Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die Sonne brannte vom Himmel. Britta saß am Rand des weitläufigen Pools, ließ ihre Füße in das kalte, klare Wasser baumeln und betrachtete versonnen die Schäfchenwolken, die sich träge über ihrem Kopf dahinschleppten. Vom Fluss hörte man das gleichmäßige Tuckern eines Schiffsmotors, gelegentlich drang das Läuten einer Fahrradklingel von der Rheinpromenade hinauf in den Park. Zu ihren Füßen durchpaddelte ein dicklicher Achtjähriger lustlos das Becken. Gelegentlich warf sie ihm einen aufmunternden Blick zu, von dem der Junge zwar nichts mitbekam, der Britta jedoch das Gefühl gab, einen guten Job zu machen. Denn so sehr der Eindruck sich aufdrängen mochte, Britta war nicht zu ihrem Vergnügen hier. Walter Hutschendorf, genauer Walter Drei, kurz: Klein Walter, wirkte zu Wasser und zu Lande auf den ersten Blick wie ein durchweg unspektakuläres Kind. Dieser Eindruck jedoch trog, denn Walter war es als jüngstem Spross der Familie Hutschendorf bestimmt, eines fernen Tages die Geschicke des familieneigenen Imperiums zu lenken. Um ihn auf diese Verantwortung vorzubereiten, ließ es seine Mutter, Lucia Hutschendorf, nicht an Förderung mangeln.
Daher gehörten zu Brittas Aufgaben nicht nur die Pflege des zum Anwesen gehörigen Pools und die Ermunterung der greisen Matriarchin Agathe zur Krankengymnastik, sondern eben auch Walters optimale körperliche Entwicklung zu garantieren und ihn zu entsprechender sportlicher Betätigung zu motivieren.
Britta hatte schon schlimmere Jobs gehabt. Und wesentlich schlechter bezahlte. Es lag ihr daher am Herzen, ihre Arbeitgeberin nicht zu enttäuschen.
Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Gestalt wahr, die hektisch die gepflegte Rasenfläche zwischen Herrenhaus und Pool überquerte.
»Toll machst du das, Walter«, rief sie eilig, »ganz toll! Schöne ruhige Bewegungen! Das sieht doch schon ganz prima aus!«
Von dieser ebenso unerwarteten wie verlogenen Ansprache erschreckt, kam der Knabe aus dem Takt. Ein Schluck gechlorten Wassers schwappte in seinen geöffneten Mund und er begann, wild zu husten und um sich zu schlagen. Britta zögerte keine Sekunde. Sie hechtete in das kühle Wasser und zog den Jungen an den Beckenrand. Ihr tat leid, was sie da angerichtet hatte.
Lucia Hutschendorf schenkte weder Britta noch ihrem Sohn, der sich nur langsam von seiner Panikattacke erholte, die geringste Beachtung. Sie trat mit ihren Designerpumps hygienisch bedenklich nahe an den Rand des Pools, warf sich in die Brust und hob den Kopf gen Himmel. »Walter, Walter, komm sofort ins Haus!«, rief sie den Wolken entgegen. »Die Oma hat den Opa umgebracht!«
Man unterstellte Lucia nicht gänzlich zu Unrecht einen gewissen Hang zur Theatralik. Das erklärte, warum weder Walter noch Britta sich ob ihrer Aussage übermäßig schockiert zeigten. Als Britta dem Jungen, dessen Nerven sich mittlerweile beruhigt hatten, das weiße Handtuch reichte, las sie in seinem Blick nur pure Erleichterung, der nassen Gefahr entronnen zu sein.
Der kleine Walter war wasserscheu. Mehr noch, er hasste Schwimmen so wie jede andere körperliche Anstrengung mit der grimmigen Inbrunst des übergewichtigen Kindes. Zwischen ihm und Britta bestand allerdings ein stillschweigendes Einverständnis, diesen Umstand vor seiner Mutter geheim zu halten.
