Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
8
Kate
Ich gehe zur Quarantäne zurück, um Lucky aufzunehmen - ihn zu wiegen, Blut zu entnehmen und ihn körperlich zu untersuchen -, aber dann überfällt mich mein Sohn, weil er glaubt, einen unanfechtbaren Grund gefunden zu haben, warum wir diesen speziellen Hund adoptieren müssen.
Ich finde es schön, dass Jasper all unsere Waisen und Streuner liebt, aber seine Behauptung, plötzlich - und anscheinend von göttlicher Hand - das Talent erhalten zu haben, direkt mit Hunden zu kommunizieren, verstört mich zutiefst. Angesichts dessen, was er durchmacht, möchte ich natürlich, dass er sich als etwas Besonderes fühlt, aber nicht auf so eine Art. Das hat etwas von Verzweiflung und kommt mir so vor, als wolle er mich austricksen.
Seit Jasper sprechen kann, hat er es mir nicht gerade leicht gemacht, unsere hundelose Existenz zu verteidigen, nicht zuletzt, weil ich Tierärztin bin. Meine Haltung war stets von Zweifeln und Bedauern geprägt. Oft habe ich einfach nur nachgeben wollen, als wäre die Entscheidung so einfach, so unbedeutend. Ich habe mir immer wieder den Ausdruck erstaunter Freude auf Jaspers Gesicht vorgestellt, wenn ich jemals nachgeben würde. Das Problem ist, in meiner Welt können Momente sorgloser Spontaneität ebenso unverantwortlich wie gefährlich sein. Mütter wie ich sollten ihre Entscheidungen nicht rechtfertigen müssen, aber das schlechte Gewissen, Jasper einen Hund zu verweigern, verblasst im Vergleich zur negativen Wirkung, die so ein Tier auf Jaspers Gesundheit haben könnte.
Wenn ich gefragt werde, dann hole ich wahrscheinlich die lauwarme Begründung hervor, dass der Vermieter keine Haustiere erlaubt, aber darum geht es gar nicht. Manchmal verstärke ich die Ungerechtigkeit auch noch, indem ich jedes Mal, wenn Jasper ins Krankenhaus muss, fremden Menschen einen Hund für wer weiß wie lange aufdränge. Aber die schlichte, ehrliche Antwort - Kontrolle - bleibt unausgesprochen. Sicher, ich verstecke mich hinter Wörtern wie Struktur und Grenzen, aber eine Wohnung mit Haustierverbot funktioniert einfach am besten. Warum? Wenn man wie ich ein Leben vergleichbar einem Hochseilakt führt, ständig zwischen Angst und Vergeblichkeit schwankend, da braucht man nicht auch noch die Verantwortung für eine weitere Variable, eine weitere, gefährliche Ablenkung - einen Hund -, die einen garantiert aus dem Gleichgewicht und sicher zu Fall bringt.
Nicht dass diese klare Linie meinen Sohn vom Quengeln abhält. Wäre Jasper ein Hund, und das haben wir schon gespielt, wäre er ein Terrier: klug, unnachgiebig und vor allem furchtlos. Obwohl man ihm das absolut nicht ansieht.
Die Leute sagen, es sei nicht fair, dass der hübsche Junge so krank ist. Andere flüstern von einer Laune Gottes, etwas, das den Schlag mildert: Die wilden, dicken blonden Haare und diese himmelblauen Augen sind doch das Mindeste, was eine vernünftige höhere Macht tun kann. Aber wenn man Zeit mit ihm verbringt, bemerkt man schnell, dass das engelsgleiche Aussehen nur Fassade ist. Ernste Makel lauern tief in seinem kleinen, zerbrechlichen Körper. Dadurch sieht er viel jünger aus als seine Klassenkameraden in der sechsten Klasse. Je älter er wird, umso schwieriger wird es, diese schweren Makel zu verbergen, aber als Elternteil wird es einfacher, von seiner Tapferkeit und seinem Licht bezaubert zu sein. Ich entdecke ein Blinzeln in etwas so Kleinem wie einem schiefen Lächeln oder bin geradezu geblendet, wenn er tief aus dem Bauch heraus lacht. Und jedes Mal, wenn er strahlt, verjagt er jeden stummen Fluch, den ich je denken werde, weil es ist, wie es ist. Er ist nicht behindert. Jasper ist einfach nur anders.
In Bezug auf den Mann, der meinem Sohn die andere Hälfte seiner DNA gegeben hat, ist er genau das, nämlich anders. Ihn Jaspers »genetischen« Vater zu nennen ist das höchste der Gefühle; er hat den Titel »Dad« nicht mal ansatzweise verdient. Sein Name war beziehungsweise ist Simon Swift, er wurde zufällig mein Anatomiepartner in unserem ersten Kurs am Royal Veterinary College, London. Nicht dass ich ihm am ersten Tag an die Wäsche ging. Es hat eine Weile gedauert, bis unsere anatomische Bildung auch jenseits des Lehrplans weiterging, aber damals schien unser Zusammentreffen Schicksal zu sein, fast wie arrangiert, etwas, das man den Kindern erzählen kann.
Im letzten Unijahr wohnten wir gemeinsam in einer Wohnung, der Abschluss stand kurz bevor, die Prüfungen und die Unsicherheit, was danach kam, wogen schwer.
»Mach dir keine Sorgen«, beharrte er und lächelte selbstsicher. Er hob mein Kinn an, sodass ich ihm in die Augen sehen musste. »Wir finden eine Praxis, in der wir beide arbeiten können. Ich kümmere mich um die Pferde, du dich um die Hunde und Katzen. Es wird perfekt. Das verspreche ich.« Und wie ein Idiot glaubte ich an eine Zukunft mit Simon, dass wir beide Arbeit in irgendeinem idyllischen englischen Dorf finden, abends zum Pub spazieren und unsere Kinder angezogen wären wie Komparsen in einem Harry-Potter-Film.
