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Angst vor dem Altersheim? Wie Altersbilder unsere Vorstellungen vom Leben in einer Institution beeinflussen
Katharina Zwanzger
Einleitung
Im Rahmen eines Netzwerktreffens des Wissensraums Alltag Pflege diskutierten im Dezember 2018 ProjektpartnerInnen des Projekts Who Cares? Alter(n) und Pflege gemeinsam neu denken über Problemfelder in institutionellen sowie privaten und öffentlichen Bereichen und besprachen promising practices aus diversen Praxisfeldern der Teilnehmenden. Einige PartnerInnen merkten vorab an, dass Altern als Prozess nicht automatisch mit Pflege einhergehe und die Begriffe Alter(n) und Pflege nicht notgedrungen zusammengehörten: Weder seien alle alten Menschen pflegebedürftig, noch seien alle Menschen, die Pflege erhalten, alt. In der Diskussion traten die Teilnehmenden für einen wertschätzenden Umgang sowohl mit Gepflegten als auch mit Mitarbeitenden im (Pflege-)Alltag sowie für intergenerationelle Begegnungsmöglichkeiten ein, die über einmalige Besuche wie im Rahmen von Schul- oder Kindergartenprojekten in institutionellen Einrichtungen wie Pflegeheimen hinausgehen. Sie sahen das Pflegeheim als Teil der Gesellschaft und plädierten für positive Alltagserfahrungen für alle, die an Pflege beteiligt sind. Positive Alltagserfahrungen wiederum können nur auf neuen und holistischen Altersbildern basieren, die sich über die Grenzen von negativen Zuschreibungen an Alter(n) und Pflege, die meist auf einem Defizitmodell fußen, hinwegsetzen.
Im Folgenden soll anhand theoretischer Zugänge gezeigt werden, wie Altersbilder gesellschaftliche Vorstellungen vom Leben im Altersheim beeinflussen. Des Weiteren wird die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit in der Alternsforschung diskutiert und der Begriff des 'erfolgreichen Alterns' dem des 'komfortablen Alterns' gegenübergestellt. Schließlich werden Ergebnisse der empirischen Untersuchung von Erzählungen irischer AltersheimbewohnerInnen aus dem Dissertationsprojekt der Autorin präsentiert. Um Lesbarkeit und Text-fluss zu wahren, übersetzte die Autorin alle englischen Originalzitate, die jedoch in Fußnoten angeführt sind.
Altersbilder
Individuelle und kollektive Vorstellungen über das Alter und Älterwerden werden als Altersbilder verstanden und beeinflussen, wie Personen und Gesellschaftsgruppen über ältere Menschen und institutionelle Einrichtungen, in denen diese leben, denken und sich alten Personen gegenüber verhalten (vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs 2019). Darüber hinaus werden Institutionen und ihre Strukturen durch Diskurse, die von negativen Zuschreibungen geprägt sind, oftmals erst 'geschaffen'. Inwiefern beeinflussen Altersbilder nun unsere Einstellungen zum Leben im Altersheim? Bilder vom institutionellen Leben beschränken sich oft auf entsetzliche Vorstellungen von Pflegeheimen, welche manchmal als Orte des Schreckens und der totalen Abhängigkeit gesehen werden, was möglicherweise mit der historischen Entwicklung aus dem Armenhaus und der Nervenheilanstalt zu tun hat (vgl. Chivers/Kriebernegg 2017: 17). Auch persönliche Erfahrungen und die Beeinflussung durch Medien, die alte Menschen auf eine bestimmte Art repräsentieren, prägen Altersbilder.
Beim Gedanken an die Institution Altersheim erfolgen schnell Zuschreibungen, wie etwa, dass es sich um einen Ort handle, der als letzter Ausweg dient, wenn Pflege zu Hause nicht möglich ist. Für viele stellt ein potentieller Einzug in eine institutionelle Einrichtung den totalen Verlust von Unabhängigkeit und Entscheidungsmöglichkeiten dar. Das muss jedoch nicht so sein. Dennoch sind Bilder vom Leben im Altersheim oft von stereotypen Vorstellungen geprägt, die auf Verfall und Abhängigkeit fokussieren. Solche Bilder können als soziokulturelle Konstruktionen erachtet werden. Negative Vorurteile können jedoch zu diskriminierenden Verhaltensmustern wie Bevormundung führen und zur Ausgrenzung alter Menschen beitragen. Daher ist neben dem Reflexionsvermögen der/des Einzelnen ein Blick auf die Bedürfnisse, Interessen und Fähigkeiten eines Menschen und dessen individuelle Lebenssituation notwendig, da differenzierte Altersbilder einen positiven Umgang mit dem Älterwerden in jeder Lebensphase ermöglichen und dadurch zum intergenerationellen Verständnis beitragen können (vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs 2019; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2018).
