Schweitzer Fachinformationen
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Ich habe nichts davon vergessen. Ich habe dich nicht vergessen
Als Neffe der Geschäftsführerin von GOLD, BRIGHT & PARTNERS steht Jude unter ständigem Druck, sich zu beweisen. In einem Scheidungsfall sieht er die letzte Chance, mit seinen ehrgeizigen Kolleg:innen mithalten zu können. Doch dann trifft er unerwartet auf seine Ex-Freundin Nora, die als Anwältin für die Gegenseite arbeitet. Nora, die Einzige, die jemals seine Schutzmauern überwunden hat - und ihm damals das Herz brach. Obwohl sie sich auf entgegengesetzten Seiten befinden, kommen die alten Gefühle wieder hoch, und schnell wird klar, dass keiner von beiden diese besondere Verbindung zwischen ihnen je vergessen hat ...
»IN CASE WE FORGET ist eine so ehrliche, einfühlsame und echte Geschichte über Selbstfindung, Heilung und zwei Herzen, die einander nie vergessen haben.« CHARLIE_BOOKS
Abschlussband der GOLD, BRIGHT & PARTNERS-Reihe von Tess Tjagvad
Damals, zweieinhalb Jahre zuvor
Es gibt Worte, die haben solch spitze Fangzähne, dass sie dir mit nur einem Biss das Herz herausreißen. Sie lassen dich bluten, bohren sich so fest in deine Haut, dass du die Narben davon nie wieder vollständig loswirst. Egal, wie sehr du dich darum bemühst.
Du ziehst
mich
runter.
Eigentlich hatte ich die Erinnerung in den dunkelsten Tiefen meines Gedächtnisses versenkt. Doch wie Luftblasen, die aus einem schlammigen Moor emporsteigen, brachte dieser Ort sie wieder hervor. Er brachte alles hervor, das Gute wie das Schlechte - vor allem das Schlechte. Als würden diese tristen weißen Wände einen geradezu dazu auffordern wollen, sie mit Erinnerungsbildern vollzukleben, damit sie nicht mehr so nackt waren. Bilder aus meiner Kindheit, Bilder von meinen Eltern, meinem alten Zuhause in Schottland . und Bilder von ihr.
Du ziehst mich runter. Runter, runter, runter.
Gottverdammt, ich wünschte, ich könnte dieser Stimme in meinem Kopf ein für alle Mal das Maul stopfen. Stattdessen schien sie mit der Zeit nur noch lauter zu werden.
Wer sollte das denn auf Dauer aushalten können?
»Jude, sind Sie bei mir oder woanders?«
Mrs Jeffersons Frage kratzte an meinem Bewusstsein, ebenso wie der tickende Minutenzeiger der Uhr über ihrem Kopf, der sich nur langsam der Vier näherte, und somit meiner Erlösung. Ich konnte es kaum erwarten, hier rauszukommen. Nicht nur aus diesem Raum, sondern aus dieser gesamten Klinik, in die ich mich selbst eingeliefert hatte wie einen Schrottwagen in die Werkstatt, ohne zu wissen, ob er je wieder richtig laufen würde. Ich hasste diesen Ort. Aber noch mehr hasste ich es, dass ich ihn nicht einfach verlassen konnte. Zumindest nicht, wenn ich ehrlich zu mir war.
»Jude.«
Ich blinzelte, stellte die Szene vor mir träge wieder scharf. Dann räusperte ich mich und veränderte meine Sitzposition, um nicht länger nervös mit dem Fuß zu wippen. »Ich bin anwesend.«
Mrs Jefferson hob eine Augenbraue - ein Zeichen ihres Zweifelns. »Und dennoch haben Sie in der vergangenen halben Stunde kaum mehr als eine Handvoll Worte mit mir gewechselt.«
Das ist nicht ungewöhnlich, hätte ich gern geantwortet. Allerdings war mir klar, dass es nicht das war, was sie hören wollte. Also schwieg ich. Darin war ich mit den Jahren immer besser geworden. Wer schwieg, hatte nichts zu befürchten.
