Schweitzer Fachinformationen
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Um 23 Uhr bin ich durch mit der neuen Budgetkalkulation. Unter den gegebenen Umständen müssen wir die Ausgaben weiter senken und einige der bereits angedachten Investitionen wieder einkassieren. Aber ich habe mich bemüht, allen Mitarbeitern gerecht zu werden und alle Abteilungen unseres Unternehmens gleich zu behandeln.
Mein eigenes Gehalt habe ich erst mal ausgesetzt und einen Krisenplan ausgearbeitet, der uns in der aktuellen Lage helfen wird und der vor allem auch dazu beitragen sollte, dass wir in Zukunft nicht mehr den Bankrott fürchten müssen - der uns kürzlich fast ereilt hätte.
Der Aufbau eines solchen Krisenpuffers erfordert Geduld und wird uns über Jahre hinweg einiges zumuten, aber am Ende wird es sich aller Wahrscheinlichkeit nach lohnen. Das ist das Ergebnis meiner Berechnungen, und die Mathematik ist unbestechlich. Wenn wir klug voranschreiten und uns an die Fakten halten, werden wir es schaffen. Ich habe Erfahrung in diesen Dingen.
Die Mathematik hat mir das Leben gerettet, im Wortsinn. Das ist, was sie macht, sie hilft. Sie stellt ein Gleichgewicht her, schafft Klarheit und Ruhe, lässt uns die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind. Sie sagt uns, was wir tun müssen, um unsere Ziele zu erreichen. Auch wenn unsere Lage im Abenteuerpark DeinMeinFun zurzeit alles andere als einfach ist, sehe ich unserer Zukunft voller Zuversicht entgegen, denn ich habe mich heute Abend ganz der Rechenkunst widmen können und ermutigende Resultate erzielt.
Die letzten Besucher des Tages haben unseren Park längst verlassen, laut Wochenplan hat heute Kristian unsere Tore geschlossen. Ich bin allein. Tagsüber ist die Geräuschkulisse im DeinMeinFun wie Meeresrauschen. Jetzt haben sich die Wogen geglättet, still ruht die See. Es herrscht tatsächlich vollkommene Ruhe.
Ich gehe noch mal die Excel-Tabelle durch. Eine Zeile fügt sich in die andere, alles fließt ineinander, ist schlüssig und stimmig. Die Arbeit bereitet mir Vergnügen, es ist genau das, was ich gebraucht habe, nach all den Überraschungen und Wendungen, nach all den Aufregungen der vergangenen Zeit. Endlich wieder rechnen, auf vertrautem Terrain, solide, verlässlich. Zusammenhänge kristallisieren sich heraus.
Dann streifen meine Gedanken meinen Kater, Schopenhauer, der vermutlich Hunger hat und sich auf abendliche Unterhaltung und Gesellschaft freut (statistisch geht es ihm vielleicht mehr ums Fressen, aber wer weiß). Ich schließe das Excel-Dokument. Als ich aufstehe, fühlen sich meine Augen trocken an, ich bin fast sicher, dass sie gerötet sind.
Die Tür meines Büros steht offen. Nach wie vor herrscht Stille auf den Fluren, in der Halle. Auch Minttu K., unsere Marketingchefin, scheint nicht mehr da zu sein. Ich höre weder ihre raue, heisere Stimme noch das Radio noch ihr tiefes, von Longdrinks und Zigaretten eingefärbtes Schnarchen.
Mein Rücken ist steif. Ich sollte vermutlich mehr Sport machen, weiß aber nicht, woher ich die Zeit dafür nehmen könnte. Der Inhaber eines Abenteuerparks ist immer im Dienst. So scheint es in der Tat zu sein.
Ich sehe durchs Fenster auf den leeren Parkplatz. November. Etwas am linken Rand meines Blickfelds lässt mich aufmerken. Ich brauche einige Sekunden, bis sich mir ein Gesamtbild erschließt. Das Ding liegt genau zwischen zwei Laternenmasten, beide Lichtkegel versanden, berühren den Gegenstand nur ganz flüchtig, aber die Formen schälen sich heraus.
Ein Fahrrad.
Es wurde abgestellt und sieht alles in allem so aus, wie man sich ein Fahrrad vorstellt. Seltsam ist jedoch der Standort. Der ergibt keinen Sinn. Sowohl die Straße als auch der Haupteingang unseres Abenteuerparks sind recht weit entfernt. Ich starre das Rad an und weiß nicht, was ich davon halten soll. Ein Fahrrad im Halbdunkel. Irgendjemand hat es dort abgestellt und stehen lassen.
Ich fahre den PC runter, ziehe mir meinen Mantel an und streife den Schal über. Dann lösche ich das Licht und laufe durch die dunkle Halle zum Hinterausgang. Den Haupteingang müsste ich mehrfach noch mal abschließen und kontrollieren, deshalb ist der Hintereingang praktischer. Ich gehe über die Stahltreppe hinunter in den Hinterhof und um das Gebäude herum. Der Straßenverkehr rauscht in der Ferne, meine eigenen Schritte höre ich merkwürdig laut, überdeutlich.
Die Nacht riecht scharf und herb nach Spätherbst, der Boden ist feucht, obwohl es nicht geregnet hat. Ich bleibe stehen, kann jetzt den Park und einen Teil des Parkplatzes überblicken. Hier ist das Grundstück besonders schmal, nur etwa fünf Meter trennen die Seitenwand des Parks von einem steil abfallenden Graben. Hinter dem Graben tut sich das zerklüftete Waldstück auf, an das unser Gelände grenzt. Ich laufe auf diesem schmalen Streifen am Gebäude entlang. Der Korridor scheint sich zusehends zu verengen, es ist, als würde sich der Wald kaum merklich annähern, bedrohlich, als wolle er unsere Parkhalle in Besitz nehmen. Das ist natürlich Unsinn. Wahr ist hingegen, auch wenn ich zunächst meinen Augen nicht trauen will, dass das Fahrrad verschwunden ist.
