Schweitzer Fachinformationen
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Als ich nach draußen gehe, umfängt mich die Hitze wie ein Schwall warmer Luft aus einem Heißluftofen. Eigentlich wird es bald Winter, doch das ist der Wüste egal.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Menschen freiwillig in eine Sauna gehen, doch das soll es wahrhaftig geben: Dort sitzen sie in kleinen Holzhäusern und schöpfen Wasser auf glutrote Steine, um heißen Dampf zu erzeugen. Dann ziehen sie ihre Sachen aus und schwitzen. Mit Absicht. Zur Entspannung.
Aada hat mir das erzählt, Laszlo auch. Aada ist Finnin und Laszlo Ungar, nur zwei von über fünfundvierzig Nationalitäten, die in unserer Multikulti-Stadt leben.
Ich fand es immer faszinierend, was die Menschen zu berichten hatten, die von weither zu uns gezogen waren. Ich hing ihnen an den Lippen, saugte die Geschichten der Orte auf, aus denen sie kamen oder die sie besichtigt hatten. Ich dachte immer: Eines Tages sehe ich mir das alles selbst an. Das war zu den Zeiten, als diese Träume noch nicht weh taten, als die Sehnsucht noch nicht so groß war.
Eine Hütte ganz aus Holz! Schon die Vorstellung eines Gebäudes aus Holz ist mir fremd; hier gibt es nur wenig Bäume. Der erste »Baum« in Coober Pedy bestand aus Altmetall und wurde neben dem Aussichtspunkt aufgestellt, damit die Kinder etwas zum Herumklettern hatten. Als ich einmal im Sommer versuchte, ihn zu erklimmen, verbrannte ich mir die Hände.
Warum denke ich an Sauna und Bäume aus Metall? Stehe ich unter Schock? Es ist ja nicht so, als sei ich nicht darauf vorbereitet gewesen, dass ich meine Großmutter irgendwann verliere. Alzheimer hat sie mir schon vor Jahren genommen, nachdem uns ein Grubenunglück Großvater raubte.
Die beiden waren die einzigen Eltern, die ich je gekannt habe, die einzige Familie, die ich je hatte. Und jetzt sind sie nicht mehr da.
Türangeln quietschen, meine Nachbarin Bonnie kommt von ihrer überdachten Veranda. Als sie mein Gesicht sieht, weiß sie Bescheid.
»Oh, Angie«, murmelt sie. Sie tritt durch das Törchen, das nun nicht mehr abgeschlossen werden muss, in meinen Vorgarten und nimmt mich in die Arme. »Es tut mir so leid! Willst du rüberkommen? Ich mache dir eine Tasse Tee.«
Ich schüttele den Kopf, das Verantwortungsgefühl lastet noch schwer auf meinen Schultern. »Das geht nicht. Cathy .«
»Na los, geh!«, unterbricht mich Cathy.
Ich weiß nicht, was ich in den letzten Tagen ohne sie gemacht hätte. Sie versteht den Tod auf eine Weise, wie ich es wohl nie können werde.
»Ich warte hier auf Bob«, fügt Cathy hinzu.
Bob ist der Bestatter.
Er kommt, um Nan mitzunehmen.
Plötzlich ist der überwältigende Wunsch zu fliehen größer als alles andere. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich je wieder überwinden kann, unser Haus zu betreten. Ich weiß, dass ich muss, aber am liebsten würde ich weglaufen. Ich werfe Cathy ein Dankeschön zu und folge Bonnie benommen in ihr Haus.
Meine Nachbarin stellt das Wasser auf. Die Uhr an der Wand zeigt halb zwölf. Bonnies Mann Mick kommt bald zum Mittagessen.
Ich kenne Bonnie und Mick schon mein Leben lang - sie waren eng mit meinen Großeltern befreundet, und jetzt sind sie meine guten Freunde. Mick ist Anfang sechzig, groß und gertenschlank. Er hat einen glänzenden Kahlkopf und einen buschigen Schnauzbart. Bonnie ist kleiner und deutlich knuddeliger. Sie hat rosige Apfelbäckchen, die knallrot werden, wenn sie etwas getrunken hat. Früher hat sie in einem Pub in Coober Pedy gearbeitet, heute führt sie ein ruhigeres Leben, während Mick noch keine Anstalten macht, kürzer zu treten. Nach wie vor liebt er das Hochgefühl der Opalsuche, und nicht ohne Grund: Die Jagd nach Bodenschätzen hat ihn einigermaßen wohlhabend gemacht - wohlhabend genug, um sich ein eigenes Heim zu leisten und seinen beiden erwachsenen Kindern unter die Arme zu greifen.
Weniger als die Hälfte der Bevölkerung von Coober Pedy wohnt in normalen Häusern. Die anderen - auch Bonnie, Mick und ich - haben unterirdische Behausungen, die wir »Dugouts« nennen: in den Felsen gehauene Höhlen.
Die Temperaturen bei uns im Outback sind extrem: eisig kalt im Winter, im Sommer oft über vierzig Grad heiß, manchmal sogar an die fünfzig. Unter der Erde hingegen ist es gleichbleibend angenehm. Wenn man nach einem Tag an der heißen Sonne nach Hause kommt, ist es so, als würde man einen mit Klimaanlage gekühlten Raum betreten.
Unsere Behausungen sind in Hügel gebaut; daher sind die Eingänge ebenerdig. Die Küche ist zumeist auf der linken Seite, das Badezimmer rechts, zurückgesetzt unter einer überdachten Veranda, die den Regen abhält. Weiter hinten schließt sich ein System von Räumen an: Ess- und Wohnzimmer, von dem die Schlafzimmer abgehen.
