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oder: Kriemhild und Brunhilde waren genau das Richtige für mich
Und jetzt kommt die Schattenseite dieser Jahre. Ich hatte nämlich zwei schauerliche und leider übermächtige Feinde: erstens meine Lehrer und zweitens die Erwachsenenlogik. Der erste Feind war real und leibhaftig, der zweite abstrakt und unsichtbar, aber lebensbedrohlich waren beide, und ich zitterte vor Angst, vor Wut, vor Hilflosigkeit. Fangen wir mit der Schule an.
Ich will ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen; nach dreißig Jahren ist mein Zorn verraucht. Also: Eigentlich hätte ich mir keine schönere Schule vorstellen können. Ich durfte eine Waldorfschule besuchen; meine Eltern hofften, dass ich mich dort weniger langweilen würde als im Standardunterricht an staatlichen Schulen. Damit hatten sie gewiss recht. Aber das Desaster fing schon mit der Klassenstärke an - achtundvierzig Kinder! Ich war völlig überfordert, komplett unfähig, mich zu konzentrieren. Wenn ich mal geistig anwesend war, dann in den spannenden Sonderfächern, von denen es einige gab.
Eins dieser Fächer hieß: deutsche Märchen und Sagen - oder keltische -, klar, unternehmungslustige Gestalten wie Kriemhild oder Brunhilde waren genau das Richtige für mich. Dann Gartenbau - Apfelbäume veredeln machte auch Spaß. Für Sternenkunde hatte ich etwas übrig, weil ich den nächtlichen Himmel lesen können wollte, und im Fach Schmieden seinen eigenen Löffel anfertigen, das lag mir auch. Wir hatten sogar Ackerbau! Wir haben gepflügt und gesät und erlebt, wie das Getreide wuchs, wir haben geerntet und gedroschen und das Korn zur Mühle gebracht - und das verbliebene Stroh dann mit Lehm gemischt und das Gartenhaus damit verputzt. Auf diese Weise wurde Schule für mich zum Abenteuer. Obendrein hatten wir in diesen Sonderfächern so tolle Lehrer, dass ich alles begierig aufsog, was es zu lernen gab.
In solchen Fächern hing der Unterrichtsstoff mit dem Leben zusammen, deshalb leuchteten sie mir ein, und sobald mir etwas einleuchtete, war ich konzentriert, ja sogar mit Freude bei der Sache. Und manchmal ging mir in diesen Stunden ein Licht auf, das mir das Gehirn für alle Zeiten erleuchtete. Ich will dazu eine kleine Geschichte aus dem Werkunterricht erzählen.
Ich bekam einen Holzklotz mit der Aufgabe, irgendein Tier daraus zu schnitzen. Gut, ich fing an, erst mit dem Meißel, dann mit dem Schnitzmesser, aber zunächst ohne klare Vorstellung im Kopf. Dann plötzlich kam mir die Idee: ein Elefant. Es sollte ein Elefant rauskommen. Also den Rüssel herausgearbeitet, den Kopf, die Hinterbeine - und da passiert's: Ich schlage versehentlich ein Stück vom Fuß weg!
Für mich geht die Welt unter. Was immer die Leute über meine Dummheit und Unfähigkeit sagen, es stimmt, hier haben wir die Bestätigung. Da wird nie ein Elefant draus werden. Der Fuß ist weg, wieder mal habe ich alles vermasselt. Aber dann komme ich zu mir. Schaue mir das Ding an, wende es hin und her, überlege - und denke: Ist doch klar! Mein Elefant hebt ein Hinterbein! Und so habe ich's gemacht. Am Ende hatte ich etwas Außergewöhnliches erschaffen - andere Elefanten standen auf vier Beinen, meiner stand auf dreien, und in dieser Haltung sah er doch entschieden cooler aus.
Eine großartige Erfahrung! Du hast den Holzklotz, du hast die Idee, dann geht etwas schief und du verzweifelst, aber plötzlich kommt dir der rettende Einfall, und das Ergebnis ist absolut überzeugend! Ein Fehler ist also kein Grund, in Panik zu verfallen und die Flinte ins Korn zu werfen - fast immer gibt es eine Lösung, du musst sie nur finden. Den Elefanten habe ich heute noch und kann mir von Zeit zu Zeit sagen: Den hast du übrigens selbst gemacht .
Ja, alles prima. Wenn bloß Deutsch, Mathe, Latein und Artverwandtes nicht gewesen wären! Was sollte ich damit anfangen? Das war reine Theorie. Die übliche Beurteilung am Ende des Schuljahrs lautete »Marie schaute träumend aus dem Fenster« oder erschöpfte sich in der knappen Feststellung »Marie war nicht anwesend«. Was stimmte. In den ersten drei Schuljahren war ich so oft krank, dass ich häufiger zu Hause war als in der Schule. Mein Kopf war solchen Strapazen nicht gewachsen, mein Körper daher auch nicht.
Es ist nämlich so, dass auch auf einer Waldorfschule nicht nur Heilige unterrichten. Mit anderen Worten: Außerhalb der Schule fürchtete ich nichts und niemanden, aber vor manchen Lehrern hatte ich buchstäblich panische Angst. Wobei der Ärger schon morgens mit dem Schulweg losging.
Wir wohnten in Kirchzarten, aber zur Schule ging ich in Freiburg. Ab meinem sechsten Lebensjahr musste ich also unter der Woche täglich mit dem Rad zum Bahnhof fahren, dort den Zug nach Freiburg nehmen, dann zur Bushaltestelle laufen und mit dem Bus bis vors Schulgebäude fahren. Über eine Stunde war ich unterwegs, morgens wie mittags, vorausgesetzt . Vorausgesetzt, ich hatte nichts vergessen. Was selten vorkam. Mal machte ich mich morgens ohne Schulranzen auf den Weg, mal ließ ich meine Geige im Bus liegen, meist war ich deshalb schon vor der ersten Schulstunde fix und fertig, und dann zitterte ich den ganzen Vormittag vor meinen Lehrern. Nicht vor allen, aber vor vielen.
