Schweitzer Fachinformationen
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Als er die Augen öffnet, ist es, als schwebte er in einem weißen Vakuum. Ohne Gefühl, ohne Gedanken, schwerelos. Seine Lider zittern, er muss blinzeln. Allmählich dringt ein Laut zu ihm durch, weit weg, regelmäßig wiederkehrend. Er blinzelt noch einmal, der Ton wird lauter. Er schließt die Augen, versucht, ihn auszublenden, wieder in die Schwerelosigkeit zurückzufinden, doch das Geräusch krallt sich hartnäckig in sein Bewusstsein.
Erneut hebt er die Lider an, starrt ins Weiß einer Zimmerdecke, fokussiert eine Neonlampe. Er probiert, den Kopf zu drehen, doch es will ihm nicht gelingen. Er kann auch Arme und Beine nicht bewegen, es ist, als ob sein Gehirn sich weigerte, Befehle an die Muskeln auszusenden. Nur seine Augäpfel gehorchen ihm noch. Er wendet sie nach rechts und links, und langsam reift in ihm die Erkenntnis, dass er in einem Krankenzimmer liegt, angeschlossen an Maschinen, die seine Körperfunktionen überwachen.
Diese Situation hat keinen Bezug zu ihm. Er hat zu sich selbst keinen Bezug. Noch stellt er sich keine Fragen darüber, wie es dazu kam und warum. Er ahnt: Wenn er anfängt zu denken, überrollt ihn die Angst. Doch schon spürt er den schleichenden Wunsch zu wissen, zu verstehen. Die friedliche Apathie löst sich auf wie Nebel in der Morgensonne.
Eine Tür wird geöffnet, und ein freundliches Frauengesicht tritt in sein Blickfeld. Die Schwester lächelt, als sie wahrnimmt, dass er wach ist.
»Na, da ist er ja wieder! Schönen guten Morgen. Dann wollen wir mal schauen .«
Redet sie mit ihm? Er kann mit ihren Worten nichts anfangen. Seine Augen folgen den Bewegungen der Frau, ihren raschen, fachkundigen Handgriffen.
»Wie geht es Ihnen?« Sie beugt sich zu ihm. »Haben Sie Schmerzen?«
Er öffnet den Mund, aber er kann nicht sprechen. Anscheinend hat die Schwester keine Antwort erwartet, denn sie redet munter weiter, während sie Daten von einem Monitor abliest und einen Infusionsbeutel kontrolliert.
»Schön. Das sieht alles schon einmal gut aus. Die Dosis der Schmerzmittel müsste auch ausreichen.«
Was ist mit ihm? Warum liegt er hier? Wieso spürt er nichts? Ist er . gelähmt? Mit eisigen Händen greift die Angst nach ihm.
»Ich werde jetzt langsam die Rückenlehne hochfahren und Ihren Blutdruck messen, in Ordnung?«
Ein leises Surren ertönt, während sein Oberkörper in Schräglage gebracht wird. Jetzt kann er den Großteil des Zimmers überblicken. Er nimmt einen dezenten Parfumgeruch wahr, wahrscheinlich von der Frau. Nein, der Duft entströmt einem riesigen Blumenstrauß auf dem kleinen Tisch an der Wand. Wer hat ihm den gebracht?
Die Schwester legt ihm die Schlaufen des Messgeräts um den linken Oberarm, und er spürt ein zunehmendes Druckgefühl. Gott sei Dank! Wenn er das registriert, kann er nicht gelähmt sein. Zumindest nicht vollständig.
Wieder versucht er zu sprechen. »Wa. wa.s .?«
»Haben Sie Durst?«
Sie hält ihm einen Becher mit Strohhalm an die Lippen.