Vielleicht hatte irgendjemand noch etwas zu erledigen, im Wald, bei Nacht. Menschen sind verschieden, das weiß ich längst. Falls jemand etwas Unaufschiebbares in diesem Tannenwäldchen bei Helsinki-Vantaa, in der Nähe des Flughafens, zu erledigen hatte, etwas, das er oder sie nur hier tun konnte, ist das in Ordnung. Dann hat dieser Unbekannte also ein wenig Zeit in der Düsternis und im Gestrüpp verbracht und ist anschließend seiner Wege gegangen, um eine Erfahrung reicher. Aber diese Gedanken sind wie Streichhölzer. Kaum entzündet, erlöschen sie wieder. Es ist Wunschdenken, nichts weiter.
Und dann sehe ich es. Oder besser: ihn.
Ein Mann. Er kommt mir entgegen. Läuft direkt auf mich zu. Rennt.
Wie eine Bowlingkugel auf Beinen.
Das passt, denn wir sind auf einer Art Bowlingbahn. Der schmale Streifen Asphalt, zwischen der Wand und dem Wald, und darauf eine Bowlingkugel, die in irrem Tempo auf mich zurollt. Sehr mittig, sehr akkurat. Sie beschleunigt sogar noch mal, und ich drehe mich um und nehme die Beine in die Hand, nachdem ich endlich begriffen habe, was hier gerade passiert. Leider ist der Hinterhof deutlich weiter weg, als ich gehofft habe. Die Stunden im Büro haben mich starr und mürbe gemacht, und das Tempo der Bowlingkugel kann ich nicht halten, so viel ist klar. Egal. Einfach rennen. Ich werfe einen Blick über die Schulter. Der Mann trägt eine blaue Jogginghose und eine schwarze oder dunkelblaue Trainingsjacke. Die schwarze Mütze hat er tief ins Gesicht gezogen. Er scheint mit Raketenantrieb unterwegs zu sein, wie in einem Cartoon, in dem statt der kurzen Beine des Mannes der Staub zu sehen ist, den er aufwirbelt. Seine Arme sind wie Zylinder, die auf Hochtouren laufen. Wäre die Situation nicht so bedrohlich, würde ich mir das genauer ansehen, aus reinem Interesse. Ich renne wie ein Irrer, dennoch kommt der Mann, die Kugel, diese rätselhafte Maschine . immer näher.
Endlich erreiche ich das Ende der Hauswand, scharf rechts ist der Hinterhof mit der Laderampe und der Leiter aufs Dach. Eine andere Idee habe ich nicht. Wenn es mir gelingt, über die Leiter aufs Dach zu klettern, kann ich dem Angreifer von oben auf die Finger treten. Eine Notlösung, kein Zweifel. Aber mir fehlt die Muße, weitere Szenarien auszuloten, die Kugel rollt, und ich bin der Kegel.
Noch fünfzehn Meter. Zehn, fünf. Ich vollziehe eine scharfe Wendung, renne zur Laderampe, erreiche die Stahltreppe, erklimme die klappernden Stufen. Eine nach der anderen, erreiche die Ladebrücke, eine Art Zwischenplateau. Weiter. Schritt für Schritt, ich werde es schaffen .
Dann schlägt in meinem Rücken die Bowlingkugel ein.
Die Wucht des Aufpralls ist heftig, ich verliere den Halt, werde in die Luft geschleudert, schlage am Boden auf, versuche aufzustehen, schaffe es nicht. Auf meinem Rücken hockt ein Pferd. So fühlt es sich an. Als hätten Reiter und Pferd die Rollen getauscht.
Bowlingkugel, so nenne ich ihn jetzt, wiegt schwer, und er packt mit beiden Händen meinen Kopf. Kurze, kräftige Finger üben Druck auf meine Schläfen aus, mein Kopf wird ruckartig angehoben, dann kollidiert meine Stirn mit dem harten Stahlgitter. Einmal, zweimal, dreimal. Der Aufprall hallt durchdringend nach, lässt meinen Körper erzittern. Ich versuche, die Handgelenke des Mannes zu fassen zu bekommen, aber sie sind stabil und dick und fest mit dem Untergrund verbunden, wie Rohre eines Rohrverlegers, der ganze Arbeit geleistet hat. Es gelingt mir einfach nicht, den Mann zu stoppen. Er hämmert weiterhin meine Stirn gegen das Gitter. Immer wenn er mich an den Haaren zieht, um zum Schlag auszuholen, sehe ich für Momente links von mir lose Bretter, die ich vor einiger Zeit für Wartungsarbeiten im Erdbeer-Labyrinth verwendet hatte.
Ich strecke meinen rechten Arm aus, finde endlich Halt an einem der wie ein L geformten Holzbretter. Ich ziehe es heran, Zentimeter für Zentimeter, endlich kann ich es mit den Fingern umschließen. Bowlingkugel lässt meinen Kopf unverdrossen einen ungleichen Kampf mit dem Stahlgitter austragen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Metall irgendwann nachgeben wird. Die Zeit wird knapp. Ich konzentriere alle meine Sinne darauf, das Brett zu umschließen, versuche, mir ein halbwegs akkurates Bild davon zu machen, wo der Kopf und der Rücken des Mannes sein könnten, dann führe ich ruckartig den Schlag aus, so gut es eben, vollkommen entkräftet, noch geht.
Im Moment des Aufschlags ist ein merkwürdiges, überraschendes Geräusch zu hören. Weich. Feucht. Die Finger, die...
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