Schweitzer Fachinformationen
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Mein Name ist Putzi. Ich bin drei Jahre alt und ziemlich begehrt. Drei Kater kämpften auf dem Dach meines Hauses um mich. Rubin hat gewonnen. Der Glückspilz. Erst gestern sagte einer der fünf Sultane wieder, dass ich ganz zweifelsfrei die schönste Katze von Marrakesch sei. Ich strich dafür mit meinem Schwanz um sein Bein.
Mein Schwanz ist hier so etwas wie eine Attraktion. Er ist nicht nur länger und kräftiger als die Schwänze der anderen Katzen aus dem Viertel, er ist vor allem viel buschiger. Wenn ich ihn im Zorn aufrichte, flüchtet selbst Rubin vor mir. Ich meine, was bildet der sich ein? Eine eheähnliche Gemeinschaft? Nicht mit mir. Ich hole mir Sex mit wechselnden Partnern auf dem Dach, aber der Patio gehört mir allein. Na ja, Omar gehört er auch ein bisschen. Er ist der Großwesir in diesem Laden, und natürlich würden alle Marokkaner zu ihm nur Hausmeister sagen, aber die fünf Sultane bestehen auf ihrem Märchen. «Wer die Band bezahlt, bestimmt die Musik», hat Omar dazu gesagt.
Ich will nicht unfair sein. Omar ist mehr als nur einer, der auf das Haus aufpasst. Er passt auf alle auf. Auf die Sultane, auf die Freundinnen der Sultane, auf die Huren der Sultane, er passt auch auf Speedy auf, Speedy, die Schildkröte. Sie ist das einzige Überbleibsel aus der Zeit, in der mein Riad wie eine Arche Noah aussah, weil das nun mal der Traum von Sultan Peter war. Seine Freundin, die Sultana Juliana, träumte diesbezüglich synchron, beide konnten an keinem Tier in Marrakesch vorbeigehen, das zum Verkauf angeboten wurde. Die meisten waren illegal. Und blöd. Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich gehöre nicht zu der Flut dieser halbverhungerten Basarschnäppchen, denen Sultan Peter hier das Paradies versprach. Ich wurde von der Köchin ins Haus gebracht. Sie wohnt am Stadtrand, also wüstennah, aber mehr weiß ich darüber beim besten Willen nicht zu erzählen. Ich war erst drei Wochen alt, als man mich der Ödnis entriss, weil Sultan Walter für seinen Sohn ein Kätzchen in Auftrag gegeben hatte.
Sultan Walter ist der Chef von Sultan Peter. In der anderen Welt. Omar hat mir ein bisschen von Berlin erzählt, aber ich misstraue in diesem Fall seinen Ausführungen, denn er war, genau wie ich, noch niemals da. Und die Sultane selbst erzählen mir nichts, ich nehme an, sie wissen nicht, dass ich sie verstehen kann. Allein Omar weiß es. Omar weiß viel, doch über Berlin weiß er nicht mehr als ich, und zusammen wissen wir nur, dass in Berlin Sultan Walter der Chef von Sultan Peter ist. Aber in Marrakesch nicht. In Marrakesch sind alle Sultane gleich. Selbst Sultan Frank. Er ist eine Ausnahme in diesem Kreis, weil er weder Chefredakteur noch stellvertretender Chefredakteur einer großen Zeitung ist, und er ist auch kein Verleger einer kleinen Zeitung, wie Sultan Patrick aus der Schweiz, er ist nicht einmal ein Autor wie Sultan Tim, nein, Sultan Frank ist Fotograf. Trotzdem: dasselbe Stimmrecht.
