Schweitzer Fachinformationen
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Räsoniert nicht über Musik; kommt und hört sie, bewegt euch zu ihren Klängen, laßt euch von ihnen durchströmen und beflügeln! Das klingt gut, ist aber nicht der Weisheit letzter Schluß in einer High-Tech-Welt, wo man ständig von künstlich erzeugten Geräuschen und Klängen umgeben ist, so daß man kaum mehr weiß, wie man die unerträglichen, die erträglichen und die erwünschten unter ihnen auseinanderhalten, wie man zwischen ihnen auswählen - und vor allem, wie man ihrer zudringlichen Allgegenwart entrinnen soll. In Musik absaufen ist fies. Dagegen hilft Denken. Es erträgt keine Dauerbeschallung, sucht Ruhe und trachtet Musik mit jener Stille zu umgeben, in der sich die Poren für Unerhörtes öffnen können.
Unerhörtes erschließt sich primär vom Gehör aus; aber das Hören gehört nicht zur Primärschicht des Erlebens. Ob Embryonen schon etwas erleben, ist zweifelhaft. Und solange Föten ihr Nervensystem erst ausbilden, ist ihr Erleben noch wenig konturiert. Wie weit sie schon etwas riechen oder schmecken, ist umstritten. Gewiß sehen sie noch nichts. Die Augen sind ihnen noch nicht aufgegangen. Wohl aber sind sie empfindlich für Temperatur und hoch empfindlich für Erschütterungen. Die Bewegungen des mütterlichen Organismus, sein Stoffwechsel, seine Stimme: dies alles teilt sich ihnen durchdringend mit. Wahrnehmen und Erschüttertwerden sind anfangs kaum geschieden. Föten hielten diese Erschütterungen gar nicht aus, wären sie nicht von einer schützenden Fruchtblase umgeben. Erschütterungen bedrohen das werdende Leben aber nicht nur. Es lechzt auch nach ihnen. Wie es Nahrung braucht, braucht es belebende Impulse, etwa jene leicht zitternden, die von der Stimme der Mutter ausgehen. Längst ehe es darin eine bestimmte Tonhöhe, ein Timbre, eine Lautstärke wahrzunehmen vermag, hat es sie als diffuse Gesamtkörpervibration empfunden. Allmählich bildet es ein Empfangsorgan für die akustische Dimension dieser Vibration aus, über das man viel zu wenig staunt: das Gehör. Allerdings entfaltet es sich erst nach der Geburt vollständig: in Räumen, die ungleich größer sind als der Mutterleib. Da erweist es sich als ein Frühwarnsystem gegen die umfassenden Erschütterungen durch Naturgewalten. Noch bevor sie zuschlagen, vermag es aus ihnen gewisse Vorboten herauszumerken: Geräusche, Töne, Klänge. Sie werden vom Trommelfell, dem Gehörzentrum im Innenohr, ins Nervensystem gefiltert. Die Schwingungen, die es dabei moderiert und modelliert, heißen Schallwellen.
Schall ist ebenso flüchtig wie inhomogen. Er wird von einer Schallquelle in Impulsen ausgesendet, die jäh aufschwellen und abflauen. Dauert die Flaute zwischen ihnen lang genug, so wird jeder einzelne Impuls als ein separater Schlag wahrgenommen. Wird die Flaute winzig klein, so ist das Gehör nicht mehr in der Lage, die Impulse als ein Nacheinander aufzufassen. Ab einer Frequenz von ca. fünfzehn Hertz beginnt es, sie als kontinuierliche Töne zu hören. Je höher die Frequenz, desto höher der Ton, desto unmerklicher sein Vibrieren, bis er schließlich bei ca. fünfzehntausend Hertz den Bereich jeglicher Hörbarkeit verläßt. Schallwellen sind also schlagbasiert: etwas genuin Rhythmisches. Erst von einer bestimmten Frequenz an geht ihre Rhythmik in Melodik über - und bleibt als Vibrieren darin gleichwohl erhalten. Jeder frei schwingende, als kontinuierlich wahrgenommene Naturton behält einen rhythmischen Untergrund; und jeder ist von einem ganzen Spektrum sogenannter Obertöne überwölbt, die nicht eigens erklingen, aber mitzittern. Sie werden als Timbre oder Intensitätsgrad des jeweiligen Tons wahrgenommen, nicht als separate Impulse und Töne neben ihm. Sie verschaffen ihm allererst seinen je eigenen Charakter.
