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Sr. Liliane Juchli: Eine Inspiration für Generationen von Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern
Sophie Ley, Präsidentin Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK, Franz Elmer, Vize-Präsident Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK
Zu ihrem achtzigsten Geburtstag erschien zu Ehren von Sr. Liliane Juchli die von Trudi von Fellenberg-Bitzi verfasste Biografie: "Liliane Juchli - ein Leben für die Pflege." In jenem Jahr fand der Kongress des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner in St.?Gallen in den Olma-Hallen statt.
Sr. Liliane war an diesem Kongress eingeladen. Der Vortragssaal war bis auf den letzten Platz besetzt, als Prof. Rebecca Spirig, selber eine der Grossen der Schweizer Pflege, zum Gespräch mit Sr. Liliane einlud. Die Menschen hingen an den Lippen der Ordensfrau, die die Pflege im deutschsprachigen Raum während Jahrzehnten geprägt hat. Im Anschluss bot sich den Besucher*innen die Möglichkeit, die Biografie oder die DVD mit dem Film "Leiden schafft Pflege", der ebenfalls in diesem Jahr erschienen war, von Sr. Liliane signieren zu lassen. Innert Kürze bildete sich eine lange Schlange vor dem kleinen Tisch. Viele der anwesenden Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner hatten ihren "Juchli" mitgeschleppt, um ihn mit einer persönlichen Widmung wieder nach Hause zu tragen. "Die Juchli" - so hiess das Lehrbuch, das Generationen von Pflegefachpersonen in ihrer Ausbildung und im Berufsleben begleitet hat. Manche nannten es gar die "Juchli-Bibel". Ein Ziegelstein von einem Buch, das noch heute in unzähligen Stationszimmern aufliegt und mittlerweile in der 15. Ausgabe unter dem Namen "Thiemes Pflege" erscheint.
Alle, die Sr. Liliane persönlich treffen konnten, sind in einen ganz besonderen Genuss gekommen. Sie hatte das grosse Talent, jeder einzelnen Person, mit der sie sprach, das Gefühl zu geben, dass sie in diesem Moment ganz für sie da ist. Auch wenn die Schlange in St.?Gallen noch so lang war, diesen einen Moment schenkte sie dem Menschen, der gerade vor ihr stand.
Diese Haltung machte auch das Pflegeverständnis aus, für das Sr. Liliane Juchli einstand. Es war ihr immer klar, dass die Pflege immer auch eine Begegnung zwischen Menschen ist, zwischen der Pflegefachperson und dem Patienten, der Patientin, die in dieser Situation oft verletzlich und hilfsbedürftig ist. In ihrer Biografie |20|schildert sie eine Situation, als ihr das wirklich bewusst wurde. Sie hatte nach einer längeren Zeit, in der sie vor allem in der Lehre tätig war, beschlossen, dass sie für die Überarbeitung ihres Buchs wieder in der Praxis arbeiten muss. Im Berner Inselspital sei sie in ein Patientenzimmer gekommen, wo die Infusion kontrolliert werden musste. Sie habe an der Infusion hantiert, bis es ihr wie Schuppen von den Augen fiel: "Was mache ich hier? Da liegt ein kranker Mensch im Bett, der jetzt gerade meine Zuwendung braucht!"
Bei dieser Überarbeitung des Lehrbuchs, das 1983 erschien, machte Sr. Liliane eine Kehrtwendung. Standen bis anhin medizinisch-technische Aspekte der Pflege im Vordergrund, stellte sie ab der 4. Ausgabe konsequent den Menschen ins Zentrum. Sie war damit, global gesehen, zwar keine Pionierin. Im angelsächsischen Raum war das Konzept der Aktivitäten des täglichen Lebens bereits im Zentrum der professionellen Pflege angekommen. Das Verdienst von Liliane Juchli war ihre Breitenwirkung im deutschsprachigen Raum. Sie hatte die Fähigkeit, ihre Ideen und Ansichten anschaulich zu schildern und die Menschen davon zu überzeugen. In der Schweiz, Deutschland und Österreich war sie eine Ausnahmefigur und leitete einen Paradigmenwechsel ein. Die Pflegefachpersonen waren in ihrem Pflegemodell nicht mehr jene, die die Anweisungen der Ärzteschaft ausführen, sondern sie hatten einen ureigenen Bereich, nämlich die Menschen darin zu unterstützen, dass diese auch mit einer Krankheit eine möglichst hohe Lebensqualität geniessen können. Sr. Lilianes Diktum "Ich pflege als die, die ich bin" bringt auf den Punkt, dass die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Mensch und Pflegefachperson ein zentraler Aspekt der professionellen Pflege ist: Auch die Pflegefachfrau selber ist als Mensch Teil der Pflege.