Ich liebe ihre Märchen-Demokratie, denn wäre es nach ihrer Berliner Hierarchie gegangen, hätte ich jetzt den bescheuertsten Namen der Welt. Prinz Clemens, der Sohn von Sultan Walter, wollte mich Anke-Marta nennen. Erstens, weil er einen inzwischen verstorbenen Kanarienvogel gleichen Namens gehabt hat, und zweitens, weil er in mir die Reinkarnation dieses Vogels zu sehen glaubte; nein, er glaubte es natürlich nicht wirklich, er hatte sich nur für den Moment dazu entschlossen, es so zu sehen. Gott sei Dank war die Reaktion der anderen vier eindeutig. «Nee, Clemens, nee. Warum sollte sich ein Vogel in ein Tier verwandeln, das Vögel frisst?», fragte Sultan Tim. Warum nicht, dachte ich. Damit konnte ich leben. Aber warum konnte er seinen leckeren Kanarienvogel nicht Leila nennen, oder Aisha? Wir haben viele Namen in Marokko, die ein Kätzchen glücklich machen. Sultan Frank sah das genauso. «Fatima», sagte er. Und alle lachten. Nur Omar lachte nicht, obwohl er natürlich auch wusste, dass im «Monte Carlo» jede zweite Hure die Touristen mit «Me, my name is Fatima» begrüßt. «Es ist ein heiliger Name», sagte Omar. «Eine der Töchter Mohammeds hieß Fatima. Wir können unmöglich eine Katze nach ihr benennen.»
Das war der Stand der Dinge eine halbe Stunde nach meiner Ankunft im Riad Sania 6, Medina, Marrakesch, und abgesehen von den Spinnern, die hier um mich herumsaßen und nach einem Namen für mich suchten, gefiel mir das Haus ausnehmend gut. Der Patio, etwa zehn Meter lang und sieben Meter breit, war mit schwarz-weißen Karos wie ein Spielbrett gefliest, in der Mitte befand sich ein Brunnen, und die zwei großen Bäume des Innenhofs hörten sich recht vielversprechend an. Katzen ist die Liebe zu Vogelgezwitscher angeboren.
«Putzi!» Sultan Tim sprang auf. «Putzi, sie heißt Putzi!»
«Ja, Putzi!», rief Omar.
«Putzi ist nicht schlecht», sagte Sultan Peter, «aber bedenke, Tim, wir haben schon die Putzfrau im Hotel Putzi genannt. Was wird sie denken, und noch wichtiger, was wird sie fühlen, wenn sie erfährt, dass wir alle Muschis in Marrakesch so nennen?»
Drei Tage später schleppte Sultan Peter die ersten neun (!) Kandidaten für seine Arche Noah an. Chamäleons, nicht so groß wie Mäuse, hässlich wie die Nacht und so langsam, dass ich sie auch im Ganzkörpergipsverband binnen Sekunden hätte abmurksen können. Aber sie ließen mich ja nicht. Tags darauf kam Speedy. Bei den Echsen wie bei der Schildkröte faszinierte Sultan Peter die Zeitlupe, in der sie lebten. Eine Faszination, die für mich schwer nachvollziehbar war, weil Sultan Peter die Chamäleons weder essen wollte noch als etwas betrachtete, an dem man die Jagd und das Töten spielerisch erlernen kann. In null Komma nix war dann auch noch Aka im Haus, Aka, der Wüstenwaran. Von irgendeinem Kriminellen in der Sahara dem Schatten eines Steins entrissen und in einem dunklen Korb über den Hohen Atlas nach Marrakesch gebracht, fand sich Aka in meinem Riad wieder - und alle haben Schiss vor ihm gehabt. Er war eine Mischung aus Dinosaurier, Drache und Kröte, und er fauchte und fluchte und schlug mit seinem harten, zackenbesetzten Schwanz nach allem, was nicht aus der Urzeit stammte. Als Aka damals zu uns kam, war er etwa einen halben Meter lang.
