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Wieder einmal hatte der Gelbe Sedip einen roten Kopf. »Ich möchte noch Folgendes sagen!«, brüllte er nun schon zum dritten Mal, während er seinen Blick über die zusammengepferchten Menschen im Raum gleiten ließ und ihn wie eine stechende und schneidende Schere auf die drei Männer warf, die vorne an einem Tisch mit dem Gesicht zu den Versammelten saßen, ein jeder auf einem hohen Stuhl.
»Du hast genug geredet, und wir haben dich verstanden. Du erdreistest dich, dem Beschluss der Bezirksleitung zu widersprechen!«, unterbrach ihn der Versammlungsleiter, der mittlere der drei, ein wohlbeleibter Mann um die Vierzig. Auch er hatte einen roten Kopf, der im Unterschied zu dem von Sedip fleischig und rund war, riesig wirkte und zwischen dem dünnen schwarzen Deckel aus langen, nach hinten gekämmten Haaren und dem ebenso runden Oberkörper ohne Halsansatz festgeklemmt schien.
Der Mann sprach gequetscht und gequält, was in Verbindung mit seiner Statur noch mehr Gewicht bekam. Der Tisch mit der dunkelroten Decke war für alle drei zu kurz, und da keiner von ihnen ganz daneben sitzen mochte, mussten sie sich zusammendrängen.
»Hör mir zu, Batyj, du großer, fetter Mensch mit dem Hirn eines Spatzen und dem Herzen eines Hasen!« Wildentschlossen fuchtelte dabei der Redner mit der Hand, als wolle er damit auf seinen Widersacher einhacken. »Ich bin nicht jemand, der sich von einem wie dir vorschreiben lässt, was er zu sagen hat und was nicht, geschweige denn, sich das Wort verbieten lässt. Nein, Genosse Noch-Darga, du wirst dich, hoffe ich, noch daran erinnern, dass ich meine Jugend der Sache der Revolution verschrieben habe als einer der allerersten fünf Kommunisten auf tuwinischem Boden, ich, Sedip, mit dem feuerroten Parteibuch, das ich zur Herzseite getragen habe!«
Wieder ist es der Wohlbeleibte mit dem glühenden Vollmondgesicht, der ihn unterbricht und höhnisch erwidert: »Das Parteibuch, das dir dann entzogen wurde! Dir würde ich raten, die Vergangenheit lieber nicht zu bemühen, da du sonst deine Schande hier noch einmal auftischen müsstest, denn keiner hat vergessen, was gewesen ist, und eine andere aufgeputzte Geschichte wird man dir hier nicht abnehmen, du Möchtegernkommunist und winziger dummer Blindgänger einer großen Stunde! Ist es so gewesen oder nicht? Ich frage dich vor dem Volk, du Gelber Sedip, Sohn des Schyrysch!«
Gelächter bricht aus. Die Menschen, die seit Stunden dicht gedrängt auf hölzernem Boden sitzen müssen, kommen in Bewegung, ein allgemeines Gemurmel entsteht. Der kahlrasierte, hagere Kopf des Redners glüht.
Da springt aus der unruhigen Menge Gasybaj, Sedips jüngerer Bruder, auf: »Noch ein beleidigendes Wort, du Sohn der Schwarzen Baashaj, und ich werde dir den Schädel spalten, damit du es weißt! Ich habe deine tote Mutter genannt, weil du zuerst unseren toten Vater genannt hast! Du siehst, wir haben einen Vater, nach dem wir genannt werden, wen aber hast du, Buschkind und Arschlecker?!«
Der Wohlbeleibte muss aufspringen und mit der Faust auf den Tisch schlagen. Dann brüllt er: »Ruhe, Ruhe!« Sofort tritt Stille ein. Ein jeder fällt in die Haltung mit eingezogenem Kopf und gesenktem Blick zurück. Nur die beiden Schyrysch-Söhne stehen aufrecht wie die letzten Lärchen in einer Wüste von Baumstümpfen.
»Sie haben, Genosse Gasybaj, von einer Beleidigung gesprochen«, fährt der Versammlungsleiter nun etwas gefasster fort, da er zufrieden ist über die so schnell wieder hergestellte Ordnung, »von einer Beleidigung, die es nicht hätte geben dürfen, einverstanden, aber ich frage, wer hat hier wen beleidigt?« Nach einer kleinen Pause, die gewollt ist, geht es mit aller Wucht weiter: »Sie, Genosse Gasybaj, haben nicht nur mich, sondern in meiner Person auch die Staatsmacht beleidigt, denn das, was Ihnen soeben über die Lippen gerutscht ist, passt genau zu dem Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch der Mongolischen Volksrepublik! Ist Ihnen dies bewusst?«
»Das mag sein«, pflichtet Gasybaj sichtlich eingeschüchtert bei, »doch zu dem unerfreulichen Wortwechsel ist es nur gekommen, weil Sie, Genosse Darga, dem Volk die Redefreiheit verweigern wollten, die ihm laut revolutionärem Gesetz zusteht, oder?« Damit wendet er sich ans Publikum, das ihn umgibt wie eine breite, schwere Flanke gegen die drei Männer, die sich hinter dem Tisch verbarrikadiert haben.
»Jawohl!«, tönt es vielstimmig aus der auf dem Boden hockenden Menschenmenge, aus der jetzt einzelne Stimmen zu vernehmen sind.
