Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Nehmen Sie eine beliebige Zeitung unserer Zeit und in jeder finden Sie eine Abteilung für Theater und Musik; fast in jeder Nummer finden Sie eine Beschreibung dieser oder jener Ausstellung oder eines einzelnen Bildes, und in jeder sind Berichte über neuerscheinende Bücher künstlerischen Inhalts, Gedichte, Novellen und Romane zu finden.
Es wird ausführlich und unmittelbar, nachdem es geschehen ist, berichtet, wie die Schauspielerin so und so, oder ein Schauspieler in dem und dem Drama, der und der Komödie oder Oper die eine oder die andere Rolle gespielt haben, welche Vorzüge sie dabei gezeigt haben, worin der Inhalt des neuen Dramas, der neuen Komödie oder Oper, ihre Mängel und Vorzüge bestehen. Mit derselben Ausführlichkeit und Gewissenhaftigkeit wird beschrieben, wie der und der Künstler dies oder jenes Stück gesungen oder auf dem Klavier oder der Geige vorgetragen hat, worin die Vorzüge und Mängel dieses Stückes und seines Vortrages liegen. In jeder großen Stadt ist immer, wenn nicht mehrere, so wenigstens doch eine Ausstellung neuer Bilder, deren Vorzüge und Mängel von den Kritikern und Kennern mit dem größten Tiefsinn einer Besprechung unterzogen werden. Fast jeden Tag erscheinen neue Romane, Gedichte in Sonderausgaben und in Zeitschriften, und die Zeitungen halten, es für ihre Pflicht, ihren Lesern ausführliche Berichte über diese Erzeugnisse der Kunst zu geben.
In Rußland, wo für die Volksbildung nur ein Hundertstel dessen, was zur Verschaffung von Lehrmitteln für das ganze Volk nötig ist, verausgabt wird, erhalten die Akademien, Konservatorien und Theater Millionen an Zuschüssen von der Regierung. In Frankreich werden für die Künste 8 Millionen bestimmt, dasselbe trifft man auch in Deutschland und England. In jeder großen Stadt baut man riesige Gebäude für Museen, Akademien, Konservatorien, dramatische Schulen, Vorstellungen und Konzerte. Hunderttausende von Arbeitern - Zimmerleute, Maurer, Maler, Tischler, Tapezierer, Schneider, Friseure, Juweliere, Bronzearbeiter, Setzer - verbringen ihr ganzes Leben in schwerer Arbeit zur Befriedigung der Forderungen der Kunst, so daß es kaum eine andere menschliche Thätigkeit, außer der militärischen, giebt, die so viel Kräfte verschlingt, wie die Kunst.
Nicht genug aber, daß solch eine große Arbeitskraft für diese Thätigkeit aufgewandt wird, - man vergeudet für sie ebenso, wie für den Krieg, einfach Menschenleben: hunderttausende von Menschen widmen von Jugend auf ihr ganzes Leben, um möglichst schnell die Beine drehen zu lernen (die Tänzer); andere (die Musiker), um möglichst schnell die Tasten oder die Saiten berühren zu lernen; andere (die Maler) um in Farben malen zu lernen und alles, was sie erblicken, wiederzugeben; die vierten um jede Phrase auf jegliche Art umzuwenden zu verstehen und für jedes Wort einen Reim zu finden. Und solche Menschen, die oft sehr gut, klug und zu jeder nützlichen Arbeit fähig sind, verwildern in diesen ausschließlichen sinnberaubenden Beschäftigungen, stumpfen gegen alle ernsten Erscheinungen des Lebens ab, werden einseitige und selbstzufriedene Spezialisten, die nur die Beine, die Zunge oder die Finger zu drehen verstehen.
Aber das ist nicht alles. Ich erinnere mich, wie ich einmal einer Probe einer der gewöhnlichen neuesten Opern, die in allen Theatern Europas und Amerikas aufgeführt werden, beiwohnte. Ich kam, als der erste Akt bereits begonnen hatte. Um in den Zuschauerraum zu treten, mußte ich durch die Kulissen durchgehen. Man führte mich durch dunkle Gänge und Durchgänge des Erdgeschosses des riesigen Gebäudes, an großen Maschinen zur Veränderung der Dekorationen und der Beleuchtung vorüber, wo ich Menschen erblickte, die in der Dunkelheit und im Staube an irgend etwas arbeiteten.
Einer von diesen Arbeitern mit einem grauen mageren Gesichte, in einer schmutzigen Bluse, mit schmutzigen Arbeitshänden, mit ausgespreizten Fingern, offenbar müde und mit irgend etwas unzufrieden, ging an mir vorbei und warf wütend einem anderen irgend etwas vor. Ich stieg eine dunkle Treppe hinauf und kam auf die Bühne hinter den Kulissen. Zwischen den umgeworfenen Dekorationen, Vorhängen, Stangen und Scheiben standen und bewegten sich Dutzende, wenn nicht Hunderte, geschminkter und aufgeputzter Männer in Kostümen, die die Waden umspannten, und Frauen, wie immer mit möglichst entblößtem Körper. Dies alles waren Sänger, Choristen, Choristinnen und Ballettänzerinnen, die, bis sie an der Reihe waren, warteten. Mein Führer leitete mich über die Bühne und eine Brücke aus Brettern durch den Orchesterraum, wo ungefähr hundert Musikanten jeglicher Art, vom Paukenschläger bis zum Flötisten und Harfenspieler, saßen, nach dem dunklen Parterre. Auf einer Erhöhung zwischen zwei Lampen mit Reflektoren saß der Chef des musikalischen Teiles, der Dirigent des Orchesters der Sänger und überhaupt der ganzen Aufführung, mit einem Stöckchen in der Hand auf einem Sessel vor dem Notenpult.