Gelangweilt tupfte er nun seine Speckröllchen trocken und griff nach seinem T-Shirt. Britta sah ihrem Schützling zu und dachte über das eben Gehörte nach. Dass der von Lucia als >Oma< titulierten Person allerhand Ungutes unterstellt wurde, war nichts Neues. Angesichts der Ungeheuerlichkeit des erhobenen Vorwurfs kam Britta jedoch nicht umhin, einen Hauch von Sensation zu verspüren. Neurotisches Verhalten seitens ihrer Arbeitgeber war eine Sache. Mord und Totschlag eine gänzlich andere.
Die Firma Hutschendorf stellte Schnaps her und befand sich in der vierten Generation im Familienbesitz. Der alte Hutschendorf, der Erste Walter, wie der geschäftstüchtige Urahn allgemein genannt wurde, hatte einst die kleine Schwarzbrennerei seines Vaters übernommen und sich zum erfolgreichen Unternehmer hochgearbeitet. Da Schnaps eine krisensichere Sache war, hatte das Unternehmen Wirtschaftskrisen, Weltkriege, Gewerkschaften und ähnliche Unannehmlichkeiten mehr oder weniger schadlos überstanden und florierte über die Jahre und Generationen. Familie Hutschendorf bewohnte ein Anwesen am Rheinufer im Godesberger Villenviertel, das der Erste Walter kurz vor dem zweiten Weltkrieg einer verarmten Adelssippe abgeluchst hatte. Traditionell lebten die Generationen unter einem Dach, ein Arrangement, das dem unbeteiligten Beobachter zuweilen unsinnig, wenn nicht gar masochistisch erscheinen mochte, an dem aber nicht gerüttelt wurde. Lucia bewohnte mit dem Kleinen Walter den ersten Stock des Hauptflügels. Im zweiten Stock, hoch über den Dingen, logierte Agathe, die Wert darauf legte, von ihrem Fenster aus einen Blick über das Anwesen und den Rhein zu haben.
Im Erdgeschoss des Gebäudes befand sich neben der geräumigen Küche und dem Speisezimmer noch der Salon, in dem Besucher bewirtet wurden. Die ehemaligen Stallungen, die sich an das Haupthaus anschlossen, gewährten Lucias Vater, Walter Zwo, seit ihrem Umbau Obdach.
Britta lebte mit ihrer Kollegin Margot, einer ganzheitlichen und diplomierten Ernährungswissenschaftlerin, die als Hausdame fungierte, die allgemeine Ordnung und Sauberkeit überwachte und dafür sorgte, dass das abendliche Mahl der Familie reich an Ballaststoffen und positiver Energie war, im sogenannten Gärtnerhaus, das am Rand des Anwesens stand. Britta befand sich im Zustand mittlerer Ratlosigkeit, als sie die knarrende Tür des verwitterten Gartenzauns öffnete, der ihr kleines Reich gegen das parkähnliche Grundstück abgrenzte. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit verschwendete sie keinen Blick auf die von ihr so hingebungsvoll gepflegten Kräuter- und Blumenbeete, sondern schritt zielstrebig in Richtung Terrasse. Nachdem Lucia den Kleinen Walter mit sich ins Haus gezerrt hatte, war sie, unschlüssig, was von ihr erwartet wurde, noch eine Weile am Pool sitzen geblieben und hatte sich von der Sonne trocknen lassen, bevor sie es wagte, ihren Dienstort zu verlassen, um ihrer Freundin und Mitbewohnerin von den unerhörten Geschehnissen zu berichten.
Margot lag in ihrem Leopardenmusterbikini auf einem Liegestuhl in der Sonne. Sie nutzte ihre freien Stunden gerne dazu, ihre bereits ledrige Haut in der Sonne zu gerben, und schätzte es in der Regel gar nicht, in diesem meditativen Zustand gestört zu werden. Darauf konnte Britta in diesem Moment jedoch keine Rücksicht nehmen.