Altersbilder beziehen sich auch auf das chronologische Alter, das mit kulturell zugeschriebenen Rollenverständnissen sowie altersgebundenen Aktivitäten und Charakteristiken assoziiert wird und als bedeutender Faktor in der Kategorisierung des eigenen Selbst und des Anderen gilt. So bringen Altersangaben oder die Nennung des Geburtsjahrganges oft stereotype Zuschreibungen mit sich. In ihrem Artikel "Doing change and continuity" (2009) präsentiert die finnische Sozialwissenschafterin Pirjo Nikander ihre Studie über diskursives Management von Veränderung und Kontinuität in Interview-Gesprächen mit 22 finnischen Babyboomers, die vor kurzem das 50. Lebensjahr erreicht hatten. Folgendes Beispiel aus der empirischen Analyse zeigt die Zuschreibung des Interviewten an das Alter 50: "Ich akzeptiere, dass ich 50 Jahre alt bin [.] aber dennoch verhalte ich mich nicht so, wie sich jemand mit 50 verhalten sollte; ich gehe nicht in Symphoniekonzerte1". Der Sprecher verbindet hier die Alterskategorie 50+ mit dem Besuch von Symphoniekonzerten. Diese Textstelle zeigt, dass Alterskategorien, wie etwa das Erreichen von 50 Lebensjahren, kulturellen Zuschreibungen und damit Erwartungshaltungen unterliegen. Älterwerden ist jedoch ein individueller, persönlicher und äußerst vielschichtiger Prozess, den Menschen auf unterschiedliche Art innerhalb ihrer Biografie, die sie prägt, erleben.
Die Heterogenität des Alterns betont besonders im Bereich der Pflegepraxis die Wichtigkeit, auf individuelle Bedürfnisse der Gepflegten einzugehen. In der Forschung verlangt sie interdisziplinäre Zusammenarbeit, die holistische Altersbilder sowie vernetzte, multiperspektivische Annäherungen ermöglicht.
Interdisziplinarität in der Alternsforschung
Da der Bereich der Alternsforschung viele wissenschaftliche Disziplinen wie etwa Medizin, Gerontologie, Biologie, Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft oder Philosophie umfasst, verlangt sie interdisziplinäre Zugänge. Stephen Katz, Professor für Soziologie an der Trent University in Peterborough, Kanada bezeichnet Altern sowohl als bio-demografische Realität als auch als soziale Konstruktion und geht von der wechselweisen Beeinflussung derselben aus (vgl. Katz 2014: 18). Daher sind Forschungsfragen zum Altern nicht nur rein vom biologischen und medizinischen Standpunkt, sondern auch aus soziologischen, kulturellen und anderen Blickwinkeln zu betrachten. Inter-, trans- und multidisziplinäre Zusammenarbeit sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis ermöglicht die Erforschung komplexer Fragestellungen zu Alterungsprozessen. Interdisziplinarität, als "Integration von Theorien, Methoden und empirischen Daten aus zwei oder mehreren wissenschaftlichen Disziplinen" bezeichnet, erlaubt es, verschiedene Methoden und Erklärungsmöglichkeiten anhand von interdisziplinären Modellen auf gemeinsame Problemstellungen anzuwenden und ermöglicht dadurch neue Perspektiven (Arnold et al. 2014). Das vom Land Steiermark geförderte Projekt Who Cares? Alter(n) und Pflege gemeinsam neu denken ist ein Beispiel für das Bemühen um interdisziplinäre Alternsforschung.
'Erfolgreiches' versus 'komfortables' Altern
'Erfolgreiches Altern' ist in aller Munde und auch medial äußerst präsent, etwa in (Fach-)Büchern, Zeitschriften und auf Websites, die Anleitungen dafür geben, wie beispielsweise Tipps: So altern Sie 'erfolgreich' (Vogt/Eberhard 2014), Der Mythos vom erfolgreichen Altern (Schroeter 2011) und Erfolgreich altern: Strategien für ein aktives und zufriedenes Älterwerden (Mietzel 2014). Der moderne Begriff des 'erfolgreichen Alterns' entstand in den 1950er-Jahren, erfuhr jedoch durch Rowe und Kahn (vgl. 1987, 1997, 1998) eine Novellierung, in dem sie das Konzept als Abwesenheit von Krankheit, Aufrechterhaltung körperlicher und geistiger Funktionen sowie sozialer Einbindung definierten (vgl. Rowe/Kahn 1998: 38) und auch dem Lebensstil des Individuums eine maßgebliche Rolle zuschrieben (vgl. Katz/Calasanti 2015: 27). Diese Definition beruht jedoch auf Individualismus und ist problematisch, da sie das Individuum für den Erfolg oder Misserfolg des eigenen Alterungsprozesses verantwortlich macht, ohne jedoch intersektionale Parameter wie Geschlecht, soziale Herkunft oder ethnische Zugehörigkeit zu berücksichtigen (vgl. ebd.: 27ff.).
Ann Bowling, Professorin für Versorgungsforschung am University College London, und Paul Dieppe, Professor an der Medical School Bristol, erklären, dass bio-medizinische Modelle bei der Definition des 'erfolgreichen Alterns' zum Beispiel auf die Abwesenheit von Krankheit fokussieren, wohingegen sozio-psychologische Modelle Lebenszufriedenheit, psychisches Wohlbefinden und soziale Faktoren wie Teilhabe und Mitbestimmung betonen (vgl. Bowling/Dieppe 2005). Sie verweisen auf Studien, die belegen, dass sich viele ältere Menschen trotz Krankheit oder Einschränkungen als glücklich bezeichnen, und postulieren, dass den zahlreichen Kriterien verschiedener Modelle 'erfolgreichen Alterns' nicht entsprochen werden kann und der Erfolg nicht an normativen Kriterien, sondern am individuellen Empfinden von Personen...
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