Schweitzer Fachinformationen
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Einmal, als ich bei meiner Freundin Becky Betts übernachtete, spielten wir spät am Abend noch »Wahrheit oder Pflicht«, und sie forderte mich auf, mich zwischen meinen Schwestern zu entscheiden.
»Du kannst nur eine retten, die andere muss sterben«, erklärte sie melodramatisch.
Ich zögerte keine Sekunde.
Bis heute erinnere ich mich an ihr entsetztes Gesicht, mit dem sie ihre Schwester Laura ansah. Für sie musste meine Antwort geradezu kaltherzig klingen. Doch selbstverständlich würde ich Phoebe retten. Das würde jeder tun, auch Eliza.
Es ist nicht so, dass Eliza und ich uns hassen. Wir verstehen uns nur einfach nicht besonders gut. Haben wir nie getan. Sie hält mich für langweilig und verschlossen und ich sie für unreif und respektlos.
»Du bist so kratzig wie dein Name«, sagt sie regelmäßig. Oder auch: »Sei nicht so stachelig, Rosie.«
Wenn wir keine Schwestern wären, würden wir vermutlich kaum ein Wort miteinander wechseln.
Phoebe dagegen ist wie ein Sonnenstrahl an einem bewölkten Tag. Ihr Lachen ist ansteckend.
Mist, sie fehlt mir. Dabei ist sie erst seit zwei Tagen weg.
»Den nimmst du aber nicht mit, oder?«, frage ich jetzt Mum, als ich feststelle, dass sie schon seit mindestens zwei Minuten denselben Porzellanteller in der Hand hält.
»Ich weiß noch nicht«, erwidert sie abweisend und stellt den Teller leise klappernd beiseite.
»In dem kleineren Haus brauchst du kein gutes Service mehr«, erkläre ich pedantisch.
»Oder doch, wer weiß«, erwidert sie spitz.
»Du kannst nicht alles mitnehmen«, mahne ich erschöpft, als sie aus dem Zimmer marschiert. In der Diele bleibt sie stehen, das Gesicht zur Haustür gewandt, und plötzlich lächelt sie.
»Hast du Straßenmusik gemacht?«, fragt sie über das Geräusch der zuklappenden Tür hinweg.
»Ja, in der Stadt«, höre ich Eliza antworten, gefolgt von dem Geräusch ihrer Gitarre, die sie an die Wand lehnt.
»Ich dachte mir schon, dass du gearbeitet hast. Komm, trink eine Tasse Tee«, drängt Mum sie. Na toll.
Ich verdrehe die Augen. »Ich hab eine noch bessere Idee: Komm und hilf mir!«, rufe ich und fahre mit den Händen über mein geblümtes Sommerkleid, während unsere Mutter beschwingt in Richtung Küche läuft.
»Möchtest du auch eine Tasse, Rosie?«, ruft sie mir zu, als sei ihr plötzlich eingefallen, dass ich auch noch da bin. Dabei hat sie bereits den Wasserkocher eingeschaltet.
»Klar«, antworte ich, als Eliza in der Tür erscheint.
Sie trägt zerrissene Jeans und ein knallorangefarbenes Stricktop. Ihr Haar hat sie zu Zöpfen geflochten.
Die Frisur ist wie ein Beleg dafür, dass sie nie erwachsen geworden ist. Hinzu kommt noch, dass sie Straßenmusik macht und kellnert, anstatt sich einen richtigen Job zu suchen, dass sie die Freunde wechselt wie Unterhosen und dass sie immer noch zu Hause wohnt. Und das ist noch lange nicht alles.
»Im Ernst, willst du denn überhaupt nicht beim Packen helfen?«, frage ich, als sie sich auf einen Stuhl am Esszimmertisch fallen lässt. Ich knie auf dem Teppichboden vor Mums Vitrine und wickle ein weiteres ihrer geliebten Deko-Objekte in Luftpolsterfolie.
»Warum sollte ich? Ich will nicht umziehen«, erwidert Eliza schnippisch.
Ich war diejenige, die Mum dazu überredet hat, das Haus zu verkaufen und sich zu verkleinern.
Phoebe dachte, es wäre »wahrscheinlich eine gute Idee«, aber Eliza war total wütend darüber, ihr kostenloses Hotelzimmer aufgeben zu müssen.
»Hier geht's nicht um dich«, betone ich.
Sie lehnt sich nach vorn, stemmt die Ellbogen auf den Tisch und blickt durchdringend auf mich hinunter. Voller Unbehagen rutsche ich herum und lehne mich innerlich jetzt schon gegen das auf, was sie als Nächstes sagen wird.
»Weißt du wirklich nichts Besseres mit deinem Urlaub anzufangen?«
Ich bin Krankenschwester und lebe in London. Meine Arbeit ist oft sehr belastend und bringt mich an meine Grenzen. Wie gerne würde ich jetzt neben meinem Freund Gerard am Strand liegen, irgendwo, wo es warm ist, doch stattdessen verbringe ich die nächsten zwei Wochen hier in Manchester und helfe unserer Mutter beim Umziehen und unserer Schwester bei ihren letzten Hochzeitsvorbereitungen. Und was macht Eliza? So gut wie gar nichts.
Ich habe noch die Worte meines Vaters im Ohr: »Rosie ist eine Gebende, keine Nehmende. Genau wie ihre Mutter .«
Mum war auch Krankenschwester - so haben sie und mein Vater sich kennengelernt. Mein Vater hatte einen Kletterunfall, und Mum pflegte ihn gesund. Nach unserer Geburt gab sie ihren Beruf jedoch auf. Mit drei Babys hatte sie schließlich genug zu tun.
