Prolog - Die Umkehr des Schicksals »In dieser Nacht sterbe ich.« Caliyan trat an den Abgrund. In der Tiefe peitschte die nächtliche See gegen die Steilküste und untermalte die Magie, die in seinen Adern ihr dunkles Lied sang.
»Du bist fest entschlossen.« Sein Gegenüber musterte ihn aus schwarzen Augen. »Bist du sicher, dass er hier ist?«
Caliyan lauschte der Melodie, die nach ihm rief. Verfluchte die Wunde, die niemals heilte. »Er ist mit dem Rest der Rebellenflotte auf offener See.«
Dichter Nebel versagte ihnen den Blick auf die stolzen Fregatten, an deren Spitze der Admiral der Rebellion Kurs auf das Herz des heressianischen Reiches setzte.
»Vaelen wird sich an dich erinnern. Wenn du das Ritual aufhebst, gibt es keinen Weg zurück.«
»Nenn ihn nicht so. Der Admiral ist nicht Vaelen.« Eine Brise flaute auf, der Duft der See einst so vertraut und nun so fremd, wie der Mann, den er suchte. »Vaelen ist tot. Es endet heute. Ich werde nicht versagen.«
Arahyr trat näher. »Daran zweifle ich nicht, mein Freund.«
Freund? Die Jahre hatten ihn vergessen lassen, was dieses Wort überhaupt bedeutete. »Ich danke dir«, sagte er. »Deine Hilfe war nicht selbstverständlich.«
»Sie war das Mindeste, nachdem ich euch vor all der Zeit im Stich gelassen habe.«
Er winkte ab, wollte nicht an den Augenblick zurückdenken, der sein Schicksal für immer verändert hatte. Nicht heute. Nie wieder. Oh, Vaelen, vergib mir.
Der Wind drehte. Etwas Beißendes mischte sich darunter. Rauch. Arahyr setzte zu sprechen an, schien dasselbe zu denken, doch die Worte erreichten Caliyan nicht. Ein Hinterhalt?
Ohne zurückzublicken, beschwor er seinen Schutzschild und sprang in die Tiefe. Er raste an den glänzend schwarzen Klippen vorbei, bis er inmitten des Gerölls landete. Kaum rannte er zwischen den Felsen zum Ufer, zerriss eine Explosion die Nacht. Am Horizont schoss eine Flammensäule in den Himmel, ihr weißes Licht jenes Leuchtfeuer, das auch in ihm loderte. Caliyan schloss die Augen, ertrank in dem Ruf einer Verbindung, die er seit dem Ritual stets verdammt hatte, und schwang sich über die Bordwand eines der kleinen Segelboote, die in den Wellen schaukelten. Seine Magie füllte die Segel, trieb ihn hinaus auf die offene See, mehr als ein lautloses Flüstern brauchte er dafür nicht.
Bald fluchte er über sich selbst. Über das Schwarzpulver, das die Luft erfüllte und in seinen Lungen brannte. Rauch hüllte ihn in einen dichten Schleier, in dem Rußpartikel tanzten wie grauer Schnee. Verklärte Lichter flimmerten in einer unwirklichen Stille. Er hielt darauf zu, sein Brustkorb so eng, dass ihm der Atem stockte, als sie sich in sterbende Flammen verwandelten, die an den Schiffsskeletten emporzüngelten.
Krähenschwärme stoben ihm entgegen und ließen die Rebellen zurück, die zwischen den Wrackteilen trieben. Er sah nicht hin, ertrug den Anblick nicht, denn mit einem Mal schienen all die Toten sein Gesicht zu tragen.
Vaelens.
Caliyan erstarrte. So lange hatte er die Augen vor dem Krieg zwischen der Heressia und der Rebellion verschlossen. Rächte sich nun sein Zögern, sein jahrelanges Warten?
