Schweitzer Fachinformationen
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Der Bus erreichte die Stadt und tauchte in den Straßenverkehr ein.
Vor dem Universitätsgelände hatte sich eine lange Schlange gebildet. Am Eingang zum Campus befand sich ein kleines Wachhaus mit einem Drehkreuz daneben, das bei Bedarf blockiert werden konnte. Der Wachposten bestand aus drei Wachmännern. Sie alle trugen eine rote Armbinde, auf der ein Buchstabe prangte: »M« für Milizionär. Eine Scheibe trennte den Posten vom Drehkreuz, davor hing ein Schild: »Halt! Passierschein vorzeigen!« Das Drehkreuz war so konstruiert, dass bei jeder Drehung nur eine Person das Studentenviertel betreten oder verlassen konnte. Wurde es blockiert, kam man weder hinein noch hinaus. Jeder wurde von den Milizionären kontrolliert, so dass sich auf beiden Seiten eine große Menschentraube staute. Luka, ein schlanker Junge von durchschnittlicher Größe, wahrscheinlich keine achtzehn Jahre alt, stand ebenfalls in der Schlange. Er hatte kurze, kastanienbraune Haare und schaute sich mit seinen blauen Augen etwas nervös um. Eine alte Frau kam auf ihn zu und bat ihn leise, fast flehentlich: »Genosse, kauf mir doch bitte zwei Päckchen Butter, wenn du reingehst, und wirf sie mir dann über den Zaun.«
Die Frau hielt ihm das Geld für die Butter hin. Er wusste nicht genau, was er tun sollte, er war zum ersten Mal hier, doch die Art, wie die Frau ihn ansah, machte es ihm unmöglich, ihr die Bitte auszuschlagen. Die Frau bemerkte sein Zögern.
»Studenten bekommen die Butter dort vergünstigt«, flüsterte sie ihm fast entschuldigend zu.
Sie steckte Luka drei Rubel in die Tasche, dabei zitterte ihre Hand so stark, dass es sich auf ihren Oberkörper übertrug. Sie blickte sich nach allen Seiten um, als wollte sie sich vergewissern, dass es keiner gesehen hatte.
Inzwischen war Luka an der Reihe.
»Hey, du, kannst du nicht lesen?«, fuhr ihn der Milizionär an und blockierte das Drehkreuz, so dass Luka stecken blieb.
»Passierschein!«, brüllte er.
»Ich bin zum ersten Mal hier, ich habe noch keinen Passierschein.«
»Was willst du dann hier, ohne Passierschein?!«
»Ich sage doch, ich bin zum ersten Mal hier.«
»Junge, geh rein oder raus, du hältst uns alle nur auf!«, murrten die Wartenden hinter ihm.
»Aber ich habe eine Wohngenehmigung.«
Luka holte das Universitätsschreiben aus der Tasche.
»Zeig her!«, der Mann riss ihm den Brief aus der Hand. »Ach, ein Schauspieler also?«, sagte er spöttisch.
»Lass ihn schon durch!«, rief der dritte Milizionär, der in der Ecke saß und Radio hörte.
»Sag ein Gedicht auf, dann kannst du passieren.«
»Ich kann aber keins auswendig.«
»Du willst ein Schauspieler sein und kannst noch nicht mal ein Gedicht aufsagen?«
Der Milizionär gab ihm das Schreiben zurück, und als Luka schon durch das Drehkreuz gegangen war, rief er ihm hinterher: »Hey, du Schauspieler, oder wofür du dich auch immer hältst, wehe, du lässt dich hier noch mal ohne Passierschein blicken!«
Der Laden war nicht weit vom Eingang entfernt, und so ging Luka hinein, kaufte die Butter und hielt Ausschau nach der Frau, die auf der anderen Seite des Zaunes geblieben war. Sie stand ein wenig abseits und winkte ihn zu sich.
Luka warf ihr die Butterpäckchen über den Zaun und fragte sie, wo das Gebäude Nummer zehn sei.
»Das Drittletzte«, sagte die Frau, und nachdem sie etwas gemurmelt hatte, das wie »Danke schön« klang, ging sie davon.
Luka blickte der Frau eine Weile hinterher. Sie wankte immer wieder und stützte sich auf ihren Gehstock. Irgendetwas an ihr kam Luka vertraut vor. Eine eigenartige, heimatliche Wärme ging von diesem gebeugten Rücken aus.
Bisher machte alles in der Stadt einen erhabenen und bedeutsamen Eindruck auf ihn. Vor zwei Wochen war er schon für die Aufnahmeprüfungen hier gewesen, doch hatte er damals nichts gesehen und nichts gehört - er hatte nur sein Ziel vor Augen, er wollte hier studieren, und nun war es so weit. Als er im Aushang der Universität seinen Namen auf der Liste derer las, die bestanden hatten, erschien es ihm, als hätte alles einen feierlichen Anstrich bekommen. Zurück in seinem Dorf kamen ihm sogar die Berge höher und majestätischer vor.
Die Stadt, die in ihm dieses hehre Gefühl hervorrief, erschien ihm einzigartig, erhaben und geheimnisvoll. Sie glich einer betörenden Frau, die Luka herbeilockte und ihm Glück verhieß.
Die alte Frau aber war kein Teil dieser Stadt, in ihren Schritten lag nichts Erhabenes. Wie eine mitten in einer harmonischen Melodie gerissene Saite schwang sie in Lukas Herz nach. Nein, diese Frau gehörte wahrlich nicht zu dieser Stadt, oder doch?
