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»Inzwischen habe ich den Sebastian im Traum bekommen und viel darin gelesen; ergriffen, staunend, ahnend und ratlos; denn man begreift bald, daß die Bedingungen dieses Auftönens und Hinklingens unwiederbringlich einzige waren, wie die Umstände, aus denen eben ein Traum kommen mag. Ich denke mir, daß selbst der Nahestehende immer noch wie an Scheiben gepreßt diese Aussichten und Einblicke erfährt, als ein Ausgeschlossener: denn Trakl's Erleben geht wie in Spiegelbildern und füllt seinen ganzen Raum, der unbetretbar ist, wie der Raum im Spiegel. (Wer mag er gewesen sein?)« - So schreibt Rainer Maria Rilke 1915 nach seiner Lektüre von Georg Trakls zweitem Gedichtband, dem posthum erschienenen Sebastian im Traum, den Trakl nicht lange vor seinem Tod im Alter von 27 Jahren noch selbst zusammengestellt hatte. »Unbetretbar« nennt Rilke den Raum dieser Dichtung und scheint so zu derselben Ansicht zu tendieren wie so viele nach ihm; immer noch heißt es von Trakls Werk, es sei >hermetisch<, >dunkel<, >unzugänglich<. Aber Rilke spricht auch von Scheiben und von Spiegeln, gegen die sich der Leser presst, von der unwiderstehlichen Anziehungskraft getrieben, die diese Dichtung auf ihn ausübt; das impliziert, dass, so >abgeschlossen< Trakls Raum sein mag, doch ein Fenster existiert, durch das der Leser hineinblicken kann und aus dem ihm sowohl das Andere als auch das eigene Selbst entgegenschauen mag - ewig Getrennt, doch ewig Angesehen. Es ist eine Art Verbundenheit, die gerade durch dieses getrennte Anschauen entsteht, kein wahrhaftes Ausschließen: der Leser ahnt, staunt, wird ergriffen, so Rilke, wenn er auch letzten Endes »ratlos« bleibt. Doch es ist eben eine ergriffene, eine staunende, eine ahnende Ratlosigkeit, welche den Blick in eine andere Wirklichkeit lenkt, die hinter dem Spiegel liegt - die wir vielleicht nicht betreten können, die uns aber etwas zeigt und erahnen lässt. Man fühlt sich fast an Paulus' Wort vom »Spiegel in einem dunklen Wort« erinnert, mit dem der späte Apostel die einzige Form der Erkenntnis beschreibt, die uns im diesseitigen Leben offensteht. Und Trakls Lyrik tut nicht zuletzt das: uns die Dunkelheit unserer eigenen Erkenntnisfähigkeit bewusst machen, dieses Schauen durch Spiegel über Spiegel, aus denen uns etwas grauenhaft Wunderbares und herrlich Fürchterliches entgegenblicken mag - oder, in Trakls Worten aus dem Nachtlied: »O! ihr stillen Spiegel der Wahrheit. / An des Einsamen elfenbeinerner Schläfe / Erscheint der Abglanz gefallener Engel.«
Georg Trakl wurde am 3. Februar 1887 in Salzburg geboren. Sein Geburtsjahr fällt also in jenen engen Zeitraum, innerhalb dessen auch die Mehrheit der übrigen expressionistischen Dichter, zu denen Trakl gerechnet wird, das Licht der Welt erblickte: eine Generation von Gründervätersöhnen (und -töchtern), die zwanzig Jahre später als Bohemiens und Rebellendichter gegen literarische wie tatsächliche Väter aufbegehren, in grellen wie dunklen Farben und eruptivem Aufschrei den apokalyptischen Untergang und Neubeginn predigen und sich in den Wirren und Nachwehen des Ersten Weltkriegs hineindichten oder verlieren würden. Trakl, der schon 1914, zu Beginn des Großen Krieges und in der frühen Phase des Expressionismus, verstarb, ordnet sich in vieler Hinsicht in die Gruppe dieser Dichter ein, die in ihrer Lyrik Sprache, Selbst und Welt zerschlugen, um Neues erstehen zu lassen; und doch bleibt er eine Erscheinung für sich, die sich gegen jegliche Epochenzurechnung sperrt.
