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Kapitel 1
Tante Connies Gurkensandwiches liegen, befreit von der Plastikfolie, auf einer Anrichteplatte auf Mrs. Gardners Tisch. Die spitz zulaufenden Dreiecke sind trocken und hart geworden. Wie Reihen von Zähnen. Vier Reihen. Der Kiefer eines großen Weißen Hais. Ich starre sie zu lange an und spüre, wie der Blick meines Vaters zu mir herwandert. Ich zwinge mich, ihm zuzulächeln. Er beobachtet mich, hier in diesem mit in Schwarz und Grau gekleideten Menschen gefüllten Raum. Das Wetter heute will nicht recht zu diesen Farben passen. Es ist zu heiß für die Jahreszeit, und der Muff von lange nicht getragenen Kleidern mischt sich mit dem penetranten Odeur von Frühlingsschweiß.
Ich sehe zu Mrs. Gardner hinüber, die an der Tür steht, betrachte ihren feinen rauchgrauen Cashmerepullover und die schwarze Hose mit den korrekten Bügelfalten. Sie spricht mit einer Frau. Die Finger der rechten Hand berühren leicht ihre Perlenkette. Ihr Gesichtsausdruck wirkt wie aufgemalt - freundlich, liebenswürdig, Wangen und Augen und das kleine Lächeln auf korrekte Weise arrangiert, der vollkommene Ausdruck kontrollierter Trauer.
Im Garten stehen, mit Zigaretten in den Händen, mehrere Leute in knielangen, an den Säumen ausgefransten Hosen, die vom Salz rissigen Fersen sind in den Gummisandalen sichtbar. Sie drängen sich zusammen, blicken auf ihre Getränke in den roten Plastikbechern, weil Mrs. Gardner es nicht duldet, dass sie aus Dosen trinken. Unter ihnen eine junge Frau, das lange Haar unter einem Hut verborgen. Sie schaut zu mir herüber und dann wieder weg, die Augen vom Weinen gerötet.
Die Luft im Zimmer ist zum Schneiden dick. Ich werfe einen Blick auf die Sandwiches, die Zia Connie nie für die Familie, sondern nur für solche Gelegenheiten macht. Für merigans, obwohl sie diesen Ausdruck in dieser Gesellschaft nicht gebrauchen würde. Ich stelle mir vor, wie die Gurke an meinen Zähnen klebt, wie die dicke Butter gegen den Gaumen matscht, wie das trockene Stück Brot in der Kehle stecken bleibt. Es sind die gleichen Sandwiches, die Zia Connie zuletzt auf der Beerdigung von Teresinas Ehemann serviert hat. Der Unterschied ist der, dass er fünfundsiebzig geworden ist. Und Alex ist erst einunddreißig. War erst einunddreißig.
Papa kommt durch den Raum auf mich zu. Ich sehe ihn aus dem Augenwinkel. In meinem Mund sammelt sich auf diese ganz bestimmte Weise Speichel, die einem sagt, dass man sich gleich übergeben musst.
Ich laufe los. »Entschuldige mich . sorry.«
Der Magen revoltiert. Ich beschleunige meine Schritte. Meine Füßen tragen mich zur Tür, die hohen Absätze trommeln einen schnellen, verzweifelten Rhythmus draußen auf der Vordertreppe. Frühlingsluft, grün und frisch, füllt meine Lungen.
»Frankie?«
Das ist Papa. Ich möchte gerne kehrtmachen und mich in seine Arme werfen, aber die Leute können uns durch die Fenster sehen, sie würden die Hälse recken und uns beobachten. Mrs. Fratelli, meine Chefin in der Stadtverwaltung, meine Tanten, Alex' Arbeitskollegen, die Jungs, mit denen er Hockey gespielt hat und ihre Frauen. Mein Cousin, Vinnie. Und meine Cousinen, Giulia und Cristina - Cristina mit ihrem Baby auf der Hüfte. Meine Onkel Mario und Roberto, die beide noch volle Teller in den Händen halten. Ein paar Familienangehörige von Mama, entfernte Verwandte, an deren Namen ich mich nicht erinnere und die mich ständig mit den Augen verfolgen. Gardners. Caputos. Mehr Caputos als Gardners, aber alle beobachten mich, mit vollen Tellern und ernsten Gesichtern.
»Das arme Mädchen«, werden sie sagen. »Erst ihre Mutter und jetzt das.« Sie werden die Köpfe schütteln und im Stillen Gott danken, dass es nicht ihre Schwester oder Tochter oder Nichte ist. Gott danken, dass es nicht sie getroffen hat.
Ich schwanke über den heißen Rasen, als wäre ich betrunken. Aber die Luft hier draußen ist gut, besser als drinnen, ich atme tief ein, laufe weiter. Flüchte.
»Frankie?«, ruft Papa noch einmal von der Tür her.
»Alles okay.« Meine Stimme ist belegt. Wir beide wissen, dass nichts okay ist.
Er sieht mir nach, mit dieser typischen überforderten Miene. So sieht er aus, wenn er sich über Onkel Marco ärgert. So hat er damals geguckt, als Cousin Vinnie sich vor unseren Augen das Bein gebrochen hatte - der Knochen stach durch die Haut heraus. Oder - das war am schlimmsten - als Bella gegangen ist.
Ich schreite energisch aus, als wüsste ich, wohin ich will. Ich spüre das Drücken der lächerlichen schwarzen Satinsandalen nicht. Ich höre das pergamentene Rauschen des schwarzen Kleides nicht. Ich gehe an einem Zaun mit weißen Rosen vorbei. Vorbei an einem Auto mit abblätternder gelber Farbe und einer wackelnden Mutter Gottes auf dem Armaturenbrett. Eine große dunkelhaarige Frau ist im Begriff auszusteigen. Ich gehe weiter, setze mich in mein eigenes Auto und lasse den Motor an. Die Föhnhitze der Klimaanlage bläst mir ins Gesicht.
