Schweitzer Fachinformationen
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Die Wohnung hatte zu allen vier Seiten Fenster.
Ein Jahr lang wohnte ich dort mit meiner kleinen Tochter in der obersten Etage eines alten dreistöckigen Bürogebäudes. Wir hatten das gesamte Stockwerk und noch das Dach für uns. Im Erdgeschoss gab es einen Fotoladen, die erste und zweite Etage hatte man geteilt und als Büros vermietet. In dem einen fertigte ein Ehepaar mit seiner Firma auf Bestellung goldene Wappen - als Plakette oder auch im Rahmen -, in den anderen befanden sich ein Buchhaltungsbüro sowie die Filiale einer Strickschule. Lediglich das zur Straße hinausgehende Büro im zweiten Stock stand, solange wir dort wohnten, leer. Hin und wieder schlich ich mich abends, wenn meine Tochter eingeschlafen war, dort hinein, lief in den Zimmern herum, öffnete das Fenster einen Spalt weit und genoss die Aussicht, die sich ein wenig von unserer, im dritten Stock, unterschied. Ich hatte dort immer das Gefühl, in einem Geheimzimmer zu sein, von dem sonst niemand etwas wusste.
Bevor wir eingezogen waren, hatte die einstige Besitzerin in der obersten Etage des Hauses gewohnt. Nur von dort gab es einen Zugang zum Dach, wo sich zu unserer Freude ein geräumiges Badezimmer befand. Im Gegenzug musste ich mich um den auf dem Dach befindlichen Wassertank und die Fernsehantenne kümmern. Außerdem gehörte es zu meinen Pflichten - für die Besitzerin schien das eine Selbstverständlichkeit zu sein -, spät abends, wenn alle nach Hause gegangen waren, noch einmal ins Erdgeschoss zu laufen und den Rollladen am Eingang herunterzulassen.
Seit dem Verkauf des Bürogebäudes an eine in der Gegend bekannte Unternehmerin namens Fujino nannte man es auch Fujino Building 3, und ich war die Erste, die dort oben als Mieterin einzog. Es schien überhaupt die erste Wohnung zu sein, die die neue Eigentümerin vermietete, denn eigentlich war sie auf die Vermietung von Bürogebäuden spezialisiert. Da das Gebäude recht heruntergekommen und die Wohnung nicht sonderlich gut geschnitten war, verlangte sie nicht viel Miete, wohl auch, weil sie befürchtete, sonst niemanden zu finden. Offenbar wollte sie erst einmal sehen, wie sich die Sache anließ. Es war also ein Zufall und für mich ein großes Glück. Genauso zufällig war es, dass der Name des Gebäudes derselbe war wie der meines Mannes, mit dem ich damals noch verheiratet war. Aus diesem Grund wurde ich des Öfteren für die Vermieterin gehalten.
Wenn man die schmale steile Treppe bis zum obersten Stock hinaufstieg, kam man zu einer Aluminiumtür, die eiserne Tür auf der anderen Seite war der Notausgang. Da es auf dem Treppenabsatz sehr eng war, musste ich, um die Tür zu unserer Wohnung zu öffnen, entweder eine Stufe zurücktreten oder auf die Sprossen der Eisenleiter zum Notausgang ausweichen. Im Ernstfall wäre es wahrscheinlich sicherer, meine Tochter zu packen und kurz entschlossen die Treppe zu nehmen.
Hatte man die Tür endlich geöffnet, stand man in einer lichtdurchfluteten Wohnung. Der rote Bodenbelag, der vom Eingang bis in die Wohnküche reichte, ließ die Helligkeit noch stärker wirken. Aus dem dunklen Treppenhaus kommend, kniff man unweigerlich die Augen zu.
»Oh, ist das warm hier. Es ist schön«, rief meine damals fast dreijährige Tochter, als wir das erste Mal im Licht der Wohnung badeten.
»Ja, es ist wirklich warm. Die Sonne ist einfach wunderbar«, sagte ich, woraufhin meine Tochter durch die Wohnküche rannte und voller Stolz erklärte:
»Ja, das ist sie, hast du das nicht gewusst, Mama?«
Ich hätte mir am liebsten selbst zu dieser Wohnung gratuliert, denn bei so viel Licht würde es mir leichter fallen, meiner Tochter Schutz zu bieten angesichts der Veränderungen in ihrem Leben. Morgens schien die Sonne in das neben der Eingangstür gelegene kammerartige Zimmer, in dem gerade einmal zwei Tatami Platz fanden. Ich erkor es zum Schlafzimmer. Durch das Fenster, das nach Osten zeigte, sah ich auf eine Reihe von Wohnhäusern mit kleinen Wäschebalkonen sowie auf die Dächer einiger Bürogebäude, die niedriger waren als unser Fujino Building 3. Keines der Häuser hier in dem unweit des Bahnhofs gelegenen Einkaufsviertel besaß einen Garten, doch die Balkone und Dächer, auf denen allerlei Töpfe oder auch Liegestühle standen und wo ich immer mal wieder in Yukata gekleidete ältere Männer und Frauen entdeckte, wirkten heimelig.
Das Schlafzimmer hatte, wie die daneben liegende Wohnküche und das sechs Tatami große Zimmer, noch ein Fenster nach Süden hinaus. Von dort aus konnte man hinter dem Dach eines alten einstöckigen Hauses auf eine Gasse mit Bars und Yakitori-Buden blicken. Obwohl die Gasse schmal war, gab es dort regen Autoverkehr, ständig hörte man es hupen.
