Schweitzer Fachinformationen
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Der Pinglaut des Anschnallsignals im Flugzeug holt mich in die Realität zurück. Langsam öffne ich die Augen und heiße das Sonnenlicht willkommen, das durch das kleine Fenster hereinfällt. Die Flugbegleiterin nähert sich mit einem warmherzigen Lächeln und klackernden Absätzen, ehe sie sich zu mir herüberbeugt. Sie duftet nach Kokosnuss und Sonne, obwohl wir bereits seit zwölf Stunden in der Luft sind. »Brauchen Sie noch irgendetwas, bevor wir landen, Miss Oriah?«, fragt sie.
Ich schüttele den Kopf und danke ihr still.
Ihr Akzent ist wunderschön, vielleicht italienisch? Da ich auf dem Flug die meiste Zeit schlief, habe ich während unserer Reise über den Nordatlantik kaum mit ihr gesprochen. Ich hoffe, ihr damit das Leben erleichtert zu haben und dass meine Mutter sie während unseres Privatflugs nicht allzu sehr auf Trab gehalten hat.
Als meine Mutter mir verkündete, dass wir fliegen würden, was ich bisher nur ein paarmal getan hatte, freute ich mich auf das rege Treiben im überfüllten Flughafen. Ich könnte die Unterhaltungen von Fremden verfolgen und Leute beobachten. Selbst auf die Schlangen aus gestressten Fluggästen, die ihr Haus zu spät verlassen hatten und sich ächzend und schnaufend ihren Weg durch die Sicherheitskontrolle bahnten, freute ich mich. Das Chaos kam mir aufregend vor, doch SetCorp, die Firma meiner Mom, hat uns freundlicherweise einen ihrer vielen Privatjets nach Spanien zur Verfügung gestellt. Darüber würde ich mich bei niemandem außer bei meiner Mom beschweren, aber mir kommt es ein wenig extravagant und verschwenderisch vor.
Die Reise verlief reibungslos, ruhig und luxuriös, genauso wie meine Mom ihre Businesstrips liebt.
Als ich sie nun auf dem Sitz gegenüber anschaue und feststelle, dass sie gerade dabei ist, ihren dunkelroten Lippenstift aufzufrischen, bin ich nicht mal annähernd überrascht. Sie hat ihr Handgepäck mit Beauty-Produkten gefüllt, um nicht auf das unumstößliche Ritual ihrer Skincare-Routine verzichten zu müssen. Zwar bewundere ich ihre Disziplin, die sich durchaus bezahlt macht, aber mir genügen ein paar Schritte am Morgen. Für mehr fehlt mir die Energie. Auch wenn ich Menschen im Internet noch so gern dabei zusehe, wie sie abends ihre teuren Produkte auftragen, wäre dieser Aufwand für mich selbst unrealistisch.
Ich beuge mich vor und umfasse den Griff der großen Dior-Tasche meiner Mom, auf die ihr Name gestickt ist - ein weiteres Geschenk von ihrem Boss. Dann hole ich eine Packung Abschminktücher hervor, ziehe eins heraus und wische mir damit über mein ungeschminktes Gesicht. Der Geruch von Gurke erfüllt meine Sinne und bringt mich zum Niesen, was Mom kurzzeitig in leichte Panik versetzt. Meine empfindliche Nase sollte ihre geringste Sorge sein, aber dennoch ruft selbst ein Niesen meinerseits eine Reaktion bei ihr hervor.
»Ich habe ein Video gesehen, in dem es hieß, dass diese Abschminktücher unsere natürliche Hautbarriere beschädigen und ölbasierte Reiniger empfehlenswerter sind«, erklärt sie nun, wobei ihre dunklen Augen erst die Tücher und dann mich betrachten. Sie behält stets den Überblick über jeden Beautytrend und befolgt alle Ratschläge gewissenhaft. Ich dagegen bin eher der Typ, der sich Videos von Katzen und Menschen ansieht, die hinfallen.
Lächelnd ziehe ich ein weiteres Tuch aus der Packung. »Ich hab gerade keinen Ölreiniger zur Hand, aber für die Zukunft werde ich es mir merken.«
Sie lächelt und verdreht angesichts meines Sarkasmus nachsichtig die Augen.
Wir waren schon immer vollkommene gegensätzlich, und daran wird sich auch nie etwas ändern. Zwar existieren wir still in der Welt der anderen, aber sind nicht richtig miteinander verbunden. Ein kleiner Hoffnungsschimmer keimt in meiner Brust auf, dass sich dies ändern könnte, sobald wir in ihrem Geburtsort eintreffen. Dass dies ihren Schutzwall zumindest teilweise niederbrechen wird.
»Hast du deine Medikamente genommen?« Ihre Stimme klingt ein wenig erschöpfter als gewöhnlich, da sie während des gesamten Flugs gearbeitet hat. Sie ist immer in einem Call, einem Zoom-Meeting oder nimmt Sprachnotizen auf, sodass ich gelernt habe, ihre Stimme in neunundneunzig Prozent aller Fälle auszublenden.
Nun nicke ich und verdränge den Anflug von Schuldgefühlen. Ihr Blick geht zu der Flugbegleiterin, die nickt und mich damit in meiner Lüge unterstützt.
Ich lächele sie an. »Hast du wenigstens ein bisschen geschlafen?«, frage ich.
Sie verschließt den Lippenstift wieder und macht ein Schmatzgeräusch. »Ich werde heute Abend nach unseren Meetings schlafen. Schließlich will ich meinen Rhythmus nicht durcheinanderbringen.«
Welcher Rhythmus? Sie schläft nie, das weiß ich ganz genau. Ich verdrehe die Augen und sehe sie unverwandt an, um sie wissen zu lassen, dass ich es ihr nicht abkaufe.