Er trinkt einen Schluck, dann probiert er es wieder. »Wa. was . ist mit mir?«
»Sie meinen Ihre Verletzungen? Das wird Ihnen Oberarzt Dr. Krammer erzählen. Der hat Sie wieder zusammengeflickt.«
Wie aufs Stichwort geht die Tür auf, und ein Mann mittleren Alters im weißen Arztkittel betritt das Krankenzimmer. Die Schwester spricht leise mit ihm und schließt hinter sich die Tür.
»Guten Tag, Herr von Hebenstein. Wie fühlen Sie sich?«
Was .?
Er dreht den Kopf, es ist kein zweites Bett im Zimmer, kein anderer Patient.
Der Arzt zieht einen Stuhl ans Bett und setzt sich neben ihn. Er hält ein Klemmbrett in der Hand und studiert das Krankenblatt. Als er wieder aufblickt, sagt er: »Sie hatten innere Verletzungen, wir mussten die Milz entfernen. Hinzu kommt ein Schädel-Hirn-Trauma, zum Glück kein schweres. Und ein gebrochener Unterarm, wie Sie sicher schon festgestellt haben.«
Erst jetzt bemerkt er den Gips am rechten Arm.
»Die Prellungen, Abschürfungen und Hämatome lassen wir mal außen vor. Können Sie sich erinnern, was geschehen ist?«
Er schüttelt den Kopf, versucht, Finger und Zehen zu bewegen.
»Das ist die Nachwirkung der Narkose«, sagt der Arzt, der seine Bewegungsversuche bemerkt hat. »In Tateinheit mit den Schmerzmitteln sozusagen. Keine Sorge, Sie werden bald wieder voll beweglich sein.«
Erleichtert schließt er die Augen. Der Geruch der Blumen stört ihn, er ist aufdringlich und unangenehm. Langsam hebt er die linke Hand und deutet auf den Strauß in der Vase.
»Die Blumen sind von Ihrem Vater und Ihrer Tante. Sie sind sehr in Sorge.«
Mit leerem Blick sieht er den Mediziner an. Er spürt Übelkeit in sich hochsteigen. Dieser elende Blütenduft. Wieder deutet er auf den Strauß.
Dr. Krammer zieht den richtigen Schluss. »Ich sage der Schwester Bescheid, dass sie das Bukett entfernen soll. - Ach ja, ich soll Sie von Ihrem Vater und Ihrer Tante grüßen, wenn Sie aufwachen.«
Die Worte rieseln an ihm vorbei, er versteht nicht. »Wer .?«, krächzt er.
»Was meinen Sie - wer hier war?«
Er nickt.
»Ihr Vater, Herr von Hebenstein. Und Ihre Tante Angelika.« Der Arzt sieht kein Verstehen in seinem Blick. »Sie erinnern sich nicht an sie?«
»Ne. nein .«
»Kennen Sie Ihren eigenen Namen? Ich meine, Ihren Vornamen?«
Er hebt hilflos die unverletzte Hand.
»Das ist dem Schädel-Hirn-Trauma geschuldet. Das Gehirn hat einen ordentlichen Bums gekriegt. Wahrscheinlich gibt sich die Amnesie in ein paar Tagen, und Ihnen fällt nach und nach alles wieder ein.«
Der Mediziner steht auf und tätschelt seinem Patienten beruhigend die Schulter. Auf dem Weg hinaus dreht er sich noch einmal um.
»Versuchen Sie nicht zwanghaft, sich zu erinnern. Jetzt müssen Sie sich ausruhen, damit Ihr Körper sich erholen kann. Setzen Sie Ihr Gehirn keinem Stress aus. Lassen Sie sich Zeit.«
Dankbar lässt er die Augen zufallen und gleitet ins Vergessen. Das Schließen der Tür hört er nicht mehr.
Er weiß nicht, warum sich alles so fremd anfühlt. Ihm ist, als müsste er seine Haut abstreifen, sich aus sich selbst zurückziehen, um . ja, um was? Um von außen einen Blick auf sich zu werfen und sich dann noch verlorener vorzukommen?