Im Westen, an der Stirnseite der länglich geschnittenen Wohnung, führte ein großes Fenster auf die von Bussen befahrene Straße hinaus; von dort drang außer der Abendsonne auch der Lärm erbarmungslos herein. Unten auf den Bürgersteigen sah ich die schwarzen Köpfe der Passanten, die morgens zum Bahnhof und abends in entgegengesetzter Richtung nach Hause liefen. Vor einem Blumenladen auf der anderen Straßenseite standen Menschen an einer Bushaltestelle. Jedes Mal, wenn ein Bus oder ein Lastwagen vorbeifuhr, bebte unsere Wohnung im dritten Stock, und das Geschirr im Küchenregal klirrte. Das Gebäude, in das ich mit meiner Tochter eingezogen war, lag an einer Kreuzung, an der drei beziehungsweise vier Straßen zusammentrafen, wenn man die Gasse im Süden dazuzählte. Ein paarmal am Tag, wenn die Ampel Rot zeigte und der Verkehr erlahmte, kehrte für etwa zehn Sekunden Stille ein. Sie fiel mir allerdings fast immer erst dann auf, wenn die Ampel schon wieder auf Grün schaltete und die Automotoren erwartungsvoll aufheulten.
Vom Westfenster aus sah man linker Hand einen Wald in einer weitläufigen Parkanlage, früher hatte dort die Residenz eines Daimyo gestanden. Und obwohl ich nur einen kleinen Zipfel von diesem Grün erhaschen konnte, war dieser Anblick für mich wichtiger als alles andere.
»Das da? Das ist der Bois de Boulogne«, antwortete ich, wenn mich Freunde, die zu Besuch kamen, danach fragten. Der Bois de Boulogne war ein Wald am Rand von Paris, von dem ich nur den Namen kannte, der sich mir aber genauso eingeprägt hatte wie einige Orte aus Märchen, etwa Bremen und Flandern, und ich liebte es, aus Spaß ihre Namen vor mich hin zu summen.
An der nördlichen Wand der Wohnküche befanden sich eine Abstellkammer, die Toilette sowie die Treppe, die zum Dach hinaufführte. Auch in der Toilette gab es ein Fenster. Von dort aus sah man auf den Bahnhof und die Züge. Meine Tochter mochte dieses kleine Fenster besonders gern.
»Ich kann die Busse und Bahnen sehen. Das ganze Haus wackelt«, erzählte sie den Erzieherinnen und ihren Freunden im Kindergarten stolz.
Leider bekam sie kurz nach unserem Umzug Fieber und musste eine Woche lang das Bett hüten. Ich brachte sie zu meiner Mutter, die in einem Viertel in der Nähe wohnte, damit ich zur Arbeit in das Archiv gehen konnte, in dem ich damals beschäftigt war. Dort, in der Zweigstelle eines Radiosenders, sortierte ich Dokumente und nicht mehr gebrauchte Tonträger von Rundfunksendungen, die dann per Leihkarte ausgeliehen wurden. Nach Feierabend ging ich bei meiner Mutter vorbei, verbrachte ein paar Stunden mit meiner Tochter und kehrte schließlich irgendwann nach neun Uhr in die Wohnung zurück. Mein Mann wäre sicher auch eingesprungen, hätte ich ihm Bescheid gesagt, aber ich wollte ihn nicht bitten, obwohl ich meiner Mutter einiges zumutete. Nein, ich wollte ihn nicht in mein neues Leben lassen, nicht einen Schritt weit. Ich war selbst erschrocken, wie viel Angst ich davor hatte, dass er mir wieder näherkommen könnte, mir allzu vertraut schiene.
Er hatte mir mehrmals vorgeschlagen, ich solle doch zurück zu meiner Mutter ziehen. Deine Mutter lebt allein, sie ist bestimmt einsam, und für dich ist es auch nicht leicht, allein für das Kind zu sorgen. Dann könnte ich mich beruhigt von dir trennen.
Zu dem Zeitpunkt hatte mein Mann bereits beschlossen auszuziehen, er hatte sogar schon eine neue Wohnung gefunden. Sie lag an einer der privaten Eisenbahnlinien und würde in einem Monat frei werden, dann wollte er umziehen.
Ich wusste damals nicht, was ich tun sollte. Ich hatte die Entscheidung meines Mannes noch nicht wirklich begriffen. Wahrscheinlich würde er morgen wieder ankommen und lachend behaupten, es sei alles nur ein Scherz gewesen. Warum also sollte ich mir Gedanken machen, wohin ich ziehen könnte.
Ich erklärte ihm, dass ich nicht zu meiner Mutter zurückwolle. Auf keinen Fall. Es würde mich nur vergessen machen, dass du nicht mehr da bist, das will ich nicht.
Daraufhin bot er an, mir dabei zu helfen, eine Wohnung zu finden. »Du lässt dich ja immer übers Ohr hauen. Wenn du in irgendeiner Klitsche landest, kann ich vor lauter Sorge nicht ruhig schlafen. Überlass das also mir, ist schon in Ordnung.«
Das war Ende Januar. Jeden Tag war schönes Wetter. Ich ging mit meinem Mann zu diversen Maklern. Ich lief einfach hinter ihm her. Wir trafen uns in der Mittagspause, aßen eine Kleinigkeit in der Nähe meiner Arbeitsstelle und spazierten durch die Gegend.
Mein Mann nannte den Maklern die Anforderungen: Die Wohnung solle zwei Zimmer und eine Wohnküche haben, sie müsse sonnig sein und über ein Bad verfügen, und die Miete dürfe nicht mehr als 30000-40000 Yen betragen. Was Sie da wollen, kostet zurzeit 60000 oder 70000 Yen, meinte der Makler, den wir...
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