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Auch der Karl fängt bald an, sich zu fürchten. Er überhört einen Familienstreit mit dem Onkel Richard, an einem Abendkonzert im Gut eines Junckers waren die Lilli und der Fritz, und sie erzählt am nächsten Abend: «Wisst ihr, wie in der Symphonie -», Karl weiß nicht mehr, wie sie heißt, «- diese Tonfolge vorkommt, die auch im Horst-Wessel-Lied drin ist -», die Lilli singt drei Töne, «- und stellt euch vor, der Gauleiter Hildebrandt in voller Uniform, der ist jedes Mal bei der Tonfolge aufgesprungen und hat den Führergruß gezeigt, als Einziger, sicher zwanzig Mal, wie so 'n Hampelmann, das schreib ich!» Sie will sich ausschütten vor Lachen. «Das schreib ich, das gibt die Glosse.»
Der Onkel Richard wird leise und zischt: «Bist du wahnsinnig geworden? Das schreibst du nicht! Meinst du, dafür bin ich in die Partei gegangen!», und noch leiser: «Willst du uns alle umbringen?»
Und dann nimmt er die Lilli beiseite und sagt leise: «Lilli, Mensch, Lilli, sei nur vorsichtig, auch bei uns haben die Wände Ohren, oder weißt du genau, mit wem die Elfriede an ihrem freien Tag rumpoussiert? Pass nur auf, sonst bist du bald weg, sei nur vorsichtig.»
Die Lilli wird tatsächlich ein wenig kleinlaut, und der Karl fragt am nächsten Tag: «Lilli, musst du jetzt weg?», aber die Lilli meint, «I wo, ich doch nich», und am nächsten Sonntag fahren sie zum Grünsee, wo sie zum Mittagessen verkeimte Kartoffeln in die Glut legen.
Würste braten geht nicht mehr, die sind längst rationiert, und wie der Karl nölt, «och, schon wieder olle Kartoffeln», meint die Lilli, er solle jetzt mal schön brav die Dinger verdrücken und stark werden, sonst hole ihn am Ende noch der Wod.
Wie der Karl komisch kuckt, meint sie: «Nee, jetzt ernsthaft, du kennst den Wod nicht? Den wilden Jäger, den Himmelsfürsten? Von welchem Baum bist du denn gefallen? Pass mal auf: Der Wod war ein Fürst, dem hat vor vielen Jahren mal der ganze Norden und Osten hier gehört, so weit du nur sehen kannst und noch weiter, mit allen Seen und allen Flüssen und allen Feldern und allen Menschen, die da drauf gearbeitet haben. Und was er am liebsten getan hat, war mit seinen Hunden und seinem wilden Gefolge jagen. Fürchterlich hat er ausgesehen, mit stechendem Blick, hager und immer vornübergebeugt auf seinem Ross, einem wilden Schimmel.»
Das Karlchen reißt die Augen auf, und die Lilli macht ihre Stimme ganz tief.
«, hat er immer geschrien. Und wer nicht schnell genug aus dem Weg springt, den reitet er einfach übern Haufen, so wild gejagt hat der. Die Frauen, die sich nicht schnell genug verstecken konnten, hat er vorn aufs Pferd geschmissen und mitgenommen und später gebraten und seinen Hunden verfüttert.
Er hat dann aber am Ende doch seine verdiente Strafe gekriegt: Weil er derart wild gejagt hat, ist er mit dem Kopf vornüber in einen Baum und, stell dir vor, mitsamt seinem Pferd in tausend matschige Stücke zerplatzt. Weil er aber so zermatscht war, konnte man ihn nicht richtig auf dem Kirchhof begraben. Na, der liebe Gott hat ihn sowieso nicht gewollt, und noch nicht mal der Teufel wollte ihn haben.
Und drum muss er bis heute als wilder Jäger samt seinem Pferd immerzu durch die Lüfte hetzen, so hoch, dass er sogar den Himmel durcheinanderbringt, und wenn du mal noch wach bist, wenn's dunkel wird, zeig ich dir die Melkstraat, die hat auch der Wod gemacht, weil er so wild am Himmel herumjagt, dass er ständig gegen den Mond knallt und von dem Stücke absplittern, die dann am Himmel kleben bleiben. Und das ist übrigens eins der Geheimnisse vom Wod, sagt man, dass er oft Schlimmes tut und dann zum Schluss doch noch manchmal was Schönes draus wird, wie eben die Melkstraat. Auf der jagt er jetzt immer, und weil er kein Zuhause mehr hat, weder richtig im Himmel noch in der Hölle, und nirgendwohin kann, muss er immerzu ohne Pause hetzen und ist drum noch schlechter gelaunt als früher.»
«Na, und was hat das mit den ollen Kartoffeln zu tun?», sagt der Karl missmutig und schiebt seine Stücke auf dem Blechteller hin und her, sie schmecken muffig nach Keller.
