Schweitzer Fachinformationen
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»Jetzt ist aber Schluss! Ich bin dein Gemecker satt! Wir sind jetzt hier, und hier bleiben wir auch, also gewöhn dich dran, Lily!«
Es hat lange gedauert, aber jetzt rastet meine Mutter aus. Ich kann es ihr nicht verübeln. An ihrem Vorhaben, nach Australien zu ziehen, hab ich schon herumgenörgelt, seitdem sie zum ersten Mal mit Michael im Internet geflirtet hat.
»Ist das Gras hier überhaupt mal grün?«, gebe ich gelangweilt zurück. Wenn sie glaubt, ich würde klein beigeben, ist sie schwer auf dem Holzweg.
Meine Mutter sagt nichts; sie seufzt bloß und guckt in den Rückspiegel, bevor sie auf die Überholspur wechselt.
Es ist Ende November - Sommer in Australien -, und wir fahren vom Flughafen in Adelaide hinauf in die Berge. Zu meiner Linken erheben sich gelbe Hügel, zu meiner Rechten tun sich tiefe baumbewachsene Schluchten auf. Die Straße ist sehr kurvenreich, ich halte mich an der Armlehne fest und blinzele in das grelle Sonnenlicht, weil ich vergessen habe, meine Sonnenbrille aus dem Koffer zu holen. Ich muss wohl nicht extra betonen, dass ich nicht gut gelaunt bin.
»Findest du nicht, dass er uns wenigstens vom Flughafen hätte abholen können?«, grummele ich.
»Wir mussten sowieso den Mietwagen mitnehmen. Und wie schon gesagt, Michael muss arbeiten.«
»Können die Beuteltiere nicht einen Morgen ohne ihn auskommen?«
Die neue große Liebe meiner Mutter ist im örtlichen Wildpark für die Tiere verantwortlich. Den lieben langen Tag muss der Mann nichts weiter tun, als Kängurus füttern und für fotografierende Touristen Koalas im Arm wiegen.
»Vielleicht schon«, erwidert Mum leicht angespannt, obwohl sie sonst immer so ruhig ist, »aber auf der Mailbox hat er was von einem kranken Tasmanischen Teufel erzählt.«
»Na und?«, erwidere ich.
»Das klingt aber nicht nach der Lily, die ich kenne«, sagt sie vorwurfsvoll. »Die Lily, die ich kenne, würde sich Sorgen um ein krankes Tier machen. Die Lily, die ich kenne, wollte sogar einmal nicht in den Urlaub fahren, weil ihr Hamster krank war. Die Lily, die ich kenne, hat sich immer um ihre Haustiere gekümmert, als wären es ihre Kinder.«
»Ja, und jetzt sind sie alle tot«, entgegne ich.
Schweigen.
»Was ist das überhaupt, so ein blöder Tasmanischer Teufel?«, hake ich nach.
»Ach, halt doch einfach den Mund!«
Ich grinse vor mich hin und starre aus dem Fenster, zufrieden mit meinem kleinen Sieg. Dann fällt mir ein, dass wir uns in einem anderen Land befinden. Am anderen Ende der Welt. Und mir wird klar, dass ich überhaupt nicht gewonnen habe. Ich habe verloren. Super.
»Crafers - da ist es.« Mum setzt den Blinker, um links rauszufahren.
»Und was ist, wenn du den Typ nicht leiden kannst?«, frage ich. »Können wir dann wieder zurück nach Hause?«
»Ich werde ihn mögen«, sagt sie mit Nachdruck. »Und das hier ist jetzt unser Zuhause.«
»Das wird nie mein Zuhause sein«, erwidere ich finster.
England ist mein Zuhause. Und sobald ich achtzehn bin, werde ich dorthin zurückkehren. Aber das dauert noch über zwei Jahre - eine Ewigkeit. Ich habe so eine Stinkwut auf meine Mum, weil sie mir das antut, ich kann es gar nicht in Worte fassen.
Ausgerechnet sie musste einen Mann im Internet kennenlernen. Wir befinden uns bald im Jahr 2000 - wer macht so was? Meiner Meinung nach ist dieser blöde Film e-m@il für dich daran schuld. Der hat meiner Mum garantiert diesen Floh ins Ohr gesetzt, als sie ihn letztes Jahr gesehen hat. Schön und gut, wenn die dämliche Meg Ryan und Tom Quasselstrippe Hanks nach Herzenslust E-Mails austauschen, aber wer kommt für die Folgen auf? Ich offenbar. Hier hocke ich nun in dem verfluchten Känguruland und muss bei einem Mann wohnen, den ich noch nie gesehen habe, nur weil meine Mum sich verknallt hat. Wieder mal.
Wir verlassen das Kaff namens Crafers und fahren weiter über die gewundene Straße. Neben uns ist eine Koppel mit vielen hell- und dunkelbraunen Ziegen.
»Das ist also Piccadilly«, stellt Mum fest.
»Piccadilly?«, schnaube ich verächtlich. »Willst du mich verarschen?«
Sie wirft mir einen Blick zu. »So heißt die Stadt.«
»Das nennst du Stadt?« Demonstrativ glotze ich auf vereinzelte Häuser und Höfe, die in großen Abständen am Straßenrand auftauchen. Ausrangierte Autos, Geländewagen und Traktoren stehen unbenutzt im verdorrten Gras. »Ich kenne den Picadilly Circus in London, und dagegen ist das hier ein Dreck!«
Meine Mum runzelt wütend die Stirn, während die Straße uns durch einen bescheidenen Weinberg führt. »Seiner Beschreibung nach ist es nicht mehr weit von hier.«
Wir fahren noch an ein paar Häusern vorbei, dann geht Mum vom Gas.