Der Gedanke allein ließ ihn sein Boot antreiben, bis sich die Schemen der verbliebenen Rebellenflotte aus der Finsternis erhoben. Ihre kompakte Bauweise trug die unverkennbare Handschrift der Schiffsbaumeister von Ethelis. Trotz ihrer Verluste formierten sie sich. Ihre erste Salve dröhnte in seinen Ohren und Flammen gaben drei prunkvolle Galeonen preis, die am Horizont inmitten einer übermächtigen Streitmacht auseinanderbrachen. Weil Freiheit das höchste Gut ist, echote Vaelens Stimme in ihm und hinterließ einen bittersüßen Schmerz.
Die Antwort der Heressia kam tausendfach. Brennende Geschosse wirbelten durch die Nacht und rissen durch die Rümpfe stolzer Fregatten. Schlagartig war es taghell. Überall ächzte es, stiegen Flammen in den Himmel und bald segelte er inmitten des Infernos.
Um ihn herum sprangen die Rebellen über die Reling der sinkenden Schiffe und kämpften im eisigen Wasser ums Überleben. Caliyan lenkte einige heressianische Angriffe ab und verwandelte einen Dreidecker in ein Flammenmeer. Er benutzte so viel Magie, dass die Schlacht vor seinen Augen verschwamm, und klammerte sich heftig atmend an den Mast. Wo war die Fregatte des Rebellenadmirals? Wo war Gahaved Cen'to?
Ein loderndes Geschoss klatschte neben Caliyan auf. Die schiere Wucht riss ihn von den Füßen und er starrte ungläubig auf das Feuer, das sich auf der Wasseroberfläche ausbreitete.
Alte Magie.
Er selbst hatte dafür gesorgt, dass sie verschwand, hatte jeden vernichtet, der sie benutzte. Das zumindest hatte er geglaubt. Doch was er sah, strafte ihn Lügen. Im letzten Moment flimmerte sein Schutzschild auf und bewahrte ihn vor der Flammenhölle, die den schwimmenden Rebellen den Tod brachte. Er hustete und zwang sich, aufzustehen.
Jenseits des Qualms legte sich Admiral Gahaveds schwarze Fregatte so grazil in den Wind, dass es kein anderes Schiff mit ihr aufnehmen konnte. Die Roa Hourak, Das Licht des Morgens, war nicht nur unversehrt, sie machte sich bereit zum nächsten Angriff. Caliyan zwang seinen Schutzschild um sie und fluchte, weil es ihm nicht gelang. Irrsinn, es auf diese Distanz überhaupt zu versuchen.
Sein Boot schoss vorwärts. Die Gischt klatschte ihm entgegen, rauschte wie der Herzschlag in seinen Ohren. Er musste zu Gahaved, sofort. Gegen Alte Magie hatte niemand eine Chance. Niemand außer ihm. Das Ritual aufzuheben war das Einzige, was zählte. Falls Gahaved starb, bevor er ihn erreichte, würde sich alles wiederholen. Ein weiteres Mal ertrug er nicht. Doch heute würde er dem Schicksal trotzen. Er wusste wie.
Die Roa Hourak hielt auf die heressianische Flotte zu. Gefolgt von zwei Rebellenschiffen navigierte sie durch die Kanonensalven. Gahaved steuerte sie selbst. Natürlich tat er das, niemand sonst fuhr ein derartiges Manöver und lebte. Mehr noch, seine Kanoniere entzündeten die Lunten. Sich einer solchen Überzahl zu stellen grenzte an Wahnsinn, doch es erfüllte Caliyan mit Stolz, dass Gahaved für jenen Traum kämpfte, den er selbst längst aufgegeben hatte.
Endlich gelang Caliyan das Unmögliche. Er schloss seinen Schutzschild um die Roa Hourak und Schmerz brannte sich wie flüssiges Eis durch seine Adern, als sein eigener Schild in sich zusammenfiel. Trümmersplitter regneten auf ihn nieder. Er zuckte, seine Hand schnellte an seine Schulter. Blut quoll unter seinen Fingern hervor, doch es spielte keine Rolle.