Er heißt Alexander, wie ihm sein Vater gestern mitgeteilt hat, und er ist Nikodemus von Hebensteins einziges Kind. Seine Mutter ist nach seiner Geburt verschwunden. Das ist gut, denkt er. Da muss er kein schlechtes Gewissen haben, wenn er sich nicht an sie erinnert. Eine Mutter vergisst man doch nicht.
Allerdings hat auch der Anblick des Vaters kein Erkennen bei ihm ausgelöst. Groß, schlank, aufrechte Haltung. Das Alter schwer zu schätzen, zwischen sechzig und siebzig vielleicht. Er war gut gekleidet, ein goldener Siegelring blitzte im Licht der Deckenlampe auf, als er sich ans Bett des Sohnes gesetzt hat. Seine Haut war glatt, die Lippen schmal, die Nase leicht gekrümmt. Die Augen waren vom hellsten Blau, das Alexander je gesehen hat. Nikodemus hat ihm mit leiser Stimme ein paar Fragen gestellt, die Alexander allesamt nicht beantworten konnte. Erschöpft hat er mehrmals die Augen geschlossen.
Gott sei Dank ist sein Vater nicht lange geblieben. Er hat erleichtert aufgeatmet, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Unter diesen eisblauen Blicken hat er sich nicht wohlgefühlt.
Seit drei Tagen liegt er nun hier. Er mache gute Fortschritte, hat der Arzt gesagt. Zumindest was seine körperliche Genesung betreffe. Wenn es so weitergehe, könne er in ein paar Tagen in häusliche Pflege entlassen werden. Dass seine Erinnerung noch nicht zurückgekehrt sei, sei nicht ungewöhnlich.
»Setzen Sie sich bloß nicht unter Druck. Das könnte kontraproduktiv sein. Wir haben bei der Magnetresonanztomografie nichts Ungewöhnliches feststellen können, machen Sie sich keine Sorgen. Der Unfall hat einen Schock ausgelöst. Wenn Ihr Gehirn bereit ist, wird es wieder Informationen aus der Vergangenheit liefern.«
Sein Wort in Gottes Ohr.
In der Lade des Schränkchens neben dem Bett findet er seine Geldbörse. Eine Schwester hat sie wohl hineingelegt, seine Kleidung kann er nirgends entdecken. Neben vierhundert Euro und etwas Münzgeld entdeckt er seinen Führerschein. Auf dieser Plastikkarte kann er keine Ähnlichkeit mit sich selbst erkennen, aber wie auch? Wie soll sich jemand erkennen, der sich nicht kennt? Bei seinem zerschundenen Gesicht wäre das an sich schon schwer gewesen. Taxiquittung, ÖAMTC-Mitgliedskarte, Versicherungsdaten . Da ist noch etwas. Im letzten Fach der Börse, ganz unten. Er bohrt mit den Fingern der gesunden Hand hinein und fördert ein kleines Foto zutage. Es ist das Bild eines dunkelhaarigen Mannes, dreißig Jahre vielleicht, ziemlich abgegriffen. Er schiebt das Foto wieder zurück.
Eigentlich könnte die Situation viel schlimmer sein, denkt er. Er weiß wenigstens, wie er heißt. Er hat eine Familie, die das bestätigt. Die zudem über ausreichend finanzielle Mittel verfügen muss, da er in einem hübsch eingerichteten Einzelzimmer liegt. Wie beängstigend muss es sein, wenn man ohne Gedächtnis im Krankenhaus aufwacht, und niemand kann einem sagen, wer man ist?
Trotzdem. Die Unruhe lässt ihn nicht los.
Es klopft an der Tür, und ein junger Mann in einer Polizeiuniform betritt den Raum. »Grüß Gott, Herr Hebenstein. Mein Name ist Matthias Hansbauer, Polizei Voitsberg. Ich bin da wegen Ihres Unfalls .«
»Ich habe keine Erinnerung daran.«
»Das hat mir die Krankenschwester schon gesagt. Aber ich versuche, den Fall vom Tisch zu...
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