Geräusche, Töne, Klänge sind Schallcharaktere. Das Gehör von Wirbeltieren ist seit Jahrmillionen auf sie eingestellt. Es merkt sie aus dem Erschütterungsvolumen von Naturbewegungen heraus. Etwas qualitativ anderes ist es hingegen, aus diesen Charakteren wiederum deren konstitutive Bestandteile herauszufiltern; etwa ihren rhythmischen Untergrund und ihre Obertonfrequenzen. Das gelang erst menschlicher Aufmerksamkeit, Mathematik und Physik. Da ist etwa die von Heinrich Hertz entdeckte und nach ihm benannte Schwingungseinheit. Man kann sich darauf einigen, den Ton mit der Schwingung von 440 Hertz pro Sekunde a zu nennen und von ihm aus ein ganzes Instrumentarium zu stimmen. Ebenso kann man seine Obertonreihe berechnen - dank einer fortlaufenden Multiplikation. Der erste Oberton, die nächsthöhere Oktave, schwingt mit 2 × 440 Hertz; der zweite, die Quinte darüber, mit 3 × 440; der dritte, die darauf aufgesattelte Quarte, mit 4 × 440; die darauf folgende große Terz mit 5 × 440 etc. Das Verhältnis vom Grundton zum ersten Oberton ist 1:2, vom ersten zum zweiten Oberton 2:3, vom zweiten zum dritten 3:4, vom dritten zum vierten 5:6 etc. Je entfernter vom Grundton, desto geringer werden die Abstände zwischen den Obertönen, desto unmerklicher wird ihr Mitzittern mit ihm, bis sie schließlich jede akustische Unterscheidbarkeit verlieren und nur noch mathematisch auseinanderzuhalten sind. Ende offen.
Die Obertöne, die in einem Naturlaut mitzittern, und die Intervallverhältnisse zwischen ihnen: sie gehören ihm von Natur aus an. Ihre Hervorhebung ist hingegen ein kultureller Eingriff. Egal, ob er durch mathematische Berechnung oder durch intelligente Blas- oder Greiftechnik geschieht, die aus einem Ton dessen Obertöne herauskitzelt, ohne ihn selber erklingen zu lassen - stets wird dabei Naturmaterial für menschliche Zwecke präpariert. Zahlen stellen Naturverhältnisse dar. Geschickte Griffe formen Naturlaute. Die ihnen entsprechenden Begriffe legen Natur aus. Aber sie sind nicht Natur. Die Obertonreihe selbst weiß zum Beispiel nichts von der siebentönigen Skala, die sich in die europäische Musikkultur so tief eingesenkt hat, als wäre sie «eine Forderung der Natur».[1] Mit größter Selbstverständlichkeit nennt man da den gleichen Ton, wenn er ein Register höher oder tiefer wiederkehrt, den achten (= die Oktave) - und nimmt ihn zugleich als den ersten Ton der nächsten nach oben oder nach unten fortlaufenden Siebentonserie. Das Siebentonschema (das sogenannte «diatonische»[2]) ist von der Acht bis hinunter zur Eins (von der Oktave bis zur Prim) derart nachhaltig durchstrukturiert worden, daß man kaum mehr anders als durch seine Terminologie verständlich machen kann, wie die Obertonreihe tickt, obwohl diese schon von der Terz an nicht mehr glatt ins Schema paßt. Man behalf sich mit zusätzlichen Unterteilungen in große und kleine Terz, große und kleine Sekunde, doch spätestens vom sechsten Oberton an, der zwischen kleiner Terz und großer Sekunde liegt, zeigte sich, daß auch diese Zusätze nicht ausreichen, um die Obertonreihe naturgetreu wiederzugeben. Dennoch gibt das Siebentonschema eine durchaus erhellende Darstellung und Vorstellung von dem, was es nicht angemessen erfaßt. Eine bessere zeichnet sich nirgends ab.
Das gilt auch für die natürliche Staffelung der Obertöne. Diese umgeben den jeweils erklingenden Ton wie am Königshof die Vasallen den Herrscher. Oktave, Quint, Quart, Terz sind die vornehmsten akustischen Höflinge, die dem Grundton den stärksten Widerhall geben, wenn auch immer nur mitklingend, nie selbst hervortretend. Dennoch ist die menschliche Stimme am ehesten in ihre Richtung gedriftet, als sie sich dazu gedrängt fühlte, ihren Lauten wiederholbare Intervallkonturen zu geben. Das heißt freilich nicht, daß sie in ihren steinzeitlichen Anfängen sogleich fähig oder überhaupt nur willens gewesen wäre, obertongemäße Intervalle zu artikulieren. Niemand exerzierte sie vor; niemand hörte sie aus ihrem Vibrationskontext klar heraus; niemand behandelte sie als vorbildlich. Sie machen sich lediglich vage geltend: als Zittern unterhalb jeder distinkten Tonwahrnehmung - in jener vegetativen Dimension, wo sich die Differenz zwischen akustischem und taktilem Erschüttertwerden, die mit dem Gehör in die Welt kam, wieder verliert.
In dieser Tiefenschicht spielt sich gelegentlich Entscheidendes ab - nicht nur bei Menschen. Die Geschichte vom weinenden Kamel, ein deutscher Dokumentarfilm von 2003, zeigt, wie es einer Nomadenfamilie in der Wüste Gobi gelingt, daß ein neugeborenes weißes Kamel, das vom Muttertier zunächst abgewiesen wurde und daher vom Verhungern bedroht ist, schließlich doch ans...
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