Als aufmerksamer Mensch hat Liliane Juchli natürlich gemerkt, dass sich das Gesundheitswesen nicht in die Richtung entwickelt, in dem diesem Aspekt Rechnung getragen wird. Die zunehmende Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung läuft der Idee, dass die Pflegenden genug Zeit haben, sich um ihre Patient*innen wirklich zu "kümmern", diametral entgegen. Die Wirkung eines persönlichen Gesprächs mit dem leidenden, verletzlichen und oft auch ausgelieferten Menschen ist aus pflegerischer Sicht unbestritten, in einer wirtschaftlichen Logik aber nicht messbar und damit quasi ohne Wert. Für Sr. Liliane war es daher klar, dass sie sich auch um die Rahmenbedingungen kümmern muss, in denen Pflegende arbeiten. Sie verglich die Pflegenden mit einem Leuchtturm: Wie diese in dunklen und stürmischen Zeiten den Weg in den Hafen weisen, zeigen die Pflegefachpersonen den Weg. Aber sie warnte davor: Ausgebrannte Pflegende geben kein Licht mehr. Es war daher für Sr. Liliane Juchli klar, dass sie sich auch am Kampf der Pflegenden für ihre Arbeitsbedingungen beteiligen muss. Sie wurde denn auch voller Überzeugung Mitglied des Initiativkomitees der eidgenössischen Volksinitiative für eine starke Pflege. Dieses Engagement war keineswegs nur ein Lippenbekenntnis. Die umtriebige Ordens|21|frau setzte sich aktiv ein: Am 17. Januar 2017, anlässlich der Lancierung des Volksbegehrens, liess sie es sich nicht nehmen, mit dem Zug nach Bern zu reisen und als eine der Ersten, bei bitterer Kälte, ihren Namen auf den Unterschriftenbogen zu setzen. Sie sammelte aktiv Unterschriften auf verschiedenen Plätzen, zum Beispiel in Rorschach am Bodensee und an vielen anderen Orten. An der Einreichung der gesammelten Unterschriften am 7. November 2017 war sie dabei und inspirierte einmal mehr die Anwesenden: "Ich wünsche mir eine Mengenausweitung in der Pflege", rief sie ins Megafon - ein Seitenhieb an jene Politiker*innen, die unablässig behaupten, dass sich die Schweiz eine gute pflegerische Versorgung der Menschen nicht leisten könne.
Aber sie war keine Frau des Jammerns. Sie nahm auch die Pflegenden selbst in die Pflicht und forderte sie unmissverständlich dazu auf, zu zeigen, was Pflege leistet, und sich für den Beruf einzusetzen. Sie war damit ein grosses Vorbild, gerade auch für die Jungen: Sr. Liliane liess es sich nicht nehmen, jedes Jahr an mindestens einem Tag den SBK-Kongress zu besuchen. Wenn man sie suchte, hielt man die Augen am besten nach einer Traube von jungen Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern offen: In ihrer Mitte würde man Sr. Liliane entdecken und sie würde - wie es eben ihre Art war - für jeden und jede unter ihnen diese kurze Zeit voll und ganz da sein.
|22|Sr. Liliane war eine unermüdliche Kämpferin für die Profession Pflege, sowohl fachlich als auch berufspolitisch. Das Engagement brachte ihr zahlreiche Ehrungen ein: den Doktortitel ehrenhalber der Universität Freiburg im Üechtland. Die Ehrenmitgliedschaft beim Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK. Den goldenen Ehrenring des Österreichischen Krankenpflegeverbands ÖGKV. Das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Die Ehrendoktorwürde der St.?Elisabeth Universität in Bratislava. Das Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland und das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse.
Im Frühling 2020, während der ersten Welle der COVID-Pandemie, sprach Sr. Liliane den Pflegenden in einer Audiobotschaft ihren Dank aus: "Mein Dank ist getragen von hoher Anerkennung darüber, dass Sie da sind, dass Pflege das tut und tun kann, was ihr eigentlicher Kernauftrag ist: eine fundierte diagnostische und therapeutische Pflege, die getragen ist von einer professionellen Sorge für die Menschen."
Niemand hätte geahnt, dass diese Botschaft das Vermächtnis von Sr. Liliane Juchli werden sollte. Sie war wegen einer hartnäckigen bakteriellen Infektion gesundheitlich geschwächt, als sie sich mit dem Coronavirus ansteckte. Diesen Kampf konnte...
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