Schweitzer Fachinformationen
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Gut dreißig Jahre müssen es her sein, dass wir zum ersten Mal in die Bresse bourguignonne fuhren, die kurvenreichen Straßen im Jura hinauf und hinunter, an Kühen und Pferden vorbei, durch Dörfer und Weiler, an einem ungewöhnlich kalten, stürmischen Apriltag, bei Regen und Schneegestöber. Die Fahrt schien endlos zu sein, und einmal mussten wir umkehren und eine Weile suchen, bis wir die richtige Abzweigung fanden. Wir schauten hinaus in die grau-weiße Landschaft, in der noch keine Spur von Frühling lag, und fragten uns etwas bang, worauf wir uns da einließen.
In einer Zeitung hatte ich das Inserat entdeckt, mit dem alles begann: Günstige Objekte (maisons, fermes) in der Bresse bourguignonne zu verkaufen. Obwohl wir nie daran gedacht hatten, je ein Haus zu kaufen, klang das Angebot verlockend. Seit langem schon waren wir auf der Suche nach einem Ort, an dem wir unser Leben freier und unabhängiger gestalten konnten als in der Schweiz, die uns eng vorkam. So hofften wir.
Nun sollten wir an diesem Nachmittag gleich vier oder fünf zum Verkauf stehende Immobilien besichtigen, die zwischen den Städtchen Louhans und Tournus verstreut waren und für schweizer Begriffe sehr weit auseinander lagen.
Das Kind begann vor Müdigkeit zu quengeln, dann schlief es ein, und es wurde still im Auto. Die flache, einsame Gegend mit dem großen, weiten Himmel und den unzähligen Disteln auf den hohen Bäumen am Waldrand, den bleichen Charolais-Kühen und glücklichen Hühnern, den Flüssen und Teichen gefiel uns vom ersten Moment an.
In der Bresse angekommen, standen wir frierend vor Herrschafts- und Bauernhäusern, die seit längerem unbewohnt waren und auf neue Besitzer hofften. Die meisten waren viel zu groß und zu teuer, die anderen halbe Ruinen. Nichts für uns. Doch dann entdeckten wir das kleine Haus am Fluss, das etwas ärmlich und heruntergekommen wirkte. Das Kind setzte sich auf die verrostete Schaukel im verwilderten Garten, wo noch nicht einmal Narzissen und Tulpen unter den Holunderbüschen blühten, und wir wussten alle drei, ohne uns abzusprechen: Nur dieses und kein anderes Haus kam in Frage, ein Blick des Einverständnisses genügte.
Die Kleine ist längst erwachsen, und ich erinnere mich genau an den Augenblick, als Jahre später nicht nur die Ferien abgelaufen waren, sondern auch ihre Kindheit ein jähes Ende nahm. Sie saß nun ohne Puppe oder Plüschtier im Arm hinten im Auto, die kläglich miauende Katze im Käfig neben sich, schaute zurück zum Fluss, und dort stand eine Gestalt und winkte: die erste große Liebe eines Sommers. Der Schmerz des Abschieds zerschnitt die Luft wie die Mauersegler, wenn sie in halsbrecherischem Flug ihre Nester anpeilen.
Als wir zum ersten Mal im Garten standen und auf den Fluss schauten, befürchteten wir ein wenig, dass auf dem Ufersträßchen im Sommer ein Auto neben dem anderen parken und das kleine Café nebenan allzu belebt sein würde. (So wird es heute, nehme ich an, leider sein.) Simon, der junge Schweizer Immobilienhändler, der uns begleitete, beruhigte uns. Das hier sei keine touristisch erschlossene Gegend, sondern ein verschlafenes Nest, wo fast nur alte Leute lebten; im Sommer würden am Ufer der Seille und hinten am Waldrand bei der Schleuse in die Saône ein paar Zelte und Wohnwagen aufgestellt und ab und zu ein Hausboot vorbeifahren. Und häufig gebe es Überschwemmungen. Das Haus, ein paar Stufen erhöht, habe allerdings noch nie im Wasser gestanden, sonst müsste dies im Vertrag vermerkt sein. Die schweren Fensterläden öffneten wir nicht und schauten auch nur flüchtig in die dunklen, verstaubten, etwas muffig riechenden Räume, die mit alten, massiven Möbeln vollgestellt waren. Das Aborthäuschen stand draußen im Innenhof, und nun verstanden wir, weshalb das Haus, das dem alten Monsieur Prabel gehört hatte, seit dessen Tod vor fünf Jahren leer stand. Es war kein passendes Objekt für Schweizer, die sich eine standesgemäße résidence secondaire mit viel Land wünschen.
Eine Welschschweizerin, die in der Nähe einen «richtigen» Zweitwohnsitz kaufte und für viel Geld renovieren lassen wollte, bezeichnete unser Haus einmal abschätzig als «Fischerhütte», eine Bemerkung, die uns verletzte. Als sich dann herausstellte, dass der von ihr eingesetzte Waadtländer Bauführer weder die Handwerker noch die Rechnungen für das Material bezahlt, sondern sie um viel Geld betrogen hatte, konnten wir uns eine leise Schadenfreude nicht verkneifen.
Mein Bruder, der auf unsere Bitte hin mitgefahren war, weil wir hofften, er würde einen klaren Kopf behalten und uns falls nötig davon abhalten einen Vorvertrag für eine Ruine oder ein zu teures Objekt abzuschließen, sagte den ganzen Tag kein Wort, schaute nur kritisch und ließ sich zu keinem Kommentar hinreißen. Wir jedoch, wie immer rasch entflammt, machten bereits Pläne, wie wir das Haus putzen, neu streichen und einrichten würden. Nur gab es ein kleines Problem: Womit sollten wir das Haus kaufen? Ersparnisse hatten wir keine.