Vollkommen unbeeindruckt geht sie dazu über, Mascara auf ihre langen Wimpern aufzutragen. Sie bewegt die kleine Bürste hin und her und betupft die feinen Härchen in den Augenwinkeln mit der tiefschwarzen Paste.
Derweil setze ich wohl überlegt meine Kontaktlinsen ein, denn ich will die ständigen Kommentare über meine Augen vermeiden, die wohl selbst am anderen Ende der Welt kein Ende nehmen würden. Dann lehne ich mich seufzend zurück und blicke zum Fenster hinaus auf das beruhigende und lebhafte tiefe Meer unter uns. Schon in zehn Minuten werden wir landen, und ich kann mir das Lächeln, das an meinen Lippen zupft, nicht verkneifen. Endlich ist er gekommen, mein Sommer der Freiheit, mein großes Abenteuer. Meine Geschichte des Erwachsenwerdens beginnt mit dreiundzwanzig, und ich habe mich nie bereiter gefühlt. Wie bei einer Hauptfigur eines Neunziger-Jahre-Films wird diese Reise lebensverändernd sein. Endlich werde ich herausfinden, wer ich bin, was der Sinn des Lebens ist . Mich vielleicht sogar verlieben. Ich lache leise und bedecke meinen Mund angesichts dieses absurden Gedankens. Wie sinnlos das wäre!
»Ist es nicht einfach atemberaubend?«, fragt die Flugbegleiterin leise.
Ich nicke und betrachte mit offenem Mund den Ausblick - und wir sind noch nicht einmal gelandet. »Es ist mein erstes Mal in Europa. Ehrlich gesagt habe ich sogar noch nie die USA verlassen«, erkläre ich ihr.
Ihre haselnussbraunen Augen weiten sich. »Wirklich?«, fragt sie ungläubig.
»Ja. Ich weiß, es muss aussehen, als würde ich oft verreisen, wenn man sich den Privatjet anschaut, mit dem wir die Ozonschicht beschädigen, und die Skincare-Routine meiner Mutter, aber ich war bisher nur in ein paar Flugzeugen, und zwar niemals zum Spaß. Aber ehrlich gesagt, erinnere ich mich kaum daran.« Den Grund dafür erwähne ich nicht, denn Mitleid ist das Letzte, was ich gebrauchen kann.
Sie lacht, und dann betrachten wir beide meine Mom in all ihrer Schönheit. Gerade steckt sie sich ein paar dicke goldene Kreolen an. Sie ist auf Angst einflößende Art atemberaubend, wie eine bösartige Königin, aber dennoch ist sie eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe. Und das weiß sie. Eine Sache, die ich an Mom bewundere, ist ihr Selbstvertrauen. Nicht nur, was ihr Aussehen betrifft, sondern auch ihre Fähigkeit, von weniger als nichts zu einer der bestbezahlten Frauen in der Branche aufzusteigen. Zwar gibt es ohnehin nicht viele Frauen, die sich auf Investment und die Entwicklung von Luxus-Ferienunterkünften spezialisiert haben, aber es ist dennoch eine große Leistung.
»Sie werden es hier lieben«, fährt die Flugbegleiterin fort und lenkt meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.
Ich grinse von einem Ohr bis zum anderen. »Das hoffe ich. Ich bin ja so aufgeregt! Sie müssen einen Pass voller Stempel haben. Arbeiten Sie schon lange als Flugbegleiterin?«
Sie holt einen dunkelroten Reisepass mit der Aufschrift Italiana hervor. Ich hatte also recht, sie kommt aus Italien. Sie blättert durch viele Seiten voller Stempel und reicht ihn mir schließlich. »Ich habe meiner Zwillingsschwester versprochen, dass ich für uns beide um die Welt reisen würde«, erzählt sie mit einem kleinen, stolzen Lächeln.
Ich fahre mit dem Finger über den Stempel aus Paris, den ich auf einer der Seiten entdeckt habe.
»Es ist schade, dass man heutzutage nicht mehr so viele Stempel bekommt, aber man sollte sie sich einfach selbst kaufen und auf die Seiten drücken. Das tue ich auch mittlerweile«, berichtet sie.
»Ihre Schwester muss unendlich glücklich darüber sein, dass Sie so viel rumgekommen sind.« Russland, Brasilien, Mexiko - die Stempel und Visa nehmen kein Ende, und ihr Pass hat doppelt so viele Seiten wie meiner.
»Sie ist . letztes Jahr gestorben.«
Verdammt!
»Das tut mir so leid. Ich .«
Sie schüttelt den Kopf, wobei ihr das dunkle Haar von den Schultern fällt. »Keine Sorge, ich möchte nicht, dass Ihnen das unangenehm ist. Die Mienen der Leute verändern sich immer plötzlich, wenn ich über meine Schwester spreche, aber sie hatte Frieden mit ihrem Schicksal geschlossen, und manchmal fühlt sich ihr Tod an wie eine Erleichterung. Ich hatte wunderschöne Zeiten mit ihr und habe lebensverändernde Erinnerungen mit ihr gesammelt, die ich für immer wertschätzen werde. Ich bin dankbar für all diese Erfahrungen und die Zeit, die ich mit ihr hatte. Sie war ein Geschenk für mich, und nicht alle Geschenke sind für die Ewigkeit.«
Einen Moment lang denke ich über ihre Worte nach. Was für eine gesunde Art, etwas zu betrachten, das mit einem so intensiven Stigma...
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