Ich fahre durch die Stadt, die sonntäglich verschlafen und ruhig ist, und weiter in die Vororte. Erst stehen die Häuser dicht zusammengedrängt, dann werden die Abstände größer. Eine Frau sieht aus dem Küchenfenster, blinzelt, hält inne, greift nach einer Handvoll Besteck. Eine Katze beobachtet mich von einer Veranda aus, als wäre ich eine Maus, die gelben Augen blicken ungerührt. Ein Kind auf einer Schaukel, ein aufsässiger Blick. Ein Hund folgt mir ein Stück, breites Grinsen, die Zunge heraushängend wie ein Lesezeichen, als wollte er dorthin, wo ich hingehe. Als wüsste er, wo ich hingehe.
Aber ich weiß es nicht. Oder nicht genau.
Ich stelle die Klimaanlage aus und öffne die Fenster, spüre, wie die Welt zu mir hereinströmt. Mein Handy klingelt. Ich sehe zum Beifahrersitz, kann mich aber nicht erinnern, dass ich es dorthin gelegt habe. Es klingelt und klingelt, hört auf und fängt wieder an. Ich kann mir ihre Fragen denken: Wo? Warum? Wie lange? Und das Mitleid: Oh, mein Liebling, cara mia, so beruhige dich doch, ich weiß. Aber niemand weiß. Nur ich weiß. Er gehörte mir. Und jetzt ist er fort.
Ich greife nach dem Handy, als es zum dritten Mal klingelt und werfe es aus dem offenen Fenster. Ich höre nicht, wie es auf dem Asphalt aufschlägt. Es verschwindet einfach, als würde es vom Erdboden verschluckt, dann herrscht wieder wohltätige Stille. Nur die Geräusche des Motors, des Winds, der am Fenster vorbeistreicht, und der Räder auf der Straße sind zu hören.
Die letzten Häuser treten den Rückzug an, machen gähnender Leere Platz. Dann dringt das Flüstern des Meeres durch das offene Fenster herein. Das Abkühlen der Erde. Bald sind wir im Wald.
Die Sonne geht unter, Zoll um Zoll, verschwindet in den Wolken, um zu schlafen. Ich fahre jetzt langsam, um den Weg zu finden. Alex, blond, quicklebendig und immer zur Stelle, sitzt neben mir, zeigt mir den Weg. Nur dass er genau das nicht ist. Du erinnerst dich, Frankie. O ja, erinnere mich. Eine Linkskurve, dann noch eine, ich folge den Schildern. Edison, WA. Noch ein Stück weiter.
Bäume ragen auf. Einladend und warnend zugleich. Dann, endlich, wird die Straße zu einer Zufahrt, unbefestigt, knirschender Schotter. Ich werde noch langsamer. Äste bilden über mir eine Kathedrale. Hier ist die Kirche, und hier ist der Kirchturm. Öffne die Tür .
Ich halte an und steige aus, meine Füße sind nackt. Inzwischen dämmert es. Die Hütte liegt vor mir. Sie ist alt, aber intakt, klein, aber perfekt. Die alten Baumstämme sind auf eine ganz bestimmte Weise zugeschnitten und zusammengefügt, von Männern, die gewollt haben, dass sie Bestand hat. Alex gehörte zu der vierten Generation von Söhnen, die hier auf Spinnenjagd gegangen sind. Vier Generationen, die mit ihren Messern die umstehenden Douglastannen angeritzt haben, um zu sehen, wie das Harz aus ihnen heraustropft, die den langen Weg zum Meer hinuntergegangen sind, um zu schwimmen, wenn das Wasser noch viel zu kalt war.
Ich gehe um die Hütte herum, über piksende Tannennadeln, umhüllt vom würzigen Duft des Waldes. Ich fahre mit den Fingern an den Stämmen entlang. Der Schlüssel fällt auf meine Füße, schwer und rostig.
Ich stecke ihn ins Schloss, dann zögere ich, lasse den Schlüssel, wo er ist und trete einen Schritt zurück, um mich in einen der beiden alten Holzgartensessel zu setzen. Einen Moment frage ich mich, ob er unter mir zusammenbrechen wird, wie es Goldlöckchen im Märchen passiert, doch der Stuhl ist unverwüstlich. Mein schönes, unpraktisches schwarzes Kleid bleibt allerdings an einem Stück Holz hängen und reißt.
Langsam findet mich die Dunkelheit. Der Mond, der durch einen Riss in den Bäumen guckt, ist milchweiß. Der Wind flüstert in den Blättern. Die Bäume greifen nach den Sternen und schwanken. Die Sterne glitzern wie Diamanten an ihren Fingern. Mir ist kalt, und ich bekomme eine Gänsehaut. Ich zittere.
Es war so leicht, sich in Alex zu verlieben.
Ich war eine »Spätentwicklerin«. So hat es Tante Connie jedenfalls gern ausgedrückt. Oder wie Tante Rosa über ihrem Espresso mit zu viel Zucker zu sagen pflegte, als wäre ich nicht da: »Porco Dio, wann bekommt dieses Mädchen endlich einen Busen?« Bella hatte dieses Problem nicht. Sie bekam in den Sommerferien, als sie nicht einmal vierzehn war, plötzlich Brüste, und als die Schule wieder anfing, kriegten die Jungen die Münder nicht mehr zu. Im gleichen Alter verbrachte ich viel Zeit in der Bibliothek und versteckte mich vor den Jungen, die...
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