Erst um Mitternacht, als wir längst wieder in der Schweiz waren, rief mein Bruder überraschend an und erklärte lakonisch: «Wenn ihr das Haus nicht kauft, ist euch nicht zu helfen! So günstig kommt ihr nie mehr dazu!»
Wir versuchten, Geld aufzutreiben, Darlehen innerhalb der Verwandtschaft zu bekommen. Es gelang. Und wenige Wochen später fuhren wir nach Frankreich, um den Kaufvertrag zu unterzeichnen. Wir versanken im Büro des Notars in noble, gepolsterte, allerdings ziemlich abgewetzte Louis XV-Sessel und hörten uns an, wie er die verschiedenen juristischen Paragraphen und Klauseln, für uns Kauderwelsch, in salbungsvollem Ton vortrug. Wir verstanden nicht alles, doch das Französisch des maître klang elegant und äußerst wichtig.
Neben uns thronten, andächtig und erwartungsvoll, die engsten Angehörigen des verstorbenen Hausbesitzers, Monsieur Prabel. Einer seiner Söhne, der die kleine Erbengemeinschaft vertrat, hatte die Mütze abgenommen und die Hände verschränkt als säße er in der Kirche. Seine Frau trug eine frisch gestärkte weiße Bluse und schwitzte vor Aufregung, und sie schienen beide ungemein froh, endlich jemanden gefunden zu haben, der die Hütte des verstorbenen Vaters erstehen wollte. Niemand in der Familie hing am alten Haus, keiner der Söhne wollte dort die Wochenenden verbringen und fischen gehen. Nur verkaufen wollten sie es, brauchten Geld, ganz dringend Geld! Alle Schweizer seien wohlhabend, wenn nicht gar reich, glaubten sie, obwohl wir diesem Bild in nichts entsprachen. In ihren Augen waren wir wie Engel vom Himmel gefallen und deshalb als Retter der Familie in Frankreich hoch willkommen.
Es schien in der Tat, als könnten wir fliegen, wir schwebten auf einer Wolke der Vorfreude. In knapp drei Monaten würde es so weit sein. Wir würden ein Haus am Rand des berühmten Weingebiets, im Burgund, als notre maison bezeichnen dürfen, nur drei Stunden Autofahrt von der Schweiz entfernt, und daraus unser Paradies machen, und bald würde man munkeln, wir hätten geerbt oder im Lotto gewonnen, wir besäßen ein Schloss im Burgund samt Gestüt (einem Schaukelpferdchen) und einer Jacht (einem aufblasbaren Schlauchboot).
Frankreich schien das gelobte Land zu sein: anders, unendlich größer und offener jedenfalls als die zu kleine Heimat. Euphorie des Anfangs. Als gäbe es in «unserem» Dorf eine heile Welt! Alles hatte einen eigenen Reiz: die Menschen, die Sprache, die weite Landschaft, die Chansons, der Wein, der Apéro, das mehrgängige günstige Essen .
Als der Vertrag unterschrieben war, wurden wir von Prabels zu einem Essen in ihr Haus eingeladen, eine seltene Auszeichnung in Frankreich, wo man sich normalerweise in einem Restaurant trifft. Zwei Wochen später fuhren wir kilometerweit über Land, ins Département de l'Ain, staunten über die alten Bauernhäuser mit den mysteriösen Kaminen, den cheminées sarrasines im Umkreis von Saint-Trivier-de-Courtes, die wie kleine Minarette oder Glockentürme aussehen, bis wir das Dorf unserer Gastgeber fanden. Man empfing uns mit allen Ehren und tischte alles auf, was das Burgund zu bieten hat. Wir kamen nicht darum herum, zum ersten Mal und mit Todesverachtung die von Franzosen heißgeliebten Froschschenkel hinunterzuwürgen.
Das kleine Café «Au bon coin», nur durch eine Mauer von unserem Haus getrennt, wurde auch für uns zu einer «guten Ecke», einem vom ersten Tag an wichtigen Ort, manchmal einer Zuflucht: mit Tischen und Stühlen aus den Fünfzigerjahren, mit verrauchten, im Lauf der Zeit dunkel gewordenen Wänden und einer Brotschneidemaschine, die ein Geräusch machte wie eine Guillotine. Das Café wurde von zwei Freundinnen geführt, mit denen sich bald eine Freundschaft anbahnte. Es gab kaum etwas Besseres, als gleich nebenan bei Anni und Odette morgens eine frische Baguette zu holen und später dort den Apéro trinken zu gehen und alles Wichtige und Nebensächliche über das Dorf und seine Bewohner aus erster Hand zu erfahren.
Die Ruhe am Fluss war meist paradiesisch, und wir konnten im Sommer im Pyjama nachts auf die kleine Uferstraße hinausgehen und am Geländer des Flusses den fliegenden Fischen zusehen. Die alten Leute aus den weiter hinten gelegenen Häusern, darunter Monsieur Joli, ein ancien combattant, ein Kriegsveteran, der immer blaue Latzhosen trug, kamen im Sommer und Frühherbst jeden Abend - wenn es das Wetter erlaubte - vor dem Zubettgehen auf die Holzbank vor unserem Gartenzaun mit der wilden Rebe, setzten sich, tratschten und tauschten Neuigkeiten aus. An einem der ersten Abende gesellten wir uns mit einer Flasche Calvados und kleinen Gläsern zu...
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