Luka drehte sich um und betrat das Gebäude, das die alte Frau ihm beschrieben hatte. In Zimmer Nummer 55 lag Merab Bakhia angezogen auf dem Bett, sein dicker Bauch ragte in die Höhe.
»Guten Tag«, grüßte Luka.
»Oh, guten Tag, werter Herr«, erwiderte Merab und richtete sich ein wenig auf.
»Mir wurde dieses Zimmer zugewiesen.«
»Aha, und von wo kommt der Herr?«
»Aus Gudamakari.«
»Wäre der Herr so nett, mir zu sagen, wo genau das liegt?«
»Hoch oben, in den Bergen.«
»Ach, wirklich? Und sagen Sie, isst man bei Ihnen die Zeitung eher gekocht oder gebraten?«
»Kommt ganz auf die Zeitung an«, antwortete Luka, und sofort brach Merab in schallendes Gelächter aus. Luka stimmte mit ein.
»Und wie sieht's bei euch mit Schaschlik aus? Schaschlik?«
Merab hörte nicht auf, unsinniges Zeug zu reden und sich selbst köstlich darüber zu amüsieren.
Plötzlich klopfte es energisch an der Tür und zwei Milizionäre stürmten herein. Sofort verging den Jungen das Lachen. Den Milizionären folgten einige Komsomoler.
»Keiner von euch rührt sich!«, befahl einer der Milizionäre, und sie begannen, das Zimmer zu durchsuchen.
Sie drehten die Matratzen um, rissen die Schranktüren auf, dann bemerkten sie eine leere Weinflasche und einer von ihnen fixierte Luka.
»Du, komm her!«
Luka ging zu ihm.
»Was ist das?«
»Eine Flasche.«
»Dass das eine Flasche ist, sehe ich selbst, du Grünschnabel. Schreib das auf!«, wies er seinen Kollegen an.
»Name?«
»Luka.«
»Und weiter? Oder glaubst du, du bist Zereteli höchstpersönlich?«
»Tschocheli. Und ich nehme mal an, dass Sie auch kein Tschawtschawadse sind.«
»Nun schau sich mal einer diesen Rotzlöffel an. Was anderes bringt man euch wohl nicht bei. Nicht umsonst sagt man wohl, dass man euch statt an der Brust eurer Mutter an Peperonis nuckeln ließ. Immer dieses A-E-I-O-U, Ba-Be-Bi-Bo-Bu! Man muss schon ein Esel oder Affe sein, um bei euch zu landen.«
»Bei euch landen ja nur die Schweine, was bleibt uns Eseln und Affen dann anderes übrig?«
»Pass auf, was du sagst, Genosse! Wie redest du denn mit dem Milizionär?«, empörte sich der junge Komsomoler über Luka.
»Na warte, ich werde dir die nächsten Tage schon zeigen, was ein echtes Affentheater ist!«, drohte der Milizionär.
Zwei weitere Komsomoler kamen herein und drückten sowohl Merab als auch Luka einen kleinen Becher in die Hand.
»Na, worauf wartet ihr noch?«, trieb sie der stämmige Milizionär an.
»Bitte?« Luka hatte nicht begriffen, was sie von ihm wollten.
»Na los, macht da rein.« Der Milizionär zeigte auf den Behälter.
Luka war verwirrt.
»Genossen, tut einfach, was von euch verlangt wird«, drängte der Komsomoler.
»Wir sind uns noch nicht ganz sicher, was genau wir da reinmachen sollen«, sagte Merab scheinheilig.
»Wie meinst du das?«
»Na, ob groß oder klein.«
»Wir brauchen eine Urinprobe für die Analyse.«
Der Milizionär verlor langsam die Geduld.
»Dürfen wir das wenigstens auf der Toilette erledigen?«
»Nein, gleich hier, vor unseren Augen.«
»Und wenn's überläuft?«, fragte Merab mit gespielter Sorge.
»Jetzt reicht's! Schluss mit diesem Geschwätz, nun macht endlich«, befahl der Milizionär streng.
Luka schaute immer noch verwirrt, Merab signalisierte ihm, dass nichts zu machen sei, und so gaben sie nach.
Die Komsomoler verschlossen die Behälter, beschrifteten sie und verließen mit den Beamten den Raum.
Die beiden Jungen blieben zurück, und während Merab weiter herumalberte, fühlte sich Luka gedemütigt und saß schweigend da.
»Mach dir nichts draus. Stell dir einfach vor, diesen Service würden wir jeden Tag bekommen. Jetzt müssen wir uns wieder selbst um unser Geschäft kümmern. Die werden das jetzt analysieren und feststellen, dass wir keine Drogen nehmen, und damit war's das auch. In der Zwischenzeit wirst du es längst vergessen haben.« Merab versuchte, Luka aufzumuntern. »Hier, das ist dein Schlafplatz.« Merab zeigte auf ein leeres Bett, dann ließ er sich von Luka die Wohngenehmigung geben und sagte: »Komm mit, wir holen dir Bettwäsche.«
Als sie alles hergerichtet hatten, sagte Merab: »Komm, darauf stoßen wir an.«
»Worauf?«, fragte Luka.
»Na, auf unsere Freundschaft.«
Die Jungen verließen das Gebäude.
»Da in dem Haus ist die Irrenanstalt der medizinischen Fakultät«, erklärte ihm Merab auf dem Weg.
»Aaaauuuwuuf!«, bellte eine alte Frau wie ein Hund, als die Jungen an einem der Fenster vorbeigingen.
Sie verließen den Campus, betraten eine Kneipe und tauchten in den...
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