Die Lilli antwortet: «Na, viel! Stell dir vor, einmal hat ein frecher Holzfäller in der Luft johlen gehört. Und statt sich schnell zu verstecken, hat er mitgejohlt, der Einfaltspinsel. Da ist der Wod mit seinem feuerflammigen Schimmel vom Himmel gefahren, der hat aus den Nüstern Funken gesprüht, und der Wod hat gerufen : - und du musst jetzt wirklich endlich mal ein lütt Platt lernen, das heißt nämlich, haste mitgejagt, kannste auch mitfressen -, und stell dir vor, dann hat er dem Holzfäller ein blutiges, zernagtes Frauenbein zugeworfen, rot bestrumpft war das, das ist dem Holzschläger sofort an seiner Kehle angewachsen, und der Holzschläger musste dann zeitlebens mit einem grauslig zuckenden blutigen Frauenbein am Hals herumlaufen und konnte nie mehr seine Kartoffeln in Ruhe essen und hat das Bein nie mehr abgekriegt. Erst wo er tot war, ist es abgefallen. Und weil der Wod so 'nen Verschleiß hat an Dienern, werden die Kinder, die nicht schnell genug aus dem Weg springen, gepackt, vorne aufs Pferd, und müssen dann immerzu dem schrecklichen Wod dienen, und das sind natürlich immer die kränklichen, schwächlichen, dürren, die nicht brav ihre Kartoffeln essen und drum nicht schnell genug aus dem Weg springen können, und der Holzfäller, der hatte nämlich auch so eine Abneigung gegen die Kartoffeln, olle Kartoffeln ess ich nicht, hat er immer gemault, und drum ist er auch so schwächlich gewesen und konnt sich gegen den Wod nicht wehren, und das hatte er dann davon.»
Der Karl isst seine Kartoffeln.
Später sitzen sie beim Künstler am Grünsee im Atelier zusammen, der Julius und die Lilli und der Fritz und Freunde des Malers, zwei alte Männer mit ihren Frauen, die viel reden, inmitten bombastisch bemalter Kulissen und kraftstrotzender Krieger aus Holz, der Karl schnitzt mit Stechbeiteln an herumliegenden Holzstückchen herum, und im Hintergrund wacht der große Engel aus Holz mit dem Gesicht der traurigen Dichterin über ihn.
Die Lilli hilft ihm schnitzen und passt auf, dass er sich nicht schneidet, beide hören mit einem Ohr zu, von Handel ist die Rede, von Grenzen und vom Krieg. Das Wort seines Vaters gilt etwas, denkt der Karl, und oft ist der Fritz anderer Meinung und meint, aber so komme man wenigstens vorwärts, wenn einer entscheide, wenn auch vielleicht nicht alle Entscheide die allerbesten seien, aber wohin die demokratischen Schwatzbuden führten, das sehe man ja an der Schweiz, reine Willkür sei das dort, und jeder Depp könne aufgrund seines Positiönlis jeden anderen blockieren, vorwärts gehe da gar nichts, drum sei doch gar nicht schlecht, wenn sich neue Hierarchien bildeten, ob sie lieber den Kaiser zurückwollten. Und der Künstler sei doch selber in der Partei.
«Weil ich musste!», dröhnt der da los. «Ich hätt sonst doch Berufsverbot, wo soll ich denn hin? Ich kann ja nicht mal mehr malen, wie's mir passt, nur noch diese Scheiße hier, kuck dich doch mal um, es kommt einem das Kotzen, und drei wunderbar gelungene Figuren, an denen ich zwei Jahre gearbeitet habe, musste ich verbrennen!»
Auch der Julius schüttelt seinen Kopf und hält dagegen, erstens Krieg. Und was das für den Außenhandel und für das Volk bedeute, und der Fritz meint, ja, natürlich, aber wenn nach dem Endsieg von der Wolga bis zur Mosel sowieso alles eins sei, sei das mit dem Außenhandel obsolet, weil sowieso alles im Reich hergestellt würde und die Handelszölle entfielen, und wie sie da dagegen sein könnten, «quod erat demonstrandum!», ruft der Fritz, er hat die alten Männer mit ihren eigenen Argumenten geschlagen und ist stolz auf sich, und die alten Männer schweigen und lachen dann ein bisschen, und einer sagt leise: «Ach ja, du eifriges Schwitzerlein», und lächelt schmal, und fügt hinzu, der Fritz werde die Schönheit seines Landes bald schon noch schätzen lernen, und der Julius ruft: «Bist du sicher, Lillikind, dass du dem seine Holde werden willst? Der Junge glaubt noch annen Osterhasen!», und die Lilli breitet theatralisch ihre Arme aus, und hebt noch theatralischer ihren Blick gegen die Atelierdecke und singt mit Zarah-Leander-Stimme: «Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheeehn .» Dann sagt sie: «Ihr alten Knacker solltet den da mal tanzen sehen, da schlackern euch die Hüftgelenke nur schon vom Zuschaun.»
Das Gelächter klingt jetzt echt. Der Fritz holt die Schnurrengiige hervor, wie er seine Mundharmonika nennt, und spielt eins, und es wird nicht weiter vom Endsieg und von der Front gesprochen.
Nur einer neckt, «Na, Fritz, pass bei der Hottentottenmusik, die du da spielst, bloß auf, dass dich keiner von der Partei hört, bald entartest du uns noch ganz», und der Fritz meint, na, alles finde er ja auch nicht toll, nur eben die größere Sache, über die Methoden könne man schon geteilter Meinung sein, er versuche, sich da rauszuhalten, mache eben mit, wo er müsse, und schon kurios, wen's da manchmal nach oben spüle, man denke nur an gewisse Gauleiter, aber wie gesagt, die größere Sache. Und an die, ja, an die glaube er wohl.
Der Karl kriecht, nachdem er genug geschnitzt und gehört hat, der Lilli auf den Schoß und schläft dort ein, aufgehoben in dem Gemusiziere und Gerede. Bis er mit einem Schrei alle aufschreckt: «Der Wod! Er kommt! Der Wod!», und sich auch in Lillis Armen lang nicht mehr beruhigt.
Sie sitzen einige Sonntage später erneut im Café an der Promenade, der Künstler ist diesmal dabei, die...
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