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Fall back into place
Wir waren, gelinde gesagt, am Arsch. Ich wusste es. Alexis wusste es. Mum wusste es. Das restliche Team wusste es. Dad war mal wieder wie vom Erdboden verschluckt, aber ich war mir sicher, er wusste es auch.
Ich zog mein Handy hervor und öffnete den Chat mit Darcy.
Julian: Ich hoffe, du genießt deinen freien Tag. Zünde eine Kerze für mich an, wenn du bei St. Paul's vorbeikommst. Bin mir nicht sicher, ob ich diesen Abend überlebe.
Ihre Antwort folgte, noch bevor ich das Handy zurück in die Tasche meiner Schürze gleiten lassen konnte.
Darcy: Du mich auch.
Meine Mundwinkel zuckten, obwohl mir seit Schichtbeginn vor drei Stunden so gar nicht zum Lachen zumute war. Ich wusste, was ihre Nachricht zu bedeuten hatte. Und ich hätte ein schlechtes Gewissen gehabt, ehrlich, ich gönnte ihr den ersten freien Tag seit nahezu zwei Wochen - wären wir nicht so dermaßen am Arsch gewesen.
»Jules!« Mums gerötetes Gesicht erschien im Türrahmen. Sie musste die Bitte nicht aussprechen, die saubere Schürze in ihrer Hand sprach Bände. Sie war nicht nur sauber, sondern auch schwarz.
Ich nickte, bereits dabei, den Knoten an meiner mit Flecken übersäten weißen Schürze zu lösen.
»Tut mir leid«, schob sie hinterher, während sie mir half, die schwarze zuzubinden.
»Alles gut.« Ich drehte mich zu ihr um und lächelte so überzeugend wie möglich. Sie war den Tränen nahe, was so gut wie nie vorkam. Mum war normalerweise der härteste Fels in der Brandung. Für uns alle. Egal, wer in der Küche oder draußen einen Nervenzusammenbruch erlitt, egal, wie hektisch es wurde, sie war augenblicklich zur Stelle und glättete die Wogen, tröstete, heiterte auf. Und wenn sie ausnahmsweise nicht mehr konnte, war ich ihr Fels. Seit ich denken konnte, war das unser unausgesprochener Deal. Auch wenn ich lieber meine Handflächen auf die glühenden Herdplatten gelegt hätte, statt mich freiwillig in die Höhle des Löwen zu begeben. Wenn es etwas gab, für das ich noch weniger Talent als fürs Gourmet-Kochen hatte, dann war es Kellnern. Die Ironie des Schicksals wollte es allerdings, dass ich quasi ins Gastronomiegewerbe hineingeboren worden war.
»Du bist mein Held«, flüsterte sie brüchig. »Und du hast sicherlich mitbekommen, dass Tisch acht das Thunfischsteak schon zweimal zurückgehen lassen hat.«
Ich nickte vorsichtig.
»Es ist Mr. Huxley.«
»Was für eine Überraschung«, rief ich und lachte, um meine anbahnende Panik zu verschleiern. »Mit dem werde ich schon fertig.«
Oder ich ignoriere ihn so lange, bis Darcy hier in spätestens zwanzig Minuten aufkreuzt und mich rettet.
Mr. Huxley war der Bürgermeister von Goldbridge, und sagten wir es mal so: Hinge die Zukunft unseres Restaurants von ihm ab, hätten wir uns alle schon längst kollektiv von der nächsten Klippe gestürzt.
Niemand wusste, weshalb dieser Mistkerl jede verdammte Woche hier aufkreuzte, obwohl er nie zufrieden mit seinem Essen war. Wenn er besonders prächtige Laune hatte, schaffte er es sogar, seinen Wein oder - eine noch herausragendere Leistung - die Temperatur des kostenlosen (!) stillen Wassers in der Karaffe auf dem Tisch zu kritisieren. Aber da er nun mal ausnahmslos jede Woche erschien, mussten wir ihn wie einen König behandeln. Wir befanden uns gerade wirklich nicht in der Position, unsere Stammgäste zu vergraulen.
Ich nahm die Kellnertasche entgegen, in der sich das Handy mit dem Kassensystem und die Geldbörse mit Wechselgeld befanden, und wollte mich schon in Bewegung setzen, da registrierte ich Mums Blick. Sie schien geradewegs durch mich hindurch zu schauen. Ihre dunkelbraunen Augen, die mein kleiner Bruder und ich von ihr geerbt hatten, waren glasig.
»Hey.« Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Was brauchst du?«
Sie blinzelte und sah mich dann an, als hätte sie kurzzeitig vergessen, wer vor ihr stand. Und wo sie sich befand. Ein reflexartiges Lächeln erschien auf ihren dunkelrot geschminkten Lippen. Obwohl sie heute schon länger als ich hier herumrannte, war kein einziger Schweißtropfen auf ihrem Gesicht zu sehen. Lediglich ein paar schwarze Strähnen hatten sich aus ihrer Flechtfrisur gelöst.
»Ich brauche dich draußen«, sagte sie in ungeduldigem Ton.
»Ich meine nicht, was alle anderen brauchen«, beharrte ich, »sondern was du brauchst.«
Sie kämpfte noch immer mit den Tränen. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Nicht jetzt. Später.«
Mein Herz zog sich zusammen. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Es ging nicht darum, dass wir heute unterbesetzt waren und das Restaurant schon seit geraumer Zeit den Bach runterging. Es ging um Dad. Natürlich.