Es ist über fünfunddreißig Jahre her, dass Bonnie und Mick aus Südafrika gekommen sind, doch ihre Inneneinrichtung erinnert noch immer an ihre Heimat. Afrikanische Masken und Flechtkörbe hängen an den in Orange- und Ockertönen gehaltenen Wänden, auf den Sofas und dem Boden liegen bunte Überwürfe, Kissen und Teppiche. Bonnies Elefantensammlung ziert stolz die Nischen und Ecken, die Mick mit einem Presslufthammer in die Wände gestemmt hat.
Er hat auch die Stromleitungen gelegt, direkt auf die Steinflächen. Die indirekt beleuchteten Regale und Wände verbreiten ein warmes Licht. Alle Räume haben gewölbte Decken, deren Oberfläche zurückhaltend künstlerisch gestaltet ist. Da es keine Fenster gibt, sind die Zimmer völlig dunkel und schalldicht. Auch viele Hotels liegen unter der Erde; die Touristen, die in Coober Pedy übernachten, um sich das Leben der modernen Feuerstein-Familien anzusehen, sagen oft, sie hätten noch nie besser geschlafen als dort.
Auch wenn unsere Dugouts einen ähnlichen Grundriss haben, ist Nans Höhle mit ihren weißen Wänden, antiken Möbeln und der Kücheneinrichtung aus den Fünfzigern längst nicht so schick. Bei Bonnie hat es mir immer gut gefallen - ihr Haus war meine Zuflucht, wo ich kurz unterkam, wenn Nan schlief. Allerdings blieb ich nie länger - sie konnte ja aufwachen.
Jetzt wacht sie nie wieder auf.
Eine Erinnerung an meine Großeltern blitzt auf: Grandads blaubraune Augen, die vor Heiterkeit funkeln, und sein Lächeln, halb hinter seinem wild wuchernden Bart versteckt, dazu Nan, die auf allen vieren bunt verpackte Weihnachtsgeschenke unter unserem silbernen Lamettabaum hervorzieht. Sie trug ihre weißen Haare in der für sie typischen Kurzhaarfrisur, und als sie sich über die Schulter zu mir umsah, leuchteten ihre rosa geschminkten Lippen.
So versuche ich sie in Erinnerung zu behalten, so will ich sie in Erinnerung behalten, und in dem Moment überfällt sie mich, die Trauer. Sie quillt aus mir hervor wie schwarze Ameisen aus einem Hügel in der Wüste.
»Ach, Schätzchen«, sagte Bonnie und stellt die Becher ab, um mich zu trösten. »Du warst die beste Enkeltochter, die sie sich hätte wünschen können. Die beste Tochter«, verbessert sie sich und drückt mich an sich. Ich werde von stummen Schluchzern geschüttelt. »Wir sind alle so stolz auf dich, Süße. Das weißt du doch, oder? Du hast alles für deine Nan getan, alles.«
Bonnie war eine von vielen, die mich öfter gedrängt hatten, meine Großmutter in ein Pflegeheim zu geben.
»Wir können nicht mitansehen, wie du dein Leben opferst«, sagte sie einmal zu mir.
Doch ich konnte Nan nicht im Stich lassen. Ebenso wenig konnte ich sie mitnehmen, hätte ich in einen anderen Teil des Landes ziehen wollen. Ersteres wäre ein Verrat der übelsten Sorte gewesen, was ich mir niemals verziehen hätte, und Letzteres war schlichtweg unmöglich. Nan hatte den Großteil ihres Lebens im Outback verbracht und sperrte sich gegen jede Veränderung. So weigerte sie sich, nach Grandads Tod die Wüste zu verlassen, und als die Demenz stärker wurde, wurde ihre Angst nur noch schlimmer.
Bonnie und andere Bekannte versuchten, mir meine Aufgabe zu erleichtern. Sie ermutigten mich, Urlaub zu nehmen oder mal einen Tagesausflug zu machen. Doch wenn ich nicht da war, bekam Nan Panik, und für ein paar Stunden Erholung wollte ich ihr einfach nicht solchen Stress zumuten. Ich traute mich nur, das Haus für kurze Zeit zu verlassen, wenn sie schlief und jemand bei ihr wachte. Ich arbeite von zu Hause aus, mache die Wäsche für eins der Hotels.
Bevor mein Exfreund sein Verständnis für meine Lebensumstände verlor, sagte er mal, ich erinnerte ihn an eine »Prinzessin, die in einer Burg eingesperrt ist«.
»Du meinst wohl, in einem Kerker?«, erwiderte ich und sah mich in dem fensterlosen Raum um.
Wir waren im Wäschezimmer, wo ich Kopfkissenbezüge bügelte, er sah mir vom Türbogen aus zu.
»Bald bist du frei«, sagte er lächelnd.
Der Satz gefiel mir nicht, ebenso wenig wie sein respektloser Tonfall, doch ich hielt den Mund, weil ich mich nicht wieder mit ihm streiten wollte.
Allerdings hatte er recht. Es dauerte zwar noch drei Jahre, aber jetzt bin ich tatsächlich frei.
Ich kann mich kaum daran erinnern, wie mein Leben früher war. Als mein achtzehnter Geburtstag näher rückte, konnte ich es nicht erwarten, flügge zu werden und davonzufliegen, wie meine Mutter es in meinem Alter getan hatte. Ein paar Jahre zuvor hatte ich ihren Reisepass gefunden, und der Anblick der ganzen Stempel aus aller Welt hatte etwas in mir ausgelöst.
Nan hatte mein Reisefieber als persönliche Beleidigung aufgefasst, als sei meine Sehnsucht, die Welt zu sehen, irgendwie gegen sie und meinen Großvater gerichtet. So hatte...
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