Denn Lehrer führen ein Kind wie mich gerne vor. Man muss sich vorstellen: Still sitzen war mir unmöglich. Genauso unfähig war ich, Interesse für Themen oder Fächer aufzubringen, die mir gestohlen bleiben konnten. Auf jede Art von Zwang aber reagierte ich allergisch. Nur blieb mir keine Wahl. Es ist sonnenklar, dass du versagen wirst, weil du von der Materie überhaupt keine Ahnung hast, trotzdem ruft dich der Lehrer nach vorn und erwartet einen Vortrag von dir - es war diese Situation, die mir schlaflose Nächte und in der Klasse fortwährend Bauchschmerzen bereitete. Ich wusste, dass ich gedemütigt werden sollte, kassierte auch tatsächlich Demütigungen am laufenden Band und war dagegen machtlos. Natürlich hatte ich obendrein die Hausaufgaben nicht gemacht, weil ich gleich nach der Schule zum Bach gelaufen war.
Also, Schule war der Horror. Und jetzt zur Erwachsenenlogik, mit der ich vor allem bei uns zu Hause Bekanntschaft machte.
Wieder will ich nicht ungerecht sein. Meine Mutter unterstützte mich bei fast allen meinen Projekten, und da kam ja allerhand zusammen - mal war ich für dies Feuer und Flamme, mal für jenes. Zwischen meinem zehnten und meinem zwölften Lebensjahr war ich zum Beispiel bei den Pfadfindern. Da befand man sich als Mädchen in einem Haufen Jungs, allerdings gehörten auch zwei weitere Mädchen meiner Gruppe an, und im Nachhinein würde ich sagen: Bei den Pfadfindern traf man immer noch mehr Frauen an als hinterher bei der Feuerwehr. Im Übrigen waren die Pfadfinder das genaue Gegenteil der Feuerwehr - hier lernte man, Feuer zu machen, dort, Feuer zu löschen. Natürlich hatten die Pfadfinder viel mehr zu bieten, und alles war nach meinem Geschmack: Spuren lesen, seine Nahrung in der Natur finden, Pfeil und Bogen basteln, kurz: ohne Erwachsene zurechtkommen. Für mich war's wie ein Studium der Lebens- und Überlebenskunst - das, was ich vorher auf eigene Faust und aus eigenem Antrieb gemacht hatte, bekam ich jetzt noch mal richtig, nämlich fachmännisch beigebracht.
Ganz wichtig: die Gemeinschaft. In den Sommerlagern schlief man eine Woche lang in Zelten und bereitete sich sein Essen selbst zu, also hieß es, in einer Gruppe losgehen, um Brombeeren oder Blaubeeren zu sammeln, für Pfannkuchen beispielsweise - und dann gemeinsam Feuer machen. Es war meine erste Erfahrung mit Kameraden und Kameradschaft vor der Feuerwehr, und ich atmete auf. Kameradschaft ist eben etwas Großartiges; sie ist auch der Grund, weshalb die Feuerwehr so viel Raum in meinem Leben einnimmt.
Wie gesagt, meine Mutter ließ mich nie hängen, sie unterstützte und finanzierte meine Freizeitbeschäftigungen. Sie drang aber darauf, dass ich auch zu Ende brachte, was ich angefangen hatte, und je mehr ich anfing, desto kritischer betrachtete sie meine Aktivitäten. Es war ihr zu viel auf einmal - und jetzt wollte ich obendrein noch reiten? Also, dafür gab's jetzt aber kein Geld . Was tun?
Denn reiten wollte ich unbedingt. Das Problem war: Der Reiterhof lag außerhalb, in Hinterzarten, das war bereits Hochschwarzwald, da befanden sich auch die Skipisten, und allein die Fahrt mit dem Zug dauerte schon eine halbe Stunde. Es kamen also nur die Sonntage infrage, aber siehe da: Für die Sonntage suchten sie Mitarbeiter, Leute, die die Ställe ausmisteten und mit den Kindern ausritten, denn sonntags kamen die Ausflügler. Ich habe mich gemeldet, wurde genommen, und ihr System war genial: Eine Stunde mit den Kindern brachte mir fünf Mark ein, für vier Stunden Mitarbeiten gab's außerdem einen Strich, und pro Strich durfte ich selbst eine Stunde lang reiten.
Mit anderen Worten: Ich hatte die Schule, ich war am Bach mit allen möglichen Baumaßnahmen und Erdarbeiten beschäftigt, ich zog mit den Pfadfindern herum und verbrachte die Sonntage auf dem Reiterhof, um Striche zu sammeln. Da ich auch mal drei Stunden hintereinander ausreiten wollte, musste ich auf dem Hof eben doppelt reinhauen, und dann ging's raus in den Schwarzwald, bis an den Weiher und auf anderen Wegen wieder zurück - ein wunderbares Erlebnis. Meine ersten Reitstunden hat meine Mutter übrigens doch bezahlt.
Alles prima. Aber die Kehrseite der Medaille war: Bei uns zu Hause gab es strikte Regeln. Regeln, die mir nicht passten, weil sie unlogisch waren. Alleine Zug fahren - ja. Den ganzen Tag unbeaufsichtigt draußen spielen - ja. Alles kein Problem. Aber spätestens...
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