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Ich muss besser aufpassen, sagte sich Samuel, warf seinen Rucksack auf die Schaumstoffmatratze mit den Stockflecken und ging in die Knie, um die Öffnung zu seinem Versteck zu verschließen. Er hatte sich aus Buchenzweigen, an denen noch die verwelkten Blätter hingen, einen Sichtschutz gebastelt, damit man das Loch in der Holzwand nicht bemerkte. Das Grundstück mit der vor Jahren ausgehobenen Baugrube war zwar zugewuchert, doch jetzt im Winter konnte man vom Gehweg durch die Sträucher den Schuppen sehen, der unter einer ausladenden Fichte stand. So wie die Rentnerin mit dem Rauhaardackel, die ihn zuvor beobachtet hatte. Samuel kniete sich schnell hin und tat, als müsse er sich die Schuhe binden, bis sie vorbeigegangen war. Doch der Dackel schnüffelte ewig an dem Laternenpfahl herum, und die Frau ließ Samuel nicht aus den Augen. Ihr misstrauischer Blick alarmierte den Jungen, weshalb er einmal um den Block lief, darauf hoffend, dass sie bei seiner Rückkehr weg war. Erst nachdem er sich dreimal nach allen Seiten umgeblickt hatte, zwängte er sich durch den Spalt in dem Bauzaun, an dem ein gelbes Schild prangte. Betreten der Baustelle verboten, stand darauf, Eltern haften für ihre Kinder.
Der zweite Satz behagte Samuel überhaupt nicht, hoffentlich mussten seine Eltern nicht ins Gefängnis, wenn er aufflog. Und dabei ging es jetzt weniger um das Betreten der Baustelle, denn sein Geheimversteck war nicht das Einzige, was der Elfjährige seinen Eltern verschwieg. Wenn rauskam, dass er auch dabei gewesen war . nicht auszudenken.
Zum Glück hatten Phil und Joni bei ihrer Blutsbrüderehre geschworen, ihn rauszuhalten, und zwar egal, wie die Sache ausgehen würde. Auf seinen besten Freund Phil konnte er sich blind verlassen, da war er sich hundertprozentig sicher, Joni dagegen traute er nicht ganz über den Weg. Der hatte zwar eine große Klappe, aber wenn ihm seine Eltern oder sonst jemand Druck machten, heulte er vermutlich wie ein Mädchen und verriet alles.
Für Samuel hieß das: besonders vorsichtig sein, damit ihn keiner bemerkte. Schon gar nicht neugierige alte Frauen mit Dackeln. Er passte auf wie ein Luchs und ging keinerlei Risiko ein. Erst vorgestern war er unverrichteter Dinge wieder abgezogen, weil ihm eingefallen war, dass er auf dem Weg zum Schuppen in dem frischen Schnee Fußspuren hinterlassen hätte. Zwei Tage war er jetzt nicht hier gewesen, dabei drängte die Zeit. Heute hatte er es gewagt, auch wenn der Schnee noch nicht komplett weggetaut war. Er hatte ganz genau darauf geachtet, wo er die Füße hinsetzte, und sich extra noch mal umgedreht, ob auch ja keiner zu sehen war, bevor er sich durch das Loch in der Schuppenwand zwängte.
Der Unterschlupf war quasi sein zweites Zuhause, in dem er inzwischen mehr Zeit verbrachte als in seinem nagelneuen Jugendzimmer - trotz WLAN und Riesenbildschirm, und obwohl es in dem Schuppen jetzt im Winter ziemlich kalt war. Hier konnte er Musik hören, seinen Gedanken nachhängen, tun und lassen, was er wollte. Niemand sagte ihm, dass er aufräumen oder sich die Zähne ordentlich putzen solle, keiner fragte, ob er mit den Hausaufgaben schon fertig sei. Seine Mam fragte überhaupt viel zu viel, ständig wollte sie alles wissen, vor allem, wo er war, und machte sich bei jeder Kleinigkeit Sorgen. Von dem Versteck hatte er ihr natürlich nichts erzählt, sie dachte, er sei bei Phil, und sie lernten zusammen für die Schule. Solange seine und Phils Mutter sich nicht zufällig trafen, lief er nicht Gefahr aufzufliegen. Mam mochte Phils Eltern und stellte daher ausnahmsweise mal keine Fragen. Na ja, weniger als sonst.
Samuel stand vor der Matratze, die wohl mal zu einem Kinderbett gehört hatte und neben allerlei Sperrmüll in dem Schuppen lag, drehte seinen Schulrucksack um und schüttelte ihn. Was neben Federmäppchen und Schulheften an Beute der letzten Tage herausfiel, konnte sich sehen lassen: drei Handys, darunter sogar ein iPhone XS, ein Nintendo 3DS, wenn auch ziemlich verkratzt, ein Paar Nike Air Max in Schwarz und eine Ice-Watch. Die Uhr und das Nintendo würden ihm nicht viel einbringen, dafür waren die Turnschuhe so gut wie neu, und für die Handys hatte er einen festen Abnehmer, der sich um Touch ID und Codes nicht scherte und angeblich jede Sicherheitssoftware knacken konnte. Samuel hatte keinen Schimmer, wie das funktionierte, aber das war zum Glück nicht sein Problem. Tom zahlte ihm zwar weniger als andere, aber dafür stellte er keine Fragen und nahm alles, was Samuel ihm brachte.
So kurz vor Weihnachten würde er dafür sicherlich einen besseren Preis erzielen als sonst. Zum Glück, denn ihm fehlte noch ein ganzer Batzen bis zu der Summe von zweitausendfünfhundert Euro, die er seinen Freunden versprochen hatte. Die beiden hielten den Mund und nahmen die Aktion auf ihre Kappe, dafür besorgte er das Geld. Das war sein Part bei der Abmachung.