Eigentlich war es zu heiß. Wir hatten schon die ganze Woche Temperaturen zwischen 42 und 44 Grad zu beklagen, und als dann am Morgen dicke Wolken am Himmel aufzogen, hofften wir auf Abkühlung durch ein Gewitter. Doch der Wind kam aus der Wüste und brachte uns lediglich Sand in den Riad. Wer jetzt nur ein- und auszuatmen plante, verstand die Zeichen der Zeit. Ab Mitternacht ging es, da wurde die Lust auf Aktivitäten wieder wach. Aber nur die Lust drauf. Wie wäre es, wenn jetzt ein Chamäleon vom Baum fiele? Was würde es auf dem schwarz-weiß gekachelten Boden mit seinem Leben anfangen? Mit seiner Geschwindigkeit bräuchte es locker dreißig Minuten, um an irgendeinem Ende des Patios anzulangen. Für ein Chamäleon, das kommt dazu, ist das kein Innenhof, für ein Chamäleon hat das Ganze die Dimension eines Hochplateaus mit unheimlicher Beleuchtung. Nur Kerzenlicht. Ich fand es leicht übertrieben. Auf der Schale des Springbrunnens brannten sieben, auf der Umrandung des Brunnenbeckens vierzehn, unter den Bäumen, in den Bäumen, in den Fenstern zu den Innenräumen: überall Kerzen, solo oder Kerzen in kleinen Lampen, auf der Treppe, auf den Tischen oder einfach nur auf dem Boden. Das Licht flackerte mit unzähligen Flügeln über die schwarz-weißen Karos meines Innenhofs, und das kleine Chamäleonlein wusste möglicherweise nichts von der Bestie, die hier wohnt. Vielleicht sollte ich etwas für seine Allgemeinbildung tun.
Die Hitze nahm zu. Warme Luft zirkulierte in Säulen durch den Riad, die Menschen verblödeten. Das Tröstliche daran ist, dass nur die ohnehin schon Blöden weiter verblöden, weil die Schlauen, wie mir Omar erklärte, in dieser Jahreszeit nicht in Marrakesch sind, sondern in Essaouira oder Agadir. Dort ist das Meer. Dort ist der Wind. Oder sie sind noch schlauer und haben genug Geld verdient, um nach Europa zu reisen, wie unser Nachbar, der Antiquitätenhändler Habib. Omar musste den Gedanken nicht weiter ausführen. Ich verstand auch so. Das Schicksal hatte mich unter Leute geworfen, die nicht wissen, was sie tun.
Der Eindruck verstärkte sich, als die Sultana Juliana mit einem Streifenhörnchen vom Basar zurückkam. Eichhörnchen, sagte sie, seien die Lieblingstiere ihrer Kindheit, und dieses Streifenhörnchen sehe nun mal ganz schön eichhörnchenmäßig aus. «Damit hast du nicht so unrecht», sagte Sultan Frank. «Sie gehören zur selben Familie. Das Streifenhörnchen ist ein afrikanisches Eichhörnchen. Es ist nur ein bisschen größer als unseres und hat ein dunkleres Fell. Wie wollen wir es nennen?» Es wurden etwa zwanzig Namen genannt, unterm Strich kam «Rambo» heraus. Rambo hockte derweil bewegungslos in dem Käfig, den die Sultana Juliana ebenfalls auf dem Basar gekauft hatte.
Problem dieser Anschaffung wurde, dass es sich erstens nicht um einen Streifenhörnchen-Käfig, sondern um einen Vogelbauer handelte; und dass zweitens die Gitterstäbe dieses Vogelbauers aus einem Material waren, das afrikanische Streifenhörnchen essen. Käfig mit Hörnchen wurde unter einen der Bäume gehängt, hoch genug, dass ich nicht drankam, und tief genug, dass sie ihn auf Augenhöhe hatten. Sie gaben ihm Nüsse und Müsli, und weil Sultana Juliana meinte, auch ein afrikanisches Streifenhörnchen habe ein Recht auf Rückzug und Privatsphäre, wurde ein kleiner Sack in seinen Käfig gelegt, in dem sich Rambo auch tatsächlich die erste Zeit versteckte.
Das Streifenhörnchen war gerissen. Es labte sich nur...
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