Sie hielt sich nicht lange mit Vorreden auf. »Die Oma hat den Opa umgebracht!«
Margot richtete sich im Liegestuhl auf. »Herrgott! Bist du von allen guten Geistern verlassen? Du hast mir einen Höllenschreck eingejagt.« Sie schob die Sonnenbrille in die blondierte und toupierte Haarmähne und warf Britta einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Die Oma hat den Opa umgebracht«, wiederholte diese in der Hoffnung, dass die Neuigkeit angemessene Beachtung fand.
»Ich habe dir tausendmal gesagt, du sollst dir was auf den Kopf setzen, wenn du in der Mittagshitze am Pool bist«, tadelte Margot. »Du solltest überhaupt mittags nicht am Pool sein bei diesem Wetter. Und noch viel weniger der arme Junge. Das ist unverantwortlich und ganz bestimmt ist es nicht gesund.«
»Im Wasser ist es kühl«, widersprach Britta unwillig, »aber darum geht es doch gar nicht.«
»Ach nein? Worum geht es denn dann?«
»Die Oma hat den Opa umgebracht«, unternahm Britta einen dritten, verzweifelten Versuch.
Margot starrte sie an. »Britta, du hast einen Sonnenstich. Damit ist nicht zu spaßen.«
»Ich habe keinen Sonnenstich. Wie kommst du darauf, dass ich einen Sonnenstich habe?«
Margot räusperte sich. »Nun, du sagst ständig, dass die Oma den Opa umgebracht hat!«
»Ja!« Britta schrie fast.
»Jetzt mal langsam. Mal von Anfang an. Ich verstehe kein Wort.«
»Ich auch nicht«, gab Britta bereitwillig zu. »Aber das hat Lucia gesagt. Das waren ihre Worte.«
»Die Oma hat den Opa umgebracht«, murmelte Margot bedächtig, als handle es sich um ein geheimnisvolles Mantra. »Wie meint sie das?«
»Nun, da es in diesem Haus nur eine Person gibt, die Lucia Oma nennt und nur eine, die Opa genannt wird, gehe ich davon aus, dass sich ein furchtbares Familiendrama abgespielt haben muss.«
Margot runzelte die Stirn. »Die Oma?«, fragte sie. »Du meinst die Oma?« Sie brach in hemmungsloses Gelächter aus. Und obwohl Britta sich unbestimmt in ihrer Ehre gekränkt fühlte, kam sie nicht umhin, sich diesem anzuschließen.
Die >Oma< war weder jemandes Großmutter noch entsprang der Titel familiärer Wärme. Chantal Hutschendorf-Baumeister, ihres Zeichens zweite Ehefrau von Lucias Vater Walter II., hatte die 30 noch nicht erreicht. Das war nicht der einzige Grund, warum sie ihrer Stieftochter missfiel. Dass Lucia sie konsequent als >Oma< titulierte, diente allein dem Zweck, sie zu demütigen und zu beleidigen.
»Die Oma«, keuchte Margot und rang um Fassung. »Wie hat sie das angestellt? Hat sie ihn mit dem Fön umgeblasen? Oder ihn mit einer Flasche Nagellack erschlagen? Oh, Britta, du bist köstlich.«
»Ich? Ich habe doch damit nichts zu tun«, protestierte Britta. »Ich wiederhole lediglich, was Lucia gesagt hat. Allerdings muss ich zugeben, dass sie etwas hysterisch wirkte.«
Margots Miene verfinsterte sich. »Dass sie emotional reagiert, ist völlig in Ordnung. Es ist nicht fair von dir, das als hysterisch abzuqualifizieren.« Margot ließ...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: PDFKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat PDF zeigt auf jeder Hardware eine Buchseite stets identisch an. Daher ist eine PDF auch für ein komplexes Layout geeignet, wie es bei Lehr- und Fachbüchern verwendet wird (Bilder, Tabellen, Spalten, Fußnoten). Bei kleinen Displays von E-Readern oder Smartphones sind PDF leider eher nervig, weil zu viel Scrollen notwendig ist. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.