Als ich kam, hatte die Vorstellung schon begonnen, und auf der Bühne wurde ein Zug von Indiern, die eine Braut hergeführt hatten, dargestellt. Außer den aufgeputzten Männern und Frauen liefen auf der Bühne noch zwei Menschen im Jackett herum und mühten sich ab: der eine war der Leiter des dramatischen Teiles und der andere, der mit ungewöhnlicher Leichtigkeit in weichen Schuhen einherging und von einer Stelle nach der anderen herumlief, war der Tanzlehrer, der in einem Monat mehr Gehalt als zehn Arbeiter in einem Jahr erhielt.
Diese drei Chefs ordneten den Gesang, das Orchester und den Zug. Der Zug wurde wie immer, paarweise, mit Hellebarden aus Glanzpapier auf den Schultern, ausgeführt. Alle kamen aus einer Stelle hervor, gingen im Kreise und noch einmal im Kreise herum und blieben darauf stehen. Der Zug kam lange nicht vorschriftsmäßig zu Stande: bald kamen die Indier mit den Hellebarden zu spät, bald zu früh, bald kamen sie zur Zeit, aber beim Rückzuge drängten sie sich zu sehr, oder aber sie stellten sich nicht, wie es sich gehörte, an den Seiten der Bühne auf, und jedes Mal wurde alles unterbrochen und von neuem begonnen. Der Zug wurde durch ein Rezitativ eines als Türken verkleideten Mannes eingeleitet, der mit sonderbar geöffnetem Munde sang: "ich begleite die Braut". Er singt und macht mit der Hand - die selbstverständlich entblößt ist - unter der Toga eine Bewegung. Und der Zug beginnt, aber da giebt das Waldhorn im Akkord zu dem Rezitativ nicht den passenden Ton, der Dirigent zuckt auf wie von einer Tarantel gestochen und schlägt mit dem Stöckchen auf das Pult. Alles bleibt stehen, der Dirigent wendet sich zu dem Orchester um, fährt den Waldhornisten an und schimpft ihn mit den gröbsten Schimpfworten, wie die Droschkenkutscher es thun, weil er nicht den richtigen Ton genommen hat. Und wiederum beginnt alles von Anfang an. Die Indier mit den Hellebarden kommen von neuem, in ihrer sonderbaren Schuhbekleidung weich dahinschreitend, wiederum singt der Sänger: "ich begleite di-e Bra-ut". Aber jetzt stehen die Paare zu eng aneinander. Wiederum ein Klopfen mit dem Stöckchen, Schimpfworte, und wiederum fängt man von neuem an. Wieder das: "ich begleite di-e Bra- ut", wiederum dieselbe Geberde mit der entblößten Hand unter der Toga hervor und die Paare schreiten wiederum leise, mit den Hellebarden auf den Schultern, einige mit ernstem und traurigem Gesichte, einige unterhalten sich und lächeln, sie stellen sich im Kreise auf und fangen an zu singen. Alles scheint gut abgelaufen, aber wiederum klopft das Stöckchen und der Dirigent beginnt mit leidender und erboster Stimme die Choristen und Choristinnen zu schimpfen: es zeigt sich, daß die Choristen während des Gesanges nicht ab und zu die Hände zum Zeichen der Begeisterung erheben. "Was, seid ihr gestorben, wie? Ihr Ochsen! Seid ihr tot, daß ihr euch nicht rührt!" Wiederum beginnt es von neuem, wiederum das: "ich begleite di-e Bra-ut", wiederum singen die Choristinnen mit traurigen Gesichtern und erheben bald die eine, bald die andere Hand. Aber zwei Choristinnen unterhalten sich - wiederum ein verstärktes Klopfen des Stöckchens. "Was, seid ihr hierher gekommen um zu schwätzen? Ihr könnt zu Hause klatschen. Sie da, in den roten Hosen, treten Sie näher. Sehen Sie mich an. Von vorn!" Wiederum das: "ich begleite di-e Bra-ut". Und so dauert es ein, zwei, drei Stunden. Solch eine Probe dauert sechs Stunden hintereinander. Das Klopfen mit dem Stöckchen, Wiederholungen, Verteilung, Korrigieren der Sänger, des Orchesters, des Zuges, der Tänze, und alles wird mit einem wütenden Schelten gewürzt. Die Worte: "Esel, Dummköpfe, Idioten, Schweine", die bei den Musikanten und Sängern angewandt wurden, hörte ich im Laufe einer Stunde wohl vierzig Mal. Und der unglückliche, physisch und moralisch entstellte Mensch, der Flötist, der Waldhornist, dem die Schimpfwörter zufallen, schweigt und kommt dem Befehle nach: wiederholt...
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