»Warum hört man nicht auf uns?« »Wir meinen, wir sind das Volk . das die Revolution gemacht hat, und dem nun der Staat gehört!«
Unsicherheit fährt in den Genossen Versammlungsleiter, der nun mit versöhnender Stimme eingreift: »Als ehrlicher Parteigenosse verhalte ich mich zur eigenen Tat kritisch und verspreche hier vor dem Volk: Solches wird nicht wieder vorkommen!«
Alsbald geht er jedoch wieder in die Offensive, sein Körper nimmt Haltung an, und die Stimme wird härter: »Das soll natürlich nicht heißen, dass ich stumm und untätig bleiben kann, wenn sich einer Worte herausnimmt, die die Prinzipien des Sozialismus in Zweifel ziehen. Ich fühle mich in meiner Funktion als Vorsteher eines Kreises und einer landwirtschaftlichen Vereinigung voll und ganz verantwortlich für alles, was hier geschieht, und werde als entscheidender Kopf und ausführende Hand der Partei und des Staates jedem Versuch, fehlerhafte Einschätzungen in Sachen der Leninschen Nationalitätenpolitik einzuschmuggeln, eine gnadenlose Abfuhr erteilen!«
Damit lässt er für einen kurzen Moment den Blick über die geduckten Köpfe der Versammelten schweifen und scheint zufrieden zu sein. Er setzt sich, und Gasybaj folgt seinem Beispiel. Der Gelbe Sedip aber bleibt weiterhin stehen.
»Über zweitausend Menschen leben hier im Kreis Zengelchairchan, und keiner ist gefragt worden, was er davon hält, nein, nicht einmal Sie, Genosse Kreisvorsteher, der Sie sich soeben für alles, was hier geschieht, für verantwortlich ausgaben, nicht einmal Sie sind gefragt worden!«, setzt der Redner, der sich inzwischen wieder in der Gewalt zu haben scheint, von Neuem an. »Und wieso geschieht es, dass eines Morgens, gleich Heuschrecken, Schwärme von Kasachen zu Fuß und zu Pferd auftauchen?«, will er in ruhigem Ton fortfahren, wird jedoch vom Versammlungsleiter unsanft unterbrochen: »Was reden Sie von Kasachen und von Heuschrecken, Genosse? Ich warne Sie!«
Sedip stockt, fährt zusammen, und seine tief liegenden grünen Augen sprühen zwei Strahlenbündel nach vorn, wo sie die drei Männer treffen. Die beiden Schatten, die den Wohlbeleibten in ihrer Mitte eingezwängt halten, scheinen seit Langem erstarrt. Jetzt bewegen sie sich erstmals, und Sedip legt los: »Von Kasachen rede ich deswegen, weil sie es waren, und nicht Tuwiner, nicht Chinesen, weder amerikanische Imperialisten noch japanische Militaristen! Und von Heuschrecken, weil ein jeder hier die schwarze Plage zur Genüge kennt, wenn fliegende Insektenschwärme das Land inmitten des grünen Sommers wieder und wieder heimsuchen und es innerhalb weniger Tage kahl fressen. Ja, als die Fremden kamen, sich niederließen und sagten, von Stund an würden Erde, Luft, Wasser, das Gebüsch und selbst unsere windschiefen Scheunen ihnen gehören, da musste ich, ein Mann mit sechzig Jahren und einer Menge Lebenserfahrung auf dem Buckel, an jene Plage denken!«
»Du hättest ja von Ortsfremden oder einfach von Menschen reden können!«
»Menschen? Hinter dem Präsidiumstisch sitzen drei Menschen, wie klingt das? Vielleicht ein Mann, eine Frau und ein Kind? Nein, ein Tuwiner und zwei Kasachen, möglicherweise Nachkommen von jenen Räubern, die deine Großmutter vergewaltigt und deinen Großvater erschlagen haben. Wenn sie selbst auch nicht ganz so schlimm waren, so sind sie doch bestimmt bis heute deine und meine Dargas! Nein, Sohn der Schwarzen Baashaj! So, wie sie dich in diesem Augenblick zwischen sich einzwängen, so werden sie dich auch künftig haben wollen! Ob du ihnen dienst oder nicht dienst, ihr Dank dir gegenüber wird heißen: Wir werden dich um alles bringen!«
Das Präsidium schreibt dreifach mit. Niemand unterbricht den Redner. Erst jetzt, nachdem sich dieser gesetzt hat, sichtlich bewegt, dass er sich hat aussprechen können, und auch im Publikum ein lebhaftes Gemurmel und Getuschel aufkommt, erhebt sich der Kreisvorsteher, wuchtig und wichtig. Er zögert noch, den Mund aufzutun, und lässt vorerst den Blick ruhig über die Gesichter gleiten, als müsse er jede Bewegung, jedes Zeichen auf diesen erhitzten, erschöpften, aber nun mit einem Mal belebten und bewegten Gesichtern in sich aufnehmen. Dann redet er, tut dies bedächtig, scheint jedes Wort vorher hinter den Zähnen abzuwägen und zurechtzulutschen, bevor er es loslässt, behutsam zwar, aber mit leichter Schärfe.
»Das Bild, das Sie da hingemalt haben, Genosse Sedip, sieht überhaupt nicht nach Lebenserfahrung aus, sondern stinkt nach schmutzigem Nationalismus und politischer Blindheit! Hiermit entziehe ich Ihnen endgültig das Wort und teile Ihnen außerdem offiziell mit, dass ich diesen Fall zur Klärung vor die Kontrollorgane bringen werde!«
Diese Worte vernichten. Die Versammelten, deren Köpfe nach und nach wieder in die Höhe gegangen sind, ducken sich erneut, und Sedip, der jähzornige Mensch, der nun eigentlich erst recht in Weißglut kommen müsste, stockt, zögert, hält den Kopf schief, überlegt und fängt...
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