Wenn ich jetzt gezwungen bin, an Simon zu denken, sehe ich nur eine ekelerregende, gespielte Ungläubigkeit, als er verkündet: »Das kann nicht von mir sein.« Und die schmerzhafte Erkenntnis, dass er immer nur in seine Version von mir verliebt war, in der alles genau nach seinem Plan verlief, nicht nach meinem. Gott sei Dank sehe ich nichts von ihm in Jasper, und glauben Sie mir, ich achte darauf.
In den ersten acht Jahren von Jaspers Leben habe ich die Wahrheit verschwiegen. Jasper hat nicht gefragt - nicht richtig jedenfalls -, also habe ich nichts erzählt. Jetzt weiß er, dass sein Vater aus England stammt, dem Zuhause schlechter Zähne, schlechten Essens und eines Nationalsports, der meinen Sohn ganz fanatisch werden lässt. Er kennt den Namen seines Vaters, weiß, dass wir zusammen studiert haben. Mein Gewissen ist rein. Niemand kann sagen, dass ich ihm sein Geburtsrecht verweigert hätte. Aber wissen ist das eine, das Bedürfnis nachzuschauen etwas anderes, denn was sagt das über meine Beziehung zu ihm aus. Wie lange dauert es noch, bis Jasper erklärt, wir sollten eine Pilgerreise über den großen Teich antreten, dass er so viel gemeinsam hat mit dem Vater, der einmal prahlte: »Es war nie meine Absicht, mich fortzupflanzen.« Ist es ein Wunder, dass ich mich über den englischen Slang im aufblühenden Wortschatz meines Sohnes aufrege?
Wenn ich Whistler - in dem Song heißt es übrigens »sweepin' down the plain«, nicht »whistlin'« - anschaue, sehe ich zu viel Vergangenheit und zu wenige Chancen auf eine Zukunft. Und doch, irgendwo hinter diesen Ahornsirupaugen, dort, wo es zählt, könnte Jasper recht haben. Dieser Hund hat eine Präsenz. Ich bin kein Fan von Adjektiven wie seelenvoll oder weise, nicht zuletzt, weil Whistlers Blick ein bisschen entnervend sein kann, aber da ist etwas, vielleicht eher anders als besonders, das mein Interesse weckt.
Ich denke gerade darüber nach, als Jasper den Arm hebt und in die Armbeuge hustet. Meistens bemerke ich das nicht einmal. Dieses kleine Husten ist normal, weißes Rauschen wie ein Ventilator an der Decke, ein entfernter Zug. Jaspers Husten ist der Soundtrack meines Lebens geworden, ohne es zu hören, es sei denn, es ist sein Überschallhusten.
»Was glaubst du, ist passiert?«, fragt Jasper und quetscht plötzlich seinen Arm zwischen den Gitterstäben durch und tastet nach der größten Narbe des Hundes.
Ein Tier, das gequält wurde, sucht vielleicht nach einer Gelegenheit für Rache. Normalerweise bin ich übervorsichtig, wenn Jasper auf Neuankömmlinge trifft, aber unsere Diskussion lenkt mich ab, und ich reagiere verspätet. Anstatt ruhig einzugreifen, zerre ich an der knochigen Schulter meines Sohnes mit zu viel Kraft, zu erschreckend. Hund und Junge schauen mich beide entsetzt an und lassen mich in schuldbewusstem Schweigen schmoren.
»Entschuldigung«, sage ich. »Ich wollte dir nicht wehtun, es ist bloß, dieser Hund kann unberechenbar sein, bei all seinen . Verletzungen.«
»Glaubst du, er hatte einen Autounfall? Wurde mitgeschleift?«
»Vielleicht«, sage ich, ich will die wahrscheinliche Ursache gewisser Narben nicht erörtern. Es ist sicherer, das Thema zu wechseln und zu schnüffeln. »Riechst du das?«
Jasper neigt den Kopf zur Seite und straft mich mit einem Blick, der sagt: »Ernsthaft?« Dank vierzehn - ja, ich zähle mit - schwerer Schnupfen ist der Geruchssinn bei ihm sehr gering ausgeprägt.
»Ich rieche Zigarettenrauch«, sage ich. »Er muss gebadet werden, vielleicht sogar zweimal. Kannst du mir bei der Blutentnahme helfen, oder soll ich Martha rufen?«
Und damit hüpft mein Sohn wie ein Gummiball wieder zurück.
»Nein, das kann ich. Cool. Ich hole alles.« Er öffnet Schubladen. »Ich finde die Gläschen mit den lila Deckeln nicht«, sagt er leicht panisch, er will vor mir nicht versagen.
»Schau mal im Vorratsraum nach«, sage ich. »Das dritte Regal links. Ich hole den Haarschneider.« Er verschwindet, und ich murmle: »Und einen Maulkorb, nur für den Fall.«
Als ich in einem Schrank hinter der Quarantänestation wühle, höre ich hinter mir den bekannten feuchten Husten.
»Das ging schnell.«
Doch als ich mich umdrehe, ist der Raum leer, abgesehen von dem Hund, der durch das Gitter starrt, den Blick auf mich gerichtet. Die Brust bebt wegen der Anstrengung, seine Lunge zu reinigen, sein Schwanz wedelt ganz sanft. Ist dieser Hund ein verkleideter Papagei, der das Husten meines Sohnes perfekt imitieren kann? Es war, als hörte ich eine digitale...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.