Mit einem Nicken wandte ich mich ab. Während ich mir meinen Weg durch die Küche nach draußen bahnte, erwiderte ich die mitleidigen Blicke meiner Kollegen. Niemand beneidete mich ums Kellnern. Doch wenn ich mich nicht täuschte, dann sah ich auch Erleichterung in einigen Gesichtern. Solange ich nicht in der Küche war, konnte ich dort auch keinen Schaden anrichten. Ich widerstand dem Bedürfnis, einen Abstecher in unsere Patisserie zu machen, wo Alexis vermutlich gerade mit den Limetten-Tartelettes beschäftigt war. Mein Stimmungsbarometer hatte noch nicht den absoluten Tiefpunkt erreicht, aber viel fehlte nicht mehr. Mein kleiner Bruder ahnte vielleicht, wieso unsere Eltern sich mal wieder gestritten hatten, aber garantiert würde er es mir nicht sagen. Es war nichts Persönliches. Es lag nur daran, dass ich die Worte, die er im vergangenen Jahr von sich gegeben hatte, an einer Hand abzählen konnte.
Ich atmete tief durch und schaute hastig in den Spiegel, der an der Metalltür angebracht war, welche die Küche von der Terrasse trennte.
Lächeln, stand in fetten Lettern über dem weiß-blauen Mosaikrahmen. Geflucht wird später.
Ich tat wie geheißen und zog die Mundwinkel nach oben. Meine Augen strahlten wie auf Knopfdruck. Gut, dass ich mich heute Morgen rasiert hatte. So sah ich wenigstens ein bisschen präsentabler aus. Meine rabenschwarzen Haare - ebenso Mums Verdienst wie die Augen - waren heillos verwuschelt, aber das würde schon passen.
Auf in den Kampf.
Der Geruch war wie immer das Erste, was mich traf, nachdem ich durch die Küchentür ins Freie getreten war. Salzige Luft und Knoblauch-Oregano-Duft. Dann kamen die Geräusche. Gesprächsfetzen, Besteckgeklapper und Meeresrauschen, dazu sanfte Pianomusik, die aus den Lautsprechern drang. Jetzt war mein Lächeln keine Farce mehr. Egal, wie ich oft ich hier war, egal, wie sehr ich meinen Job manchmal verfluchte und mir wünschte, in einer anderen Familie groß geworden zu sein und nicht diese Verantwortung zu tragen - dieser Anblick war die pure Magie.
Wir waren nicht nur das einzige Sternerestaurant der Stadt. Wir waren auch das einzige Restaurant weit und breit, das sich in einer Grotte befand. Der Hauptbereich umfasste dreißig weiß eingedeckte Tische mit Holzstühlen; links führte ein schmaler Absatz die Klippe entlang, auf dem weitere acht Tische standen - die Ehrenplätze sozusagen, weil man von dort aus direkt aufs Meer runtersehen konnte und etwas intimer saß. Alle Tische befanden sich im Freien. In kühleren Jahreszeiten sorgten Heizstrahler für Wärme, jetzt, im Juni, war das nicht nötig, auch wenn es mal windiger wurde, da die Grotte genug Schutz bot. Laternen funkelten über den Tischen wie kleine Sterne, und der Fels wurde in sanftem Türkis beleuchtet, was den mystischen Charakter dieses Ortes unterstrich.
Marco saß am schwarzen Flügel in einer kleinen Ausbuchtung des Felsens und spielte die Melodie von »Mad World«, obwohl er sich eigentlich lieber auf Debussy und Co. konzentrieren sollte. Ich unterdrückte ein Kichern. Er verliebte sich circa jede Woche in einen anderen Touristen, der Goldbridge dann wieder verließ, und litt somit fast durchgehend an Herzschmerz, den er an den Klaviertasten ausließ. Vor allem jetzt zur Sommersaison.
Banu und Piper, die eigentlich beide keine Vollzeitkellnerinnen waren, sondern noch andere Jobs hatten, aber schon seit Tagen einsprangen, eilten mit Armen voller leerer Teller an mir vorbei; es gelang ihnen nicht ganz, die Panik zu verbergen, als sie registrierten, dass ich zu ihrer Unterstützung hier war.
Das Lachen verging mir. Um ein Haar hätte ich ihnen eine Entschuldigung hinterhergerufen.
Ich steuerte die Klippentische an. Die besten Plätze hatten natürlich Mr. Huxley und seine Frau sowie ihre Teenagertochter Cassidy, die tödlich gelangweilt aussah. Auf dem Weg zu ihnen wurde ich dreimal aufgehalten - von einem japanischen Touristenpärchen, das mehr Brot wollte, von meiner ehemaligen Mathelehrerin Miss MacClery (»Juuulian, dich habe ich ja seit Ewigkeiten nicht mehr zu Gesicht bekommen! Sag bloß, du arbeitest immer noch hier?«) und einem versnobten Kerl, der wissen wollte, ob wir immer sauren Primitivo einkauften oder ob wir einfach nur nicht in der Lage seien, ihn richtig zu lagern. Als ich endlich bei unserem herzallerliebsten Bürgermeister angekommen war, war mein Geduldsfaden bereits überspannt.
Tiefe Atemzüge. Tieeefe Atemzüge.
»Julian Bithersea«, begrüßte Mr. Huxley mich mit dröhnender Stimme, die sich mühelos über alle anderen Gespräche emporhob und sogar die Klaviermusik übertönte. Seine Stimme passte so gar nicht zu seinem Erscheinungsbild - er war schmächtig und gerade mal so groß wie...
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