»Ich meine ja nur«, fährt Eliza fort, zuckt mit den Achseln und wendet gleichgültig den Blick ab. »Manche von uns haben eben was Besseres vor.«
Ich werde laut. »Manche von uns sollten sich einen richtigen Job suchen und aufhören, ihrer alten Mutter auf der Tasche zu liegen!«
»Hör auf!«, ermahnt uns Mum von der Tür aus, und schuldbewusst schweige ich. Die Tassen auf ihrem Tablett stoßen laut klirrend aneinander, während sie fortfährt. »Ihr beide benehmt euch wie verzogene Gören, wenn ihr zusammen seid! Wann verhaltet ihr euch endlich mal wie Erwachsene?«
Sie hat recht. Schließlich sind wir inzwischen siebenundzwanzig.
»Warum fängst du nicht schon mal mit dem Speicher an?«, gibt Mum mir ein Stichwort.
»Gut, mach ich«, antworte ich, nehme meinen Tee und eile aus dem Zimmer, ganz ähnlich wie sie vor ein paar Minuten.
Als Phoebe und ich studierten, beschlossen meine Eltern, unser Haus in ein Bed & Breakfast umzuwandeln, und alle unsere Kindersachen wanderten auf den Speicher - sogar Eliza musste ausräumen, obwohl sie nie ausgezogen ist -, doch dann starb mein Vater, und meine Mutter verlor das Interesse daran, Fremdenzimmer zu vermieten.
Ich hatte schon lange vor, mal meine Sachen auszusortieren.
Auf dem Weg durch die Diele erhasche ich einen Blick auf mein Spiegelbild und stelle fest, dass sich mein hoher Dutt gelöst hat und jetzt als Pferdeschwanz hinunterhängt - so streng und sportlich, wie auch Phoebe ihn gern trägt. Für den Bruchteil einer Sekunde ist es, als sähe ich sie.
Wir beide entschieden uns schon früh für individuelle Frisuren, weil wir es satthatten, dass unsere Lehrer uns der Einfachheit halber »Miss Thomson« nannten, wenn sie uns nicht unterscheiden konnten. Es war dann Eliza, die mich dazu brachte, einen Dutt zu tragen.
Ab und zu klaute ich ihre Schere, weil ich meine nie finden konnte, aber eines Tages wurde sie sauer auf mich, weil sie ein Kunstprojekt abgeben musste - irgendeine bizarre Collage aus Pappe. Ich behauptete, ich hätte sie ihr schon zurückgegeben. Stinksauer stürmte sie in mein Zimmer, und als sie die Schere in meiner obersten Schreibtischschublade fand, griff sie nach meinem Haar und schnitt ein Stück heraus. Das brachte ihr einen Riesenärger ein.
In mancher Hinsicht hat sie mir jedoch mit der Aktion einen Gefallen getan. Am nächsten Tag musste ich mein Haar hochstecken und erhielt so viele Komplimente, dass es zu meinem persönlichen Markenzeichen wurde. Manchmal nervte sie mich, indem auch sie ihr Haar in einem Dutt trug, doch sie schaffte es nie, ihn richtig sauber und ordentlich festzustecken, so dass die Lehrer ihr jedes Mal auf die Schliche kamen.
Ich angele die Zugstange vom Schrank auf dem Treppenabsatz, fahre mit dem Haken in die Öse, öffne die Klappe und ziehe die Leiter herunter. Kurz darauf bin ich oben auf dem schmuddeligen, staubigen Speicher, umgeben von Kartons. Ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll, also greife ich nach dem nächstbesten und ziehe ihn zu mir heran.
Es dauert fast eine Stunde, bis ich das erste Tagebuch finde. Ich erkenne es sofort, trotz der Aufkleber auf dem Deckel. Zum siebzehnten Geburtstag schenkte unser Onkel Simon meinen Schwestern und mir identische violette Notizbücher mit kleinen Schlössern. In meines habe ich mit religiösem Eifer hineingeschrieben, obwohl ich heute gar nicht mehr so genau wissen möchte, was, so peinlich ist es mir.
Ich hebe den Deckel an und zucke zusammen, als darunter die krakelige Handschrift Elizas zum Vorschein kommt.
Ich wusste, dass Phoebe Tagebuch geführt hat - jeder wusste, dass Phoebe Tagebuch führt -, da sie ewig an Schreibwettbewerben teilnahm und überall herumerzählte, dass sie eines Tages Schriftstellerin werden wollte. Aber Eliza? Ihr hätte ich das nie zugetraut. Sie drückte sich durch die Musik aus, aber sich einem unbelebten Gegenstand anzuvertrauen? Das war nicht ihr Ding. Sogar ihre Songs sind seltsam und spleenig - sie schüttet darin nicht ihr Herz aus, jedenfalls nicht in denen, die ich bisher gehört habe.
Trotzdem ist das unverkennbar ihre Sauklaue. Wann hat sie damit angefangen?
Ich inspiziere das Schloss. Da ich irgendwann meinen Schlüssel verloren habe, weiß ich ziemlich genau, wie man es knackt. Ich ziehe eine der Haarspangen heraus, die wenig erfolgreich meinen Dutt zusammengehalten haben, stecke sie ins Schlüsselloch und fuhrwerke darin herum. Kurz darauf ertönt ein Klicken, und das Schloss springt auf.
Es ist ein Schock für mich, das Datum ihres ersten Eintrags zu lesen: Freitag, der dreizehnte Mai. Vor einem Jahrzehnt. Freitag, der dreizehnte Mai - das war der Tag, an dem Angus eingezogen ist!
Ich schlage das Tagebuch wieder zu. Ich wusste es! Ich wusste, dass auch sie in ihn verliebt war! Sie hat zwar immer so gleichgültig getan, aber mich hat sie damit nicht hinters Licht...
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