte er.
«Es sieht nach der Arbeit von Profis aus», sagte Muurla. «Also, gewissermaßen. Die Sache stellt sich in etwa wie folgt dar: Der Typ ist also im Haus, eingeladen oder uneingeladen. Es kommen weitere Gäste hinzu, eingeladen oder uneingeladen. Sie kennen sich oder sie kennen sich nicht. Sie folgen einem Plan oder agieren aus dem Moment heraus. In jedem Fall liegt am Ende ein Mann mit gebrochenem Genick in der Küche. So etwas würde nicht jedem gelingen, du verstehst. Auch nicht der Besitzerin des Hauses, die mit der Sache zu tun haben kann oder nicht. Sie wurde natürlich mehrfach verhört. Und sie blieb immer bei derselben Darstellung: Sie kam nach Hause, alles war verwüstet, und am Boden lag ein Mann, den sie noch nie gesehen hat. Das lässt sich, Stand jetzt, nicht widerlegen. Sie ist tatsächlich zur Tatzeit außer Haus gewesen. Aber wusste sie, was in ihrer Abwesenheit passieren würde? Das ist eine andere Frage. Und falls ja, was genau wusste sie?»
«Und der Tathergang deutet auf Profikiller hin?»
«Ja», bestätigte Muurla. «Laut Gerichtsmedizin müssen es mindestens zwei gewesen sein, die wussten, was sie tun. Amateure können auf diese Weise niemanden zu Tode bringen. Es muss alles gewissermaßen austariert sein, man muss ein paar Dinge wissen, über Anatomie, Timing, Zusammenwirken. Vielleicht kommen gewisse Kampfsportkenntnisse hinzu. Nicht die gelben Gürtel, sondern die schwarzen. Und noch was: Es wurde nichts entwendet. Die Täter kamen, erledigten den Job und gingen wieder, bevor die Herrin des Hauses zurückkehrte. Die Misshandlung des Opfers, die Verwüstung, das alles mögen Täuschungsmanöver sein. Der Mann wurde in jedem Fall mit besonderem Geschick getötet. Und da ist noch etwas, das diese Ermittlung rätselhaft macht.»
Nyman wartete. Muurla beugte sich vor, schob seine Ellenbogen auf Nyman zu, näherte sich.
«Es gab da in der Frühphase eine kleine Irritation», sagte Muurla und fokussierte Nyman mit seinen tiefgrauen Augen. Nyman kannte diesen Blick. Bald würde Muurla ihn aus seinem Büro entlassen, mit einer Mission Impossible, die er wie selbstverständlich erledigen sollte.
«Auf Basis des Notrufs hatte die Streife, die zuerst vor Ort war, die Sache missverstanden. Die dachten, dass alles noch im Gange sei, sind also mit Schwung da rein und haben den Mann mit seinem gebrochenen Genick ein wenig unsanft angepackt. Weil sie dachten, dass er vielleicht irre ist oder unter Designerdrogen steht und deshalb mit Steinen geworfen und das Fenster zerstört und die Einrichtung verwüstet hat und dann vielleicht eingeschlafen ist. So was in der Art, man kennt das ja. Die Uniformierten haben also ein wenig Unordnung am Tatort hinterlassen. Hinzu kommt, dass das Haus kürzlich in den Innenräumen renoviert wurde, es waren also jede Menge Leute in letzter Zeit da. Die Kriminaltechnik hatte es ein wenig schwer, und es wurde auch einiges eher nach alter Schule gemacht, also old school, wie mein Sohn immer zu sagen pflegt. Übrigens, wo wir vom Nachwuchs sprechen, vielleicht ist es ganz gut, dass du keine Kinder hast, jetzt, weil ja die Scheidung .»
«Wer bin ich?», fragte Nyman, bevor Muurla...
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