Schweitzer Fachinformationen
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Seit gut einer Dreiviertelstunde lief Xavier nun schon die Rue Stephen Liegeard auf und ab, wobei er abwechselnd auf sein Telefon und zur Kreuzung an der Rue des Forges starrte, in jene Richtung, aus der Ella eigentlich kommen müsste.
Er konnte es kaum erwarten, sie in die Arme zu schließen. Seit sie vor knapp drei Wochen abgereist war, hatten die beiden täglich geskypt. Schade, dass es noch kein Dufttelefon gab, Ella roch immer so gut.
Der Winter ließ auf sich warten, trotzdem fror er in der Strickjacke, die er vorhin eilig über das T-Shirt gezogen hatte. Er hatte geglaubt, den roten Citroën seiner Freundin in die Straße einbiegen zu sehen, und war vom zweiten Stock nach unten gestürzt, nur um einen ähnlichen Wagen drei Häuser weiter beim Einparken zu beobachten.
Ella hätte längst da sein müssen, jedenfalls wenn sie wie geplant um die Mittagszeit losgefahren war. Xavier wurde allmählich nervös. Zum einen hatte sie heute Vormittag am Telefon etwas von Schnee und Eis erzählt, zum anderen konnte er sie seit Stunden nicht erreichen. Unterwegs war sie vermutlich, denn zu Hause ging niemand ran. Ihr Handy war ausgeschaltet, was nur bedeuten konnte, dass der Akku leer war und sie das Ladekabel vergessen hatte. Leider bedeutete das auch, dass sie die Navi-App nicht benutzen konnte, was wiederum hieß, dass sie vermutlich spät ankommen würde. Ellas Orientierungssinn war nur eingeschränkt funktionstüchtig, womit sie gerne kokettierte. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit betonte sie, dass sie sich sogar vor ihrer eigenen Haustür verlief, was wohl tatsächlich schon einmal passiert war. Gut, damals waren nicht unerhebliche Mengen Alkohol im Spiel gewesen, trotzdem musste ihr das erst mal einer nachmachen.
Xavier sah auf die Uhr: Viertel vor sechs, es war längst dunkel, und er überlegte ernsthaft, ob er ihr entgegenfahren sollte, um den Gedanken sofort wieder als unsinnig zu verwerfen. Nein, Ella war vielleicht schusselig, aber nicht blöd.
Noch einmal ging er die Straße bis zu der Parfümerie an der Ecke hoch, in Gedanken ganz bei Ella. Ihre Schusseligkeit machte sie in seinen Augen nicht nur liebenswert, sondern hatte auch dafür gesorgt, dass er diese einzigartige Frau mit dem lauten, ansteckenden Lachen und den unvergleichlich blauen Augen kennengelernt hatte. Sie war ihm Anfang August bei der Arbeit sprichwörtlich vor die Füße gefallen, als sie in der Eingangshalle des Chateaus in ihren hohen Hacken direkt vor ihm umgeknickt und in seinen Armen gelandet war.
Xavier war mit seinem Kollegen Hervé gerade auf dem Weg in die Mittagspause, und nach einem Blick in ihre vor Schmerz tränenfeuchten Augen war es um ihn geschehen. Er musste sich regelrecht zwingen, sie loszulassen, und hielt ihre Hand eindeutig länger fest als angebracht, was Hervé mit einem spöttischen Blick quittierte.
»Verfluchte Mistdinger!«, schimpfte sie auf Deutsch, massierte sich den Knöchel und fing im nächsten Moment an, schallend zu lachen.
Fasziniert und irritiert zugleich stand Xavier da, denn das laute Dröhnen wollte so gar nicht zu der zarten Person passen. Dennoch wirkte es unglaublich sympathisch.
In fehlerfreiem Französisch mit einem süßen deutschen Akzent fügte sie hinzu: »Merci beaucoup, Sie haben mich gerade gerettet. Wenn ich den Termin hier wegen meiner Schuhe vermasselt hätte, dann wäre ich meinen Job zum Ersten los gewesen.« Wieder dieses unwiderstehliche Lachen.
»Ach, sind Sie die Vertreterin von dem deutschen Onlineweinhändler?«, fragte Hervé, der offenbar mehr wusste als er.
Ein Griff durch die dunklen Locken, ein kokettes Lächeln, dann streckte sie erst Hervé und danach ihm die Hand entgegen, die sich beim zweiten Mal noch genauso gut anfühlte. »Ja, genau, ich bin Ella Böhm und arbeite für vignoble.de. Ich bin um halb eins mit Monsieur Giroud verabredet, kennen Sie ihn zufällig?«
»Und ob«, sagte Hervé. »Das ist unser Chef, kommen Sie, ich bringe Sie zu ihm.« Damit hakte er Ella unter und führte sie zum Aufzug.
Xavier starrte den beiden fassungslos nach. So hilfsbereit und charmant kannte er seinen Kollegen gar nicht. Ob die hübsche Deutsche Hervé genauso beeindruckt hatte wie ihn?
Die Antwort darauf bekam er am Nachmittag, als Monsieur Giroud die beiden in sein Büro rief und fragte, wer von ihnen Zeit hätte, Mademoiselle Böhm in den nächsten Tagen durch das Département Côte d'Or zu begleiten und ihr die besten Weinlagen entlang der Rue de Grand Cru zu zeigen.
Sprachlos hatte Xavier zugehört, wie sich Hervé mit nie gekanntem Engagement um den Job bewarb, dabei stöhnte er sonst dreimal stündlich, dass er vor Stress nicht aus den Augen schauen könne. Ihr Chef hatte sich am Ende für Xavier entschieden, weshalb Hervé den ganzen nächsten Tag kein Wort mit ihm gesprochen hatte.