Die Roa Hourak drehte bei und der Wind trug ihn zu ihr. Caliyans Blick huschte zum Achterdeck, wo Gahaved seiner Mannschaft Befehle erteilte. Die Ruhe, die er ausstrahlte, wollte so gar nicht zu dem Chaos passen, das ihn umgab.
Flüchtig trafen sich ihre Blicke. Einen kurzen Moment lang erstarrte der Admiral, bevor er das Steuerrad herumriss.
Das war Caliyans Chance. Während die Roa Hourak feuerte, schlang er das Seil eines Wurfankers um sein Handgelenk und warf. Der Anker verhakte sich in der Reling, riss ihn mit sich und schleuderte ihn gegen die Bordwand. Unter ihm zerschellte sein Boot am Rumpf der Fregatte.
Caliyan zog sich an Deck. Kanoniere luden die Geschütze nach, Matrosen schleppten Kugeln oder stopften ihre Pistolen im Schutze der Reling. Inmitten des Trubels hielt er Ausschau nach Gahaved, drängte an den Kanonenreihen entlang und bremste den Sturz eines jungen Kanoniers, den die Wucht einer Explosion sonst hätte über Bord gehen lassen. Als er sich an ihm vorbeischob, packte ihn der Mann und legte die schweißüberzogene Stirn in Falten.
»Du bist keiner von uns.«
Er schob die Hand weg. »Bin ich nicht. Aber ich .«
Eine Kanonenkugel erschütterte den Schutzschild und prallte davon ab. Ungläubig folgte ihr der Blick des Kanoniers über die Reling, wo sie nutzlos aufklatschte. Caliyan unterdrückte ein Keuchen und der Mann starrte ihn an. »Du warst das?«
»Steh mir nicht im Weg.« Er überließ den Kanonier sich selbst. Seine Antwort schluckten die feuernden Kanonen.
Eine heressianische Fregatte näherte sich, ihre aufflackernden Lunten Sterne einer sterbenden Welt. Caliyan drängte zwischen der Besatzung an die Reling, wob seine Magie um das gegnerische Schiff und ertränkte es in Feuer.
Schwer atmend wandte er sich ab. Alle Blicke richteten sich auf ihn. Niemand hielt ihn auf, als er Gahaved entgegenrannte. Bevor er das Ritual aufhob, würde er dafür sorgen, dass Gahaved lebte. Vielleicht konnte die Rebellion siegen. Er würde ihm diesen Traum nicht nehmen.
Ein Grollen erhob sich. Etwas raste herbei und schlug hinter ihm durch seinen Schutzschild. Der Aufprall riss Caliyan zu Boden. Seine Ohren rauschten. Er presste die Hände darüber und zwang sich auf die Füße. Wankend drehte er sich um, erstarrte. Ein Krater klaffte in der Mitte des Decks, schwarzer Nebel quoll daraus hervor. Alte Magie.
Die Schreie der Verwundeten dröhnten ihm entgegen. Er taumelte vorwärts durch die Wolke des Todes. Jeder Schritt war Feuer. Die, die konnten, sprangen über Bord, suchten Rettung, wo es keine Rettung gab.
Der Hauptmast wankte. Ächzend splitterte er und stürzte in Richtung des Hecks. Caliyan brüllte über die Schreie hinweg, um Gahaved zu warnen, doch in dem schwarzen Nebel sah er ihn nicht einmal. Sengender Schmerz durchfuhr seinen linken Arm. So heftig, dass er auf die Knie sank. Er schrie, weil es nicht seine Verletzung war.
Nicht jetzt. Nicht so.
Keuchend zog er sich hoch und stürzte die Stufen zum Achterdeck hinauf. Der geborstene Mast lag darüber, hatte Teile der Brüstung zerschlagen,...