Wie viele der dem Expressionismus zugerechneten Dichter stammte auch Trakl aus einem gutbürgerlichen Milieu: Der Vater war Eisenhändler, der sich vom Klein- zum Großbürgertum hochgearbeitet hatte, ein sanfter oder vielleicht auch harter Patriarch; die Mutter sammelte kunstbegeistert Antiquitäten und überließ, mit Ausnahme der musischen Bildung, die Erziehung ihrer sechs Kinder der Gouvernante. In Trakls Lyrik, in der gewisse Bilder und Begriffe immer wieder aufgegriffen und in immer neuen Verbindungen wiederholt werden, so dass sie sich mit ihren ganz eigenen Bedeutungen aufladen, ist das Wort »Kindheit« stets von einer Aura der Düsternis umgeben, wohl am deutlichsten in dem Prosagedicht Traum und Umnachtung: »Manchmal erinnerte er sich seiner Kindheit, erfüllt von Krankheit, Schrecken und Finsternis, verschwiegener Spiele im Sternengarten, oder daß er die Ratten fütterte im dämmernden Hof.« Die Kindheit erscheint als etwas unwiederbringlich Verlorenes, aber zugleich als etwas, das nie wirklich besessen wurde. Dieses Gefühl des Verloren-Habens eines Nie-Besessenen durchwirkt Trakls Lyrik von Anfang bis zum Ende. Es bleibt keineswegs auf das Besondere der Kindheit beschränkt, sondern steigert sich zu einem Allgemeinen, das die gesamte menschliche Existenz umfasst und sowohl auf die Vergangenheit (»Kindheit«) als auch auf die Zukunft (»Ungeborenes«) gerichtet ist. Besonders erschütternd geschieht dies in Trakls letztem Gedicht Grodek, das die Perspektive vor dem Hintergrund des unmittelbar erfahrenen Ersten Weltkriegs von innerem Leiden hin auf die Menschheitspein lenkt: »O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre, / Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz, / Die ungeborenen Enkel.«
»Der Einsame« ist eine häufig auftretende Gestalt in Trakls Lyrik, und auch die Kindheit und Jugend des Dichters war von Einsamkeit geprägt. Innerhalb der Familie scheint er isoliert gewesen zu sein, unter seinen Schulkameraden galt der junge Trakl, der sich schon früh in existentielle, philosophische Fragen in der Nachfolge Nietzsches versenkte und Gedichte von verstörender Bildlichkeit verfasste, als Sonderling und >Spinner<. Bereits zu jener Zeit erwarb sich der adoleszente Trakl in gewisser Weise den Ruf eines poète maudit, eines >Dichters des Bösen< ganz im Geiste seiner Vorbilder Baudelaire und später Verlaine und Rimbaud; wie jene experimentierte er mit Alkohol und Drogen, besuchte regelmäßig Bordelle und gab sich dem Lebensgenuss hin, um sich so im Baudelaire'schen Sinne paradis artificiels (künstliche Paradiese) zu kreieren - und letzten Endes daran zu scheitern.
Trakl scheint sich abwechselnd seiner Drogensucht selbstvergessen und lustvoll ergeben und sie verbittert verflucht zu haben; immer wieder erwähnt er in Briefen an Freunde Selbstmordabsichten, die jedoch möglicherweise ebenso Hilfeschrei wie Teil seiner Selbstinszenierung als poète maudit gewesen sein mögen. Der junge Dichter, der trotz offensichtlicher Intelligenz in seiner Gymnasialzeit mehrmals das Klassenziel nicht erreichte, musste die Schule schließlich abbrechen, ein erstes Scheitern an der (groß)bürgerlichen Existenz, die er nicht weniger verachtete als die anderen jungen, avantgardistischen Intellektuellen seiner Generation. Er flüchtete sich nicht zuletzt in die bewusste Selbstinszenierung als Künstler und Bohemien über Kleidung, Lebensstil und Geisteshaltung; sein Freundeskreis bestand aus jungen Gleichgesinnten, die die Salzburger in unnachahmlich österreichisch-bürgerlicher Manier »das spinnerte Krezl« nannten. Doch ganz verabschieden konnte sich Trakl nie von der bürgerlichen Existenz. Nach seinem Schulabbruch begann er eine Ausbildung als Pharmazeut, ein gerade noch angesehener Beruf, und nach seinem dreijährigen Studium in Wien und einem einjährigen Wehrdienst versuchte er beständig, Fuß zu fassen und trotz seiner neurotischen Angstzustände einen Arbeitsplatz zu halten - ohne Erfolg. Beispielsweise trat der junge Dichter Ende 1912 eine Stellung im Arbeitsministerium in Wien an, nur um nach seinem ersten Tag dort das Entlassungsgesuch einzureichen.
All den Kämpfen Trakls mit bürgerlicher und Bohème-Existenz, mit Drogensucht, Angstzuständen, Halluzinationen und Selbstmordgedanken lag ein tiefgehendes psychisches Leiden zugrunde, das bildreichen und ergreifenden Ausdruck in seinen Gedichten findet und doch ungreifbar bleibt - es sind jene unwiederbringlichen »Bedingungen dieses Auftönens und Hinklingens«, von denen Rilke spricht, und die Trakls Lyrik so einmalig, fremdartig und doch zutiefst anrührend machen: »Tönend von Wohllaut und weichem Wahnsinn«, wie es in Trakls In ein altes Stammbuch heißt.
»Alles, was daher von mir bekannt geworden, sind nur Bruchstücke einer großen Konfession«, schreibt Johann Wolfgang von Goethe in seinem autobiographischen Meisterwerk Dichtung und Wahrheit, und der Leser Trakls kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass dieser Ausspruch auch auf die Lyrik des Salzburgers zutreffen könnte, die den Charakter eines intimen, wenn auch nur schwer fassbaren Bekenntnisses hat. Doch was bekennt der Autor hier?
Trakls Gedichte durchzieht ein großer Schmerz und das Bewusstsein einer ebenso überwältigenden Schuld: »Groß ist die Schuld des Geborenen. Weh, ihr goldenen Schauer / Des Todes / Da die Seele kühlere Blüten träumt«, heißt es in Anif. Eng verbunden mit diesem allumfassenden Schuldig-Sein, und damit auch mit dem Motiv des Todes und des ewig Sterbenden, ewig Vergehenden, das so prominent in Trakls Lyrik ist, ist das Bild der »Schwester«, die die Verse des Dichters von Anfang bis ganz zum Ende durchwandert wie ein Geist oder ein blasser Engel. »Karfreitagskind« nennt Trakl diese Gestalt in An die Schwester, deren »Mund in schwarzen Zweigen flüstert« (Seele des Lebens); noch in Trakls letztem Gedicht Grodek ist sie es, deren »Schatten durch den schweigenden Hain« schwankt, um »zu...
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