Er wollte Tom anrufen, dessen echten Namen er nicht kannte, um ihm die Handys anzubieten, doch als er sein iPhone aus der Jackentasche zog, war der Akku so gut wie leer. Schnell schrieb er eine WhatsApp und vertröstete Tom, der immer kurzfristig anrief, um ihm den Treffpunkt durchzugeben, den er oft sogar noch mal änderte. Ohne Handy war das nicht zu organisieren. Wieder einen Tag verloren, allmählich lief ihm die Zeit davon. Bis er zu Hause war und telefonieren konnte, war seine Mam längst von der Arbeit zurück, dann hätte er sich mit Tom zwar absprechen können, aber er käme nicht mehr unbemerkt aus dem Haus.
Genervt sammelte er das Diebesgut zusammen und legte es in die Holztruhe, die unter verstaubten Gartengeräten und einer Schubkarre mit plattem Reifen und etlichen Rostlöchern kaum zu sehen war. Bis er Abnehmer für die Sachen fand, waren sie hier gut aufgehoben, jedenfalls sicherer als im Haus seiner Eltern. Dort gab es kein Versteck, das vor seiner Mutter oder der Putzfrau sicher war, wie er vergangenen Sommer erfahren musste, als er für Phil zwei Päckchen Marlboro aufbewahrt hatte. Samuel rauchte nicht, er fand Zigaretten total eklig, aber das glaubten seine Eltern ihm natürlich nicht. Der Ärger war mit eindringlichen Ermahnungen und einem Vortrag über die Langzeitfolgen von Nikotingenuss zwar eher harmlos ausgefallen, trotzdem wollte er diesmal nichts riskieren. Diebesgut war eine andere Liga als Zigaretten.
Als er die Turnschuhe hochhob, fiel sein Blick auf das eingenähte Namensschild an der Ferse des linken Schuhs. DAVID SCHNEIDER, stand dort in Großbuchstaben. Samuel fluchte und ließ die Nikes fallen, als hätte er sich daran verbrannt. Ausgerechnet David!
Er hatte die Sachen gegen Mittag in der Umkleide eingesteckt, als die achten Klassen aus der Nachbarschule die Turnhalle für ihren Sportunterricht nutzten. Unter dem Vorwand, ihm sei schlecht, hatte er sich beurlauben lassen und war anschließend gleich hierhergelaufen. Was für ein blöder Zufall, dass sein Kumpel David aus der 8b der Heinrich-Heine-Schule unter den Turnenden war. Er musste David die Schuhe zurückgeben, nur wie? Sollte er ihn anrufen? Oder ihm die Nikes einfach zu Hause vor die Tür stellen? Fremde Kinder bestehlen, das war eine Sache, aber einen Freund - das ging nicht! Er würde die Schuhe auf keinen Fall verticken, auch wenn ihm dann das Geld fehlte.
O Mann, er hätte lieber heute als morgen mit der Klauerei aufgehört, doch Joni und Phil hatten ihn in der Hand. Klar konnte er seinen Eltern alles beichten und die beiden auffliegen lassen. Wie er Mam und Paps kannte, wären sie ihm nicht mal richtig böse. Und das Geld, das ihm noch fehlte, würden sie ihm sicher auch vorstrecken. Doch er wollte vor allem seinen Paps nicht enttäuschen, den sah er sowieso nur selten, weil der für seine Firma oft im Ausland war. Sie skypten viel, und Paps sagte dann immer, dass er stolz auf ihn sei, dass Samuel der Mann im Hause sei, der auf Mama aufpassen und sie aufheitern solle, damit sie nicht immer so traurig war. Wenn er seiner Mam erzählen würde, was er angestellt hatte, wäre sie bestimmt sehr traurig.
Verdammt! Hätte er sich doch bloß nie auf die Sache eingelassen. Aber es war so schön gewesen, endlich mal dazuzugehören. Er war so stolz, dass die beiden ihn mitnahmen, wie einer von den Großen hatte er sich gefühlt. Dass sie Dinge taten, die er nicht gut fand, darüber hatte er vorher nicht nachgedacht. Immerhin machte er selbst nicht mit, sondern stand nur Schmiere. Dass sie trotzdem erwischt worden waren, damit hatte keiner rechnen können. Er bereute die Aktion zutiefst, aber nun war es zu spät
Er saß echt richtig tief in der Kacke. Seine Schulkameraden zu bestehlen, das war schließlich nichts, worauf man stolz sein konnte. Trotzdem kam es ihm weniger schlimm vor, als sein Ehrenwort zu brechen. Die Notlügen nahm er ebenfalls billigend in Kauf. Natürlich wusste er, dass er gegen das Gesetz verstieß, er war ja kein Kleinkind mehr, aber was hätte er denn tun sollen?
Phil und Joni hatten ihn mitgenommen, obwohl er der Jüngste war, und das war eine große Ehre. Dessen musste er sich würdig erweisen, da konnte er nicht wie ein kleiner Hosenscheißer alles hinwerfen, nur weil es schwierig wurde. Für ihn war die Sache eindeutig: Er klaute nur so lange, bis er das Geld zusammenhatte, danach war Schluss. Für immer. Er war kein Krimineller.
Er würde es wiedergutmachen, irgendwann. Er würde seine Zeche bezahlen, auf seine Weise. Bis dahin musste er tun, was er tun musste, und durfte nicht aufgeben.
Samuel wollte gerade die Holztruhe zuklappen, als ihn ein Geräusch vor dem Schuppen zusammenfahren ließ. Den Deckel fest umklammert stand er wie erstarrt da und lauschte, ohne zu atmen. Erst...
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