Ella und er waren sich bei den Weinproben in dem berühmten Tal mit den besten Weinlagen des Burgunds nähergekommen, und er hatte sich Hals über Kopf in die hübsche Münchnerin verliebt - und sie sich in ihn. Den Blick, den sie ihm in der Domaine D'Ardhuy zugeworfen hatte, würde er nie vergessen. Ebenso wenig wie den Geschmack des Pinot noir, den sie in dem imposanten Herrenhaus zwischen Côte de Beaune und Côte de Nuits probiert hatten.
Die Sache hat sich gelohnt, dachte Xavier, während er die Auslage der Parfümerie betrachtete und überlegte, ob er Ella zu Weihnachten den neuen Duft von Armani schenken sollte. Italienische Parfüms mochte sie besonders gerne.
Ihm fiel auf, wie viele Leute an diesem Donnerstagabend in dem Laden und auf der Straße unterwegs waren, alle mit Tüten und Taschen beladen und offenbar bereits mitten im Geschenkekaufrausch.
Er lief die Rue Liegeard wieder hinunter, und als er an dem Fachwerkhaus vorbeikam, in dem er die Ferienwohnung unterm Dach gemietet hatte, ging über ihm ein Fenster auf. Madame Bernard, die Vermieterin und Inhaberin der Honigkuchenbäckerei im Erdgeschoss, steckte den Kopf heraus.
»Monsieur Xavier, was machen Sie denn da unten? Kommen Sie rauf, ich habe Ihnen einen Tee gekocht. Außerdem habe ich gerade frische nonettes aus dem Ofen geholt, die müssen Sie probieren.« Ihr Ton ließ keine Widerrede zu.
Zwar verließ er seinen Beobachtungsposten nur ungern, doch er fror erbärmlich in der dünnen Jacke, also sagte er: »Danke, das Angebot nehme ich gerne an.« Nach einem letzten Blick in Richtung Rue des Forges ging er zur Haustür, deren Öffner bereits summte.
Manon, die Enkelin von Madame, saß am gedeckten Küchentisch und strahlte ihn an. Xavier kniff das Mädchen in die Wange, schnappte sich einen der noch warmen Honigkuchen und schob ihn sich in den Mund.
»He, du Dieb«, protestierte die Neunjährige und hob den Zeigefinger. »Das darf man nicht.«
»Du darfst das nicht, ich schon«, foppte er sie und nahm sich gleich noch einen, nicht ohne ihr ein Stück abzugeben, das sie mit einem Seitenblick auf ihre Großmutter hastig in den Mund schob und, ohne zu kauen, herunterschluckte.
Wieder ein Strahlen. »Merci.«
Da drehte Madame Bernard sich um, ein Tablett mit drei Tassen in den Händen, die sie zusammen mit einer Kanne Tee und einer Flasche Kakao auf den Tisch stellte. Irritiert blickte sie von ihrer Enkelin zu Xavier und wieder zurück.
»Habe ich etwas verpasst?«
Xavier schüttelte unbeteiligt den Kopf, Manon presste ein »Nö, wieso?« heraus und starrte dabei so angestrengt auf die Lücke auf dem Teller, als ließen sich die fehlenden Honigkuchen wieder herbeizaubern.
Mit einem amüsierten Zucken um die Mundwinkel reichte Madame den Teller herum und meinte nur trocken: »Na, Sorgen, dass es nicht schmeckt, muss ich mir dann wohl keine machen.«
»Das sind die besten nonettes, die ich je gegessen habe«, schmeichelte Xavier, nachdem er kurz aufgestanden war und aus dem Fenster gespäht hatte. Von Ella noch immer keine Spur.
»Ach, meine Großmutter, von der das Rezept stammt, hat sie noch viel besser hinbekommen.« Die alte Dame war sichtlich verlegen.
»Es ist ein steinuraltes Familienrezept«, platzte die Kleine unbekümmert heraus, »und alleroberstrengstens geheim. Wir machen die besten nonettes von ganz Dijon.« Sie nickte wichtig und mit ernster Miene, ehe sie fragte: »Wann kommt eigentlich deine Freundin mit ihrer Katze? Ich freu mich schon so. Wie heißen die beiden noch mal?«
»Manon, sei nicht immer so neugierig!«
Xavier winkte ab. »Kein Problem, die Namen der beiden sind nicht ganz so alleroberstrengstens geheim wie euer Familienrezept. Meine Freundin heißt Ella, und die Katze ist ein hübscher grauer Kater mit Namen Anton.«
»Ui, das klingt aber lustig. Monsieur Lapin ist auch hübsch und grau. Meinst du, dein Anton versteht sich mit ihm?«
Auf Xaviers verwirrten Blick hin erklärte Madame Bernard: »Das ist ihr Zwergkaninchen und bester Freund. Die beiden sind unzertrennlich.«
»Willst du ihn mal sehen?« Das Mädchen war schon aufgesprungen.
Auf einmal klingelte es, und sie rief: »Das sind sie!« Manon hüpfte hinaus in den Flur und kam kurz darauf enttäuscht zurück. »Da ist ein dicker Mann, der dich sprechen will. Er heißt Monsieur Burgoin oder so.«
Augenblicklich erstarrte die alte Dame, ihre Augen verengten sich, und ihre Stimme klang ungewohnt kühl, als sie ihre Enkelin in ihr Zimmer schickte. »Bitte entschuldigen Sie mich«, sagte sie an Xavier gewandt und ging zur Tür, um den sichtlich unwillkommenen Gast zu empfangen.
Xavier folgte ihr, holte sich eine dickere Jacke und...
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