»Rosen, davon hat er gesprochen.« Sie weist nach vorn auf rosafarbene und rote Rosenbüsche am Straßenrand und biegt dann links ab in die Auffahrt zu einem roten Backsteinhaus mit einem Dach aus braunen Ziegeln und einer schattigen, von Weinranken überwucherten Veranda.
Meine Mum schaut mich an. »Sei nett, ja?«
Ich will erwidern: Wieso sollte ich?, aber sie schneidet mir das Wort ab. »Bitte!«
In diesem Augenblick kommt ein großer, dunkelhaariger Junge aus der Haustür, und ich wundere mich über den ängstlichen Ausdruck in den Augen meiner Mutter, denn der Kerl ist - wie soll ich sagen? - unerwartet scharf.
»Wer ist das?«, frage ich misstrauisch, während Mum sich abschnallt und sich bemüht, eine gelassene Miene aufzusetzen.
»Das muss Josh sein.«
»Mein neuer großer Bruder?« Meine Stimme trieft vor Sarkasmus, aber insgeheim ärgere ich mich, mir nach dem vierundzwanzigstündigen Flug nicht die Knoten aus den langen dunklen Haaren gekämmt zu haben. Mum wirft mir einen letzten, flehenden Blick aus ihren müden blauen Augen zu, dann steigt sie aus. Widerwillig folge ich ihr.
»Hi!« Strahlend stürmt sie über den Kiespfad, wirbelt helle Staubwölkchen auf. »Ich bin Cindy.«
»Tag auch, ich bin Josh.« Er streckt die Hand aus, und Mum schüttelt sie. Dann dreht sie sich zu mir um.
»Das ist meine Tochter Lily.«
Das breite Lächeln auf ihrem Gesicht ist unentschlossen, doch Josh merkt es nicht. Er ist zu sehr damit beschäftigt, mich von Kopf bis Fuß zu mustern. Ich verschränke die Arme vor der Brust, funkele ihn herausfordernd an und warte genervt, bis seine dunkelbraunen Augen in meine hellbraunen schauen.
»Tag auch.«
»Sagt man das hier im Ernst so?«, entgegne ich und ignoriere seine ausgestreckte Hand.
»Was?« Belustigt hakt er seine Daumen in die Jeanstaschen. Seine Attraktivität gibt ihm offenbar viel zu viel Selbstvertrauen, und das ärgert mich.
»>Tag auch<. Ich dachte, so reden die nur im Fernsehen, wenn Australier gezeigt werden.«
»Ach so.« Josh zieht die Mundwinkel nach unten und schaut Mum an. »Braucht ihr Hilfe bei eurem Gepäck?«
»Dad kommt bald nach Hause«, sagt Josh, als wir unsere Koffer ausgeladen haben und in die Küche umgesiedelt sind. Ich könnte ein bisschen Ruhe und Frieden gebrauchen, um meine Taschen auszupacken, aber mein Verlangen nach Tee und Plätzchen ist größer als der Wunsch, mich zurückzuziehen.
»Wie weit ist es denn bis zum Safari-Park?«, will Mum wissen.
»Das ist ein Naturschutzpark«, erwidert Josh. »Er reicht bis direkt an unser Haus, aber bis zum Eingang sind es fünf Minuten Fahrt.«
»Naturschutzpark, stimmt«, tadelt Mum sich leise, als Josh eine Packung Plätzchen holt und das Cellophan abzieht. Ich beobachte ihn verstohlen, während er den Wasserkessel füllt, auf den Herd stellt und drei nicht zueinander passende Becher von einem hellgelb gestrichenen Regal holt. Sein dunkles Haar ist zerzaust. Sieht aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett gekommen, und als er sich den Schlaf aus den Augen reibt, wird mir klar, dass es wahrscheinlich auch so ist. Es ist neun Uhr morgens, und er muss - wie alt? - achtzehn sein. Neunzehn? Wie ein Frühaufsteher sieht er jedenfalls nicht aus.
Josh dreht sich zu mir um, und ich wende rasch den Blick ab. Er fragt: »Wollt ihr Milch oder Zucker?«
»Ja, gern. Milch und einen Würfel Zucker für beide«, antwortet Mum für uns.
Josh stellt eine Milchtüte und einen mit Tee verspritzten Zuckertopf auf den Tisch. »Bedient euch«, sagt er, als der altmodische Kessel zu pfeifen beginnt.
Ich greife nach den Plätzchen. YoYos heißen sie.
»Und, Josh«, sagt Mum, »was machst du so?«
»Ich arbeite in einer Autowerkstatt in Mount Barker«, erwidert er.
»Als was?«, hakt sie nach.
»Ich repariere Autos.«
»Wie weit ist es bis Mount Barker?«
»Ungefähr zwanzig Kilometer über den Princes Highway.«
»Stimmt, hier rechnet man in Kilometern, nicht wahr? Wir kennen ja nur Meilen.«
Ich gähne. Unüberhörbar.
Josh wirft mir einen Blick zu, dann dreht er ruckartig den Kopf zur Tür.
»Dad ist da.« Er steht auf und verschwindet im Flur.
Mum kaut sofort an ihrem rosa lackierten Daumennagel. »Meinst du, ich sollte an die Tür gehen, um ihn zu begrüßen?«, flüstert sie mir zu. Sie wirkt nervös.
»Nein. Warte hier«, entgegne ich. »Und hör auf, an deinen Fingernägeln zu knabbern!«
Hastig nimmt sie die Hand aus dem Mund und streicht sich über ihre halblangen blondierten Haare. Kurz empfinde ich ein überwältigendes Mitgefühl, das jedoch gleich wieder verschwindet. Ich lausche, höre, wie sich die Tür öffnet und wieder schließt,...
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