»Sie wissen, dass das nicht der Sinn dieser Stunden ist, oder?«, fragte sie. »Wollen Sie mich auch künftig die ganze Zeit über anschweigen?«
Wenn es sein muss.
Mrs Jefferson musterte mich einen Moment lang mit stoischer Miene, weshalb ich mir erlaubte, dasselbe bei ihr zu tun. Sie trug ihr kastanienbraunes Haar heute akkurat mit einer Klammer zurückgesteckt, dazu eine hellblaue Hemdbluse, die keine einzige Falte aufwies. Irgendetwas daran ließ mich denken, dass sie ein penibler Mensch war, der sein Leben bestens unter Kontrolle hatte - was es umso ironischer machte, dass sie sich in ihrem Job ausgerechnet mit denjenigen beschäftigte, die kläglich daran scheiterten. Wie ich.
»Mögen Sie mir wenigstens verraten, wie es Ihnen heute geht?«
Ich zuckte mit den Schultern. Die verringerte Dosis hatte sich längst bemerkbar gemacht. Ich schlief unruhig, obwohl ich durchgehend müde war, konnte meine zerstreuten Gedanken kaum noch auf einen Punkt fokussieren. Jede Bewegung kostete mich Kraft, jedes noch so kleine penetrante Geräusch einen Haufen Nerven. Ich war eine tickende Zeitbombe und eine Explosion unvermeidbar. Das wussten wir beide.
»In Ordnung, anderer Vorschlag: Wieso schreiben Sie es mir nicht auf?« Sie griff nach einem Block und einem Kugelschreiber und reichte mir beides.
Ich betrachtete das leere Papier einige nervöse Herzschläge lang, bevor ich aufsah. »Ich soll es einfach aufschreiben?«
Mrs Jefferson nickte. »Wie Sie sich fühlen, ja.«
Ohne groß nachzudenken, notierte ich, was mir als Erstes in den Sinn kam.
»Was steht da?«, fragte sie und lehnte sich neugierig vor.
Instinktiv schob ich meine Hand darüber, als befürchtete ich, sie könnte mir etwas wegnehmen wollen, auch wenn ich nicht ganz verstand, was das sein sollte. Einen Seelensplitter vielleicht.
»Da steht: schlecht.«
Wiederholtes Nicken. »Gut. Machen Sie weiter. Warum fühlen Sie sich schlecht?«
»Keine Ahnung«, murmelte ich.
»Dann schreiben Sie das auf.«
Ich schnaubte. »Das ist doch lächerlich.«
»Warum?«
»Weil es nichts aussagt.«
»Finden Sie?«
Erneut starrte ich auf das Blatt, fuhr kaum merklich mit meinem Finger über das kleine Eselsohr darin. Schließlich strich ich das schlecht durch und ersetzte es durch scheiße. Kritzelte keine Ahnung darunter und ersetzte es durch leer. Und dann dachte ich: Das ergibt keinen Sinn. Man kann nicht an einem Tag alles und am nächsten plötzlich nichts fühlen.
Weil sich Mrs Jeffersons aufmerksamer Blick zunehmend durch sämtliche meiner Hautschichten zu brennen schien, strich ich kurzerhand alles durch und hob den Kopf. »Ich kann das nicht, wenn Sie mir zusehen.«
»Das verstehe ich. Sie können sich gern vor die Tür setzen«, bot sie mit einem freundlichen Lächeln an. »Kommen Sie einfach wieder rein, wenn Sie fertig sind.«
Für eine Sekunde war ich versucht, sie zu fragen, warum sie davon ausging, dass ich nicht weglaufen würde. Aber wahrscheinlich war es das, was man von einem Vierundzwanzigjährigen, der sich freiwillig eingewiesen hatte, erwarten konnte. Weit wäre ich ohnehin nicht gekommen. Erst vorgestern war ich außerhalb des Geländes in einem angrenzenden Waldstück spazieren gegangen, ohne mich vorab bei jemandem abzumelden, und hatte dadurch ein Drama ausgelöst, das ich ungern wiederholen würde.
Mit einem Seufzen ließ ich mich im schmalen Flur auf das Sofa sinken und schaute mich um. Es gab kein Tageslicht, nur die surrende Schirmlampe auf dem Tisch neben mir. Je länger ich mich darauf konzentrierte, desto mehr verspannte sich mein Nacken, weshalb ich mir mit zwei Fingern über den Halswirbel rieb. Es verschaffte mir kurze Erleichterung, die jedoch nicht von Dauer war - wie auch sonst nichts auf der Welt. Widerwillig zog ich den Block hervor:
Ich hab keinen Plan, wie ich diesen Zustand, in dem ich mich befinde, beschreiben soll. Manchmal fühlt es sich an, als würde ich durch ein leer stehendes Haus laufen. Ich kenne dieses Haus, weiß, wie es einst dort ausgesehen hat. Dass es lange Zeit bewohnt war, die Sonne im Sommer ihr Lichtkonfetti auf das Parkett warf, im Winter im Kamin ein Feuer brannte und immer irgendwo der Geruch von frisch gebrühtem Früchtetee in der Luft lag. Jetzt sind da überall bloß noch Staub und Stille. Das Licht funktioniert nicht mehr, durchs undichte Dach tropft Wasser, und im Boden des Wohnzimmers prangt ein schwarzes Loch, genau dort, wo mal ein Teppich lag.
Dieses leere Geisterhaus, das bin ich, glaube ich. Und das schwarze Loch ist das Ding in meiner Brust, von dem ich nicht weiß, wie ich es füllen soll, weil es sich immer weiter ausdehnt. Ich kann noch so viel Zeug in mich reinstopfen - Essen, Pillen, ganz egal -, ich fühl mich trotzdem die meiste Zeit wie ausgehöhlt. Als wäre ich gefühlstaub. Dass mein Herz noch schlägt, weiß ich nur, weil ich meinen Puls spüren kann. Ist das normal?
Ohne mir die Worte noch einmal durchzulesen, weil ich sie sonst nur wieder durchgestrichen hätte, kehrte ich in das Therapiezimmer zurück. Mrs Jefferson legte sofort ihre Unterlagen beiseite und hob erwartungsvoll die Brauen.
»Und? Haben Sie etwas aufgeschrieben?«
Ich nickte und setzte mich. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass sie mir den Block abnehmen und den Text überfliegen würde. Stattdessen fragte sie: »Mögen Sie es mir vorlesen?« - was noch tausendmal schlimmer war.
Mir entfuhr ein Lachen. »Ganz sicher nicht.«
Sie neigte leicht den Kopf. Das tat sie oft, und aus irgendeinem Grund regte es mich auf. »Sie müssen keine Angst haben. Es gibt hierbei kein Richtig oder Falsch. Alles, was wir beide hier besprechen, bleibt in diesem Raum.«
Schön und gut, ich wollte aber, dass es in mir blieb. Alles andere machte es zu real - und somit schwerer zu verdrängen. Da sie mich jedoch so hoffnungsvoll ansah, gab ich mit einem Stöhnen nach. »Von mir aus.«
Noch während ich den zweiten Satz vorlas, spürte ich, wie sich die Wörter zunehmend an dem aufkommenden Knoten in meinem Hals stauten. Bis mir nach dem dritten kein weiteres mehr über die Lippen kam. »Ich kann das nicht.«
Mrs Jeffersons Gesicht blieb so unbewegt wie die Oberfläche eines Sees bei absoluter Windstille. Ich fragte mich, woher sie ihre innere Ruhe nahm, ob sie diese aus dem Boden unter ihren Füßen zog, und wieso mir nicht dasselbe gelang.
»Warum nicht?«, hakte sie nach. Warum, warum, dieses andauernde Warum ließ die Ader in meiner Schläfe jedes Mal ein wenig stärker pochen.
»Weil es .« Wieder knickte meine Stimme weg; wie mein Knie damals beim Basketballturnier in der Grundschule. Und sofort flammte eine weitere Erinnerung auf.
»Stell dich nicht so an, Jude! Steh auf und mach weiter!«
Ich...
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